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Vermeidungsverhalten

Verfasst: 19. Okt 2012, 10:55
von xerxes
Hallo,

kennt das jemand? Man weiß, dass etwas dringendst erledigt werden müsste, hat aber solche Panik davor, sich damit zu beschäftigen, dass man es weiter liegenlässt - was die Folgen in der Regel nicht besser macht? Banales Beispiel: Steuererklärung. Oder Rechnungen, die nicht korrekt sind, sodass man sich mit u.U. großen Unternehmen rumstreiten muss. Terminangelegenheiten aller Art, jeder hat wahrscheinlich ein eigenes Angst-Thema. Und dann kommt das Finanzamt mit Zwangsgeldern, auf Rechnungen folgen Mahnungen, alles wird immer schlimmer und die Panik immer größer...

Ich weiß genau, was meine Partnerin hierauf sagen würde: dass ich mich gefälligst am Riemen reißen und die Dinge erledigen soll, die zu erledigen sind! Aber es ist verdammt, verdammt schwierig. Und verdammt widersprüchlich, denn das Beste gegen die Panik (die letzten Endes eine Angst ist, etwas Schlimmes könne passieren) wäre ja, die Dinge tatsächlich zu erledigen, dann passiert meist auch nichts Schlimmes mehr. Gerade dadurch, dass sie liegenbleiben, werden sie ja erst richtig schlimm!

Ich halte mich ansonsten für nicht auf den Kopf gefallen und ärgere mich über mich selbst, dass ich so ein - auf Deutsch gesagt - strunzdummes Verhalten an den Tag lege und mich selbst in vermeidbare Notlagen manövriere.

Fehlt mir einfach die Willenskraft? Aber ich kann durchaus Sachen erledigen, ich habe zuweilen schon mit sehr hoher Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit auch langfristige Projekte zu einem guten Ende geführt. Aber das waren Dinge, die mich aus irgendeinem Grunde begeistert haben, das war ein ganz guter Gegenpol zu manchem Frust unterwegs.

Meine Panik-Themen kriege ich aber nicht gebacken. Exakt in diesem Moment fliehe ich davor, indem ich Beiträge in diesem Forum schreibe. Eigentlich stünde genau jetzt ein dringender Anruf an. Aber ich will nicht, weil ich Angst habe, es könnte sich herausstellen, dass etwas Schlimmes (und Peinliches) passiert. Und wenn ich nichts tue, passiert garantiert etwas Schlimmes. Und noch viel peinlicher ist es dann allemal, denn ich hätte mich ja darum kümmern können.

Krankhaft um den heißen Brei schleichend:
Xerxes

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 19. Okt 2012, 12:00
von FrauRossi
Hi,

kenne ich nur zu gut. Habe es soweit getrieben dass ich fast auf der Straße gelandet wäre.

Dann habe ich mich endlich durgeboxt.

Vorrangig wollte ich Hilfe, von irgendwem. Um die habe ich dann als es fast zu spät war gekämpft wie eine Löwin.

Aber nicht bekommen, nicht bei Psychatrischen Diensten, nicht bei Freunden, nicht bei Ämtern oder Beratern.

Das war hart. Vielleicht ist es bei dir ähnlich? Viellicht möchtest du auch Hilfe? Anerkennung dafür was du da leistest? In dem du es mit jemandem zusammen machste der sieht was das alles für ein Aufwand ist? Versuch es doch mal.

Sag deiner Freundin dass du das gerade nicht schaffst, frag sie ob sie es mit dir zusammen machen kann?

Vielleicht kann das eine Lösung sein?

Ich habe es dann irgendwann geschafft, und derzeit schaffe ich es auch weiterhin jetzt schon seit 7-8 Monaten.

Allerdings gehörte dazu auch dass ich das Tempo herausgenommen habe. Ich habe jeden Tag immer nur wenig gemacht. Das ist auch besser als es garnicht zu machen.

