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Angst und Druck

Verfasst: 22. Aug 2011, 10:27
von Stfn
Hallo liebe Depris,

ich mache gerade eine Phase durch in der mir bewußt wird, was die Ursachen meiner Depression sein könnten / sind. Das ist auf der einen Seite schön, weil ich endlich einen Ansatzpunkt zum Arbeiten habe. Auf der anderen Seite bin ich jetzt oft sehr frustriert, weil ich merke wie weit ich noch von meinem "Idealbild" weg bin.

Ich glaube eine große Rolle spielt bei mir eine wahrscheinlich angeborene Ängstlichkeit vor allem vor Unbekanntem und eine große Sensibilität. In meinem Leben habe ich bisher nicht erfolgreich gelernt mit dieser Ängstlichkeit umzugehen. Im Gegenteil, mein erlerntes Reaktionsmuster ist Druck. Wenn ich als Kind Angst hatte, dann habe ich das Einwirken von Außen als Druck empfunden (war es sicher auch oft). Irgendwann habe ich diesen Druck als eigene Strategie übernommen. Damit bin ich auch wenn Leistung gefragt ist ganz gut gefahren. Leider wird dadurch die Angst nicht weniger sondern mehr und der Aufbau eines gesunden Selbstvertrauens ist fast unmöglich.

Jetzt versuche ich mein Leben neu auszurichten und bewußt Entscheidungen zu treffen, die aus meinem Inneren kommen und mir gut tun. Ich merke jedoch sehr oft, dass ich Angst vor bestimmten Schritten habe und mich dabei immer wieder selbst unter Druck setze. Sprich, das alte Schema läuft immer wieder ab. Ich nehme das jetzt schon oft direkt wahr. Weiß aber noch nicht so richtig, wie ich damit umgehen soll. Vielleicht kann mir ja jemand mit ähnlichen Erfahrungen weiter helfen.

Eine konkrete Situation: Ich überlege ob ich aus meiner Wohnung in eine WG ziehen soll, weil ich merke, dass ich mich oft ganz schön einsam fühle und mir der soziale Kontakt fehlt. Ich habe aber wahnsinnige Angst davor, dass ich diesen Schritt bereuen werde. Setze mich aber gleichzeitig unter Druck, dass ich es machen muss um aus meiner Krankheit rauszukommen...

Liebe Grüße
Stefan

Re: Angst und Druck

Verfasst: 22. Aug 2011, 11:11
von FrauRossi
Hallo Stfn,

Meine Therapeutin würde jetzt sagen: Höre ich da schon wieder ein "MÜSSEN" ?
Das streichen wir jetzt mal.

Ich finde es gut daß du es jetzt schon erkennst, wenn das Muster abläuft. Ich glaube das ist ein richtiger Schritt.
Wie man da allerdings rauskommt? Ich glaube mit viel Zeit und Geduld. Du hast ja Jahre gebraucht dein Verhalten zu erlernen. Da kann man nicht erwarten in kürzester Zeit was anderes darüber zu lernen.

Meine Probleme sind anders gelagert als deine. Trotzdem habe ich Probleme mit dem Druck.

O.k. Mit der Idee der WG.
Was versprichst du dir davon? = mehr sozialer Kontakt.
Wie realistisch ist das? Auch WG-ler haben nicht immer Zeit füreinander, oder werden gar Freunde.
Hast du schon eine bestimmte WG im Auge, vielleicht mit Leuten die du schon kennst? Oder willst du zu Fremden ziehen?
Wir Deprisd haben ja oft Probleme mit Ordnung und Pflichten, eben wegen dem Druck. Zwar kommt der aus uns selbst, trotzdem ist er da.

Mich kotzt es an daß meine Wohnung mitunter aussieht wie Sau. Jetzt lerne ich grade den Druck raus zunehmen. Wenn ich mich unter Druck setze Putze ich nicht, ich hab dann ne Blockade. Wenn ich mir aber sage: Scheiß drauf dann ist es halt unordentlich, ich kann's halt grad nicht. Dann muss ich auch nicht. Wird es besser.

Die Wohnung sieht in beiden Fällen aus wie sau. Aber einmal leide ich übertrieben und im zweiten Fall nehme ich es als für den Moment gegeben und leide weniger. Was dazu führt daß ich öfter in kleinen Schritten doch was mache.

Nicht so wie früher: Heim kommen, los wirbeln, fertig. Aber eben ohne Druck und wenn's mir zuviel wird, hat das einen Grund (auch wenn ich den noch nicht unbedingt sehe) aber dann höre ich auf.

