Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

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kiwilana
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Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von kiwilana »

Hallo liebe Forianer,

erstmal edit: Wem der Anfangstext zu lang/anstrengend ist, kann zum zweiten Beitrag "hüpfen" (dadurch wird nichts unlogisch - die anderen fassen sich nur kürzer und es geht dann um einzelne Punkte/Zitate und neue Gedanken). Ursprünglich war der Beitrag eine Antwort an anderer Stelle, das erklärt den Wortlaut. LG, Kiwi

Also: "dass der Mensch nunmal ein soziales Wesen ist und in einer Beziehung zu seiner Umwelt steht, sehe ich auch so. Ich habe mal gelesen, dass der Mensch durch andere sich selbst erfahren kann - sich indem, wie andere auf ihn reagieren und ihn spiegeln, versucht, sich selbst zu erkennen. Wobei man das noch genauer ausführen müsste. Denn der Mensch IST ja nicht unbedingt das, was andere ihm spiegeln, sondern er muss auch infolge der erfahrenen Spiegelungen lernen, sich selbst zu reflektieren, um heraus zu finden, welche der Spiegelungen er als stimmig empfindet und sich selbst auch wirklich zuordnen würde (im Sinne der Ausformung einer eigenen Identität) und welche Spiegelungen sich fremd und nicht einem selbst zugehörig anfühlen. Wobei man Letzteres auch wieder reflektieren müsste. Da es auch (oft unbewusste) Abwehr-Mechanismen gibt, die dazu führen, zu denken: "Nein, so bin ich nicht!", weil man sich z.B. (unbewusst) zu schützen versucht (z.B. manch eine negative Eigenschaft an sich selbst nicht wahrhaben möchte).

In der Resonanz durch andere - also dadurch, dass und wie andere auf uns reagieren UND dazu noch, wie der andere sich selbst als Mensch sieht und sich selbst uns gegenüber ausdrückt - können wir wie schon gesagt erfahren und spüren, welche Anteile oder Eigenschaften wir zu uns selbst zählen würden und welche nicht.

Hätte der Mensch keine Kontakte zu anderen Menschen - wäre er also nicht sozial, sondern isoliert - würde ihm diese Möglichkeit fehlen. Was, so wie ich es verstanden habe, dazu führt, dass eine eigene Identität sich nicht entwickeln kann - oder bei späterer Isolation dazu führt, dass die eigene Identität nicht mehr im Zusammensein mit anderen erfahren wird und somit nicht mehr spürbar ist. So fühlt man sich z.B. formlos oder undefiniert, unklar, wie aufgelöst oder sogar wie nicht existent (ich finde, das passt sehr gut zu dem, wie ich mich durch meine sozialen Rückzüge aufgrund der Depression oft fühlte). Ich weiß dann nicht, wer ich bin - und verliere mich. Mein Ich wird immer unbewusster und ist kaum noch greifbar - oder gar nicht mehr.

Das dumme an dieser Mensch-Umwelt-Beziehung ist also nicht, dass wir mit anderen Menschen zu tun haben. Wir brauchen andere Menschen, um uns selbst zu spüren und zu erfahren. Eigentlich in einem positiven Sinne, um eben ein eigenes Ich bilden zu können und uns dadurch IN UNS SELBST gefestigt und sicher fühlen zu können. Eigentlich etwas sehr Schönes.

Was diese Mensch-Umwelt-Beziehung angeht, sind da nur leider noch diese Werte und Normen, die jeder hat. Wir verinnerlichen von Kindheit an, die Werte und Normen unserer Eltern und dem näheren Umfeld. Und wir verinnerlichen auch Werte und Normen, die in einer Gesellschaft vorherrschen - einmal diejenigen, die unsere Eltern für sich angenommen, verinnerlicht und an uns weitergegeben haben. Und dann noch die, die wir durch Freunde, deren Eltern, später auch Arbeitskollegen und Chefs und vor allem auch durch die Medien vermittelt bekommen.

Als Kind können wir nicht bewusst reflektieren und darüber entscheiden, ob wir diese oder jene Werte und Normen auch wirklich selbst so sehen und gut finden. Ab einem bestimmten Alter können wir dann zwar bewusster wahrnehmen und beurteilen, was wir gut oder schlecht finden. Aber aufgrund der Tatsache, dass ein Kind alleine nicht in der Lage ist, zu überleben - und sich demnach auch anpassen muss, um sein Überleben zu sichern - ist es Kindern nahezu unmöglich, frühzeitig eigene Vorstellungen und Einschätzungen von gut oder schlecht oder richtig oder falsch für sich selbst zu leben und auszudrücken, wie SIE es gerne möchten.

