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Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 7. Jan 2012, 11:33
von Greta_B
Halo zusammen,

ich bin kürzlich auf dieses Forum gestoßen.

Mein Hausarzt hat vor einigen Monaten die Diagnose depressive Episode gestellt. Ich habe mich in eine Therapie begeben und gehe nun einmal wöchentlich in eine Gruppentherapie.

Insgesamt habe ich nun rund acht Sitzungen hinter mir. In der Therapie, besser in der Gruppe, gelingt es mir noch nicht, mich zu öffnen, weshalb ich nur bedingt Fortschritte mache.

Es hat für mich Jahre gedauert, mich zum Arzt zu bewegen und der Kern meiner Problem ist mir noch nicht ganz klar.

Fakt ist, dass ich seit Jahren das Gefühl permanenter Überforderung habe und mich immer gestresst fühle. Dazu kommt, dass ich unzuverlässig bin, nie nein sagen kann und mich dadurch selbst!verschuldet in exixtenzielle Probleme gebracht habe, da ich es immer gerade so geschafft habe, meine Arbeit, nicht aber mein Privatleben zu bewältigen.

Das zeigt sich unter anderem dadurch, dass ich oft Mahnung etc. erhalte, weil ich mich nicht um die Rechnungen gekümmert habe, oder nicht die Mittel dazu hatte. Denn obwohl ich genügend Geld verdient habe, war und bin ich noch immer nicht in der Lage damit hauszuhalten.

Allein deshalb kann ich mich mittlerweile nicht mehr im Spiegel ansehen, weil die Scham darüber und die Wut auf mich selbst mich erdrückt.

Ich verliere ständig Dokumente wie Geldkarte und Ausweis, weshalb mich eine Mitarbeiterin des Einwohnermeldeamtes schon mal auf mgl. psychische Probleme ansprach, als ich zum xten Ma einen neuen Ausweis beantragen musste.

Diese Aussage, sie ist schon einige Jahre her, habe ich nicht zur Kenntnis genommen, aber heute weiß ich, dass sie Recht hatte.

Für mich stellt das Ganze eine große Belastung dar. Zum Einen machen existenzielle Fragen meine psychische Situation keineswegs besser, zum Anderen ist es die Scham.

Ich will und möchte mir helfen lasssen bzw. mir selbst helfen, weil ich ganz klar ein Problem habe, den Anforderungen des Alltags gerecht zu werden. Es fällt mir schwer, morgens aufzustehen, ich habe Mühe, meinen Haushalt zu schaffen. Und das obwohl ich keine Familie habe, um die ich mich kümmern muss.

Zum Anderen schäme ich mich, nicht den Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden.

Es gelingt mir nicht, in der Therapie meine Probleme anzusprechen, da ich sie, wie gesagt selbst verschuldet habe.

Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, über meine selbstverschuldeten Probleme mit Menschen zu sprechen, denen ihre "Wunden" von außen, z.B. Elternhaus zugefügt wurden, für die sie ja nichts können.

Und was besagt die Diagnose Depressive Episode? Heißt das, man ist mal mies drauf und das geht vorbei? Ich stelle mir Fragen wie: bin ich eigentlich "depressiv genug" um hier schreiben zu können? Medikamente muss ich nicht nehmen. Von meiner Therapeutin habe ich keine Aussage darüber bekommen, ob sie die Diagnose meines Hausarztes bestätigt.

Alle anderen Teilnehmer der Gruppe haben ihre Geschichten und die Gründe für ihre Probleme liegen nicht so sehr bei ihnen selbst wie bei mir. Die Schuld an meiner Situation liegt ganz klar bei mir, und ich weiß nicht, wie ich mich daraus befreien kann.

Ich habe einen großen Freundeskreis, aus dem ich mich derzeit immer mehr zurückziehe und meine Beziehungen sind alle gescheitert.

Inzwischen habe ich Probleme mit dem Essen, das ich aber mit der Therapeutin besprechen werde.

