Outen oder verbergen?

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paco
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Outen oder verbergen?

Beitrag von paco »

Hallo Forianerinnen und Forianer,

mich würde mal interessieren, wie Ihr es mit dem Wissen um Eure Depri haltet: wissen Eure Angehörigen, Freunde, Bekannten davon oder haltet Ihr sie geheim?

Bei mir wissen nur wenige Leute von meiner Depri. Deshalb muss ich zum Teil schauspielern, was mir nicht immer leicht fällt. Andererseits will ich auch nicht wie ein Jammerlappen allen von meinem Thema erzählen. Zumal ich, wie ich meine, eigentlich gar keine so schwere Depri habe. Sie wäre weg oder leicht zähmbar, glaube ich, wenn ich es schaffen könnte, meine berufliche Situation zu verbessern.

Ich freue mich auf Eure Erfahrungen

paco
5300283
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von 5300283 »

Hallo Paco,
mir geht es da wirklich wie Dir. In meinem Freundes-, und Familienkreis habe ich mich geoutet und dadurch wirklich einen sehr guten Rückhalt bekommen. Auf der Arbeit sieht das leider ganz anders aus. Die Kollegen wissen das ich schwerbehindert bin, bekam die Schwerbehinderung letztes Jahr aufgr. der Depression, aber eine Depression ist halt nichts greifbares. In Absprache mit meiner Vorgesetzten und der Betriebsärztin habe ich mich auf der Arbeit nicht komplett geoutet. Nun falle ich hin und wieder krankheitsbedingt auf der Arbeit aus, bin wenn ich dort bin auch nicht immer so belastbar oder bei der Sache, und ich merke einfach das es manchem Kollegen/in sehr schwer fällt damit umzugehen. Ich bin im Moment auch dabei mit meinem Therapeuten, meiner Vorgesetzten, und der Betriebsärztin nach einer Lösung zu suchen, denn im Moment sind nicht nur meine Kollegen sind auch ich selbst sehr unzufrieden mit der Situation. Leider können wir aber auch nicht von jedem Menschen Verständnis erwarten, denn leider herrscht noch sehr viel Unwissenheit über unsere Erkrankung. Viele liebe Grüße
ghm
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von ghm »

Hallo paco,

meine Vorgesetzten wissen von meiner Scheidung Mitte letzten Jahres und dass ich deswegen ein wenig instabil bin und eine Gesprächstherapie mache.
Ich hoffe, dass ich meine Stabilität bis Mitte 2011 wieder im Griff habe. Sonst weiss ich auch nicht, was ich dann sagen soll.

Hallo Avastin,

wenn Du eine Betriebsärztin hast, scheint es keine kleine Firma zu sein.
Vielleicht kannst Du mit ihr eine Diagnose finden, die manchmalige Auszeit und Schwerbehinderung Deinen Kollegen erklärt.

(z.B. eine Stoffwechselstörung oÄ)
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
Salvatore
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von Salvatore »

Moin!

Ich gehe mit meinen Depressionen inzwischen ganz offen um. Ich falle zwar nicht mit der Tür ins Haus, aber wenn Nachfragen kommen antworte ich immer ehrlich und aufrichtig.
Das ist mir anfangs nicht leicht gefallen und ich habs mir auch lange überlegt.

Aber jetzt glaube ich, dass es nicht dazu beiträgt dieser Krankheit das Stigma und den Schrecken zu nehmen wenn Betroffene darum eine Geheimniskrämerei machen.
Deshalb finde ich den Begriff 'Outing' auch nicht passend. Das klingt so, als müsste es mir peinlich sein - und ich schäme mich nicht für meinen Depression.
Es handelt sich ja nicht um einen Tripper sondern um eine schwerwiegende Krankheit, für die ich nichts kann und die absolut jeden treffen kann da man sich nicht gegen sie schützen kann.

Ich denke aber auch, dass jeder diese Entscheidung für sich selbst treffen muss.
Mir ist klar, dass ich mich glücklich schätzen kann ein stabiles soziales Umfeld zu haben. Wer auf ein solches nicht zurückgreifen kann wird sicherlich auch Schwierigkeiten haben, mit der Krankheit offensiv umzugehen.

LG, Salvatore
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paco
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von paco »

Hallo salvatore,

>> Aber jetzt glaube ich, dass es nicht dazu beiträgt dieser Krankheit das Stigma und den Schrecken zu nehmen wenn Betroffene darum eine Geheimniskrämerei machen.... Das klingt so, als müsste es mir peinlich sein - und ich schäme mich nicht für meinen Depression.<<
Sicher wäre es gut, mit Depression offen umzugehen, um ihr das Stigma zu nehmen. Aber in meinem Fall ist es eben so, dass mir die Depri peinlich ist, ich schäme mich dafür. Vielleicht hafte ich da zu sehr dem Bild an, ein Mann müsse stark sein. Aber für mich wäre es schrecklich, wenn alle wüssten, dass ich mich mit Depris rumschlage.