Da die Kindheits- und Jugendphase und die darin enthaltene Abhängigkeit von anderen/älteren Menschen, sich nunmal über einen jahrelangen Zeitraum zieht - und ein ständiges sich bewusst machen bzw. daran denken, was man SELBST eigentlich als gut = Wert und normal = Norm ansehen möchte, sehr sehr schmerzhaft sein kann (umso mehr sich diese von den Werten und Normen der Familie und der Gesellschaft unterscheiden)... Lange Rede, kurzer Sinn: Da es zu Problemen führen kann, wenn man versucht so zu leben und zu sein, wie man selbst es möchte, tut man dies sehr oft nicht. Dieses sich selbst nicht treue Verhalten beginnt in der Kindheit, festigt sich über die Jahre immer mehr und wenn einem dies irgendwann bewusst wird (und einem z.B. auch in Form einer Depression um die Ohren fliegt, weil das tiefste unbewusste Innere eben IMMERNOCH weiß, wie es ist bzw. sein möchte)... Dann steht man als Erwachsener da und guckt sich ganz schön um. Ich würde z.B. auch die sogenannte Midlife-Crises zu solchen Bewusstwerdungs-Prozessen zählen.

Was die Angst angeht, sehe ich es so, dass es ab dem Moment bzw. in den Momenten, in denen man spürt, wie man eigentlich sein möchte (oder zumindest spürt, was man nicht möchte), nun wichtig wäre, die Angst davor zu überwinden, so zu sein, wie man es möchte. Konnten wir als Kind oder Jugendlicher dies nicht ausleben, weil es negative Konsequenzen hatte, wäre es doch jetzt als Erwachsener zumindest einen Versuch wert. Nur leider kann es auch im Erwachsenen-Leben negative Konsequenzen haben, wenn man versuchen würde, anders - sich selbst treuer - zu leben.

Solche sozialen Kontroll-Mechanismen, diese ganzen Werte und Normen, die eine Gesellschaft vorgibt und die sehr stark durch die Medien vermittelt werden, stellen ein riesen Problem für die individuelle Zufriedenheit vieler Menschen dar. Die Medien werden ja sehr stark dadurch gelenkt und beeinflusst, was einer Gesellschaft wirtschaftlich nutzen kann. An sich ist das auch kein böser Grundgedanke. Denn eine Gesellschaft, die nicht wirtschaftlich ist, kann nunmal auch verarmen. Und das widerrum kann zu einem Zusammenbruch des sozialen Gefüges und Zusammenhalts, zum Kampf um das nackte Überleben und zu (Bürger-) Kriegen führen.

Aber der Mensch ist mehr, als nur ein Körper, der Nahrung braucht, um zu überleben. Natürlich strebt eine Gesellschaft auch noch geistigen Austausch, Kultur usw. an. Aber der wirtschaftliche Aspekt einer Gesellschaft ist der wichtigste, weshalb dieser Teil in Medien & Co auch den höchsten Stellenwert hat. Nun ja, das ist wohl nichts Neues, dass aus fast allem versucht wird Profit zu schlagen. Das Problem ist nur, dass dadurch wichtigere und ursprünglichere - nämlich MENSCHLICHE - Werte und Normen in Vergessenheit geraten. Selbst wenn es um das Bedürfnis geht, sich wohlzufühlen bzw. zu entspannen: Wie viele Menschen glauben der Werbung und den Medien, dass sie dafür einen Wahnsinns-(teuren)-Urlaub brauchen, man nur in diesem einen (teuren) Auto ein wirklich wahres Freiheits-Gefühl haben kann und unbedingt diese erfrischende (und teure) Gesichtscreme braucht. Die ganz normale Natur, Felder und Wiesen zum entspannen, die Sonne vor dem Haus und die Menschen, mit denen man einfach nur zusammen sein könnte, werden in der Werbung nicht erwähnt.

