Mut zu einer neuen Tätigkeit

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Secret
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Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von Secret »

Hallo Forianer,

wie schafft Ihr es Euch nach langer Arbeitsunfähigkeit überhaupt noch einen neuen Job zuzutrauen?

Ich bin seit fast einem Jahr Arbeitsunfähig geschrieben, werde auch noch auf meine medizinische REHA warten und bin solange AU.

Mein Therapeut meinte es bestimmt nur gut mit mir, aber er hat mich bei der letzten Stunde damit verunsichert, dass er mir nahelegte wenn es mir später mal besser ginge einen komplett neuen Beruf zu erlernen. Wir habe zusammen Träume über kreative Tätigkeiten aufgeschrieben.

Aber das ganze macht mir Angst und ich sagten ihm dass jeder Traum wie ein Kartenhaus zusammenbricht wenn ich an die Realisierung denke.

Der Therapeut schlug noch Ehrenamt vor, aber für soziale Tätigkeiten war ich noch nie, eher künstlerich-kreativ. Ich möchte mich auch nicht mit etwas neuem vor der REHA belasten, ausserdem: warum Gartenarbeit wenn bei mir zu Hause der Garten viel Arbeit macht? Mit Haus und 2 Kindern habe ich anderseits noch einiges zu tun, fühle aber trotzdem eine Leere.

Ich bin Buchhalterin, habe vor ca. 15 Jahren die Bilanzbuchhalterprüfung abgelegt und mir mehr zugetraut als heute. Da ich nun viele schlechte Erfahrungen gesammelt habe. Wenn ich jetzt Stellenangebote lese, die in etwa zu mir passen würden denke ich an die vergangenen Arbeitsstellen wo ich aus den verschiedensten Gründen gehen musste und stelle mir die schlimmsten Zenarien bei einer eventuellen Stelle vor, warum ich wieder gehen muss. Z. Bsp. arbeite nicht schnell und genau genug etc.

Ich brauche zur Zeit nicht zu arbeiten, habe von der Tagesklinik war auch die Empfehlung erst einmal die REHA zu machen.

Habe Ende Juni den Antrag gestellt und nur einen Zwischenbescheid erhalten, dass der Antrag in Bearbeitung ist.

Ich traue mich auch nicht nachzufragen, wann ich in etwa mit einer Entscheidung rechnen kann.

Mittlerweile sind die einfachen Dinge im Haushalt eine Herausforderung, Morgens habe ich keine Lust aufzustehen und den Tag anzufangen.

Ich befürchte dass ich nur noch abbaue und habe Angst irgendetwas Neues anzufangen.

Jetzt habe ich viel gejammert, meine Frage ist eigentlich: Wie schafft ihr es wieder Mut zu bekommen?

Mein Mann kann es nicht mehr hören, meine neue Bekannte hört es sich zwar an, doch wir drehen und dann nur zusammen im Kreis weil sie ähnliche Sorgen hat. "Wir bekommen nur noch die sch...Stellen usw."?

Liebe Grüße

Secret
LG

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Lady_Godiva

Re: Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von Lady_Godiva »

Oh, das kenne ich nur zu gut. Du sprichst mir aus der Seele. Ich bin zwar nicht AU geschrieben, aber liegt daran, daß ich meine letzte Stelle vor der ersten Schwangerschaft hatte und die ein Tag vor Beginn des Mutterschutzes auslief. Seitdem habe ich nichts mehr gefunden. Habe zwar auch ein paar Bewerbungen geschrieben gehabt, als ich noch nicht so tief drin war, doch nur Absagen bekommen und das hat mir zusätzlich zu Allem den Rest gegeben.

Bin selbst gelernte Bürokauffrau, aber das letzte Mal habe ich vor elf Jahren in dem Beruf gearbeitet, danach immer irgend etwas anderes gemacht. Momentan wüßte ich aber auch gar nicht, was mich interessieren würde. Das einzig Machbare mit zwei Kleinkindern ist aber wieder Büroarbeit, denn da hat man doch geregeltere Arbeitszeiten.