Ich kenne diesen Anspruch an sich selsbst, wo man sich sagt: wenn du dich jetzt mal einfach zusammenreissen würdest und dich hinsetzt ist der Drops an einem Tag gelutscht.

Aber das geht eben nicht merh. Also muss man sich erlauben nur wenig zu machen, sich Pausen zu erlauben und diese auch wirklich machen.

Die Pausen genießen ein Ritual einführen wie einen besonders schönen Kaffe oder Tee zuzubereiten, den nicht hektisch oder nebenbei am Schreibtisch zu trinken, sonder nur das zu tun auf dem Balkon, in der Küche, Dem Sofa, der Terasse.

Danach wieder etwas weitermachen. Und wenn das nicht geht. Geht es eben nicht und man macht am nächsten Tag wieder ein bischen.

LG FrauRossi

P.S. meine Angstthemen waren die gleichen wie bei dir.

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 19. Okt 2012, 12:02
von xerxes
... so, und jetzt hab ich doch angerufen, wir konnten etwas vereinbaren, und es passiert weiter nichts Schlimmes Mein eigener Beitrag hier hat mir den nötigen Kick dazu gegeben. Das ist sehr schön, löst aber natürlich das Problem nicht grundlegend, nur für diesen einen Fall. Trotzdem, schönes Gefühl

@FrauRossi, es ist schön, jemanden zu treffen, dem es ähnlich geht. Ich werde mir deine Taktiken mal durch den Kopf gehen lassen. In meinem Fall fürchte ich aber, dass ein gemütlicher Kaffee nicht hilft, sondern ich würde dann beim Kaffee bleiben und das Problem wieder liegenlassen

Die "Salamitaktik" kann hilfreich sein für große Angstprobleme wie die Steuererklärung, glaube ich. Aber manchmal sind es eben auch einzelne Anrufe, die man nicht in noch kleinere Einheiten teilen kann, damit sie nicht so übermächtig aussehen.

Hilfe holen, mit jemandem zusammen machen ... hm, habe ich ehrlich gesagt noch nicht drüber nachgedacht. Ich glaube, ich kam mir bisher albern vor, wenn ich sage, ich muss das erledigen, habe aber Angst davor, hilf mir. Und wenn es um solche "unteilbaren" Kleinigkeiten geht, klingt es erst recht albern, sich dabei helfen zu lassen. Ich hätte weniger Probleme, wenn ich Spinnenangst hätte und jemanden bitten müsste, einen Achtbeiner aus meinem Wohnzimmer zu entfernen. Aber jemanden zu bitten, manche Geldangelegenheiten für mich zu regeln, weil ich eine Finanzphobie oder so was habe, das kommt mir lächerlich vor. Ich komme mir dann lächerlich vor. Aber dann sitze ich wieder davor und krieg's nicht auf die Reihe, und die Katze, die eben noch um den heißen Brei schlich, beißt sich in den Schwanz...

Grüße,
Xerxes

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 19. Okt 2012, 12:26
von bigappel
Hallo Xerxes,

Glückwunsch zum Durchbrechen Deines Musters!
Super!

Ab gesehen davon, dass es mir gerade jährlich bei der notwendigen Steuererklärung ganz genau so geht und ich bin nicht offiziell psychisch erkrankt, kenne ich das
Verhalten von meinem Mann in und auswendig, allerdings noch viel, viel ausgebauter....

Bei meinem Mann (also völlig losgelöst von Dir) wurde eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, nämlich die "ängstlich vermeidende".

Dies beinhaltet, dass die alten, erlernten, damaligen Muster, die damals notwendig waren, heute aber belastend sind, so tief drin sind, dass sie nicht ohne Weiteres verändert werden können....

Ob dies bei Dir so schwerliegend ist, weiß ich nicht.

