Muss man verzeihen? (Sehr, sehr lang)
Verfasst: 20. Jan 2012, 01:08
Hallo zusammen,
wie der Titel schon sagt, ist die Frage: muss man verzeihen? Muss ich verzeihen? Diese Frage beschäftigt mich seit gut einem halben Jahr, jeden Tag, und sie zerfrisst mich, weil meine bisherige Weigerung, zu verzeihen, so gar nicht meinem Schema „lieb und angepasst“ entspricht. Meine eigene Härte macht mir zu schaffen, obwohl ich aus meinem tiefsten Inneren nicht anders kann.
Es wird ein sehr langer Beitrag, da so viel vorgefallen ist. Doch die Frage am Ende bleibt: muss ich um das Seelenheil meines Mannes zuliebe verzeihen?
So richtig fing es im Sommer letzten Jahres an, auf einer Familienfeier meines Mannes kamen per Zufall sehr unschöne Dinge ans Tageslicht. Seine Eltern lebten augenscheinlich in geordneten Verhältnissen, führten und führen „erfolgreich“ ihren eigenen Betrieb; das war es, was mein Mann und ich aus der Ferne sahen, denn wir leben einige hundert Kilometer von seinen Eltern entfernt.
Dass es finanzielle Probleme gab, bemerkte ich erstmals 2008, als sie kein Geld für die Beerdigung des verstorbenen Großvaters hatten, und meinen Mann um Geld baten. Er nahm einen Kredit in fünfstelliger Höhe für sie auf, in seinem Namen. Mit diesem Betrag sollten auch noch andere Löcher gestopft werden, nicht nur die Beerdigung.
Vorletztes Jahr, erzählten sie uns anlässlich eines Besuches bei uns frei von der Leber weg, dass sie mit einer aus meiner Sicht wirklich dämlichen falschen Entscheidung – nämlich ein Callcenter für ihren Betrieb anzumieten, aber viel zu teure Adressen einzukaufen und die Arbeitsergebnisse nicht zu kontrollieren – gute 100.000 EUR Schulden gemacht haben. Ich war, gelinde gesagt, schockiert. Sie erzählten völlig emotionslos, dass sie dieses Callcenter nun nach 3 Jahren aufgegeben hätten, weil es sich ja nun offensichtlich nicht rechnen würde, wie man an dem Schuldenberg sehen könne, der sich in diesem Zeitraum angehäuft hätte.
Zu dieser Zeit boten Sie meinem Mann eine Eigentumswohnung im Nachbarhaus seines Elternhauses, das ihnen auch gehörte, zum Kauf an. Ich riet ihm davon ab. Doch der Bruder meines Mannes kaufte die andere der beiden verfügbaren Wohnungen und auch mein Mann sagte dem Kauf zu. Schon damals war mir klar, dass sie einfach nur Geld gebraucht haben, denn, mal ehrlich: welche Eltern verkaufen ihren Kindern ihr Erbe, wenn nicht aus diesem Grund?
Diese Eltern waren es, die sich dazu bereit erklärt haben, die Hausverwaltung der 3 Einheiten [Wohnung 1] zu übernehmen.
Um nun zum Sommer vergangenen Jahres zurück zu kommen… durch Zufall hatte ich die Gelegenheit, ein längeres Gespräch unter vier Augen mit dem Bruder meines Mannes zu führen. Sonst waren immer seine Eltern dabei gewesen. Bei diesem Informationsaustausch kamen schockierende Details ans Licht, denn so wie es aussah, wussten mein Schwager und seine Frau „die eine Hälfte der Wahrheit“ und mein Mann und ich „die andere Hälfte“.
Mein Schwager wusste nichts von den 100.000 EUR Schulden seiner Eltern. Er wusste auch nichts von dem Kredit, den mein Mann für die Beerdigung des Großvaters hatte aufnehmen müssen, weil sie kein Geld dafür hatten. Dafür wusste er, dass das Konto, dass seine Eltern für die Hausverwaltung der 3 Einheiten verwendeten (interessanterweise nicht getrennt von anderen Geldern, sondern vermischt mit Privatgeldern) gepfändet worden war. Er erzählte außerdem von einem Kreditbetrag von 2.500 EUR, den er und seine Frau seinen Eltern für die angeschlagene Firma gegeben hätte, den sie nur mit höchster Mühe und Not wieder zurück bekommen haben. Es kamen immer mehr Details ans Licht, so dass wir „Kinder und Schwiegerkinder“ uns dringlich zusammen setzten und darüber sprachen. Als die Pfändung des Kontos zur Sprache kam, wurde mein Mann ganz bleich. So habe ich ihn noch nie gesehen wie in diesem Moment.
