Die Diagnose steht und ich falle...

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Icediamond
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Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Icediamond »

Hallo!

Ich bin echt froh hierher gefunden zu haben.Ich habe das ganz dringende Bedürfnis mich mit anderen Menschen auszutauschen, die mich ein bißchen verstehen können.
Ich fühle mich schon sehr lange schlecht und habe nie wahr haben wollen, daß ich an einer Depression erkrankt bin.
Eigentlich bin ich immer diejenige gewesen, die andere Menschen aus dem Dreck gezogen hat und immer gerne geholfen hat...
Aber das kann ich im Moment nicht mehr.Ich habe einfach keine Kraft mehr.Kennt Ihr das Gefühl innerlich so leer zu sein? Ich bin nicht mehr ich selbst.
Wenn andere mich beschreiben, reden sie von einer fröhlichen, netten hübschen jungen Frau, die alles hat und soooo glücklich sein muß....
Pustekuchen!
Ich habe eine kleine Tochter.Wenn sie nicht wäre, würde ich manchmal gar nicht aufstehen.Für sie muß ich stark sein!
Ich habe mir schon ein super Schauspielerin Gesicht zugelegt, welches ich als Fassade trage.
Aber dabei belüge ich die anderen und am schlimmsten mich selbst.Ich funktioniere einfach.Ich frage mich nur noch wie lange.
Ich war jetzt 2 Wochen krank geschrieben und muß morgen wieder arbeiten.Eigentlich bin ich gar nicht fit, aber es sind zu viele Kollegen krank....
Wie doof ich doch manchmal bin.Schon wieder denke ich an andere und nicht an mich selbst.
Meine Depression hat sich über Jahre ganz lange von hinten heran angeschlichen.Mieses Stück!
Ich habe nur einen Auslöser gebraucht und peng!
Habt ihr eure Krankheit schnell wahr genommen?Oder hat das auch so lange gedauert?
Man möchte es gar nicht glauben...Ich?An einer Depression erkrankt?Quatsch!
Manchmal denke ich, daß ich undankbar bin.Ich müßte doch eigentlich glücklich sein.Ich habe doch alles!
Es ist echt schön sich hier mit anderen Menschen über etwas austauschen zu können, was fast niemand in meinem Umkreis weiß.
Ich schäme mich schon fast dafür unter meinen Depressionen zu leiden.Ist das normal?Eigentlich ist es nur ein Indiz dafür, daß Depressionen in der Gesellschaft als "Stell dich nicht so an" Krankheit dargestellt werden,oder?
Ich freue mich jetzt schon auf Eure Antworten!

Danke für Lesen!:)

Lieben Gruß

Icediamond
Icediamond
kokaa
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von kokaa »

Hey du.. ich kann dich sehr gut nachvollzieh und fínde mich sehr wieder in dem was du sagst. bei mir wurde auch kürzlich eine schwere depressive episode und dysthymie festgestellt. ich schleppe es also quasi schon ewig mit mir rum. es wurde bei mir aber immer überdeckt (essprobleme bis hin zu magersucht, selbstverletzendes verhalten usw.).
es fällt mir auch sehr schwer zu akzeptieren dass ich "krank" sein soll und eben nicht mehr komplett leistungsfähig bin. obwohl mein körper mir das schon deutlcih zeigt. ich habe viele schmerzen und werde davon regelrecht ins bett gezwungen. es macht mcih sehr fertig, da ich auch so langsam immer mehr den kontakt zu freunden verliere.
...
Icediamond
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Icediamond »

Hallo Kokaa....
dann haben wir beide ein paar Dinge gemeinsam...
Ich kenne das zu gut.Man will niemanden mehr sehen oder sprechen.Ich kann das alberne Gesabbel und das heile Welt Image der anderen nicht mehr hören.Deswegen habe ich anderen gegenüber auch zu gemacht.Vielleicht können wir uns ja hier gegenseitig ein bißchen stützen:)
Icediamond
pero
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von pero »

Hallo icediamond,
Du hast viele Fragen gestellt, Fragen die sich jeder Depressive früher oder später stellt.