Was ich Dir sagen will:
ich kann verstehen, dass Du Dich schämst, dass Dir das peinlich ist, das ist menschlich, aber professionelle Hilfe wäre ein guter Weg, diese alten Muster zu durchbrechen und eben nicht noch schlimmer werden zu lassen.

Die Denkweise :

ich ignoriere das Problem (...dann habe ich keines)
- ich tu nix, dann kann auch nichts Negatives passieren

ist genau das, was erlernt werden sollte, was so nicht stimmt.

Heute hast Du ja wieder erlebt, dass es anders geht.

Ich wünsch Dir alles Gute!
Pia

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 19. Okt 2012, 14:03
von 29100
Hallo Xerxes,

deine Ausführungen kommen mir ebenfalls sehr bekannt vor.
Mir hat geholfen, den Druck aus der ganzen Sache rauszunehmen.

Je mehr ich mir gesagt habe, "du musst" - umso weniger ging.

Aus einem "ich kann nicht" - habe ich ein "du willst" und später ein "jetzt musst du aber" gemacht.

Auch heute bleiben bei mir noch Umschläge tagelang geschlossen - oder akuell ...ein Paket liegt seid ca. 2 Wochen im Flur und müsste zur Post. Irgendwann in den nächsten Tagen werde ich es wegbringen....weil ich es will.

Ich gehe davon aus, das es noch bessere Lösungen gibt - aber dieser "ich kann nicht" Gedanke hat mich noch mehr gehindert es zu tun.

LG

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 19. Okt 2012, 14:24
von FrauRossi
Hallo xerxes,

ich weis sehr gut was du meinst. Es liest sich das was ich schreibe auch sehr viel einfacher als es tasächlich ist.

Bei mir sind viele viele Wochen ins land gegangen bis nach dem Kaffe dann auch noch etwas anderes möglich war.

Aber schon allein dass ich mir überhaupt einen Kaffe gemacht habe und ihn bewusst getrunken habe, dass war ein riesiger Schritt.

Das wichtige dabei für mich war es mir eben zu erlauben dass ich nicht kann. Und ich war weis Gott oft verzweifelt. Ich habe Tage damit zugebracht dass Problem zu durchleuchten und mich mit mach schon, oder aber heute Nachmittag oder Morgen Gedanken zu quälen.

Faktisch waren die Tage dann vertan in jeder Hinsicht. Das Problem nicht gelöst, Anrufe und Papierkram nicht erledigt. Und ich stand unter noch größtem Druck. Morgen aber....

Erst als ich mir gesagt habe (und da war es schon schlimm) bis jetzt ist die Welt nicht untergegangen, da wird sie es jetzt auch nicht tun, wurde es besser. Ich habe eben akzeptiert, dass ich nicht kann und habe angenommen dass ich eben Schlaf und Ruhe brauche, auch wenn es Monate so ging.

Wenn ich da nicht anrufen konnte dann habe ich es nicht getan aber habe etwas für mich gemacht etwas entspannendes.

Ist schwer zu erklären aber es hat irgendwann dann wieder funktioniert.

Ja um Hilfe zu bitten kam mir auch blöd vor. Du wirst aber die Feststellung machen, dass es den Leuten die du um Hilfe fragst nicht blöd vorkommt. Schlicht weil es ein vollkommen übliches Konzept der meisten Menschen ist.

Dass das bei mir (und bei dir) anders ist, hat Gründe die zu entdecken gilt es nebenher auch, dafür habe ich therapeutische Hilfe in Anspruch genommen.

Nach zwei Jahren tiefster Depression, was ich zuerst und sonst niemand erkannte, kann ich heute das meiste wieder, musste mich aber daran gewöhnen dass ich nie mehr dauerhaft auf 2000% fahren werden kann und es auch nicht mehr will.

Dennoch leite ich jetzt eine Großbsustelle, Koordiniere 8 Firmen und 50 eigene Männer. Aber ohne mich dabei selbst aus den Augen zu verlieren.