Das Problem ist also, dass die Medien bzw. die Werbung uns auf psychologisch sehr professionelle und subtile Weise das Bild eines unbedingt anzustrebenden Lebens vorgeben, dass jedoch in Wahrheit nur auf Konsum und Profit abzielt - nicht darauf, ob wir uns wirklich wohlfühlen, wenn wir dieses oder jenes Produkt kaufen. Vielen Herstellern (wenn nicht sogar den meisten) ist unser Wohlbefinden vollkommen schnurz piep egal. Und nicht nur das. Selbst wenn ein Produkt dem Wohlbefinden schaden kann - der Gesundheit schaden und krank machen kann - interessiert das viele nicht. Hauptsache Profit. Meine Mutter las mal auf einer Anti-Rheuma-Badeöl-Flasche, dass darin ein E-Stoff enthalten ist, von dem bekannt ist, dass er krebserregend ist. Andere Skandal-Geschichten kennt ja jeder selbst. Und es kaum möglich, sich wirklich zu schützen.

Ich leide auch heute noch unter dieser Unmenschlichkeit. Jetzt aber erstmal: Was hat das alles noch mit Depression zu tun - und was soll mir das bringen? Also:

Die wenigen, die erkannt haben, dass ein Auto, ein cooler Job (der möglichst noch gutes Geld einbringt), ein bestimmtes anerkanntes Image und eine Verleugung der Tatsache, dass es eben auch normal ist und zum Leben dazu gehört z.B. mal krank zu sein und irgendwann älter und schwächer zu werden... Die, die das erkannt haben und spüren, dass das Streben nach ständigem Wohlgefühl, Leistungsfähig-Sein und Jung-Bleiben, sie nicht erfüllt, weil es einfach die Realität und die Schattenseiten des Lebens ausblendet, haben es nunmal schwer in dieser Gesellschaft.

Ich weiß leider nicht mehr, wo ich das gelesen habe (evtl. Rüdiger Dahlke), aber Depressionen treten vor allem bzw. häufiger in Gesellschaften auf, in denen diese Schattenseiten des Lebens - die aber nunmal natürlich und menschlich sind (!) - verleugnet und aus dem Bild verdrängt werden (Schwäche, Kranksein, das Alter, das Thema Leid und Tod). In primär buddhistischen Ländern, in denen das Thema Leid aufgrund der Lehren des Buddhismus nicht verleugnet wird, treten viel seltener Depressionen auf. Sogar in den Ländern der dritten Welt, treten viel seltener Depressionen auf - denn dort ist es aufgrund der Lebensumstände einfach nicht möglich, das Thema Leid und Tod "unter den Teppich" zu kehren.

Depressionen, deren Ursache nicht ausschließlich in der Biologie, der Herkunftsfamilie oder einem bestimmten Trauma liegt, können demnach einen Zusammenhang damit haben, dass in dieser unserer Gesellschaft "alles" und "jeder" auf Leistung, Stärke, Vitalität, Erfolg, Jugendlichkeit, Status, etc. und dadurch auf das Bekommen von Anerkennung und Bestätigung aus ist. Zum Wohle des Erhalts einer (wirtschaftlichen) Gesellschaft, letztendlich aber auf Kosten von Menschlichkeit, Natürlichkeit und inneren, ganz eigenen Werten und Normen. Denn diese müssen dafür von all jenen Menschen erstmal - oder nach Kindheit und Jugend einfach nur weiter - verdrängt werden, um sich in diese Gesellschaft einfügen zu können, in ihr anerkannt zu werden und in ihr bestehen zu können.

Somit kann man eine Depression und vor allem den Anstieg von Depressionen (die keine biologische, familiäre oder traumabedingte Ursache hat) auch als sehr deutliches Anzeichen dafür sehen, dass Menschen in einer Gesellschaft wie dieser - zumindest auf Dauer - nicht gesund bleiben können. Trotzdem können wir etwas dagegen tun, indem wir etwas für uns selbst tun. Ein Baum wächst nicht einem Tag zu voller Größe. Ebenso können wir uns selbst und eine solche Gesellschaft nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Aber so, wie ich das alles sehe und verstehe, liegt der Schlüssel - gerade auch bei Depressionen - dann darin, herauszufinden, was man UNABHÄNGIG von dieser Gesellschaft und den verbreiteten Werten und Normen, NUR FÜR SICH ganz persönlich, wichtig und gut findet. Was hat Wert für mich? Was wäre abgesehen von dem "normalen" alltäglichen Wahnsinn da draußen, meine ganz persönliche anstrebenswerte Norm? Und die Angst zu überwinden, diese Werte und Normen auch zu leben, zuzugeben, zu ihne und somit zu sich selbst zu stehen - gerade auch vor anderen. Denn dadurch könnte sich endlich oder wieder unsere innere ganz eigene Identität festigen. Die, die WIR haben und sein möchten. Nicht die, die von uns erwartet wird und deshalb falsch ist - und sich auf Dauer schlecht anfühlt und sogar krank macht. Echt sein, wirklich man selbst sein zu dürfen, muss man sich selbst gegenüber erstmal erlauben. Der Druck in der Gesellschaft ist hoch, genauso wie sicherlich auch in vielen Familien, bei Freunden, etc. Deshalb: Wie kann ich meine Angst überwinden, mehr ich selbst zu sein und mich etwas zu trauen, dass ICH möchte oder von dem ich denke, DAS BIN ICH (und keine aufgesetzte, anerkannte Rolle)?