Langer Rede kurzer Sinn:
ich könnte mir vorstellen: eine WG hilft in Sachen soziale Kontakte - muss aber nicht. Und kann auch nach hinten losgehen, ich zumindest habe Phasen in denen ich niemand um mich herum ertrage.

Ich könnte mit vorstellen: man "verdreckt" nicht so schnell, weil Sozialekontrolle besteht. Aber ich war schon oft in WGs wo es furchtbar aussah. Weil sich irgendwann keiner mehr zuständig fühlt.
Aber sagen wir mal, alle halten sich an Putzpläne und so. Kann dieser Druck, der ja dann, zumeinen von dir selber kommt, und aber zusätzlich auch von außen, nicht das Problem noch verschärfen?

Frag dich warum hast du bisher nicht in einer WG gewohnt. Vielleicht gibt es da auch gute Gründe.

Frag dich ob du nicht erst weiter daran arbeiten solltest dir selbst den Druck zunehmen, bevor du dich sozialem Druck stellst.

Frag dich ob das "Soziale-Kontakte-Problem" nicht auch anders zu lösen ist?

Für mich ließt es sich so: Du hast was erkannt jetzt musst du was machen. Hört sich für mich nach ner Menge Druck an unter dem du dich setzt und setzen willst.

Kann man nicht zum Beispiel eine sanftere Lösung finden?
- bestehende Kontakte wieder intensivieren. Wenn man dann n Durchhänger hat, verstehen die das eher und akzeptieren vielleicht auch Rückzugzeiten
- neue Kontakte knüpfen z. B. über Sportgruppen? Jetzt nicht Fußball, weil man da ja auch wieder bei so einer Manschaft dabei sein "MUSS" aber ein Lauftreff z. B. wo es schön ist wenn man kommt, der aber auch weiter funktioniert wenn man nicht kommt.

Oder so ähnlich.

LG FrauRossi

Re: Angst und Druck

Verfasst: 22. Aug 2011, 18:18
von Stfn
Liebe Frau Rossi,

danke für deine sehr ausführliche Antwort.
Deine Therapeutin hat wohl recht. Wenn ich genau hinhöre dann höre ich da wirklich ein starkes MÜSSEN
Genau das ist das Problem über das ich immer wieder stoße. Ich will etwas verändern aber egal wie gut die Absicht ist, der Druck schleicht sich immer wieder ein.

Giger-Bütler spricht ja von dem Weg der kleinen Schritte.
Vielleicht ist es genau das. Und immer wieder ertappe ich mich dabei wie ich mit Riesen-Schritten weitergehen will. Deshalb ist es gut, das einfach hier besprechen zu können.

Bei der Idee mit der WG verhält es sich vielleicht ähnlich. Ich war letzte Woche im Urlaub und habe gemerkt wie gut mir die Gesellschaft anderer wieder tut. Sicher ist es auch anstrengend und ich nehme es teilweise auch als bedrohlich wahr. Aber daran lässt sich ja wachsen. Und da ist schon wieder das MÜSSEN versteckt...DU MUSST DAS MACHEN...Verrückt

Ich werde über deinen Rat nachdenken, es mit einer Laufgruppe o.ä. zu probieren. Ich laufe übrigens sehr gern und viel Komischerweise habe ich vor den kleinen Schritten manchmal fast mehr Angst.

Ganz liebe Grüße
Stefan

Re: Angst und Druck

Verfasst: 23. Aug 2011, 22:36
von woelfin254
Lieber Stfn,
ich fühlte mich gerade von dem Thema Angst und Druck angesprochen und fand mich in Deinen Worten sehr wieder, fand ich tröstlich.
Ich kann mich den Ideen von Frau Rossi nur anschließen.
Ich wollte Dir ein Buch empfehlen, gerade weil Du von Dir als sehr sensibel geschrieben hast. Es heißt "Zart besaitet" von Georg Parlow und behandelt das Thema Hochsensibilität. Ich habe es vor einigen Monaten entdeckt, dazu auch einen "Test" gemacht, ob ich hochsensibel bin. Als ich das Buch las, war es fast wie "nach Hause kommen". Meinem Selbstwert hat es total gut getan. Wenn es Dich interessiert, googel mal unter "Festlandverlag", dort ist das Buch erschienen. Leider weiß ich die Adresse zum Test nicht mehr. Wenn Du zum Thema suchst, müßtest Du es eigentlich finden. Ansonsten melde Dich noch mal, dann schau ich nochmal.

