Nichts ist so gelaufen, wie es hätte laufen sollen...

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soseki
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Registriert: 21. Jan 2011, 02:25

Nichts ist so gelaufen, wie es hätte laufen sollen...

Beitrag von soseki »

Es ist sicher typisch für Depressionen, überall nur Probleme zu sehen. Ich habe ungefähr seit dem Alter von 13 Erfahrung mit Depressionen sammeln dürfen, daher kenne ich das. Trotzdem komme ich nicht umhin, als im Rückblick feststellen zu müssen:
fast alle meiner Befürchtungen sind wahr geworden, so gut wie keine meiner Hoffnungen hat sich erfüllt. Und dieses Muster scheint sich immer wieder zu wiederholen.

Mir fällt es schwer, alles was in meinem Kopf vorgeht, in einen zusammenhängenden Text zu verpacken. Aus meiner Sicht sind meine Depressionen eine Folge meiner Unfähigkeit, in diesem Leben klarzukommen. Wann immer ich mir eine positive Zukunft vorstellen konnte und es einen realistischen Weg zu geben schien, diese auch zu erreichen, war die Depression handhabbar. Wann immer es keinen Weg zu geben schien, ein meinen Wünschen und Bedürfnissen gerecht werdendes Leben zu führen, wurde die Depression unerträglich.

In solchen Phasen ist es unglaublich schwer, mich weiter zu bemühen, Energie zu finden um die nächsten Schritte zu gehen (wenn man denn überhaupt noch weiss, wo es hingehen soll). Ich kann mich an eine solche schwere Phase (inklusive Suizidgedanken) während meines Studiums erinnern, Sommer 2007. Irgendwann habe ich es geschafft, mich hinzusetzen und nach einem Weg zu suchen, der es mir erlaubt, einigermaßen positiv in die Zukunft zu blicken. Ich sagte mir: versuch das nochmal, wenn es in 1-2 Jahren nicht besser ist, kannst du immer noch gehen. Meine Hauptziele, die ich mir damals gesteckt hatte:
- Studium möglichst schnell abschliessen, gute Noten, Praxiserfahrung für die Arbeit sammeln (mir war zu diesem Zeitpunkt klar geworden, dass ich, wenn ich wie bisher weitermachen würde, zu lange für mein Studium brauchen würde und es sehr schwer haben würde, damit dann eine Stelle zu finden, was dann ein Mitauslöser für diese depressive Phase war)
- meine sozialen Fähigkeiten verbessern, mehr rausgehen, Kontakte knüpfen (ich war schon immer „anders“, introvertiert, und hatte deswegen große Schwierigkeiten mit anderen klarzukommen; das war daher schon immer Bestandteil meiner Depression)

Den ersten Punkt habe ich umsetzen können, den zweiten habe ich relativ bald nur noch halbherzig verfolgen können, da schon der erste meine ganze Kraft benötigte. Das ist irgendwie auch Kernproblem meines Lebens: es ist zu vieles an mir anders, falsch, defekt, als das ich den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden könnte.

Kurz gesagt: meine selbstgesetzte Frist von 1-2 Jahren seit 2007 ist schon lange vorüber und ich habe weder privat noch beruflich eine Lebensgrundlage. Ich fühle mich im Umgang mit anderen immer noch genauso ungeschickt, fremd, missverstanden und unter Druck gesetzt wie früher. Dementsprechend habe ich auch keine Freunde oder ähnliches, bis auf vielleicht eine Person, die mich zumindest halbwegs ertragen kann. Ich habe zwar ein abgeschlossenes Fachkräftemangel-Studium (und fühle mich deswegen immer doppelt wertlos, wenn ich davon lese, wie einfach man damit an tolle Stellen kommen müsste) und ein wenig Praxiserfahrung, aber keine Arbeit. Kontakte zu knüpfen ist für mich in dieser Situation undenkbar, zu sehr schäme ich mich für meine Situation. Bewerben kann ich mich nur in eingeschränktem Umfang, einmal wegen der Depressionen und der Selbstunsicherheit, zum anderen weil ich mich ganz praktisch immer umfangreich vorbereiten muss. Dazu kommt das Problem der Lebenslauflücke, die ich bisher zu verdecken versucht habe, was aber sehr anstrengend für mich ist, da ich dafür die Wahrheit stärker zurechtbiegen muss, als ich mich damit wohlfühle. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind für mich wichtige Werte, weswegen ich auch immer darauf achte, nicht zu lügen. Dennoch ist es natürlich erzwungenermaßen eine Gratwanderung zwischen positiver ehrlicher Darstellung und Übertreibung. Depressionsphasen und die daraus folgende zeitweilige Einschränkung der Leistungsfähigkeit kann man nunmal nicht schönreden.
Da ich in Vorstellungsgesprächen dann auch noch unsicher und etwas seltsam oder gar unsympathisch wirke, ist mit dem Nasenfaktor für mich auch kein Blumentopf zu gewinnen.
Im Alltag kann ich mich zwar relativ normal verhalten und funktionieren, solange ich in etwa weiss, was von mir erwartet wird und was die Menschen als normal empfinden. Aber in Stresssituationen merkt man einfach, dass ich mich unnatürlich verhalte, dass ich eben anders bin.