Ich denke, die Antwort darauf ist: Wenn ich es versuche, kann ich zwar auf Probleme und sogar Verluste stoßen (umso mehr meine Vorstellungen, Wünsche und mein eigenes Selbstbild von dem gängigen und anerkannten abweichen - und umso mehr mein Umfeld nach diesen gängigen Vorstellungen lebt und an diesen festhält). Doch was passiert, wenn ich es nicht versuche?

Dann bleibt wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit alles beim alten.

Und wenn ich mich im Jetzt und Hier schlecht fühle, Depressionen habe, keinen Selbstwert habe, kein Interesse an den Dingen die mich umgeben, keinen Antrieb, ständig Grüble, aber nicht handle, mich unterordne, funktioniere und leide... Dann habe ich kein schönes Leben. Und wenn dieses Leben so bleibt, weil ich Angst vor Veränderungen habe, Angst davor zu mir zu stehen und dafür abgewiesen zu werden, jemanden oder etwas dadurch zu verlieren, usw. Was verliere ich aber, wenn alles beim alten bleibt? MEIN GANZ EIGENES LEBEN UND MICH SELBST.

Fühlt sich die Depression nicht für viele genau so an: Sein Leben verloren zu haben? Nicht mehr so sein zu können, wie man sein möchte? Für mich schon. Deshalb betrachte ich die Depression auch als Botschaft und Aufruf meiner Seele an mich selbst, nochmal ganz genau zu gucken, ob ich vor der Depression wirklich ICH war. Ich dachte es immer, aber nein, bei näherem hingucken, war ich absolut abhängig und angepasst. Das geht eine zeitlang gut. Aber mein wirkliches inneres Selbst will etwas anderes (sein). Und auf diesem neuen Weg, auf dem ich immer wieder überprüfe "Bin das ich?", "Ist das meins?", "Fühle ich mich damit wirklich gut? Oder wirkt es doch wieder nur äußerlich betrachtet gut?" usw... Auf diesem eigenen Weg geht es mir langsam besser. Auch wenn das in dieser Gesellschaft nicht leicht ist. Es ist der einzige Weg für mich. Alles andere hatte mich krank gemacht.

Alles Liebe, Kiwi"
wennfrid
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Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von wennfrid »

Hi Kiwi
Ich sehe es genauso.
Der Mensch braucht andere Menschen, damit sich seine Persönlichkeit entfalten kann. Als Kind braucht er eine liebevolle und ehrliche Familie, die die persönliche Entfaltung unterstützt. Ist dies nicht der Fall, bildet sich ein strenges "Über-ich", das Perfektheit fordert. Schuldgefühle sind vorprogrammiert. Das "Über-ich", nimmt als Ersatz materielle Werte. Diese Werte werden verglichen und angestrebt, die menschliche Persönlichkeit ist und bleibt verkümmert.
Der Mensch, ein kompliziertes, aber interessantes Wesen.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Secret
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Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von Secret »

"Die wenigen, die erkannt haben, dass ein Auto, ein cooler Job (der möglichst noch gutes Geld einbringt), ein bestimmtes anerkanntes Image und eine Verleugung der Tatsache, dass es eben auch normal ist und zum Leben dazu gehört z.B. mal krank zu sein und irgendwann älter und schwächer zu werden... Die, die das erkannt haben und spüren, dass das Streben nach ständigem Wohlgefühl, Leistungsfähig-Sein und Jung-Bleiben, sie nicht erfüllt, weil es einfach die Realität und die Schattenseiten des Lebens ausblendet, haben es nunmal schwer in dieser Gesellschaft."