Ach ja, und zum Thema MÜSSEN habe ich auch noch was (aus meiner Reha mitgenommen): MÜSSEN ist alternativlos!
Wenn ich mir das klarmache, geht mein innerer Druck erst mal weg, auch wenns kurz ist.

Liebe Grüße, woelfin254

Re: Angst und Druck

Verfasst: 25. Aug 2011, 12:31
von Stfn
Liebe Wölfin,

danke für deinen Buchtipp. Das sieht sehr interessant aus. Ich habe gerade mal in die Online-Version des Buches reingeschaut:

http://festland-verlag.com/zb/inhallt.php

Da kann man die ersten Kapitel probelesen. Das werde ich sicher die nächsten Tage mal machen.
Den Test habe ich auch gemacht. Die Adresse ist folgende:

http://www.zartbesaitet.net/test.htm

Ich hätte meine Probleme jetzt gar nicht Richtung Sensibilität eingeordnet. Aber die Kapitel in dem Buch und die Fragen im Test betreffen sehr viele Dinge, die in mir vorgehen. Ich werde deinen Tipp mal weiterverfolgen.

Liebe Grüße
Stefan

Re: Angst und Druck

Verfasst: 25. Aug 2011, 22:12
von woelfin254
Lieber Stefan,

schön die Antwort von Dir zu lesen. Ich freue mich, daß ich Dir evtl. weiterhelfen konnte. Meinem Selbstwert tut die Beschäftigung mit der Hochsensibilität einfach gut. Klar, damit sind meine Depressionen nicht weg, aber z.B. auch Tipps für das Berufsleben zu bekommen war für mich total neu. Das ist nämlich eine meiner "Baustellen".

Ich würde mich sehr freuen von Dir zu hören,

erst einmal gute Nacht und ein schönes Wochenende von woelfin254

Re: Angst und Druck

Verfasst: 26. Aug 2011, 16:44
von Antiope
Hallo stfn,

ich habe mir auch lange Zeit überlegt, ob sowas wie WG für mich was wäre.
Schlußendlich bin ich davon abgekommen, und zwar weil ich mich dann nicht so zurückziehen kann, wie ich es brauche. Und weil ich nicht so Grenzen ziehen kann in einer WG, wie es nötig ist. Für mich war es so, dass ich dann sehr viel Energie hätte darein investieren müssen. Und auch der Punkt, wenn es mir nicht gut geht und ich nicht kann, dass ich mich dann hätte für alles möglich "rechtfertigen" müssen usw.

Es gibt aber auch die neuen Wohnprojekte wie Mehrgenerationenhaus usw, bei dem es abgeschlossene Wohnungen gibt, ganz normal, aber mehr ein "Mit-Wohn-Charakter" entstanden ist.
Vielleicht waere dieser Richtung für die mittelfristige Zukunft was für Dich?

Re: Angst und Druck

Verfasst: 28. Aug 2011, 10:02
von Stfn
Hallo Woelfin,

ich habe mal die Kapitel probegelesen und finde die Ausführungen zum Thema Hochsensibilität teilweise sehr zutreffend für mich. Ich bin mir jetzt nur nicht sicher was ich mit dem Wissen anfangen soll. Wenn ich nämlich von der Richtung her schaue gehen viele meiner alltäglichen Probleme wie eben diese beschriebene Angst vor Neuem auf eine Überforderung aufgrund meiner Hochsensibilität zurück. Das wäre dann ja Nichts wo ich dran arbeiten kann, denn das steckt ja in meinem Wesen. Es ist eher etwas was ich für mich akzeptieren kann und damit umgehen lerne. Depression ist ja dann eher eine Folge des inneren Konfliktes aufgrund der Hochsensibilität.

Gibt es denn SHG o.ä. für hochsensible Menschen?

lg
Stefan

Re: Angst und Druck

Verfasst: 29. Aug 2011, 10:23
von woelfin254
Lieber Stefan,

ich glaube schon, daß Dir das Wissen um Deine Sensibilität helfen kann an Deinen Depressionen zu "arbeiten".
Was ich damit meine: Depressionen haben für mich immer etwas mit Überforderung zu tun (Du schriebst auch davon, meine ich? Habe gerade Deinen Text nicht vor Augen). Ich überfordere mich z.B., indem ich mein Wesen als Hochsensible nicht anerkenne und damit oft über meine eigenen Grenzen gehe. Ich will nicht wahrhaben, daß ich schneller "gesättigt" bin von z.B. äußeren Reizen, daß ich eben eine zarte Seele habe. Ich wäre oft einfach gern dickhäutiger, ist ja auch einfacher und angesagt in unserer Gesellschaft.