Seit über 10 Jahren wohne ich in einer großen Stadt. Hier habe ich gearbeitet und studiert gleichzeitig, nun arbeite ich nur noch. Und das Leben in der Stadt überfordert mich, ich will am liebsten nur zu hause sein. Aber auch hier bin ich sehr antriebslos und schaffe nur mit Mühe Dinge, die über meine Arbeit hinausgehen. Ein Privatleben im Sinne von Freunde treffen, Konzerte besuchen etc. findet nur noch sporadisch statt.

Meine Situation belastet mich so sehr, dass sie sich auf meine Arbeit niederschlägt, weshalb nun auch noch die Angst um meine Arbeit hinzukommt und ich langsam nicht mehr weiter weiß.

Danke!

G.

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 7. Jan 2012, 14:48
von rosecottage
Hallo Greta_B,

Wenn ich deinen Beitrag lese, habe ich das Gefühl ich lese etwas, dass ich vor 15 Jahren geschrieben haben könnte.

Jedes Wort, jedes Gefühl, jeden Gedanken von dir kenne ich so gut und das erste, was ich dir sagen möchte ist:

Du bist nicht schuld und du nusst dich für nichts schämen.

Dass du nicht weißt warum du z.B. Papierkram nicht sofort erledigst, hat wahrscheinlich mehr etwas damit zu tun, dass du noch keinen Zugang zu deinen Problemen gefunden hast - nach acht Stunden Gruppentherapie ist das nicht ungewöhnlich.

In der Gruppe kommt man oft erst später an seine Themen, weil da noch andere sind, die Zeit in Anspruch nehmen oder weil man sich nicht traut alles zu erzählen.

Ich habe viele Jahre lernen müssen, mir eine Struktur für meinen Alltag zu erarbeiten, um alles gleich bzw. rechtzeitig zu erledigen, um keine Mahnungen mehr zu erhalten oder dann diese ewige Rennerei zu Behörden etc. zu haben, weil ich durchs Aufschieben und vermeiden alles noch viel schlimmer gemacht habe.

Heute weiß ich, dass ich es mir oft nicht wert war, meine Sachen zu regeln. Das habe ich auch nur langsam herausgefunden - und mit Schuld hatte das gar nichts zu tun!

Wenn du überfordert bis, gibt es dafür mindestens einen Grund - eher viel Gründe.

Ich weiß genau, wie sich diese Scham anfühlt und sie macht alles schwerer - vorallem sich zu öffnen, darüber zu sprechen, sich Hilfe zu holen...

Aber du hast dich in Therapie begeben und das ist ein sehr wichtiger Schritt.

Du hast auch deine Geschichte - nicht nur die anderen. Du hast eine andere Geschichte - deine eigene!
Und das haben wir übrigens auch gemeinsam: ich habe mich in den Geschichten der anderen nie wieder gefunden, weil sie so anders war...

In meiner Gruppentherapie haben sich die Frauen oft zugerufen: "ja, das kenne ich, das war bei mir genauso!" Und schon hatten sich zwei Verbündete gefunden.

Ich habe nach der Gruppentherapie eine Einzeltherapie gemacht. Da ging es mir besser.

Um meine Probleme besser erfassen und verstehen zu können, hat mir die tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie sehr geholfen.

Für das Umsetzen meiner Alltagsprobleme (Rechnungen bezahlen, Ängste abbauen im Umgang mit anderen, beim telefoniern usw.) hat mir eine Verhaltenstherapie sehr geholfen.

Gib dir mehr Zeit, versuche dich in deiner Therapie mehr zu öffnen. Sprich offen an, dass du Angst hast über bestimmte Themen zu sprechen.

Ich habe oft mit dem Satz begonnen: " ich schäme mich so...". Dann hat die Gruppe gewusst, warum ich vorher so verschlossen war und konnte besser auf mich eingehen.

Zu einer Gruppe Vertrauen zu fassen, braucht Zeit.

Eine depressive Episode beschreibt einfach, dass bei dir Symptome einer Depression festgestellt wurden. Wie der weitere Verlauf ist, kann dir so niemand voraussagen.