>Habt ihr eure Krankheit schnell wahr genommen?
Nein. Rückblickend betrachtet gab es schon vor Jahren erste Hinweise bei mir. Ich habe es für mich aber erst erkannt als ich mich heulend vor der Sockenschublade wiedergefunden habe.

>Man möchte es gar nicht glauben...Ich?An einer Depression erkrankt?Quatsch!

Genau, das kann doch nicht sein. Ich bin doch gesund und fit, habe alles im Griff. Nur warum fühle ich mich so leer?

>Manchmal denke ich, daß ich undankbar bin.Ich müßte doch eigentlich glücklich sein.Ich habe doch alles!

Nein, Du bist nicht undankbar. Es mag ja sein das Du alle möglichen Dinge hast, aber deiner Seele fehlt etwas.
Das geht eine Zeit lang gut, aber irgendwann zieht die Seele dann die Notbremse. Und dann geht nichts mehr...


>Es ist echt schön sich hier mit anderen Menschen über etwas austauschen zu können, was fast niemand in meinem Umkreis weiß.

Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen.
Ich gehe mit meiner Depression recht offensiv um. Damit meine ich nicht das ich es allen erzähle, aber den Menschen die für mich wichtig sind.
Ich habe damit eigentlich nur positive Reaktionen bekommen und habe dabei auch erfahren das ich nicht der einzige bin. Ich war erstaunt wie viele selbst schon ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

In einer Depression verändern sich Menschen und das fällt meist auch den Angehörigen und Freunden auf. Für sie ist es dann meist verständlicher wenn sie von Deinem Problem wissen.
Aber das musst Du natürlich selbst entscheiden.

>Ich schäme mich schon fast dafür unter meinen Depressionen zu leiden.Ist das normal?

Das ist nicht ungewöhnlich, aber ich sehe das nicht als normal an. Würdest Du Dich auch für einen Beinbruch schämen oder für eine Grippe?
Eine Depression ist eine Erkrankung und kein Mensch sollte sich für eine Erkrankung schämen.

>Eigentlich ist es nur ein Indiz dafür, daß Depressionen in der Gesellschaft als "Stell dich nicht so an" Krankheit dargestellt werden,oder?

Das sehe ich etwas anders. In der letzten Zeit wurde viel über die neue Volkskrankheit "Depression" in den Medien berichtet. Und zwar durchaus Sachlich. Und es gibt inzwischen auch viel gute Literatur darüber.

Ein Problem ist allerdings das sich "normale" Menschen nicht wirklich vorstellen können das man als Depressiver selbst einfachste Dinge tatsächlich nicht mehr kann, das man zwar alles noch weiss, sich aber nicht mehr aktivieren kann.


Ich halte es für wichtig das man als Depressiver die Krankheit für sich annehmen kann, das man erkennt das man damit nicht allein ist und das man akzeptiert nicht daran schuld ist.

Mir hat es dabei sehr geholfen das ich viele Bücher über Depressionen gelesen habe. Sowohl Sachbücher als auch Erfahrungsberichte von Betroffenen. Darunter gibt es natürlich auch eine Menge fragwürdiges, aber ich glaube es ist sehr hilfreich wenn man sich als Betroffener über die Krankheit möglichst umfassend informiert. Dabei lernt man auch das eine Depression durchaus etwas normales ist. Normal im Sinne von "nicht ungewöhnlich".

Eine gute Anlaufstelle ist für mich dabei die örtliche Leihbücherei gewesen. Die haben meist eine psychologische Abteilung, nicht immer ganz aktuell, aber das sind Depressionen ja auch nicht.

Ich wünsche Dir die Kraft und Geduld um die Krankheit anzugehen. Beides wirst Du brauchen, aber es lohnt sich...

lg
pero
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Icediamond
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Icediamond »

Hallo Pero!
Vielen, vielen Dank für Deine Antwort!!!

Es hilft mir, wenn ich die Meinung anderer Menschen lese und mir dann ein paar Gedanken machen kann...
Ich habe den Mut offen über meine Krankheit zu sprechen noch nicht gefunden: (, aber vielleicht klappt es ja bald.Dann werden mich ein paar Leute auch besser verstehen.