Genau das hat mich bei meinen letzten Bürojobs kaputt gemacht!

Aber: ich habe oft gehört "Das Leben ist kein Wunschkonzert."

Wenn wir uns selber treu wären müssten wir Sicherheit aufgeben, wie viele Arbeitnehmer würden lieber ihren Job schmeissen und sich selber verwirklichen? Aber was tut man nicht alles für Geld. In vielen modernen Betrieben kann man die Arbeitsverhältnisse auch moderne Sklaverei nennen!

Wenn ich herausfinde was ich gerne möchte, was für Konsequenzen hätte das?

Warum träumen so viele Menschen von 6 Richtige im Lotto und würden ihren Chef dann mal richtig die Meinung sagen und in den Sack hauen?

Meine Gedanken kreisen momentan ständig darum wie ich es anstelle den machbaren und für mich tragbaren goldenen Mittelweg zu finden, denn: Das Leben ist leider nicht gerecht und auch kein Ponyhof.

Dein Satz man bekommt Depressionen wenn man sich selber nicht treu bleibt gibt mir zu denken: Denn momentan befinde ich mich in einer Sackgasse. Weder das eine extrem (nur Hausfrau? Harz 4) oder das andere (Karrierefrau, Workaholic bis zum Umfallen) kommt für mich in Frage.

Was denkst Du wie man das anstellen kann sich selber treu zu bleiben und trotzdem gesellschaftlich nicht total ins Abseits zu geraten? Und das ohne 6 Richtige im Lotto oder einem verstorbenen Erbonkel ?

LG
M.
LG

Secret
ghm
Beiträge: 1665
Registriert: 25. Dez 2010, 12:38

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von ghm »

Hallo Kiwilana,

(Was bekommst Du Zeilenhonorar?)
Vielen Dank für Deine viele Arbeit.
Ich kann Dir nur beipflichten.

Also heisst das dann für uns raus aus den Verstecken? Rein ins Leben?

Ich glaube das ist etwas für die etwas "Fortgeschritteneren".
Ich lese, auch hier im Forum, "dann habe ich Angst die Wahrheit zu sagen".
Aber ohne Wahrheit komme ich nicht zu mir.
~~ Göttin, lass es Hirn vom Himmel regnen (und nimm den Menschen die Regenschirme weg) ~~
Carrion
Beiträge: 317
Registriert: 13. Dez 2010, 08:13

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von Carrion »

Okay, das war ein LANGER Text. Und ich habe ihn ganz gründlich gelesen und mir Notizen gemacht die ich jetzt versuche in einen - ebenfalls gaaaaanz langen - Text zu packen. Achtung: Ich gehe nur – oder überwiegend - auf die Sachen ein denen ich widerspreche, sonst wird der Text dreimal so lang …
Also…

>Die Definition des eigenen Selbstbildes im Umgang mit anderen

Teilweise ja. Durch die Abgrenzung zu anderen erfahren wir wo wir gleich und wo wir anders sind, also wo unsere „Schneeflockenqualitäten“ liegen. Dabei kann die Erkenntnis in beide Richtungen hilfreich und angenehm sein. „Ja, ich gehöre auch zu dieser Spezies“, oder aber „Nein, da bin ich etwas ganz Besonderes“. Besonders für Kinder ist beides wichtig aber das passiert ja praktisch automatisch.

>Du fragst was wäre wenn der Mensch isoliert werden würde….