Zu aller Schande kam in diesem Gespräch noch heraus, dass wir uns haben vorzüglich von den Eltern manipulieren lassen. Die eine Schwiegertochter wurde gegen die andere ausgespielt, so dass es über Jahre nie zu einem innigen Kontakt kam. Und wir waren alle so dumm und haben es nicht durchschaut; bis zu diesem Tag.
Ich fragte meinen Mann, ob der damalige Kredit für die Beerdigung des Großvaters der einzige Kredit an seine Eltern gewesen sei (der noch längst nicht abbezahlt ist) oder ob da noch etwas wäre, von dem ich nicht wüsste. Ganz weiß im Gesicht sagte er mir, er hätte gerade noch vor ein paar Tagen auf Bitten seiner Eltern deren Firma einen Kredit in Höhe von 5.000 EUR gegeben.
Wir vier waren uns einig, dass wir unbedingt mit den Eltern reden müssten, also stellten wir sie mehr oder weniger am nächsten Tag zu Rede. Wir baten sie darum, sich Hilfe zu holen, jemand, der sich Überblick verschafft. Das Wort Schuldnerberatung fiel oft. Wir sagten ihnen, dass wir sie lieben und ihnen helfen wollen, sie dafür aber bitte mit offenen Karten spielen müssen. Stumm schauten sie uns mit großen Augen an und sagten, so viele Schulden wären das doch nicht, sie hätten alles im Griff, und die Sache mit dem gepfändeten Konto wäre ja gar nicht so schlimm. Es wäre ja wohl logisch, dass sie das Hausverwaltungskonto am Anfang des Monats immer auf 0,00 EUR stehen haben und dann im Laufe des Monats eben die ganzen Zahlungen auf Dispo belastet werden, und am Ende des Monats würden sie grade wieder so viel drauf überweisen, dass das Konto auf 0,00 EUR steht. Und ich wäre ja zu dumm, um das zu verstehen. Ja, ja.
Um das ganze etwas abzukürzen: das Auto meines Mannes, dessen Finanzierung auf den Namen seines Vaters gelaufen war und das grade einen Monat vorher abbezahlt war, wäre um ein Haar weg gewesen, weil das Finanzamt seinen Eltern mit einer Forderung von 150.000 EUR im Nacken saß. Sie waren zu dämlich gewesen, für die letzten Jahre Steuererklärungen für den Betrieb abzugeben und sind darum geschätzt worden. Der Gerichtsvollzieher ging schon seit Monaten bei ihnen ein und aus, wie wir von einer Tante meines Mannes erfahren haben.
Mein Mann sah seine Existenz bedroht, ich meine auch, weil wir nicht wussten, inwieweit er als Sohn für die Schulden der Eltern herangezogen werden kann. Wir mussten uns anwaltlich beraten lassen. In seiner Verzweiflung überlegte er sogar, sich ins Ausland versetzen zu lassen, am besten in ein Krisengebiet, damit er genug Geld verdient, um alles bezahlen zu können. Wäre ich nicht über die Maßen in meinem „Ich- muss-zusehen-wie-ich-diese-Scheiße-rette“-Trip gewesen, wäre spätestens zu diesem Zeitpunkt die Depression erneut wie eine riesige Welle über mich geschwappt und hätte mich verschluckt.
Wir baten die Eltern um Auskunft, inwieweit die Rechnungen für die 3 Wohneinheiten bezahlt sind. Die Antwort war: alles in Ordnung. Wir forderten Unterlagen von ihnen, die wir nie bekamen. Wochen später kam heraus, dass die Gebäudeversicherung schon seit einem dreiviertel Jahr nicht mehr existierte, weil die Eltern das Geld (das sie anteilig von ihren Söhnen ja dafür bekommen haben) nicht bezahlen konnten. Ich erfuhr durch eigene Recherche auch, dass bei den Energieversorgen auch offene Posten vorhanden waren.
Ich hörte so viel Mist in diesen Wochen… seine Eltern sagten mir in mehreren Telefonaten, dass sie mit dem Gedanken spielen, den Mieter in der Wohnung meines Mannes (!) auf Eigenbedarf zu kündigen und selbst in die Wohnung zu ziehen. Oder, leicht abgewandelt: die Großmutter, die noch im 1 OG des Elternhauses wohnte, solle in die Wohnung ziehen, die dann aber vorher – selbstverständlich auf Kosten meines Mannes – altersgerecht umgebaut werden müsse. „Zumindest das Bad!“.