Werde das auch in der Klinik ansprechen. Mal schauen, was die mir raten. Aber vor einem Neuanfang hätte ich auch wahnsinnige Angst. Pack ich das? Was, wenn ich wieder gekündigt werde oder der Vertrag nicht verlängert wird? Übersteh ich so eine Niederlage nocheinmal?

Warte erst mal deine Reha ab, dann kannst es dort auch ansprechen
Übrigens hatte ich meiner Sozialberaterin meiner Krankenkasse eine Email geschickt und nach dem Stand gefragt und prompt hatte sie zurückgerufen, die Reha wäre genehmigt.

Viel Glück

Emerahl
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Re: Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von Secret »

Hallo Emerahl,

was die Berufswahl angeht: ich glaube auch mit 2 Kindern kann man im Büro teilzeit vormittags leichter etwas bekommen.

Ich frage mich ob ich die Probleme mit Kränkungen am Arbeitsplatz denn nicht auch in einem anderen Beruf erlebt hätte, laut Bekanntenkreis ist das kein reines Problem in Büroberufen.

Habe zuletzt 30 Std. die Woche mit Überstunden gearbeitet und frage mich, ob es nicht schon ausreicht im alten Beruf maximal 20 Std. die Woche zu arbeiten. Vieles ist zu Hause einfach liegen geblieben und hatte mich belastet. Nach Aufenthalt in der Tagesklinik hatte ich erst den Blick und die Kraft einiges aufzuräumen im Haus was Monatelang liegen geblieben ist. Ich hatte es vorher nicht gesehen und ein Psychologiebuch nach dem anderen gelesen. Doch seit der Tagesklinik habe ich genug Info zur Depression, jezte geht es um die Praxis.

Doch es fällt mir schwer nicht so viel bis zur REHA über meine Situation nachzugrübeln.

P.S. Hat jemand Erfahrung mit REHA, was Anträge auf Behinderung angeht? Hat man dort vor Ort einen Ansprechpartner?

LG

Secret
LG

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no name
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Re: Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von no name »

Hallo Secret,

ich habe zwar mit Reha keine Erfahrung, gehe aber davon aus, dass sie dort sicher einen Ansprechpartner und Hilfestellung zum Thema Antrag auf Schwerbehinderung haben.
Ansonsten kannst du ja ohne weiteres diesen Antrag beim Versorgungsamt selbst stellen. Ich habe das damals auch so gemacht und es war völlig unproblematisch.

Ich denke auch, dass du in deinem Beruf durchaus Chancen hast eine Teilzeitstelle zu bekommen.
Und es ist gut, wenn du gerade im Hinblick auf die Erkrankung nicht über deine Grenzen gehst.
Grundsätzlich denke ich ist es entscheidend, dass du dich in deinem Beruf wohl fühlst und ihn weiterhin ausüben möchtest.
Nur wenn dies nicht der Fall wäre, bzw. du diesen Beruf krankheitsbedingt nicht mehr ausüben könntest, wäre es naheliegend über einen Berufswechsel nachzudenken.

Ich werde nächste Woche meine Prüfung schreiben und damit einen neuen beruflichen Weg nach vielen Jahren der Erkrankung beschreiten.
Objektiv, was die Depression anging hat eigentlich alles gegen diese Umschulung und eine Berufstätigkeit gesprochen.
Von Seiten meines Arztes ging es schon seit längerem in Richtung Berentung.
Ich habe mich selbst in den vielen schlechten Phasen immer gegen den Gedanken an eine Berentung gewehrt.
Ich denke der Wunsch zu arbeiten, mit beiden Beinen wieder fest im Leben zu stehen und autonom zu sein war immer sehr groß. Und ich hatte auch immer irgendwie das Gefühl, dass es mir durch den beruflichen Wiedereinstieg gesundheitlich dann sogar besser gehen wird.
Mein Psychiater stand diesem Wunsch äußerst skeptisch gegenüber, hat mich aber verstanden, es respektiert und mich in dieser Richtung hundertprozent unterstützt.
Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur sagen, es war die absolut richtige Entscheidung, wenn ich auch während der Umschulung sehr oft an meine Belastungsgrenze gekommen bin und immer noch komme.
Es war und ist eine riesen Herausforderung und natürlich bin ich oft noch verunsichert ob wirklich im Hinblick auf die Depri alles gut geht.
Aber es macht Spass und es ist beruflich auf alle Fälle die Richtung die mich interessiert.