Diese rein persönlichen Probleme sind dann noch eingebettet in die Ohnmacht und das Unverständnis über das allgemeine Weltgeschehen und das Ausmaß der Ungerechtigkeit, die da tagtäglich in den verschiedensten Formen ihren Lauf nimmt. Das trägt zusätzlich zu dem Gefühl bei, nicht hineinzupassen in diese Welt, nicht gewollt zu sein. Die Menschen da draußen haben scheinbar ganz andere Wertvorstellungen und Prioritäten als ich. Aber das ist auch schon wieder ein anderes Thema, dieser Text ist ohnehin schon zu lang...

Deswegen nochmal eine Zusammenfassung:
ich habe nicht die persönlichen Voraussetzungen, um in dieser Welt erfolgreich (oder auch nur geduldet) zu sein. Trotzdem bin ich hier, und ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll, denn ich habe ja noch nichtmal eine Reiserücktrittsversicherung. Ich bin in vieler Hinsicht ein psychisches Wrack und schlage mich täglich mit der ganzen Bandbreite negativer Gefühle herum, von Angst und Panik über Frustration und Wut zu Hilflosigkeit und Trauer und wieder zurück.

Und zwischendrin denke ich mir: das kanns doch irgendwie nicht sein...?
jonesy
Beiträge: 546
Registriert: 25. Feb 2011, 17:42

Re: Nichts ist so gelaufen, wie es hätte laufen sollen...

Beitrag von jonesy »

Hallo soseki,
willkommen hier im Forum.
Was mir als erstes durch den Kopf schoss, als ich ein posting gelesen habe, war: selbsterfüllende Prophezeiung. Sagt dir der Begriff etwas?
Das zweite wäre, vielleicht ist eine Therapie angebracht, was meinst du?
Vor allem um dein Selbstwertgefühl zu verbessern und dir deine schlechte Meinung von dir selbst gerade zu biegen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass du so außerirdisch bist, wie du dich hier beschreibst.
Wenn du von dir selbst eine derartige Meinung hast und dich selbst nicht magst, wie sollen dich da Andere mögen?
Jeder Mensch ist in seiner Art einzigartig und jeder Mensch hat das Recht zu sein.
Dein Selbstbild ist viel zu negativ. Vielleicht liegt es an der Depression, aber für mich fühlt es sich so an, als sei es schon immer so gewesen bei dir.
Dieser ganz Zeitschnickschnack ist doch doof, das haut so wie so nicht hin. Es dauert so lange wie dauert und eine persönliche Entwicklung lässt sich nicht in einen Kalender pressen.
Gib dir Zeit, mach kleine Schritte und vor allen Dingen hol dir Hilfe dabei.
Du bist hier willkommen, ganz genauso wie du bist und fühlst.
Alles Liebe für dich von
Pauline
chrigu
Beiträge: 2081
Registriert: 20. Mär 2006, 12:20

Re: Nichts ist so gelaufen, wie es hätte laufen sollen...

Beitrag von chrigu »

Hallo Soseki,

willkommen im Forum!

Mir kommt es ziemlich bekannt vor, diese Eigenvorgabe mit: in 2-3 Jahren möchte ich an dieser und dieser Stelle stehen und dieses und jenes geschafft haben. Ich habe mir auch oft diese Vorgaben gemacht, aber viele nicht eingehalten; sprich: vieles von dem, was ich eigentlich bis quasi heute erreicht haben wollte, habe ich nicht erreicht (klingt schon sehr nach "versagen" ). Und nu?