Es gibt weiter Phasen wo ich zwar im Job funktioniere aber sonst nichts schaffe. Aber jetzt ziehe ich dann die Reißleine. Mache ein paar Tage frei. Stelle Abends das Telefon aus. Ich bin auch noch nicht vollends aus der Depri- oder Angstspirale. Aber es ist bei weitem nicht mehr so schlimm wie noch zu Beginn des Jahres.

Hast du einen Therapeuten?

Du wirst Geduld brauchen. Viel davon.

In Ägypten habe ich gelernt das dort "Five minutes" einen Zeitraum von nicht unter zwei Stunden bis nie beschreibt. Wenn du schaffst dass mit der nötigen Gelassenheit zu sehen. Läuft der Rest irgendwann auch wieder von selbst.

LG FrauRossi

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 8. Nov 2012, 22:38
von nescius

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 8. Nov 2012, 23:08
von RoosaR
Hallo,

kennt das jemand? Man weiß, dass etwas dringendst erledigt werden müsste, hat aber solche Panik davor, sich damit zu beschäftigen, dass man es weiter liegenlässt - was die Folgen in der Regel nicht besser macht? ...Und dann kommt das Finanzamt mit Zwangsgeldern, auf Rechnungen folgen Mahnungen, alles wird immer schlimmer und die Panik immer größer...

... am Riemen reißen und die Dinge erledigen soll... es ist verdammt, verdammt schwierig.

Fehlt mir einfach die Willenskraft?

Krankhaft um den heißen Brei schleichend:
Xerxes




Jahaaa, DU bist nicht allein

Die Ämter und Behörden möchten ALLE ihre Angelegenheiten innerhalb von 14 Tagen erledigt haben...Wenn nicht, dann drohen Strafgelder...

Aber unsere Anfragen werden hinausgezöööögert...mit 1000 Gegenfragen und
Argumenten, die man selbst mit einem Wörterbuch nicht entschlüsseln kann

Ich glaube, dass sich in mir ALLES sträubte, weil ich ein Problem mit dem "Funktionieren" hatte...Ich SOLLTE immer funktionieren, WOLLTE (unbewusst) aber nicht mehr...

Jetzt habe ich die 72-Stunden-Regel geschafft:

Alle Behörden und Ämter (und sonstige Aufgaben) erledige ich innerhalb von 72 Stunden ...

...für MICH und nicht für die Ämter...weil es MIR ein gutes Gefühl bringt- etwas erledigt zu haben- was die Ämter denken (tun sie es? ist mir inzwischen egal...

Lasse Dich nicht vom Außen bestimmen, sondern von Deinem Inneren...Es sagt Dir präzise, was gerade gut für Dich ist...

Du musst Niemandem gefallen, nur Dir selbst! Die Ämter gewöhnen sich daran- Meine Erfahrung

PS: Ich bin nicht auf dieser Welt, um mich "am Riemen zu reißen", sondern, um glücklich zu sein

Re: Vermeidungsverhalten

Verfasst: 9. Nov 2012, 06:31
von timmie2002
xerxes,

auch in deinem problem finde ich mich voll wieder. ich bin auch dabei, daran zu arbeiten. deiner beschreibung gibte es nichts hinzuzufügen.

ich habe mir hilfe geholt. der anstoß dazu kam wieder in der tagesklinik. ich lasse mich jetzt von beraterinnen des psychiatrischen dienstes und der schuldenberatung betreuen. das hat schon einige fortschritte gebracht. aber auch bei der vermeidungsstrategie gilt das prinzip der kleinen schritte.

mein hauptaugenmerk lege ich selber darauf, nichts neues mehr liegen zu lassen. das kriege ich schon ganz gut hin. altlasten arbeite ich nach und nach ab. das geht, weil ich keine habe, die mich in den finanziellen ruin führen könnten. wichtig, diesen druck nicht so zu haben.