Hab' keine Angst, hier zu schreiben, weil du denkst du seist nicht depressiv genug...
Es ist gut, dass du hier her gefunden hast!

Wenn du dich hier ein wenig umsiehst, wirst du dich bald nicht mehr allein fühlen mit deinen Problemen.

Fühl' dich willkommen!

Liebe Grüße
mosaic

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 7. Jan 2012, 23:24
von jonesy
Hallo Greta,
einiges von dem was du schreibst kenne ich auch.
Zwar kriege ich immer noch kurz vorher die Kurve, bin aber insgesamt auch ziemlich chaotisch.
Bei dir ist es noch einmal einen Ticken schärfer und ich finde, du urteilst sehr hart über dich. Viel härter als es andere Menschen überhaupt täten.
Es wird sich nichts von heute auf morgen ändern, dass ist ein Weg der vielen kleinen Schritte.
Eine Idee von mir wäre, die Dinge zu unterteilen in wichtig und weniger wichtig.
Wenn man so einen Berg vor sich hat und gar nicht weiß, wo man überhaupt anfangen soll, macht einen das sehr mutlos und man fängt einfach nirgendwo an.
Gelddinge sind wichtig, sie sichern dein Überleben.
Wohnung sauber halten ist weniger wichtig, auch wenn es dich stört. So in der Art etwa.
Wenn es dich tröstet, ich verliere auch andauernd Dinge. Das liegt daran, dass man in einer Depression nicht so konzentriert ist.
Gut ist, dass du dir Hilfe gesucht hast. Lass dir Zeit und irgend wann wirst du dich auch in der Gruppe öffnen können. Und mach dich von dem Gedanken frei, du hättest deine Depression selbst verschuldet. Das hat hier glaube ich niemand.
Ganz viel Kraft wünscht dir
Pauline

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 8. Jan 2012, 19:05
von Greta_B
Vielen lieben Dank für die Antwort und die Zeit, die Du Dir genommen hast.

Ich denke auch, dass ich noch einige Zeit brauche, um zu der Gruppe Vertrauen zu fassen.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, dann kam die eigentlich Hilfe jedoch von der Einzeltherapie.

Vom Verstand her denke ich die Probleme zu verstehen, aber ich schaffe es bisher einfach nicht, mein Verhalten zu ändern, was mich immer wieder sehr mutlos macht.

Darf ich fragen, wie die Verhaltenstherapie ablief und was Dir schlussendlich dabei geholfen hat, Deinen Umgang mit den Alltagsproblemen zu ändern?

Meine Angst ist, dass mir die Zeit wegrennt und ich es nicht mehr schaffe, meine Probleme aus meinem Job fernzuhalten.

Ich wünsche Dir einen schönen Abend,

viele Grüße G.

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 8. Jan 2012, 19:13
von Greta_B
Liebe Pauline149,

habe auch Du herzlichen Dank für Deine Antwort und die Zeit, die Du Dir für mich genommen hast.

Ich weiß, dass ich hart über mich urteile, aber ich möchte ehrlich mit mir selbst sein und mich nicht in Entschuldigungen verlieren, wieso ich keine Verantwortung tragen kann.

Deine Idee ist gut. Ich werde mal probieren, sie umzusetzen. Ebenso wichtig, wie die Gelddinge empfinde ich persönlich eine saubere Wohnung.

Denn in meinem Kopf herrscht so viel Chaos, das eine aufgeräumte Wohnung dies ein wenig beruhigt.

Die fehlende Konzentration habe ich bei mir auch schon lange wahrgenommen. Manchmal schaffe ich es nicht mal, mich auf ein Gespräch zu konzentrieren.

Ich habe nicht den Gedanken, dass ich meine Depression selbst verschuldet habe, aber meine Probleme wider besseren Wissens.

Und es gelingt mir nicht, mir das zu verzeihen. Dann stellt sich mir ja auch noch die Frage, inwieweit das Eine (Umgang mit Alltag, Finanzen etc.) das andere (Depressionen) beeinflusst.