Viele Grüße

no name
FönX
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Registriert: 2. Jul 2008, 11:37

Re: Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von FönX »

Liebe secret,

mit den selben Gefühlen und Ängsten habe ich mich von Anfang 2005 bis Frühjahr 2007 gekämpft. Die ganzen Therapien (zu dem Zeitpunkt hatte ich 12 Wochen stationär und 18 Monate ambulante Gruppentherapie hinter mir) schienen mich in diesem Punkt nicht weiterzubringen. Die Amtlichen Untersuchungen prognostizierten eine äußerst unwahrscheinliche Genesung. Eine nochmalige Untersuchung wurde von den Ärzten abgelehnt (i.S.v. "den kriegen eh nicht wieder hin"). Erst ein neues AD (Trevilor) half mir. Als es zu wirken begann, stellte ich Überlegungen an, mich bei einem der vielen früheren Klienten vorzustellen und ein längeres Praktikum zu absolvieren. Vielleicht hast du auch einige wertvolle Kontakte zu Personen, für die du die Bilanzen erstellt hattest. Das habe ich zwar nicht gemacht. Ich habe mich in die Informatik gestürzt und wie ein blöder gelernt. Und irgendwann bekam ich durch die Administration eines Forums profunde Kenntnisse in der Servertechnik und fügte dem noch Kenntnisse in Webdesign hinzu. Für Freunde machte ich die eine um die andere Website und irgendwann kamen auch Kunden auf mich zu.

Ich bin zwar nicht in der Lage von meiner Arbeit zu leben, dafür sorgt jetzt meine Frau. Aber wenn es mir gut geht kann ich gute Arbeit leisten, und ich bin überzeugt, dass wir innerhalb des kommenden Jahres kein ergänzendes ALGII mehr beziehen müssen. Dass das im Moment noch nicht so ist, hängt auch mit der Belastung durch meinen sterbenden Vater zusammen. Während der Pflegezeit habe ich nur ein Projekt fertiggestellt.

Was ich dir mitgeben möchte ist: Setz dich nicht unter Druck, wenn der nicht schon von außen kommt. Du musst für Neues bereit sein. So lange dich noch Ängste quälen, ist die Zeit, die du dich noch ausruhen musst. Mich hat das Neue irgenwann richtig gereizt. Und so muss es sein. Du musst Lust dazu haben. Wünschen möchte ich dir, dass du dich anstelle mit - wie ich finde - trockener Buchhaltung mit Schönem und Kunstvollem beschäftigst und deine vorhandene Kreativität entfalten kannst.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Miezekatze
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Registriert: 14. Mär 2011, 11:47

Re: Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von Miezekatze »