>> Es handelt sich ja ... um eine schwerwiegende Krankheit, für die ich nichts kann und die absolut jeden treffen kann da man sich nicht gegen sie schützen kann.<<
Ist das wirklich so? Kann man sich nicht gegen eine Depri schützen? Ich will eines Tages mit meinen Kindern klaren Tisch machen, ihnen sagen, dass ich unter Depressionen leide (oder gelitten habe). Ich hoffe, dass sie, falls sie ebenso betroffen sind, dann gleich die ersten Zeichen richtig deuten, ernst nehmen und sich helfen lassen. Hätte ich bereits frühzeitig meine Depri erkannt, dann würde ich heute nicht so tief im Mist stecken.

>>Ich denke aber auch, dass jeder diese Entscheidung für sich selbst treffen muss.<<
Das meine ich auch. Ich habe hier dargestellt wie ich hier und jetzt darüber denke und empfinde. Ich will nicht für immer und ewig ausschließen, dass sich das einmal ändert.

Liebe Grüße von paco
bradforhelp
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von bradforhelp »

Hallo,

ich habe mich allmählich geöffnet und geoutet.
Meine Familie wusste am ehesten Bescheid, erst meine Schwester, die mir riet, mich an einen Psychologen zu wenden. Gleichzeitig mein Mann und als die Diagnose stand, habe ich mit meinen Kindern gesprochen, die damals noch sehr abhängig von mir waren. Meine besten Freundinnen habe ich auch sehr zügig eingeweiht und das war gut.
Mit allen anderen konnte ich nicht reden. Ich habe es einfach nicht fertig gebracht. Allmählich wurde das auch besser und ich habe mit meinem Chef gesprochen. Mittlerweile gehe ich sehr offen damit um, will aber nicht mit jedem darüber reden. Mit Offenheit habe ich gute Erfahrungen gesammelt. Nun gehöre ich einer Berufsgruppe an, in der wohl eher offen über persönliche Befindlichkeiten gesprochen wird als in anderen Bereichen.

brad
"In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt."

Albert Camus
wennfrid
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von wennfrid »

Hi paco
Ich bin für das Outen. Bedenke, wieviel Energie du für das Vertuschen deiner Depression verwendest. Energie, die du für das Überwinden der Depression sinnvoller nutzen könntest. Für deine Krankheit hat es überhaupt keinen Nutzen.
Im Bekanntenkreis scheint dies viel einfacher zu sein. In der Arbeit bedarf es großer Diplomatie und Überlegung.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Sieglinde1964
Beiträge: 1267
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von Sieglinde1964 »

Meine Familie hat den Beginn meiner Depression unmittelbar mitbekommen, da sie ja in meiner Nähe waren, als ich den Zusammenbruch hatte. Meine Schwester und mein Bruder wissen auch davon. Auch meine Eltern wussten es. Bei manchen Leuten halte ich mich auch zurück, wo ich weiß, dass man denen nicht alles erzählen kann. Ich wäge ab, wem ich davon erzähle und wem nicht.
Sada
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Registriert: 6. Dez 2009, 22:00

Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von Sada »

Guten Abend,

bei mir wissen meine Eltern und gute Freunde Bescheid. Ich habe zwar überlegt meinen Chef zu informieren, weiß aber nicht, ob das unbedingt nötig ist.

Ich muss sagen, dass mir das outen nicht wirklich viel gebracht hat. Bis auf eine Freundin wird das Ganze als Stressbedingte Anspannung angesehen (Stress spielt sicher seine Rolle, reißt das Thema aber nur sehr oberflächlich an). Meine Eltern haben das „Outing“ als Anlass genommen überall nach einem Fehler zu suchen den sie gemacht haben können, bzw versuchen Emotionen zu provozieren, da ich als Depri sowas brauche.,…

Aber ich denke, dass es hilfreich sein kann, wenn das Umfeld angemessen reagiert. Vor allem bin ich froh, dass ich weniger gezwungen bin meine Maske zu tragen, auch wenn ich sie aus reiner Gewohnheit doch öfters aufsetze.

Grüße
Sada
Salvatore
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Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von Salvatore »

Hallo paco,

ich konnte auch nicht von Anfang an so offen sein, da ich sehr lange gebraucht habe um selber zu akzeptieren, dass ich an Depressionen erkrankt bin. Ich hatte (und habe) eine unterschiedlich starke Flut von Emotionen, die alle schwierig zu zu erleben waren/sind. Auch Schuldgefühle und Scham waren mit dabei.
Ich verstehe auch, dass es dir als Mann noch sehr viel schwerer fällt, es ist mit Sicherheit so, dass es bei Frauen - dem schwachen Geschlecht - von der Umwelt nicht so schwergenommen wird.
Zudem gibt es einige Berufsgruppen, in denen ein offener Umgang mit psychischen Erkrankungen nahezu unmöglich ist.

Ich habe mich ja inzwischen sehr intensiv mit dem Thema Depressionen und Angsterkrankungen auseinandergesetzt und habe mit der Scham darüber abgeschlossen. Das ist kein Schuh mehr, den ich mir anziehe.