Hab einen schönen Abend!

Etwas ratlos grüßt Dich,

G.

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 8. Jan 2012, 21:04
von rosecottage
Hallo Greta,

Jede meiner Therapien hat mir geholfen.

Zu jeder dieser Therapien war ich in einer anderen Phase des Verstehens in Bezug auf meine Lebenssituation und die Depression.

Als ich die Gruppentherapie machte, half es mir zu erfahren, dass ich nicht der einzige Mensch bin, dem es schlecht geht.

Die Themen, die wir dort bearbeiteten konnte oft ich erst viel später erfassen - teilweise verstehe ich heute erst manches, was die Therapeutin damals ansprach, weil ich damals nicht bereit dazu war (und noch sehr jung und verzweifelt).

Ich habe die Einzeltherapie als hilfreicher empfunden - dass muss auf dich aber überhaupt nicht zutreffen.

Die ersten Einzeltherapien, die ich machte waren tiefenpsychologisch fundiert und dort habe ich meine Kindheit und Jugend aufgearbeitet.

Nur so konnte ich verstehen, wie meine Probleme entstanden sind und wie sie sich auf mein Leben auswirken.

Als ich merkte, dass ich nur noch wenige Fragen bezüglich meiner Vergangenheit habe und mir vieles klar war, wollte ich mehr aktiv umsetzen.

Allein gelang mir das jedoch (noch) nicht.

Eine Kollegin berichtete mir von ihrer Verhaltenstherapie und ich überlegte mir, dass mir das helfen könnte, weil dort nicht (oder nicht so viel) über die Vergangenheit gesprochen wird - das hatte ich für mein Gefühl zu Genüge getan.

Die Verhaltenstherapie lief so ab, dass mein Therapeut nach einer ausführllichen Anamnese fragte, was mein vorrangiges Ziel sei, dass ich erreichen möchte.

Ich nannte ihm mein Ziel und daran arbeiteten wir dann.
Meist sollte ich genau das tun, wovor ich Angst hatte oder was mir schwerfiel.
Teilweise bekam ich gezielte Aufgaben und sollte meine Gefühle bei deren Ausführung beschreiben.

Der Fokus in der Therapie lag stets auf meinen aktuellen Problemen. Ich hätte diese jedoch nicht angehen können, wenn ich zuvor nicht gelernt hätte meine Probleme in Zusammenhang mit meiner Biografie zu verstehen - dazu waren die voherige Therapien notwendig.

Was mir half war die Erfahrung, dass ich beim Handeln spürte, dass sich meine Ängst nicht erfüllten.

Du schreibst, du hast Angst, dass dir die Zeit wegläuft.

Es ist verständlich, dass du nicht willst, dass dein Berufsleben mit beeinträchtigt wird. Und du bist ja schon dabei dir Hilfe zu holen.

Trotzdem muss ich dir sagen, es braucht ZEIT.

Es braucht Zeit zu verstehen, zu lernen, zu verarbeiten, sich zu öffnen, sich zu orientieren, sich von Altem zu verabschieden und Neues zuzulassen, Ängste abzulegen und neuen Mut zu fassen, um Schritt für Schritt etwas verändern zu können.

Du kennst sicher das Sprichwort: der Weg ist das Ziel.

Konzenztriere dich nicht so sehr darauf, wieviel Zeit dir wegläuft, sondern sei dir bewusst, dass du die Zeit nutzen kannst, um
dein Leben zu gestalten.

Alles Gute auf deinem Weg!

mosaic

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 8. Jan 2012, 21:37
von Greta_B
Hallo Mosaic,

vielen Dank für Deine Antwort. Ich denke ich habe verstanden, wenn Du sagst, dass es Zeit braucht.

Ich habe nun über 30 Jahre gelebt, wie ich gelebt habe und mir ist klar, dass Veränderungen nicht so schnell vonstatten gehen.

Zunächst werde ich es in Angriff nehmen, all die Themen, von denen ich hier spreche, laut in der Gruppe auszusprechen.