Heute auf der Arbeit habe ich mich erst einmal auf die Toilette geschlichen, weil ich geweint habe...aber danach wars wieder ok.Hat keiner gemerkt....: )

Ich habe nicht einmal einen Auslöser gehabt.Mußte einfach heulen...Das passiert mir so oft.Ätzend!
Dann kommt alles ohne Vorankündigung hoch und man kann sich gar nicht wehren...

Im Moment nehme ich nur pflanzliche Sachen, bin aber echt am Überlegen, ob ich nicht doch die anderen tabletten nehmen sollte.Aber das kriege ich zur Zeit noch nicht hin.Vielleicht ist das auch ein typisches Bild eines depressiven Menschens.
Viele Grüße
Icediamond
pero
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von pero »

Hallo icediamond,
ich kann Dir aus eigener Erfahrung gut nachfühlen wie das ist.

Am Tag meines Zusammenbruchs habe ich morgens vor der Sockenschublade geheult. Gab dafür auch keinen offensichtlichen Grund. Heute würde ich sagen, dass mir da innerlich klar war das es so nicht weitergeht, das der Punkt erreicht war an dem die letzten Energiereserven erschöpft waren.
Ich war an dem Tag nicht mal in der Lage mit dem Arzt zu sprechen, mir kamen sofort die Tränen. Zum Glück hatte mich meine Frau begleitet, die konnte das Sprechen übernehmen...

Mein Rat an Dich ist das Du es nicht soweit kommen lassen solltest. Ich finde es sehr gut das Du jetzt schon aktiv geworden bist und Dir Hilfe suchst. Das ist für mich der 2. wichtige Schritt. (Der 1. ist die Erkenntniss das Du Hilfe benötigst.)

Für mich war es schon eine Befreiung als die Diagnose Depression getroffen wurde.
Dadurch wurde meine Situation zu einer Krankheit und ich konnte mich damit auseinandersetzen.
Das wusste ich zwar eigentlich auch schon vorher, aber jetzt war es quasi amtlich.

Und mir hat es auch geholfen mit Freunden darüber zu sprechen. Meine inneren Ängste konnte ich dadurch ein Stück weit relativieren. Indem ich mir und den anderen eingestand das ich etwas nicht mehr kann.
Dadurch wurden meine Erwartungen an mich selbst kleiner. Aber das ist natürlich eine sehr individuelle Sache.

Ich möchte Dich ermutigen jetzt weiter dran zu bleiben und Dir professionelle Hilfe zu suchen.


Und ich möchte Dir auch noch sagen das mir Dein Nickname sehr gefällt.
Wahrscheinlich fühlst Du Dich im Moment genauso.
Eiskalt, unnahbar und extrem Hart.

Aber, wenn Du einen Diamanten in die Sonne hältst fängt der an zu funkeln. Und das Funkeln gilt es jetzt wieder zu beleben...

lg
pero
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Icediamond
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Icediamond »

Hallo Pero!
Ich habe mich sehr über deine Antwort gefreut!Dankeschön: )

Ich kann den Mut, den Du mir zusprichst sehr gut gebrauchen, nehme ihn gerne an!

Ich habe vergeblich versucht bei einem Therapeuten unterzukommen.Es gibt nicht mehr viele Plätze.Es muß sooooo viele Menschen da draußen geben, die diese Hilfe brauchen.Das ist echt traurig.Aber ich bleibe am Ball! Ich muß und das weiß ich...

Ich habe manchmal so Phasen, da bin ich in meiner eigenen Welt.Dann mag ich nicht reden (Achtung!Ich bin eine Frau...Alarm:)) und niemanden sehen.Ich habe dann große Schwierigkeiten mich zu konzentrieren und entwickel so eine Art Tunnelblick.Beim Autofahren war das schon mal ganz brenzlig und da bin ich total erschrocken gewesen über mich selbst.Meine Kleine war mit im Auto und ich hätte mir am Liebsten selbst eine gescheuert, so böse war ich auf mich!

Ich hoffe, Du bist in guten Händen und fühlst Dich dort wohl!