Mir hilft es dann, in die andere Richtung zu schauen: Was habe ich denn schon alles erreicht? Und mit welchen Maßstäben messe ich gerade eigentlich, an welchen Maßstäben habe ich meine Vorgaben orientiert? Sind das überhaupt meine eigenen Maßstäbe, die mich zu den Vorgaben haben kommen lassen?

Übertragen auf Dich könnte das bedeuten: Was hast Du schon alles geschafft? Mir fällt da spontan ein: Du hast trotz einer tückischen und schweren Krankheit Dein Studium abgeschlossen. Damit bist Du nicht einfach nur in der Gruppe derer, die ein Studium geschafft haben, sondern in der Gruppe derer, die ihr Studium TROTZDEM geschafft haben. Glückwunsch!
Und Du hast bis heute überlebt, obwohl Dir die Welt nicht unbedingt dazu geeignet schien. Das mag lachhaft klingen, aber ich finde, auch das ist eine Leistung. Du hast Dich nicht aufgegeben. Und irgendwie ist es in dem Lichte betrachtet auch eine Leistung, dass Du nun hier schreibst, weil auch das ein Zeichen ist, dass Du nicht aufgibst, sondern weiter machen willst, nach Lösungen suchen möchtest.

Wie gesagt, die Maßstäbe, mit denen wir uns messen, sind oft von außen übernommene oder aufgedrückte. Ich habe neulich erst mit einer Freundin diskutiert, die sich von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt fühlte, warum sie denn noch keine Kinder habe. Im Gespräch haben wir dann festgestellt, dass sie im Grunde selbst gar keine Kinder haben will, über diese Option aber nie nachgedacht hat, weil sie sich ganz selbstverständlich in die Vorgaben gepresst hat, die Gesellschaft, Familie und Partner vorgeben. Ich glaube, für sie war es befreiend, ihre eigenen Maßstäbe hinsichtlich dieser Frage zu entdecken und die anderen abzuschütteln. Natürlich ist das, was daraus resultiert, nicht leicht: Ihr Partner möchte nämlich Kinder, wie die beiden das lösen, weiß ich auch nicht...

Hm, so ganz konkret kann ich Dir jetzt keinen Ratschlag geben, aber vielleicht doch die Einladung, die eigenen Maßstäbe und die Frage nach "Was will ich eigentlich" neu zu überdenken. Dass neben dem, was man selbst will, ein Beruf natürlich auch zur Existenzsicherung dient, ist mir schon klar. Aber vielleicht fällt das alles ein bisschen leichter, wenn man zumindest in den anderen Dingen seine eigene Position gefunden hat. Wenn man zum Beispiel rausfindet, dass man eigentlich auch mit einem Mini-Bekanntenkreis auskommt und nicht der Typ für Megafreundeskreise ist.

Kannst Du damit was anfangen?

Viele Grüße
Chrigu
eligeo71
Beiträge: 270
Registriert: 25. Aug 2006, 01:01

Re: Nichts ist so gelaufen, wie es hätte laufen sollen...

Beitrag von eligeo71 »

Soseki,

du schreibst:
Im Alltag kann ich mich zwar relativ normal verhalten und funktionieren, solange ich in etwa weiss, was von mir erwartet wird und was die Menschen als normal empfinden. Aber in Stresssituationen merkt man einfach, dass ich mich unnatürlich verhalte, dass ich eben anders bin.

Was meinst du, was passiert, wenn du dich weigerst die Erwartungen anderer zu erfüllen? Geht da die Welt unter?
Was wäre für dich 'natürliches Verhalten'? Und, wie kommt es, dass 'anders sein' für dich automatisch 'schlecht sein' bedeutet? Ist nicht jeder Mensch anders?

Des weiteren:
Die Menschen da draußen haben scheinbar ganz andere Wertvorstellungen und Prioritäten als ich.

Na, dem Gott, an den ich nicht glaube sei Dank! Was meinst du wie die Welt aussähe, wenn alle Menschen sich prioritär dermassen selbst schlecht machen würden, wie du es (mit dir) tust?

Du siehst, ich habe wenig Interesse es Dir besonders leicht zu machen. Trotzdem hoffe ich, dass du dich durch meine Worte nur be-troffen fühlst und nicht ge-troffen. Denn letzteres liegt mir fern.