Ich glaube auch nicht, dass es etwas gibt mit dem sich Depressionen verhindern lassen. Klar kann (und als Betroffener sollte) man versuchen, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Es gibt kein Depressions-Gen, daher ist es nicht gesagt, dass unsere Kinder ein ähnliches Schicksal trifft.
Sicherlich haben wir ein schärferes Auge für die ersten Anzeichen und können bei unserem Nachwuchs hoffentlich rechtzeitiger eingreifen als andere Eltern. Aber hier liegt ja auch die Gefahr der selektiven Wahrnehmung - vielleicht ist mein Kind einfach bloß müde und ich erkenne darin mit Schrecken die ersten Anzeichen einer Depression...

Ich wünsche dir, dass du etwas nachsichtiger mit dir bist. Es muss nicht so sein, dass du Schuld und Scham empfindest.

Lg, Salvatore
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lowrider60sec

Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von lowrider60sec »

Hallo paco,

>>mich würde mal interessieren, wie Ihr es mit dem Wissen um Eure Depri haltet: wissen Eure Angehörigen, Freunde, Bekannten davon oder haltet Ihr sie geheim?>>

Bei mir war das ein sehr sehr langer Prozess, bis ich mich getraut habe, und auch die Fähigkeit hatte, über meine Depressionen zu sprechen.
Meinen Kindern habe ich es offen erklärt, als sie 13/15 waren - vorher war ich ein sehr guter Schauspieler. Was aber auch den Vorteil hat, dass man sich selber immer wieder am Riemen reissen MUSS.
Ich denke, es hat auch sehr viel mit dem Selbstwertgefühl zu tun, wie weit man offen mit den Mitmenschen reden kann. Bei mir war das jedenfalls so.
Heute gehe ich ganz "lose" damit um. Klar, es ist wie mit Allem, an Tagen mache ich sogar Witze darüber, kann sehr selbstironisch sein - an anderen Tagen soll aber bitte niemand darauf ansprechen.

Hoffe dir ein wenig hilfreich zu sein.

lowrider
paco
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Registriert: 19. Jan 2011, 11:06

Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von paco »

Vielen Dank für Eure Antworten. Ist ja interessant, welche Verhaltensweisen Ihr an den Tag legt und welche Erfahrungen Ihr macht.

Eure Antworten zeigen mir: die Krankheit ist stigmatisiert. Das legt sich erst langsam. Ein toter Fußballprofi hilft da nicht viel. So locker wie man einen eingegipsten Fuß zeigt, geht keiner mit der Depri um. Je mehr Depris um sich greifen, umso leichter kann man sich auch dazu bekennen.

Ich werde vorerst weiter hinterm Berg halten, weil ich mir sonst berufliche Chancen vermassle. Ich weiß, das kostet Energie. Früher oder später muss ich meinen Kindern gegenüber Klartext spreche. Allein schon, damit, sollten sie erblich vorbelastet sein, sie ihre Depri sofort erkennen, wenn sie auftritt. Ich will ihnen da was ersparen, was mir nicht erspart blieb.

Ich hoffe, bei mir findet die Depri-Geschichte bald ein gutes Ende. Das wünsche ich Euch allen auch.

LG paco
Thaleia
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Registriert: 26. Jan 2011, 23:25

Re: Outen oder verbergen?

Beitrag von Thaleia »

Hallo!
Die Idee mit der Maske gefällt mir. Also der Ausdruck, nicht die Idee. Weil ich jetzt Worte dafür finde, was ich mache. Mich sehen immer alle als lebensfrohes, aufgewecktes Mädchen, was (fast) immer gute Laune hat. Sobald ich alleine bin, oder mit jemandem, der mich versteht.

Bei mir wissen es meine Eltern, mein Freund, ein paar ausgewählte Freunde und mein Mathelehrer. Dabei muss ich sagen, dass mein Freund und mein Mathelehrer am besten reagiert haben.

Das hört sich jetzt vllt erstmal etwas eigenartig an, dass ich es meinem Mathelehrer gesagt habe, aber ich habe in der Schule zu diesem Zeitpunkt kaum mehr was auf die Reihe bekommen aufgrund meiner Konzentrationsschwierigkeiten und ihn kannte ich schon länger und habe ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Er reagierte absolut super, nahm mich in den Arm, schrieb mir eine Email, dass ich dem ganzen Zeit geben muss, und das anders als ein gebrochenes Bein ist, was man ja sieht. Das hat mich wirklich sehr positiv überrascht und mir viel Kraft gegeben.

Ansonsten halte ich das z.B. vor den Eltern meines Freundes geheim, da ich Angst habe, von ihnen als verrückt abgestempelt zu werden. Wenn mich jemand darauf ansprechen würde, wäre ich natürlich auch ehrlich. Aber es muss ja tatsächlich nicht jeder wissen, das ist ja doch eine persönliche Angelegenheit.

Ich habe aber gemerkt, dass unterschiedliche Freunde auch unterschiedlich damit umgehen. Mein bester Freund z.B., mit dem ich sonst über alles reden kann und der mir auch Geborgenheit usw geben kann, scheint die Depression nicht so ernst zu nehmen. Also ich glaube schon, dass er sie ernst nimmt, aber er kann einfach damit nicht umgehen.

Alles Liebe
Thaleia
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