So, und trotz meines Haderns mit meinem Wesen spüre ich eine innere Veränderung. Ich habe immer mal wieder das Gefühl so o.k. zu sein, wo ich mich jahrzehntelang falsch gefühlt habe. Ich blicke mit diesem Wissen um mich anders auf meine Vergangenheit, auf meine schwierige Kindheit und Jugend. Ich kann etwas besser die Wut und vor allem den Schmerz und viel Angst spüren (zum Glück habe ich eine Art Übergangstherapie, warte noch auf einen festen Platz: will damit sagen: ohne therapeutische Hilfe würde ich nicht so weit sein). Wenn ich an diese echten Gefühle herankomme, geht es mir vielleicht nicht immer gut, aber ich fühle mich dann nicht depressiv! Ich habe vor einiger Zeit herausgefunden, daß die Depression mich vor Gefühlen schützt, d.h. sie legt sich wie eine Schutzglocke um mich, damit ich die vermeintlich schreckliche Situation aushalten kann (vermeintlich= im Außen ist es gar nicht so dramatisch, im Inneren fühlt es sich so schlimm an). Meine Depression ist "nur" das Mittel, das ich "gewählt" habe, um überleben zu können. Ich glaube daran, einen besseren Umgang mit meinen Depressionen finden zu können bzw. sie zu bewältigen, indem ich die zugrundeliegenden Probleme aufarbeite, und dazu gehört auch das Anerkennen meines sensiblen Wesens.

Puh, das war jetzt echt viel, hatte ich gar nicht mit gerechnet. Ich hoffe, ich verwirre Dich nicht oder ballere Dich dicht damit.

Es gibt Selbsthilfegruppen: geh' mal auf die Seite www.hochsensibel.org, dann auf "Lokale Kontakte". Die Gruppen sind nach Bundesländren sortiert. Bei uns im Norden siehts leider schlecht aus. Wo kommst Du her?

So, ich mach mal Schluß, habe gleich einen Arbeitsamtstermin, der mir sehr bevorsteht. Ich übe mich darin, nicht in meiner Angst zu versinken. Drück mir die Daumen.

Ganz herzliche Grüße von Gabriele

Re: Angst und Druck

Verfasst: 31. Aug 2011, 21:59
von Stfn
Liebe Gabriele,

danke für deine sehr ausführliche Antwort. Ich habe mich sehr darüber gefreut.

Heute war ich mit einer Freundin in dem Film "Die anonymen Romantiker". Ein sehr schöner Film indem auf witzige Art und Weise das Thema Hochsensibilität behandelt wird. Ich muss sagen ich habe mich in vielem Wiedererkannt, obwohl ich es selber nicht immer so witzig empfinde wie es im Film dargestellt ist. Wenn, dann hätte ich ja keine Depressionen Hier mal der Link zum Film für alle, die es interessiert:

http://www.die-anonymen-romantiker.de/

Mir geht es auch wie dir und durch deinen Anstoßet erkenne ich das jetzt gerade erst richtig. Ich will es nicht wahrhaben, dass ich sensibel und verletzlich bin und setze mich immerwieder unter Druck. Das führt dann zu depressiven Gefühlen.

Du sagst du spürst eine Veränderung. Wie hast du das erreicht? Ich merke, dass es mir gut tut mit meinem inneren Kind sorgsam umzugehen. Dazu hatte ich bereits das Buch von Erika Chopich/Margaret Paul "Aussöhnung mit dem inneren Kind" gelesen. Das von dir empfohlene Buch greift das gleiche Konzept unter dem Namen "Kindkörper" wieder auf. Der Grundgedanke, den ich aus diesem Modell auffasse ist, dass man seine eigene Empfindlichkeit und die eigenen Macken akzeptiert und versucht durch seinen Verstand diese Gefühle positiv zu beeinflussen.
Gibt es noch andere Ansätze die du empfehlen kannst?

Ich stamme aus dem Leipziger Raum. Bei uns gibt es leider bisher keine SHG zum Thema, ich bleibe aber dran.

Liebe Grüße
Stefan

Re: Angst und Druck

Verfasst: 3. Sep 2011, 10:26
von AnjaG
Hab den Test auch gemacht.Bin scheinbar ein aboluter HSD,werd mir das Buch "Zart Besaitet" zulegen.Danke für den Tip!