Sie drückten meinem Schwager Bargeld in die Hand, gingen mit ihm zur Bank, ließen ihn das Geld auf sein Konto einzahlen und auf ein anderes Konto überweisen, da sie selbst ja keinen Zugriff mehr auf ihre Konten hatten.
Es kam ans Licht, dass die Finanzierung der Wohnungen, die sie an ihre Söhne verkauft haben, vorne und hinten nicht passt (Kombifinanzierung, leider unterfinanziert). Außerdem haben sie meinen Mann bei der Finanzierung der Wohnung 10.000 EUR extra aufnehmen lassen, mit der Begründung, er solle sie für „eventuelle Renovierungen“ auf einem extra Konto parken.( Dieser Betrag wurde irrsinnigerweise in die Kaufsumme im notariellen Vertrag aufgenommen). Mein Mann zahlt also für Geld, dass er nicht braucht, mehr Sollzinsen, als er Guthabenzinsen für die Anlage desselben bekommt. Wenn ich Euch jetzt noch sage, dass im Namen der Firma seines Vaters das Wort „Finanzplanung“ vorkommt, lacht ihr Euch wahrscheinlich kaputt, aber es ist die bittere Wahrheit.
Nunja, die kompletten 10.000 EUR sind nicht mehr auf dem separaten Konto geparkt, denn davon sind ja die 5.000 EUR Privatkredit für die Firma der Eltern runtergegangen. Als ich sie fragte, ob es ihnen denn nicht klar gewesen sei, dass ihr Sohn nicht grade mal ein paar tausend Euro aus dem Ärmel schütteln könnte, war die Antwort , dass sie davon ausgegangen sind, dass er das Geld doch gehabt hat, sonst hätten sie ja nieeeee danach gefragt oder was gewollt.
Natürlich ging es meinen Mann sehr schlecht und er verfiel im Gegensatz zu mir in Lethargie. Konnte nichts mehr entscheiden. Ich dagegen fuhr zur Höchstform auf, für einen Zeitraum von gut fünf Wochen schlief und aß ich kaum noch, war ständig am Telefonieren und organisieren, damit der Karren wieder aus dem Dreck kam. Meiner Schwägerin und meinem Schwager sei es verziehen, da sie komplett „büro-fremde“ Berufe haben und mit Dokumentation und Recherche nicht viel am Hut haben. Da mein Mann sich komplett zurück zog, blieb alles an mir hängen, was natürlich auch zu heftigen Spannungen in unserer Beziehung führte. Ich holte Angebote von Verwaltern ein, telefonierte mit Anwälten, der Gemeinde, Versorgern, Ämtern, Versicherern für die fehlende Gebäudeversicherung, Verwandten, und meinen Schwiegereltern, die mir am Telefon vorheulten, wie schlimm doch alles für sie sei, weil das Finanzamt ihnen so Druck machen würde, und dass sie Nachts kaum mehr schlafen könnten, geschweige denn etwas Esse. Ich fragte sie, ob sie denn ernsthaft glauben, dass es ihrem Sohn, meinem Mann, besser gehen würde. Es wurde überhört, es interessierte sie nicht.
Das Ende vom Lied und von den erwähnten 5 Wochen war, dass wir eine Eigentümerversammlung anberaumten (deren Einberufung ich vom Vater fordern musste, deren Tagesordnungspunkte ich vorschlagen musste, deren Protokollführung ich übernahm, usw, usf), in der wir den Vater meines Mannes seines Amtes enthoben und einen externen Verwalter einberiefen. (Was auch gar nicht so einfach war, wie es sich so in einem Satz geschrieben anhören mag, mit DEM Hintergrund). Außerdem formulierte ich einen privaten Darlehensvertrag, der für den „Beerdigungs-Kredit“ schon längst überfällig war.
Bei der Versammlung mussten wir uns von den Eltern sagen lassen: „Wir waren fest davon überzeugt, dass ihr heute mit der Polizei hier steht und uns verhaften lasst!“
Meine Güte.
Danach beruhigte sich alles etwas, aber die Stimmung blieb frostig. Meinem Mann ging es zusehends schlechter, wurde, so will ich behaupten (weil ich es ja kenne) depressiv. Er ging zu einem Psychiater und bekam Antidepressiva, die ihm leider nicht halfen. Er schlief schlecht, war immer schlecht drauf, konnte sich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren. Ich war einfach nur wütend, wütend und nochmal wütend.