Ich hoffe auch, daß der Diamant bald wieder in der Sonne funkelt!Herzlichen Dank für die schönen Worte...
Icediamond
kokaa
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von kokaa »

.. das mit der eigenen welt kenn ich. dabei ist das gar nicht die ganze zeit so.
manchmal fühle ich mcih sogar ganz "Normal" und dann muss irgendetwas passieren. irgendetwas was eine kleine hoffnung die ich mir gesetzt habe einstürzen lässt. eine kleine sache und dann werde ich erst tarurig und dann legt sich etwas drüber. es ist seltsam zu beschreiebn, aber es ist als ob ich meine gefühle einfach plötzlcih abstelle weil ich es nicht mehr aushalte. und dann fühle ich mich leer.
aber trotzdem mache ich moment sogar wieder etwas. ich gehe raus und so weiter. ich bin nur schnell überfordert. und wenn ich anfange nachzudenken dann geht es mir schlecht.

ist das denn typisch? erlebt ihr das auch so?
pero
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von pero »

@kokaa
Auch ich habe gute und schlechte Tage, das ist scheinbar normal.

@icediamond
Ich kenne die Wartezeiten, aber es gibt auch Alternativen.
Ich würde Dir raten eine Liste zu führen mit den Kontaktversuchen. Also Name, Tel, Datum und Reaktion (Termin in 5 Monaten usw...)

Ich habe gerade von meinen KK die Übernahmen einer Auservertraglichen Behandlung bekommen.
Ich hatte auch Therapeuten ohne Kassenzulassung angerufen und bei einem wirklich kurzfristig Termine bekommen.
Dann habe ich einen Antrag auf Kostenübernahme mit dem Nachweis meiner Kontaktversuche und einer Dringlichkeitsbescheinigung von meinem Arzt an die Kasse geschickt.
Ich bekomme derzeit Krankengeld, daher war die Dringlichkeit dadurch schon begründet.
Und gestern ist die Bewilligung gekommen.
Daher ist mein Rat an Dich:
1. Führe eine Liste der Kontakte,
2. Rufe auch bei Therapeuten ohne Kassenzulassung an
3. Spreche mit Deinem Arzt ob er eine Dringlichkeit sieht und bescheinigt.
4. Rufe bei Deiner KK an und frage nach deren Verfahren für eine Ausservertragliche Psychotherapie.

Für mich wäre eine wahrscheinliche AU auch schon ein Grund für eine Dringlichkeit, aber ich weiss nicht wie Arzt und KK das sehen.

Mir ist klar das das mal wieder sehr viel Energie verlangt, aber leider ist das derzeit so das die zugelassenen Therapeuten hoffnungslos überlastet sind.

lg
pero
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Icediamond
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Icediamond »

Hi!

Danke für Eure Antworten!

@pero:Wenn ich Dich nicht hätte; ))))
Deine Tipps sind wirklich super!Das hatte ich alles gar nicht gewußt.Ich war nur sehr erschrocken über die Tatsache, daß man so viele Schwierigkeiten hat einen Platz zu finden.Mal schauen, was ich noch so erreichen kann: )

Jetzt mal etwas ganz anderes.Ich habe ein Angebot erhalten für einen neuen Arbeitsplatz.Es wäre eine super Chance.Jetzt habe ich echten Bammel, daß ich dem vielleicht nicht stand halten kann und meine Depression mich hindert diesen Job vernünftig und gut zu machen.

Hat jemand von Euch schon Erfahrungen gesammelt?

Liebe Grüße
Icediamond
Antiope
Beiträge: 1695
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Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Antiope »

Hallo Icediamond,

mit diesen Problemen schlage ich mich grad auch herum.