Danke!

Viele Grüße

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 8. Jan 2012, 22:04
von rosecottage
Hallo Greta,

Ich wünsche dir alles Gute dabei und viel Mut.

Wäre schön, wenn du mal berichten würdest, wie es dir dabei ergeht.

mosaic

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 8. Jan 2012, 22:27
von anna54
Hallo Greta
ich finde mich auch wieder in deinen Worten.
Kenne Scham und Selbstanklage,völlige Konzentrationsstörungen,kann keine Briefe öffnen,keine Rechnungen überweisen,keine Kontoauszüge kontrollieren,Angst und Panik bei einfachen Verwaltungsangelegenheiten.
Das ist für mich inzwischen ein Zeichen der Überforderung,die Depression raubt mit zeitweise meine Alltagskompetenzen,das ist bitter.
Meine Handtasche samt Inhalt verliere ich,Kontopinnummern sind vergessen,als das macht Angst und endet oft in Selbstvorwürfen.
Ich habe mir jetzt Sicherungen eingebaut,Briefe und Unterlagen werden gesammelt,wenn meine Tochter Zeit hat,hilft sie mir dabei.
Je besser es mir wieder geht,um so einfacher wird der Alltag wieder,ich bin mit mir nachsichtiger geworden.Kenne die Ursachen und weiß,das geht wieder vorbei.
In guten Zeiten,bin ich erstaunt,dass mein Gehirn nichts verlernt hat,sondern nur eine "Funktionsstörung" hatte.
Hab Vertrauen in deine Kompetenzen,sie sind nicht verloren.
Kannst du dir praktische Unterstützung holen?
Alle guten Wünsche
anna54

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 8. Jan 2012, 23:35
von Greta_B
Liebe mosaic,

ganz herzlichen Dank!
Ich werde Dir gern berichten.

Liebe Anna,

danke für Deine Nachricht und die offenen Worte.

Ich weiß nicht, ob ich das in meinen vorherigen Posts richtig ausgedrückt habe, aber die Frage die sich mir stellt ist: sind es die Depressionen, die einen Menschen unfähig machen, die Anforderungen des Alltags zu bewältige oder kann es sein, dass Depressionen auch dadurch ausgelöst werden können, weil ich gewisse Dinge einfach nicht schaffe?

Vielleicht aber ist diese Frage so müßig, wie die Frage, was zuerst da war: Huhn oder Ei

Ja, ich hoffe auch, dass die Kompetenzen wiederkommen und habe das Vertrauen noch nicht ganz verloren.

Die Energie, die es benötigt die Folgen meines Handelns auszubügeln, könnte ich gut an anderer Stelle benötigen.

Alles Liebe,

Greta

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 9. Jan 2012, 15:35
von Loewin
Hallo greta.
Meine geschichte Ist zu lang in der Summe, aber ich kann eines bestaetigen: das zusammenwirken von Einzel -& gruppentherapie hatte erst den gesamterfolg bewirkt. Auch wenn ich jetzt wieder down bin nach Jahren(hat aber andere gruende) so weiß ich sicher eines: erst als ich in der Arbeit ehrlich war und auch nach der rueckkehr Wiedereingliederung hatte konnte ich mich auf die Therapie einlassen.
Drueck dir die Daumen!
Glg

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 9. Jan 2012, 16:56
von rosecottage
Hallo Greta,

Du fragst dich:

"sind es die Depressionen, die einen Menschen unfähig machen, die Anforderungen des Alltags zu bewältige oder kann es sein, dass Depressionen auch dadurch ausgelöst werden können, weil ich gewisse Dinge einfach nicht schaffe?"

Ich glaube es ist - wie du schon sagst - die Frage nach Henne und Ei.

Bei mir war es so, dass ich sehr strukturlos aufgewachsen bin. Es gab kaum Regeln und Grenzen - daraus könnte die Unfähigkeit entstanden sein, Dinge zu erledigen.

Dafür gab es jede Menge psychische und physische Gewalt - das hatte sicher die Entstehung der Depression zur Folge.