Hallo Secret,

ich habe vor meiner REHA viel im Forum gelesen , aber kaum geschrieben. Mir ging es ähnlich, dass man vor der REHA völlig durcheinander kommt. Es dauert eine Weile, bis die Genehmigung kommt. Ich habe zwischenzeitlich den Mut gehabt und habe die Reha- Beraterin meiner KK angerufen. Sie hat mir sehr geholfen, auch als ich nach der Verlängerung der REHA als weiter AU entlassen wurde.
Ich kann Dir auch nur raten, lass Dir Zeit und setze Dich nicht unter Druck. Mir hat die Reha geholfen, auch wenn ich noch einen steinigen Weg gehen muss. Meine Therapeutin meint auch, ich soll den Beruf wechseln- davor hab ich im Moment die größte Angst. Dieses nicht wissen, welche Perspektive man hat- mich lähmt es tagelang oder schafft, dass ich stundenlang nur heule.Weil meine Seele und Gefühl anders sind als meine Vernunft und Denken. Solange dies nicht im Einklang ist, wird sich meine Depri (kam von einem völligen Burnout) nicht viel ändern. Ich kann nur daran arbeiten und hoffen, dass es gelingt.
In der Reha- Einrichtung - zumindest dort, wo ich war, ist man sehr auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen eingegangen. Da gab es Sozialberater,Hilfe wegen Rentenantrag u.s.w. wirklich gute Psychologen und Ärzte und für jedes noch so kleine Problem zumindest ein Lösungsansatz gefunden. Auch der Entlassungsbericht wird mit Dir besprochen.

Schöne Grüße
Seneca
Secret
Beiträge: 1401
Registriert: 16. Dez 2010, 16:15

Re: Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von Secret »

Hallo,

ich habe gar nicht mehr damit gerechnet, dass ich noch weitere Antworten auf meinen Thread bekomme und die letzten 3 Texte heute erst gelesen.

Ich denke ich setze mich nur unter Druck, um mich vor Druck von aussen zu schützen, indem ich schneller bin. Das wird aber nicht funktionieren, da wir alle keine Hellseher sind, was noch passieren wird. Weiss ich zwar verstandsmässig, aber noch nicht gefühlsmässig verinnerlicht habe.

Zu dem Wechsel von Medis: kommt auf den Psychiater an, kann ihm ja beim nächsten Termin von meinen Ängsten zwar etwas sagen, dann wird er aber wieder vorschlagen, ich solle zum Arbeitsamt gehen. Da möchte ich vor der REHA aber auf keinen Fall hin.

Eine Tätigkeit, die ich gerne mache für Bezahlung hatte ich noch nie: der Beruf der Bürokauffrau hat mir schon zu Beginn meiner Lehrzeit nicht gefallen. Chef und erster Angestellter waren Choleriker, man konnte denen nichts recht machen. Nur die Schulnoten in der Berufsschule waren gut, daher habe ich die Beurteilungen meiner vergangenen Arbeitgeber nie als Objektiv angesehen. Ich glaube das Problem lag eher auf zwischenmenschlicher Beziehung, dass ich beruflich nie irgendwo Fuss fasste.

LG
Secret
LG

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Alptraumtänzer
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Registriert: 2. Sep 2011, 10:46

Re: Mut zu einer neuen Tätigkeit

Beitrag von Alptraumtänzer »

Die Bearbeitungzeit zur Reha muß man leider in Monaten rechnen.
Hast Du Sorge, daß die abgelehnt wird? Die geben freundlich Auskunft. Meistens kann der Arzt ja schon abschätzen, ob das angenommen wird.

Nach Klinikaufenthalt in 2003 und Behandlung in 2004, habe ich 2004/5 eine Reha gemacht (postpsychotische Depression)inkl. Verlängerung, die dort beantragt worden ist. Ich hatte Angst vor der Reha, Sorge überhaupt mit der Bahn anzukommen, den Leuten und und und
Ich bin ausgerechnet an Silvester dort hin. Es war mein einsamstes und merkwürdigstes Silvester meines Lebens. Ich glaube ich hatte den Jahreswechsel verschlafen.
Ich hatte in den Sitzungen kaum geredet, dennoch hat mir der Aufenthalt insgesamt sehr geholfen.
Man macht ja alles Mögliche: Musik, Handwerk, Therapie, Schwimmen, Wandern, hat feste Mahlzeiten, eine Gruppe.
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Ihr bevorzugter Alptraum?

Ich könnte tatsächlich am leben sein.

(Landau via Andreas Urs Sommer, "Die Kunst, selber zu denken")
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