1. Depression: habe ich ganz lange nicht erkannt bzw. habe die Auswirkungen nicht realisiert. Dass endlose Müdigkeit einfach bedeutet, wieder voll drin zu hängen. Dass ich eigentlich nicht hätte arbeiten sollen. Und ich es immer wieder ganz selbstverständlich geleistet habe. Dass dadurch das Kräftepolster immer weniger wird.
Dass ich dann oft weine, mich vollkommen überfordert fühle, nicht mehr raus gehen kann, keine (neuen) Kontakte mehr schließe bzw schließen kann - das war für mich halt normal. Ein solch eingegrenztes Leben ist halt schön übersichtlich. Aufstehen, arbeiten, auf dem Sofa heulen.
Für mich ist so immer der Punkt, "eigentlich müsste ich noch dieses oder jenes machen", "eigentlich ginge das ganz einfach", "eigentlich verdammt noch mal einfach ein bisschen am Riemen reißen" - naja, ohne sich einzugestehen, dass der Riemen bereits zum Zerreißen angespannt ist, dass nur noch Müssen angesagt ist. Alles Sätze, die einfach nur die Funktionsfähigkeit in hartem wirtschaftlichen Sinn meint, aber nicht den Menschen als atmendes Wesen, das Schlaf braucht, Sonne, Liebe, Fehler.

Du schreibst davon, keine Kraft mehr zu haben, nur noch für Deine Tochter aufzustehen - das ist ein Teil der Krankheit. Ein weiterer Teil ist: sich Vorwürfe zu machen, nicht NOCH BESSER zu funktionieren, sich schuldig zu fühlen, weil man "die Welt nicht retten kann - oder wenigstens einen Großteil davon".

Der Mensch lebt nicht nur von Brot allein - er benötigt auch emotionale Nahrung, er benötigt Spannung und Entspannung. Er ist ein rhythmisches Wesen: auch Auftanken gehört dazu. Wenn Du es (aufgrund der Umstände, Deiner Erziehung, ...) vernachlässigst, dann ist irgendwann der Akku lehr, die Spannung erschöpft. Musik, die nur aus einem hohen lauten Ton besteht, ist keine Musik, sondern Lärm. Tödlicher Lärm. Musik besteht aus niedrigen und hohen Tönen, aus Pausen, aus langsamen und schnellen Teilen.

Und ja, es ist schwer, sich einzugestehen, an "so einer" Krankheit zu leiden. Ich weiß nicht, ob ich da jemals fähig dazu sein werde, sie vollständig anzunehmen. Es ist schwer, nicht mehr dem eigenen Idealbild "omnipotent, Spitzenfrau" zu entsprechen - wie es Kinder noch so sehen. Krank zu sein, nicht mehr in der ersten Reihe zu sein, sondern dritte oder hundertste - nicht gut.

Ein Schritt ist, sich die Selbstvorwürfe nicht mehr zuzugestehen. Du bist nicht "doof", wenn Du jetzt mal (das erste mal seit wie langem??) an Dich denkst. Denke daran: DU bist der EINZIGSTE Mensch, der DICH wahrnimmt und DEINE Interessen vertritt. Diese Aufgabe kannst Du niemand anderem zuschieben - würde auch nicht funktionieren, oder?
DU hast das RECHT dazu, Dich ernst zu nehmen, Dein Ausgelaugtsein. Dass Du jetzt mit der normalen Welt nicht mehr so ohne weiteres zurecht kommst, mach Dir deswegen KEINE Vorwürfe. Es sind gerade ganz andere, tiefere Ebenen aufgewühlt. Es ist OKAY so. Gestehe es Dir bitte einfach zu.

Für mich ist die Depr. auch eine Art "Energiekrankheit": die Energie zum menschlichen Leben ist verloren gegangen ... Wie bei einer Stoffwechselstörung bestimmte Hormone oder Enzyme nicht mehr gebildet werden. Ohne Enzyme keine Nährstoffe. Ohne Hormone Ausfall lebenswichtiger Funktionen. Bei Depressionen fehlen Neurotransmitter. Hirnstoffwechsel hat sich verändert. Beispiel Parkinson: es fehlen Dopamine. Folgen: Bewegungen können nicht mehr gesteuert werden, Muskeln nicht mehr korrekt koordiniert.

Mit diesem Wissen im Hintergrund kann man vielleicht eher akzeptieren, dass Medikamente helfen können. Wenn der eigene Körper die Entgleisung nicht mehr selbst hinbekommt. Bitte versuche nicht zu lange zu warten. Suche Dir Hilfe. Beim Hausarzt?
Lasse Dich krankschreiben - und lasse es für ein paar Wochen sein. Was hilft es den Kollegen, wenn Du jetzt schnell wieder da bist, aber im Winter wieder ausfällst?
Versuche eine Tagesstruktur beizubehalten. Deine Tochter hilft Dir sicher dabei
Was waren die Gründe, dass Du so lange der Depression hast standhalten können? Welche Tätigkeiten sind noch möglich?
DAS sind DEINE Ressourcen - schütze sie, nütze sie!! Egal, was es ist - gönne es Dir so oft wie möglich. DU bist es DIR WERT!!!


