Erwachsene Scheidungskinder und Trauer

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kessy4949
Beiträge: 228
Registriert: 16. Apr 2003, 23:08

Erwachsene Scheidungskinder und Trauer

Beitrag von kessy4949 »

Hallo,
heute hat es mich wieder gepackt. Ich weiß nicht ob das jetzt genau hier rein paßt, aber mich macht etwas mit zunehmendem Alter immer mehr traurig. Das ist so brutal. Ich dachte, es würde mit der Zeit besser, aber es wird schlimmer. Erst im Erwachsenen Alter kommt alles erst richtig raus. Und scheinbar bin ich nicht die Einzige, wie ich in der Übersicht eines Buches - einer Langzeitstudie über Erwachsene Scheidungskinder - lesen konnte, der es so geht. Es ist ja schon schlimm genug, wenn man um tote Menschen trauern muß, aber wie soll man das ins Gehirn kriegen, wenn man jemanden betrauern muß, der eigentlich noch lebt???!!! Das ganze ist jetzt 24 Jahre her, meine Mutter trennte sich diesmal mal von einem anderen Mann (nicht mein Vater!). Bei der 1.Scheidung von meinem Vater war ich 3 1/2 Jahre alt. Jetzt bei der Trennung war ich 10 Jahre. Für mich war er mein "Papa", obwohl ich meinen Vater - weit weg wohnend -auch noch hatte, aber der hier war mein "Papa" und sein Sohn eben mein "Bruder". Durch die Trennung war der Kontakt zu denen beiden auch fast erloschen. Damals hatte ich noch weniger Probleme damit, aber als sich keine neue Familie bzw. eine neue seelisch zerstörende Familie bildete, habe ich begonnen, diese zu vermissen. Ich sehe sie auch heute, als meine einzige Familie an. Ich habe Heimweh, nach zwei Heimatorten, das ist genauso brutal. Meine ganzen Freunde habe ich schlagartig, durch einen Rückzug in meine Geburtsstadt verloren und auch nie wieder so viele gefunden. Diese 6 Jahre waren meine glücklichsten in meinem ganzen Leben. Wir haben die Gegend und unsere Nachbarin noch ein paar mal besucht. Im Jahr 2004 sah ich nach 18 Jahren durch den Geburtstag unserer ehem. Nachbarin bedingt, meinen damaligen "Bruder" wieder. Seinen Vater sah ich zwischendurch bei kurzen Besuchen. Meine Mutter hat wieder geheiratet, ich habe heute "gefühlt" gar keine Familie mehr. Ihr jetziger Mann hat sich's bei mir versaut und mit ihr bricht der Kontakt immer wieder ab. Wir hatten jetzt 1 Jahr Sendepause. Rückwirkend betrachtet, kommt es mir so vor, als wenn mein leiblicher Vater nach links geheiratet hat, meine Mutter nach rechts, zurück geblieben in der Mitte, bin ich. In mir ist irgendwie immer mehr Trauer. Und je älter ich werde, desto schlimmer wird es. Ich kriege es nicht in den Kopf, das macht mich manchmal so fertig, mit Jemandem keinen Kontakt mehr zu haben, nur weil es nicht der leibliche Vater und sein Sohn eben nicht der richtige Bruder ist. Das macht mich traurig, sauer und wütend zugleich. Mit meiner Mutter brauche ich sowas nicht besprechen, seelisches Zeug versteht sie nicht. Wenn meine Stiefschwester aber was erzählt, dann versteht sie es. Meine Stiefschwester hat den Volltreffer gelandet - eben eine Ersatzmutter - gefunden, wie ich einen Ersatzpapa in dem vorigen Freund meiner Mutter hatte. Sie werden schon fast wie Freundinnen. Eifersüchtig bin ich darauf nicht, nein, nur noch einmal mehr traurig. Ich komme aus dem Trauern schon gar nicht mehr raus, weil ich nicht mehr weiß was ich zuerst betrauern soll. Es wäre schön zu lesen, was ihr für Erfahrungen gemacht habt zum Thema "Familie", "Trennungen","Familienlos", "Keine Lieben mit denen man Feste feiert","Familienersatz" und wie ihr damit umgegangen seid.