Schließlich mussten wir Ende letzten Jahres wieder zu seinen Eltern fahren, weil nun die Großmutter im Sterben lag. Seine Mutter hatte nichts besseres zu tun, als ihm nach der Ankunft von einem Heulkrampf geschüttelt in die Arme zu fallen und sich von IHREM SOHN trösten zu lassen. Ich fand das so schrecklich, weil mein Mann Trost gebraucht hätte (so alt ist er nämlich auch noch nicht). Er bekam aber keinen. Im Gegenteil; an diesem Abend war es wie immer: seine Eltern ignorierten ihn zumeist. Wenn sie eine Frage an ihn richteten und er zur Antwort ansetze, drehten sie den Kopf schon wieder weg und redeten mit jemand anderem. Mir tat es so weh, den Schmerz und die Fassungslosigkeit in den Augen meines Mannes zu sehen!
Also verabschiedete sich mein Mann von seiner Großmutter, die er nicht mehr lebend wieder sehen würde, und wir fuhren nach drei Tagen zurück. Ich war immer noch voller Zorn, denn die ganze Zeit, so sehe ich das, benutzen meine Schwiegereltern ihre Kinder für ihr Wohl, nutzen sie aus.
Als mein Mann mich bat, seinen Eltern zu sagen, warum ich mich so abweisend verhalte, schrieb ich ihnen einen Brief. Vier Seiten. Ich brachte alles aufs Tapet. Dass ich finde, dass sie ihre Kinder seelisch mißbrauchen, sie für ihr Seelenheil benutzen, aber nicht für sie da sind. Dass ihre Kinder aber ihre Eltern brauchen, und sie zu blind dazu sind, das zu sehen. Dass ich sie für das, was sie ihnen angetan haben, verachte. Dass ihnen Gott, oder an wen auch immer sie glauben mögen, gnaden solle, wenn sie ihre Kinder noch einmal so verletzen oder sie noch einmal um Geld bitten; dann lernen sie mich kennen. Ich schrieb alles, was mich seit Wochen belastete und was nachweislich in dutzenden Telefonaten auch die heftigst ausgedrückte Meinung von Schwager und Schwägerin war.
Dieser Brief führte dazu, dass sich die Eltern meines Mannes mit Schwager und Schwägerin ausgesprochen haben und sich wieder angenähert haben. Finde ich auch schön, die wohnen ja direkt nebeneinander und da ist guter Kontakt schonmal hilfreich. Leider schläft der so mühsam erkämpfte gute Kontakt zu Schwager und Schwägerin nun wieder ein, da sie sich ja nun wieder gut mit den Eltern verstehen, ich aber nicht.
Mit mir kommunizieren die Eltern überhaupt nicht mehr, so wie ich es mir in meinem Brief an sie geschrieben habe „Und was uns anbelangt: guten Tag, guten Weg! Mehr ist nach dem Schauspiel, das ihr vollführt habt, beileibe auch nicht mehr zu ertragen. Und ich erwarte, dass wir das so hinbekommen, dass es meinen Mann nicht im geringsten belastet und er das Gefühl bekommt, zwischen den Stühlen zu sitzen“. Zumindest an die Kontaktverweigerung halten sie sich, dafür bin ich dankbar.
Aber ich sehe, wie sehr es meinen Mann schmerzt. Seine Mutter ruft des öfteren an und weint am Telefon, weil für sie alles so schlimm ist, und weil ich „sie hassen“ würde, und weil sie so gerne eine Aussprache hätte. Ich bin dafür aber nicht bereit. Ich bin immer noch der Meinung, das eine Mutter ihr Kind weder an Weihnachten noch an Silvester noch sonst irgendwann am Telefon anschluchzen muss, wenn es selbst angeschlagen ist. Und es sind noch so viele andere Dinge passiert, die ich hier gar nicht schreiben kann, weil es ja so schon den Rahmen sprengt.
Würdet ihr an meiner Stelle verzeihen? Das Argument dafür ist ja, dass es die Eltern meines Mannes sind. Ich sage ihm ja auch, er soll BITTE Kontakt mit ihnen halten und dass es mir wichtig ist, dass er ein gutes Verhältnis zu ihnen hat. Aber ich, nee, das grenzt wirklich an Hass, was ich für sie fühle, weil ich ihnen nicht verzeihen kann, was sie ihren Kindern , meinem Mann, WISSENTLICH angetan haben.
Auf lange Sicht ist es sicher ungünstig, diesen Zustand weiter aufrecht zu erhalten. Aber, hey, ich seh es echt nicht ein. Ich hab zumindest in meiner jetzigen Stimmung überhaupt kein Problem mit der Vorstellung, diesen Menschen nie wieder zu begegnen. Andererseits weiß ich, dass es meinen Mann belastet, und das möchte ich auch nicht.
Muss man verzeihen?
Wer es bis hierher geschafft hat, ohne das die Augen bluten: herzlichen Glückwunsch ;o)
Uffz, jetzt kann ich auch nicht mehr… .