LG, Rainer
Ich bin der Mensch, welcher mein Leben entscheidet!
Antiope
Beiträge: 1695
Registriert: 10. Jan 2011, 21:38

Re: Nichts ist so gelaufen, wie es hätte laufen sollen...

Beitrag von Antiope »

Hallo Soseki,

was meine Vordenker schon zusammengetragen habe, kann ich nur zustimmen.

Eines nur am Rande: Du hast Dir 2007 Ziele gesetzt. Studium schnell abschließen, soziale Kontakte verbessern.
Dabei ist mir Mehreres eingefallen:
1. Das eine schließt ja das andere etwas aus: wenn ich mich ganz aufs Studium konzentriere, kann ich nicht auch noch an der Privatbaustelle Energie verwenden.
2. Ziele sollten konkret sein. Und realistisch. Es gibt so die "SMART"-Formel: - spezifisch (also genau beschrieben),
- messbar (mit Zahlen belegt: 1 fester Freund),
- attraktiv und erreichbar (für Dich positiv belegt, Ziele, die nicht mit den eigenen Wünschen übereinstimmen, werden nicht erreicht)
- realistisch: in der vorgegebenen Zeit auch wirklich machbar (20 kg abnehmen in zwei Wochen ist nicht möglich)
- zeitlich festlegbar (in einem halben Jahr); hier können auch "Zwischenziele" festgelegt werden

Schaue ich mir das an, dann hast Du Dich überfordert: zuviel in zu kurzer Zeit.
Absolute Ziele gesetzt. Keine Zwischenziele. Unbestimmbar zu realisieren.

Du hast schließlich ein Ziel erreicht: das Studium trotz allen Widerständen abgeschlossen. Das ist gut! Hast Du das gefeiert?

Kannst Du hier mal 3 Punkte schreiben, was Du gut gemacht hast? Egal, was es ist?

Was könntest Du jetzt tun, um mehr in der Gesellschaft anzukommen? Wieviel "Außenseitertum" ist für Dich ertragbar? Das frage ich aus folgendem Grund: wenn Du sagst, nur einmal die Woche Kontakt, dann setzt Du Dich nicht mehr so unter Druck. Im Moment bist Du einfach etwas zurückgezogen, und das ist dann vollkommen okay so. Viele sind introvertiert. Die Welt wäre viel zu laut und zu schrill, wenn es nur Extrovertierte gäbe.

Selbstunsicherheit ist Folge von allem. Mach Dir deswegen *keine* Vorwürfe.

Gibt es eine Möglichkeit, wo Du Dich vielleicht etwas ehrenamtlich engagieren kannst (Jugendhilfe, Hundebetreuung, Seniorenhilfe)? Da wird oft nicht viel erwartet und Du hast nicht ständig das Gefühl, irgendwelchen dummen Vorgaben nicht zu genügen. Da wirst Du als Mensch wahrgenommen, und Du weißt, dass Du das in der Zeit schaffen kannst.

Vielleicht wäre ein Praktikum hilfreich - vielleicht auch nicht. Die Begründung liegt auf der Hand: möchtest unverbindlich einsteigen und schauen, ob es für Dich etwas ist.

Alternative wäre: über die Arbeitsagentur eine Möglichkeit zu schaffen. Oder eine Reha zur Wiedereingliederung in den Beruf beantragen. Das hat ein Mitpatient von mir auch gemacht und bekam es recht schnell bewilligt. Für ihn war es endlich die Möglichkeit, aus seiner langjährigen Arbeitslosigkeit herauszukommen.

Hast Du einen Vertrauten, mit dem Du das durchsprechen kannst?

Eines noch: Du passt in diese Gesellschaft, und Du hast einen Platz. Du hast eine einzigartige Gabe, die Dich ausmacht und die Dich über allen anderen heraushebt. Das ist der Sinn Deines Lebens - und Du wirst es herausfinden.

Du brauchst Dich für Dein Sein nicht zu schämen. Warum auch??

Mein Onkel ist über siebzig, hat sich vor Jahren den Verstand weggesoffen und steht nur noch an der Straße und schaut den Autos beim Vorbeifahren zu. Der ist glücklich dabei.

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Die Zweifel an der Gesellschaft und an Dir selbst sind "einfach" Folge dieser Situation.
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