Viele Grüße,
Christin
ghm
Beiträge: 1665
Registriert: 25. Dez 2010, 12:38

Re: Erwachsene Scheidungskinder und Trauer

Beitrag von ghm »

Hallo Christin,

ich bin kein Scheidungskind.
Nur der "frisch" geschiedene Mann eines Scheidungskindes.

Ich hatte meiner Exfrau Mut gemacht, mit Ihrem Vater, vor unserer Hochzeit vor 22 Jahren, wieder Kontakt aufzunehmen.
Zu dieser Zeit war mein Schwiegervater mit seiner 2. Frau zusammen und es gab guten Kontakt zwischen meiner (Ex)frau und seiner Frau über mehrere Jahre.
Leider trennten sich diese zwei und sein Gefühl von Schuld gestatten es ihm nicht mehr zu meiner (Ex)frau Kontakt zu halten.
Es hat Sie sehr geschmerzt und ich fürchte ich konnte diesen Schmerz nicht lindern.

Sie hat für sich die Entscheidung getroffen besser ohne mich durch ihr Leben zu kommen.
Unsere 2 großen Söhne (21 und 20 Jahre alt) scheinen gut mit der neuen Situation umgehen zu können, ich hoffe, dass auch unser Jüngster (9 Jahre) ohne große Schäden durch diese Zeit kommt.

Warum ich es wage Dir zu antworten, in meiner 9. Klasse gab es in unserem Jahrgang an unserer Schule eine Struktur über mehrere Klassen, bei denen sich Mitschüler eine Familienstruktur schufen um sich ihr Gefühl von "sich nahe zu sein" darstellen zu können.
Vielleicht ist es Dir auch möglich, Dir wichtige Menschen zu Schwestern, Brüdern, Tanten und Onkeln zu "ernennen".
Vielleicht lindert das Deinen Verlust.

Ich wünsche Dir, dass Du Deinen Weg aus der Trauer findest.
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
kessy4949
Beiträge: 228
Registriert: 16. Apr 2003, 23:08

Re: Erwachsene Scheidungskinder und Trauer

Beitrag von kessy4949 »

Hallo Gregor,
danke für Deine Antwort. Ja, das versuche ich durchaus.
Grüße Christin
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: Erwachsene Scheidungskinder und Trauer

Beitrag von kormoran »

liebe christin,

deine geschichte geht mir ziemlich an die nieren. die vorstellung, dass einem kind immer wieder die engsten bezugspersonen genommen werden, dass da auf dich und deine bedürfnisse offenbar gar nicht geachtet wurde, macht mich ganz wütend!

dir hat ganz viel an stabilität und sicherheit gefehlt in deinen jungen jahren, das kann nicht spurlos an einer vorübergehen.

hast du zur zeit unterstützung?

liebe grüße
kormoranin
 http://www.depressionsliga.de
*** zurück ins leben!
kessy4949
Beiträge: 228
Registriert: 16. Apr 2003, 23:08

Re: Erwachsene Scheidungskinder und Trauer

Beitrag von kessy4949 »

Hallo Kormoranin,

schön, was von Dir zu lesen, bist ja auch schon soo lange hier.

Hm, momentan hatte ich ein Erstgespräche bei einer Psychologin wegen einer allgemeinen Lebenskrise, Arbeit blabla usw. Ob sie wirklich paßt, wird sich zeigen, da wir in punkto Schwerbehinderung und Arbeit etwas auseinander triften, das Familienthema bisher fast noch gar nicht zur Sprache kam, aber vielleicht mit die eigentliche Ursache der Orientierungslosigkeit ist. Sie hat aber ein dreiviertel Jahr Wartezeit. Falls ich dann noch hier wohne, werde ich die Wartezeit in Anspruch nehmen. Ich hab jetzt 17 Jahre gesucht, die Depris sind von selbst vergangen, dafür wurden Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert. Und jene hängen 100% mit der Vergangenheit zusammen, das weiß ich. Nun hab ich das erste Mal das Gefühl, daß die Psychologin wirklich paßt. Wegen den ESK gibt es ein Forum, wo man posten und Erfahrungen austauschen kann. Selbsthilfegruppen gibt es in beiderlei Hinsicht (Lebenskrisen und Esk) in unserer Gegend nicht. Ich werde aber versuchen, durch Anzeigen Gleichgesinnte zu finden.

Liebe Grüße,
Christin
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