Liebe Grüße
Kampfgemuese
wie der Titel schon sagt, ist die Frage: muss man verzeihen? Muss ich verzeihen? Diese Frage beschäftigt mich seit gut einem halben Jahr, jeden Tag, und sie zerfrisst mich, weil meine bisherige Weigerung, zu verzeihen, so gar nicht meinem Schema „lieb und angepasst“ entspricht. Meine eigene Härte macht mir zu schaffen, obwohl ich aus meinem tiefsten Inneren nicht anders kann.
Es wird ein sehr langer Beitrag, da so viel vorgefallen ist. Doch die Frage am Ende bleibt: muss ich um das Seelenheil meines Mannes zuliebe verzeihen?
So richtig fing es im Sommer letzten Jahres an, auf einer Familienfeier meines Mannes kamen per Zufall sehr unschöne Dinge ans Tageslicht. Seine Eltern lebten augenscheinlich in geordneten Verhältnissen, führten und führen „erfolgreich“ ihren eigenen Betrieb; das war es, was mein Mann und ich aus der Ferne sahen, denn wir leben einige hundert Kilometer von seinen Eltern entfernt.
Dass es finanzielle Probleme gab, bemerkte ich erstmals 2008, als sie kein Geld für die Beerdigung des verstorbenen Großvaters hatten, und meinen Mann um Geld baten. Er nahm einen Kredit in fünfstelliger Höhe für sie auf, in seinem Namen. Mit diesem Betrag sollten auch noch andere Löcher gestopft werden, nicht nur die Beerdigung.
Vorletztes Jahr, erzählten sie uns anlässlich eines Besuches bei uns frei von der Leber weg, dass sie mit einer aus meiner Sicht wirklich dämlichen falschen Entscheidung – nämlich ein Callcenter für ihren Betrieb anzumieten, aber viel zu teure Adressen einzukaufen und die Arbeitsergebnisse nicht zu kontrollieren – gute 100.000 EUR Schulden gemacht haben. Ich war, gelinde gesagt, schockiert. Sie erzählten völlig emotionslos, dass sie dieses Callcenter nun nach 3 Jahren aufgegeben hätten, weil es sich ja nun offensichtlich nicht rechnen würde, wie man an dem Schuldenberg sehen könne, der sich in diesem Zeitraum angehäuft hätte.
Zu dieser Zeit boten Sie meinem Mann eine Eigentumswohnung im Nachbarhaus seines Elternhauses, das ihnen auch gehörte, zum Kauf an. Ich riet ihm davon ab. Doch der Bruder meines Mannes kaufte die andere der beiden verfügbaren Wohnungen und auch mein Mann sagte dem Kauf zu. Schon damals war mir klar, dass sie einfach nur Geld gebraucht haben, denn, mal ehrlich: welche Eltern verkaufen ihren Kindern ihr Erbe, wenn nicht aus diesem Grund?
Diese Eltern waren es, die sich dazu bereit erklärt haben, die Hausverwaltung der 3 Einheiten [Wohnung 1] zu übernehmen.
Um nun zum Sommer vergangenen Jahres zurück zu kommen… durch Zufall hatte ich die Gelegenheit, ein längeres Gespräch unter vier Augen mit dem Bruder meines Mannes zu führen. Sonst waren immer seine Eltern dabei gewesen. Bei diesem Informationsaustausch kamen schockierende Details ans Licht, denn so wie es aussah, wussten mein Schwager und seine Frau „die eine Hälfte der Wahrheit“ und mein Mann und ich „die andere Hälfte“.
Mein Schwager wusste nichts von den 100.000 EUR Schulden seiner Eltern. Er wusste auch nichts von dem Kredit, den mein Mann für die Beerdigung des Großvaters hatte aufnehmen müssen, weil sie kein Geld dafür hatten. Dafür wusste er, dass das Konto, dass seine Eltern für die Hausverwaltung der 3 Einheiten verwendeten (interessanterweise nicht getrennt von anderen Geldern, sondern vermischt mit Privatgeldern) gepfändet worden war. Er erzählte außerdem von einem Kreditbetrag von 2.500 EUR, den er und seine Frau seinen Eltern für die angeschlagene Firma gegeben hätte, den sie nur mit höchster Mühe und Not wieder zurück bekommen haben. Es kamen immer mehr Details ans Licht, so dass wir „Kinder und Schwiegerkinder“ uns dringlich zusammen setzten und darüber sprachen. Als die Pfändung des Kontos zur Sprache kam, wurde mein Mann ganz bleich. So habe ich ihn noch nie gesehen wie in diesem Moment.