2. Arbeitsplatz: was bedeutet das? Neue Stelle? Ist die alte für Dich nicht tragbar? Welche Vorteile? Kannst Du mit den neuen Anforderungen gerade jetzt im Moment umgehen?
Welche Veränderungen kämen da auf Dich zu? Worin liegt die "super Chance"? Wer sagt das? DEINE Meinung, die Meinung Deiner Freunde, des (neuen?) Arbeitgebers?

Ich hänge gerade in einer ähnlichen Situation - und habe ähnliche Situationen in der Vergangenheit gehabt. Genau dieser Text "super Chance". Durch die Depression war ich jedoch so gehändicappt, dass ich nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte war. Meine Stärken nicht ausspielen konnte.
Die Einarbeitungszeit ist die allerhärteste Zeit. Es wird viel verlangt - und auch Du verlangst Dir da sehr viel ab.
Nein, ich möchte Dir nicht abraten. Dazu weiß ich noch nicht genug über die Situation, über die Bedingungen.

Bitte entschuldige den langen Text ... Ich kann nur Goethe zitieren: mir fehlen die Gedanken, um einen kurzen Brief zu schreiben, daher schreibe ich einen langen...

-------
Am Ende eine kleine Bitte:
Satzzeichen mit einem Leerzeichen dahinter abtrennen - macht für mich das Lesen einfacher, wenn etwas Luft zwischen den Buchstaben ist.
Icediamond
Beiträge: 83
Registriert: 7. Jun 2011, 17:41

Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Icediamond »

Hallo Antiope!

Wow, Du glaubst gar nicht, wie positiv Du mich mit diesem Text überrascht hast!

Ich mußte ihn mir tausend mal durchlesen und verinnerlichen. Ich freue mich sehr darüber, daß Du mir als " fremde Person" so viele Dinge schreibst, die mich zum Nachdenken anregen und mir sicherlich helfen werden.
Vielen herzlichen Dank, daß Du Dir so viel Zeit genommen hast!

Vielleicht bin ich zu blöd, aber ich habe noch nicht heraus gefunden, ob man sich auch persönliche Nachrichten schicken kann. Beabsichtigt, das es nicht geht???

Ich kann Dich so gut verstehen....diese Krankheit zu akzeptieren ist mir ein Graus. Ich habe mit meiner Mum darüber gesprochen. Ich weiß, daß sie seit Jahren Equilibrim nimmt und noch so ein anderes Medikament. Meine beiden Onkel haben auch Depressionen und mein Bruder hat manchmal Panikattacken. Da frage ich mich doch, wie ich denn da so " normal " wie möglich sein soll....

Nun hat es mich mit 34 Jahren auch erwischt. Aber Du hast Recht. Ich muß dagegen angehen.
Leider habe ich im Moment nur einen Therapeuten, der alle 6 Wochen einen Termin für mich hat. Toll!
Ich bleibe aber am Ball und telefoniere ganz viele Therapeuten ab, wie Pero es mir auch schon geraten hat. Ich werde auch eine Kur beantragen.

Das mit dem neuen Job ist wirklich nicht ganz einfach. Genau das waren meine Befürchtungen, die Du bereits erwähnt hast. Ich habe leider das Gefühl, daß mich die Depression hindern wird, meine Stärken zu zeigen und vernünftig zu arbeiten.
Ich möchte nicht als " Fehlentscheidung " dastehen. Jeder kennt mich nur als Powerfrau und erwartet dementsprechend auch viel von mir.
Ich werde mir einfach ganz stoisch die Vor- und Nachteile aufschreiben und dann entscheiden. Vielleicht macht mir der Job auch super viel Spaß und setzt jede Menge Endorphine frei.
An meinem alten Arbeitsplatz bin ich mittlerweile seit 8 Jahren. Da ich nicht zu den " rektalen Spaziergängern " zähle, bin ich noch immer an der gleichen Stelle.