Als Kind habe ich ja noch nicht bewusst und aktiv meine Probleme bewältigt - ich habe erst einmal über Jahre versucht in diesem gestörten Familiensystem zu überleben.

Später merkte ich, dass ich viele Dinge nicht schaffe und das meinen Alltag erschwert und ich aufpassen muss, dass ich nicht komplett abrutsche.

Das war die Spirale: depressiv - also wenig Freude, wenig Selbstwertgefühl, wenig Antrieb - vieles blieb liegen, alles wurde mir zu viel, alles wurde immer unüberschaubarer. Daraus resultierten Angst und depressive Gefühle... das Ganze ging so weiter.

An irgendeinem Punkt musste ich eingreifen.

Was zuerst da war und was erst im Laufe des Prozesses entsteht, kann später ein Thema sein, um retrospektiv besser zu verstehen.

Ich denke JETZT geht es erst einmal darum an irgendeinem Punkt anzusetzen und etwas zu verändern.

Und das hat mir eigentlich immer geholfen - aktiv zu werden (auch wenn es sehr schwer war).

Liebe Grüße
mosaic

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 9. Jan 2012, 21:51
von Greta_B
Hallo Mosaic,

das mit den Regeln und Grenzen kommt mir bekannt vor. Es ist Gott sei Dank nicht so, dass ich in einem Umfeld von Gewalt aufgewachsen bin, aber ich hatte schon früh das Gefühl, dass meine Mutter mich einfach machen lässt und nicht wirklich nachfragt. Mein Vater erst Recht.

Ich denke, sie hatte immer den Eindruck, dass schon alles in Ordnung ist, was es ja bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auch war. Zumindest nach außen hin. Die schulischen Leistungen waren okay, Drogen habe ich nicht genommen und meine Freunde waren auch in Ordnung.

Und das zog sich dann auch durch meine Zwanziger. Meiner Mutter um jeden Preis das Gefühl vermitteln zu wollen, alles sei okay, obwohl schon damals nichts okay war. Nur war ich da ja schon erwachsen und somit für mich selbst verantwortlich.

Aber doch: wenn ich zurückdenke an die Kindheit und Jugend, dann ist da so ein Gefühl von Einsamkeit und nicht gesehen und verstanden werden, obwohl man ja von vielen Menschen umgeben war.

Die Spirale, die Du beschreibst kenne ich nur zu gut. Noch heute, schießt es mir oft in den Kopf, wie sehr ich mich hasse und muss das dann auch laut sagen.

Der Punkt an dem ich ansetze, Du beschreibst ihn hier, das ist meine Therapie, das Forum hier und der Wille, mit den Menschen, die mir wichtig sind, über meine Proble zu reden.

Liebe Grüße,
Greta

Aber ich weiß ja, wie destruktiv das ist.

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 9. Jan 2012, 22:21
von rosecottage
Hallo Greta,

Nur das mit dem Selbsthass ist destruktiv... wie aktiv du deine Probleme angehst, ist äußerst konstruktiv!

Was du über deine Eltern schreibst kenne ich sehr gut - ich war als Kind richtig unauffällig, weil bei mir alles irgendwie klappte (Schule, Ordnung, Freunde usw.).

Meine Mutter hat mir später mal gesagt, ich hätte keine Regeln und Grenzen gebraucht, weil ich immer so vernünftig war. Es hätte doch alles gut funktioniert!

Alles Gute weiterhin für deine Therapie.

mosaic

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 10. Jan 2012, 18:53
von Greta_B
Hallo Loewin,

danke für Deine Nachricht. Heißt das, Du hast an Deiner Arbeitsstelle für klare Verhältnisse gesorgt?

Viele Grüße

Greta

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 10. Jan 2012, 18:57
von Greta_B
Hallo Mosaic,

ich denke, das "Irgendwie" ist ein Problem.

Denn das ist aus meiner Sicht kein greifbarer, abgesteckter Zustand, der kaum zu bewerten ist und keinen Halt bietet.