Zu aller Schande kam in diesem Gespräch noch heraus, dass wir uns haben vorzüglich von den Eltern manipulieren lassen. Die eine Schwiegertochter wurde gegen die andere ausgespielt, so dass es über Jahre nie zu einem innigen Kontakt kam. Und wir waren alle so dumm und haben es nicht durchschaut; bis zu diesem Tag.
Ich fragte meinen Mann, ob der damalige Kredit für die Beerdigung des Großvaters der einzige Kredit an seine Eltern gewesen sei (der noch längst nicht abbezahlt ist) oder ob da noch etwas wäre, von dem ich nicht wüsste. Ganz weiß im Gesicht sagte er mir, er hätte gerade noch vor ein paar Tagen auf Bitten seiner Eltern deren Firma einen Kredit in Höhe von 5.000 EUR gegeben.
Wir vier waren uns einig, dass wir unbedingt mit den Eltern reden müssten, also stellten wir sie mehr oder weniger am nächsten Tag zu Rede. Wir baten sie darum, sich Hilfe zu holen, jemand, der sich Überblick verschafft. Das Wort Schuldnerberatung fiel oft. Wir sagten ihnen, dass wir sie lieben und ihnen helfen wollen, sie dafür aber bitte mit offenen Karten spielen müssen. Stumm schauten sie uns mit großen Augen an und sagten, so viele Schulden wären das doch nicht, sie hätten alles im Griff, und die Sache mit dem gepfändeten Konto wäre ja gar nicht so schlimm. Es wäre ja wohl logisch, dass sie das Hausverwaltungskonto am Anfang des Monats immer auf 0,00 EUR stehen haben und dann im Laufe des Monats eben die ganzen Zahlungen auf Dispo belastet werden, und am Ende des Monats würden sie grade wieder so viel drauf überweisen, dass das Konto auf 0,00 EUR steht. Und ich wäre ja zu dumm, um das zu verstehen. Ja, ja.
Um das ganze etwas abzukürzen: das Auto meines Mannes, dessen Finanzierung auf den Namen seines Vaters gelaufen war und das grade einen Monat vorher abbezahlt war, wäre um ein Haar weg gewesen, weil das Finanzamt seinen Eltern mit einer Forderung von 150.000 EUR im Nacken saß. Sie waren zu dämlich gewesen, für die letzten Jahre Steuererklärungen für den Betrieb abzugeben und sind darum geschätzt worden. Der Gerichtsvollzieher ging schon seit Monaten bei ihnen ein und aus, wie wir von einer Tante meines Mannes erfahren haben.
Mein Mann sah seine Existenz bedroht, ich meine auch, weil wir nicht wussten, inwieweit er als Sohn für die Schulden der Eltern herangezogen werden kann. Wir mussten uns anwaltlich beraten lassen. In seiner Verzweiflung überlegte er sogar, sich ins Ausland versetzen zu lassen, am besten in ein Krisengebiet, damit er genug Geld verdient, um alles bezahlen zu können. Wäre ich nicht über die Maßen in meinem „Ich- muss-zusehen-wie-ich-diese-Scheiße-rette“-Trip gewesen, wäre spätestens zu diesem Zeitpunkt die Depression erneut wie eine riesige Welle über mich geschwappt und hätte mich verschluckt.
Wir baten die Eltern um Auskunft, inwieweit die Rechnungen für die 3 Wohneinheiten bezahlt sind. Die Antwort war: alles in Ordnung. Wir forderten Unterlagen von ihnen, die wir nie bekamen. Wochen später kam heraus, dass die Gebäudeversicherung schon seit einem dreiviertel Jahr nicht mehr existierte, weil die Eltern das Geld (das sie anteilig von ihren Söhnen ja dafür bekommen haben) nicht bezahlen konnten. Ich erfuhr durch eigene Recherche auch, dass bei den Energieversorgen auch offene Posten vorhanden waren.
Ich hörte so viel Mist in diesen Wochen… seine Eltern sagten mir in mehreren Telefonaten, dass sie mit dem Gedanken spielen, den Mieter in der Wohnung meines Mannes (!) auf Eigenbedarf zu kündigen und selbst in die Wohnung zu ziehen. Oder, leicht abgewandelt: die Großmutter, die noch im 1 OG des Elternhauses wohnte, solle in die Wohnung ziehen, die dann aber vorher – selbstverständlich auf Kosten meines Mannes – altersgerecht umgebaut werden müsse. „Zumindest das Bad!“.
Sie drückten meinem Schwager Bargeld in die Hand, gingen mit ihm zur Bank, ließen ihn das Geld auf sein Konto einzahlen und auf ein anderes Konto überweisen, da sie selbst ja keinen Zugriff mehr auf ihre Konten hatten.