Ich werde mich noch ein paar Gedanken machen.
Ich habe momentan eine gute Phase, in der ich es schaffe innerhalb von einer halben Stunde einzuschlafen und mich nicht stundenlang hin und her zu wälzen.
Das tut soooo gut!
Das ich trotzdem immer früh aufwache und zwischendurch wach werde, muß ich ja nicht erwähnen ; )

Danke nochmal für Deinen tollen Beitrag!!!

LG
Icediamond
nurabsal

Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von nurabsal »

Wenn es Dir richtig schlecht geht lass Dich vom Hausarzt in eine Akutklinik überweisen (das ist eine Überweisung zum Spezialisten wie zum HNO-Arzt, du bis da frei und kannst die Klinik jederzeit verlassen). Da bekommst Du erstmal die Ruhe nachzudenken und u.a. auch eine Themengruppe die ein paar Ansätze vermittelt was Dich da warum überhaupt erwischt hat. Eine Medikation kommt auch in Frage und sollte auch eher so erfolgen als mit dem Hausarzt - und die meisten Therapeuten sind keine Ärzte und schicken Dich für die Medis zum Psychiater. In der Akutklinik hast Du alles unter einem Dach. Und Du kannst die ganze Zeit zwischen den Gesprächsterminen, Ergotherapie und Sport mit den anderen Patienten sprechen, von denen erfahrungsgemäß viele ähnliche praktische Probleme haben. Sich als gestört aber 'normal' (ich sehe den Widerspruch ich meine normal statt z.B. abartig) zu erleben kann schon die erste große Hilfe sein.

Und Finger weg von guten Ratschlägen aus der Umgebung - wer das noch nicht durchgemacht hat oder professionelle Erfahrung aus Studium und mit seinen Patienten hat, hat keine Ahnung wie es Dir geht und KANN DICH NICHT VERSTEHEN.
Antiope
Beiträge: 1695
Registriert: 10. Jan 2011, 21:38

Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Antiope »

Hallo Icediamond,

Du machst mich ja ganz verschämt ...

Mit diesem Beitrag habe ich auch wieder etwas von mir "abgearbeitet". Daher ist das Geben gleichzeitig ein Bekommen ...

Du schreibst:
"Ich habe leider das Gefühl, daß mich die Depression hindern wird, meine Stärken zu zeigen und vernünftig zu arbeiten.
Ich möchte nicht als ' Fehlentscheidung ' dastehen. Jeder kennt mich nur als Powerfrau und erwartet dementsprechend auch viel von mir. "

Yepp, und es gibt jemand, der noch mehr erwartet: Du selbst.
Genau das wurde mir zum Verhängnis ... Nein, ich mag es nicht beschreien, aber man ist mit, während, kurz nach einer solchen Episode gehändicappt. Man ist nicht wirklich im Vollbesitz aller seiner Kräfte. Ist es nicht.

Wie stark würde sich das Arbeitsumfeld ändern? Ist es ein völlig neuer Arbeitsplatz in einer völlig neuen Firma? Sind es andere Anforderungen, höhere gar?

Ich würde glauben, so wie es jetzt Dir geht, geht es nicht. Aber vielleicht schaffst Du es, eine Frist zu verhandeln. Nicht jetzt anfangen, sondern erst in ein paar Wochen. Diese Zeit nutzen, um Deine Kräfte wieder aufzubauen, neue Resourcen zu finden.

Wie denkst Du darüber?
Icediamond
Beiträge: 83
Registriert: 7. Jun 2011, 17:41

Re: Die Diagnose steht und ich falle...

Beitrag von Icediamond »

Männo, Du verstehst mich echt gut : ))))

Es ist in der gleichen Firma nur ein anderer Aufgabenbereich.
Ich kenne meine Pappnasen also schon....

Ich werde versuchen da etwas auszuloten. Vielleicht hab ich die Möglichkeit das Ganze etwas hinaus zu zögern.

Ich lasse wieder von mir hören...

Danke Antiope!!!!

LG
Icediamond
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