Im Irgendwie gibt es von allem ein bisschen und nichts ist klar.

Da habe ich immer wieder das Gefühl, verloren zu sein.

Das fängt an, bei der Art und Weise wie die Dinge erledigt werden und zieht sich auch durch zwischenmenschliche Beziehungen.


Einen schönen Abend Dir.

Greta

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 11. Jan 2012, 15:04
von rosecottage
Hallo Greta,

Du schreibst:
"ich denke, das "Irgendwie" ist ein Problem.
Denn das ist aus meiner Sicht kein greifbarer, abgesteckter Zustand, der kaum zu bewerten ist und keinen Halt bietet.
Im Irgendwie gibt es von allem ein bisschen und nichts ist klar.
Da habe ich immer wieder das Gefühl, verloren zu sein.
Das fängt an, bei der Art und Weise wie die Dinge erledigt werden und zieht sich auch durch zwischenmenschliche Beziehungen."

Ich weiß was du meinst und gebe dir absolut Recht!

Aber:
Dass es dieses IRGENDWIE gibt, bedeutet ja auch, dass wir IRGENDwelche Ressourcen haben, das wir doch IRGENDwas gelernt oder automatisch richtig gemacht haben, sonst hätte es ja nicht IRGENDwie funktioniert, dass wir IRGENDwas erreicht hätten.

Ich habe herausgefunden, dass mein erstes IRGENDWIE eine Überlebensstrategie war:
Irgendwie die Gewalt, den Druck, die Strukturlosigkeit, die Hilflosigkeit überstehen...

Als ich dann von zu Hause wegzog, kamen das zweite und dritte IRGENDWIE: eigene Wohnung und Arbeit/Studium:
Irgendwie zur Arbeit gehen, irgendwie die nächste Hausarbeit schreiben, irgendwie die Wohnung aufräumen, irgendwie die Rechnungen bezahlen, irgendwie einen Antrag auf BaFöG stellen...

Trotz Depression! Trotz Angst! Trotz der Einsamkeit!

Irgendwie habe ich vieles geschafft und irgendwie habe ich vieles nicht geschafft.

Um dieses IRGENDWIE definieren zu können, müssen wir es uns genauer anschauen.

Dabei hilft uns die Therapie.

Ich habe ja beschrieben, dass es bei mir ein längerer Therapieprozess war. Die meisten Ursachen und Zusammenhänge konnte ich für mich herausfinden und das IRGENDWIE immer mehr ersetzen durch das Benennen meiner Stärken und Schwächen.

Die Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Schwächen ist dabei nicht immer einfach. Genauso wie das Annehmen.

Heute kann ich meistens genau sagen, warum ich etwas schaffe und warum ich etwas (noch) nicht schaffe und fühle mich nicht mehr so verloren.

Das was dabei entstanden ist, ist nichts anderes als mein Selbstbewusstsein - mir meiner Stärken und Schwächen (und vieler anderen Eigenschaften) bewusst zu sein.
Und das gibt mir Halt.

Wenn ich deine Beiträge lese, habe ich den Eindruck, dass du ziemlich genau hinschaust und aktiv etwas verändern willst.
Ich wünsche dir, dass du das Schritt für Schritt erreichst.

Liebe Grüße
mosaic

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 11. Jan 2012, 15:44
von bigappel
Liebe Mosaic,

ein beeindruckender Beitrag von Dir.

Ich würde mir sosehr wünschen, mein LG
würde nur ein ganz, ganz kleines Stückchen davon sehen und akzeptieren können ;-(

Dir alles, alles Liebe!

Pia, "irgendwie" LG ´in eines Betroffenen

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 11. Jan 2012, 16:07
von rosecottage
Hallo Pia,

Du schreibst:
"Ich würde mir sosehr wünschen, mein LG
würde nur ein ganz, ganz kleines Stückchen davon sehen und akzeptieren können"


Im Angehörigen-Forum hast du neulich geschrieben, dass dein Lebensgefährte neulich zum ersten Mal selbst gesagt hat, dass er eine Depression hat.