Es kam ans Licht, dass die Finanzierung der Wohnungen, die sie an ihre Söhne verkauft haben, vorne und hinten nicht passt (Kombifinanzierung, leider unterfinanziert). Außerdem haben sie meinen Mann bei der Finanzierung der Wohnung 10.000 EUR extra aufnehmen lassen, mit der Begründung, er solle sie für „eventuelle Renovierungen“ auf einem extra Konto parken.( Dieser Betrag wurde irrsinnigerweise in die Kaufsumme im notariellen Vertrag aufgenommen). Mein Mann zahlt also für Geld, dass er nicht braucht, mehr Sollzinsen, als er Guthabenzinsen für die Anlage desselben bekommt. Wenn ich Euch jetzt noch sage, dass im Namen der Firma seines Vaters das Wort „Finanzplanung“ vorkommt, lacht ihr Euch wahrscheinlich kaputt, aber es ist die bittere Wahrheit.
Nunja, die kompletten 10.000 EUR sind nicht mehr auf dem separaten Konto geparkt, denn davon sind ja die 5.000 EUR Privatkredit für die Firma der Eltern runtergegangen. Als ich sie fragte, ob es ihnen denn nicht klar gewesen sei, dass ihr Sohn nicht grade mal ein paar tausend Euro aus dem Ärmel schütteln könnte, war die Antwort , dass sie davon ausgegangen sind, dass er das Geld doch gehabt hat, sonst hätten sie ja nieeeee danach gefragt oder was gewollt.
Natürlich ging es meinen Mann sehr schlecht und er verfiel im Gegensatz zu mir in Lethargie. Konnte nichts mehr entscheiden. Ich dagegen fuhr zur Höchstform auf, für einen Zeitraum von gut fünf Wochen schlief und aß ich kaum noch, war ständig am Telefonieren und organisieren, damit der Karren wieder aus dem Dreck kam. Meiner Schwägerin und meinem Schwager sei es verziehen, da sie komplett „büro-fremde“ Berufe haben und mit Dokumentation und Recherche nicht viel am Hut haben. Da mein Mann sich komplett zurück zog, blieb alles an mir hängen, was natürlich auch zu heftigen Spannungen in unserer Beziehung führte. Ich holte Angebote von Verwaltern ein, telefonierte mit Anwälten, der Gemeinde, Versorgern, Ämtern, Versicherern für die fehlende Gebäudeversicherung, Verwandten, und meinen Schwiegereltern, die mir am Telefon vorheulten, wie schlimm doch alles für sie sei, weil das Finanzamt ihnen so Druck machen würde, und dass sie Nachts kaum mehr schlafen könnten, geschweige denn etwas Esse. Ich fragte sie, ob sie denn ernsthaft glauben, dass es ihrem Sohn, meinem Mann, besser gehen würde. Es wurde überhört, es interessierte sie nicht.
Das Ende vom Lied und von den erwähnten 5 Wochen war, dass wir eine Eigentümerversammlung anberaumten (deren Einberufung ich vom Vater fordern musste, deren Tagesordnungspunkte ich vorschlagen musste, deren Protokollführung ich übernahm, usw, usf), in der wir den Vater meines Mannes seines Amtes enthoben und einen externen Verwalter einberiefen. (Was auch gar nicht so einfach war, wie es sich so in einem Satz geschrieben anhören mag, mit DEM Hintergrund). Außerdem formulierte ich einen privaten Darlehensvertrag, der für den „Beerdigungs-Kredit“ schon längst überfällig war.
Bei der Versammlung mussten wir uns von den Eltern sagen lassen: „Wir waren fest davon überzeugt, dass ihr heute mit der Polizei hier steht und uns verhaften lasst!“
Meine Güte.
Danach beruhigte sich alles etwas, aber die Stimmung blieb frostig. Meinem Mann ging es zusehends schlechter, wurde, so will ich behaupten (weil ich es ja kenne) depressiv. Er ging zu einem Psychiater und bekam Antidepressiva, die ihm leider nicht halfen. Er schlief schlecht, war immer schlecht drauf, konnte sich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren. Ich war einfach nur wütend, wütend und nochmal wütend.