Er sieht und akzeptiert (ein ganz, ganz kleines Stückchen davon).

Ich wünsche euch, dass er sich traut noch viele kleine und Große Schritte zu gehen.

Alles Gute
mosaic

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 11. Jan 2012, 16:28
von Greta_B
Hallo Pia,

ich habe mich vor einiger Zeit auch von einem MAnn getrennt, bei dem ich fest, der Überzeugung bin, dass er Hilfe braucht. Ich möchte aus Respekt vor ihn nicht hier öffentlich im Forum auf seine spezifische Situation eingehen.

Wie diese Hilfe konkret aussieht und was er braucht, das weiß nur er.

Ich habe mich auch nur wie die "Irgendwie"Freundin von ihm gefühlt.

Das fand ich auf Dauer schwer anzunehmen und habe für mich selbst entschieden, dass ich das nicht möchte und mich nicht der Illusion hingegeben habe, ihm helfen zu können, so lang er das selbst nicht möchte.

Nun bin ich "frei". Der Preis dafür war, einen Menschen gehen zu lassen, den ich wirklich liebe, aber was bedeutet eine Liebe, vor der man das Gefühl hat, sich schützen zu müssen vor der unakzeptierten Last, die der Partner tagtäglich ignoriert und mit der er sich sehenden Auges kaputt macht.

Nun auch sie bedeutet alles, auch wenn sie oft ein harter Kampf ist. Das weiß ich zumindest jetzt.

Sorry, ich rede in keinster Art und Weise von Dir und Deinem LG, sondern nur von meinen Erfahrungen.

Du klangst sehr traurig, ich hoffe, dass Dein LG den von mosaic angesprochenen ersten Schritt weitergeht und dass Du die Kraft hast, ihm dabei zu helfen.

Denn, dass muss ich auch sagen, wenn ich es noch mal anders machen könnte, dann würde ich nicht noch mal einen Menschen verlassen, weil er Probleme hat. Sondern mich in Geduld, Ehrlichkeit, Unterstützung und einem gelegentlichen "Ars...tritt" zur rechten Zeit üben.

Bleib dran, er wirds Dir danken, auch wenn es Dir vielleicht oft schwer fallen mag, das zu sehen.

Alles Liebe,
G.

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 12. Jan 2012, 00:19
von bigappel
Danke, liebe Greta,
liebe Mosaic,

für Eure aufbauenden Worte.

Die Schritte, wenn es welche sind, sind so winzig....., dass ich manchmal das Gefühl habe, die Rückschritte "gewinnen".

Wir reden hier von Minuten, wenn es gut läuft wenige Stunden, in denen die Depression nicht das Leben vorgibt.

Die Zeit wird es zeigen.

Ja, meine Worte sind einfach traurig und erschöpft, weil das "normale" Leben ja nunmal nicht nur die Baustelle des Partners vorweisen kann und momentan sind die weiteren Baustellen, die ich definitiv nicht umgehen kann, zusätzlich so kraftzehrend, dass ich haushalten muss.

Dies kann ich leider momentan nur insofern, dass ich depressionsfreie Zonen dringend benötige.

Liebe Greta, Deine Zeilen sind sehr liebevoll; ich kann diese nachvollziehen;
aber manchmal ist es einfach zuviel.
Die Depression ist allgegenwärtig und nimmt so viel Raum ein.....

Trotzdem tut es einfach gut, Eure Zeilen zu lesen.

LG
Pia

Re: Neu hier / Überfordert und Scham

Verfasst: 12. Jan 2012, 11:35
von Greta_B
Hallo Pia,

ich wünsche Dir ganz viel Kraft und einen immer wachen Blick für Deine eigenen Bedürfnisse. Darf ich fragen, was Du machst, um Dich abzugrenzen um Dir Raum für Dich selbst zu schaffen?



Ich hoffe, ich bin nicht zu neugierig. Wenn das so ist, bitte ich um Entschuldigung.

Viele Grüße
Greta