Schließlich mussten wir Ende letzten Jahres wieder zu seinen Eltern fahren, weil nun die Großmutter im Sterben lag. Seine Mutter hatte nichts besseres zu tun, als ihm nach der Ankunft von einem Heulkrampf geschüttelt in die Arme zu fallen und sich von IHREM SOHN trösten zu lassen. Ich fand das so schrecklich, weil mein Mann Trost gebraucht hätte (so alt ist er nämlich auch noch nicht). Er bekam aber keinen. Im Gegenteil; an diesem Abend war es wie immer: seine Eltern ignorierten ihn zumeist. Wenn sie eine Frage an ihn richteten und er zur Antwort ansetze, drehten sie den Kopf schon wieder weg und redeten mit jemand anderem. Mir tat es so weh, den Schmerz und die Fassungslosigkeit in den Augen meines Mannes zu sehen!
Also verabschiedete sich mein Mann von seiner Großmutter, die er nicht mehr lebend wieder sehen würde, und wir fuhren nach drei Tagen zurück. Ich war immer noch voller Zorn, denn die ganze Zeit, so sehe ich das, benutzen meine Schwiegereltern ihre Kinder für ihr Wohl, nutzen sie aus.
Als mein Mann mich bat, seinen Eltern zu sagen, warum ich mich so abweisend verhalte, schrieb ich ihnen einen Brief. Vier Seiten. Ich brachte alles aufs Tapet. Dass ich finde, dass sie ihre Kinder seelisch mißbrauchen, sie für ihr Seelenheil benutzen, aber nicht für sie da sind. Dass ihre Kinder aber ihre Eltern brauchen, und sie zu blind dazu sind, das zu sehen. Dass ich sie für das, was sie ihnen angetan haben, verachte. Dass ihnen Gott, oder an wen auch immer sie glauben mögen, gnaden solle, wenn sie ihre Kinder noch einmal so verletzen oder sie noch einmal um Geld bitten; dann lernen sie mich kennen. Ich schrieb alles, was mich seit Wochen belastete und was nachweislich in dutzenden Telefonaten auch die heftigst ausgedrückte Meinung von Schwager und Schwägerin war.
Dieser Brief führte dazu, dass sich die Eltern meines Mannes mit Schwager und Schwägerin ausgesprochen haben und sich wieder angenähert haben. Finde ich auch schön, die wohnen ja direkt nebeneinander und da ist guter Kontakt schonmal hilfreich. Leider schläft der so mühsam erkämpfte gute Kontakt zu Schwager und Schwägerin nun wieder ein, da sie sich ja nun wieder gut mit den Eltern verstehen, ich aber nicht.
Mit mir kommunizieren die Eltern überhaupt nicht mehr, so wie ich es mir in meinem Brief an sie geschrieben habe „Und was uns anbelangt: guten Tag, guten Weg! Mehr ist nach dem Schauspiel, das ihr vollführt habt, beileibe auch nicht mehr zu ertragen. Und ich erwarte, dass wir das so hinbekommen, dass es meinen Mann nicht im geringsten belastet und er das Gefühl bekommt, zwischen den Stühlen zu sitzen“. Zumindest an die Kontaktverweigerung halten sie sich, dafür bin ich dankbar.
Aber ich sehe, wie sehr es meinen Mann schmerzt. Seine Mutter ruft des öfteren an und weint am Telefon, weil für sie alles so schlimm ist, und weil ich „sie hassen“ würde, und weil sie so gerne eine Aussprache hätte. Ich bin dafür aber nicht bereit. Ich bin immer noch der Meinung, das eine Mutter ihr Kind weder an Weihnachten noch an Silvester noch sonst irgendwann am Telefon anschluchzen muss, wenn es selbst angeschlagen ist. Und es sind noch so viele andere Dinge passiert, die ich hier gar nicht schreiben kann, weil es ja so schon den Rahmen sprengt.
Würdet ihr an meiner Stelle verzeihen? Das Argument dafür ist ja, dass es die Eltern meines Mannes sind. Ich sage ihm ja auch, er soll BITTE Kontakt mit ihnen halten und dass es mir wichtig ist, dass er ein gutes Verhältnis zu ihnen hat. Aber ich, nee, das grenzt wirklich an Hass, was ich für sie fühle, weil ich ihnen nicht verzeihen kann, was sie ihren Kindern , meinem Mann, WISSENTLICH angetan haben.
Auf lange Sicht ist es sicher ungünstig, diesen Zustand weiter aufrecht zu erhalten. Aber, hey, ich seh es echt nicht ein. Ich hab zumindest in meiner jetzigen Stimmung überhaupt kein Problem mit der Vorstellung, diesen Menschen nie wieder zu begegnen. Andererseits weiß ich, dass es meinen Mann belastet, und das möchte ich auch nicht.
Muss man verzeihen?
Wer es bis hierher geschafft hat, ohne das die Augen bluten: herzlichen Glückwunsch ;o)
Uffz, jetzt kann ich auch nicht mehr… .
Liebe Grüße
Kampfgemuese