Ich denke, wenn der Mensch isoliert wäre würde sich trotzdem ein Bewusstsein ausbilden. Nur eben kein soziales Bewusstsein. Aber die Umwelt prägt immer. Also nein, da würde ich nicht zustimmen. Ich denke aber auch an teilweise, also zweitweise Isolation. Denken wir an Kaspar Hauser, da hatten wir ein Beispiel für eine Totalisolation. Allerdings gibt es dazu – gottseidank – keine Experimente. Das Problem wäre schon mal die Einschränkung der Sprache, denn die kann man nun wirklich nur im Kontakt mit anderen erlernen, denn Sprache wird ja erst notwendig durch den Wunsch sich mitzuteilen, also muss da auch ein Gegenüber sein. Die zweitweise Isolation in einer Depression, also dieses sich-getrennt-fühlen, das Anderssein so stark empfinden dass es fremd ist… ich glaube nicht dass es aus dem sozialen Rückzug resultiert, sondern dass dieses Gefühl dazu führt dass man sich zurückzieht (abgesehen von dem Zurückziehen dass aus dem Gefühl heraus entsteht dass man total überfordert ist und sich aus der Schusslinie bewegen will). Es macht ja keinen Sinn mehr Kontakt zu haben, es gibt einem nichts und man empfindet sich als Last, empfindet diese Diskrepanz zwischen sich und den anderen also so schmerzhaft, dass man sich dem nicht aussetzen will. Daher: Rückzug. Dieses mangelnde Empfinden der eigenen Persönlichkeit wiederum in Verbindung mit dem sozialen Rückzug macht total Sinn. Allerdings denke ich dass die Ränder - wenn du so willst (du hast formlos gesagt)- schon vorher unscharf waren, dass das aber im ständigen Kontakt mit andern nicht so aufgefallen ist, weil die anderen für uns vermeintlich unsere Grenzen gezogen haben.

>Dann sprichst du von Prägung und Werten

Ja, es stimmt, Kinder können das nicht klar unterscheiden. Ihnen werden Werte praktisch „eingeimpft“. Allerdings kann man Kinder auch anders erziehen. Man kann sie ermutigen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass ihre Meinung wichtig und richtig ist. Dann geht das schon denke ich, aber das sind dann „unbequeme“ Kinder, aber wundervolle Erwachsene. Es ist also im Ansatz etwas falsch wenn Kinder einfach nur Werte vorgesetzt bekommen, die sie zu „schlucken“ haben. Deswegen könnte ich immer kotzen (entschuldigt), wenn ich Kinder sehe die „Warum“ fragen und Eltern höre die sagen: „Weil ich das sage“. Was soll denn das sein?
Wenn also den Kindern vermittelt wird, dass sie nur angenommen und akzeptiert werden, wenn sie „wie alle“ oder zumindest wie der Rest der Familie sind, dann ist faktisch das Überleben bedroht. Und dann gilt die Devise: Anpassung um jeden Preis. Dann wird man ein Jugendlicher und da sehe ich diese Abhängigkeit von der Gruppe viel stärker. Da ist man unsicher, aber das sind dann vielleicht auch die Früchte die man/die Gesellschaft/die Eltern bereits in der Kindheit gesät haben. Dem folgenden stimme ich 100% zu:

> Lange Rede, kurzer Sinn: Da es zu Problemen führen kann, wenn man versucht so zu leben und zu sein, wie man selbst es möchte, tut man dies sehr oft nicht.

Man verstellt sich. Und das wird einem irgendwann bewusst – sagt Kiwi – und dann kann es zu einer Depression kommen. Aber das heißt, so wieder dein Text liebe Kiwi – dass ein Teil in einem weiß, was man wirklich will.
Und hier liegt die große, einzigartige Chance: man kann es noch weiß es noch, dass es da etwas eigenes, echtes gibt und versucht nun (okay, verzweifelt) darauf Zugriff zu erhalten. Da sind wir wieder bei Depression als Chance (Gregor hatte dazu auch mal etwas in der Richtung gesagt, was ich sehr gut fand). Und dann haben wir es erkannt und nun?

>Du fragst nach der Angst die man hat Althergebrachtes zu hinterfragen und es zu überwinden, alte Muster zu ändern, neue Weg zu gehen….

Ich frage mich: Hätte es denn so viel Konsequenzen? Sind es nicht eher die Monster die immer noch unter dem Bett leben die wir fürchten? Die die gar keine Macht mehr über uns hätten, wenn wir nicht so viel Angst vor ihnen hätten?

> Du schreibst den Medien einen Teil Mitschuld zu….

Ja natürlich, irgendwie. Aber die Medien spiegeln auch die Gesellschaft wieder. Da gibt es durchaus eine Wechselwirkung. Es ist zu leicht alles auf „die Medien“ zu schieben (gut, als Medienwissenschaftlerin MUSS ich das sagen… *g*). Die Medien sind nicht allmächtig. Und die Medien existieren nicht um uns das Leben leichter zu machen. Auch die Werbung nicht. Natürlich nicht. Also dürfen wir sie auch nicht so ernst nehmen. Die helfen uns nicht weiter: das Duschgel nicht, das Auto nicht, die Sportschuhe nicht. Aber das müssen WIR wissen. Das ist als ob ich einer Rose vorwerfe, dass sie nicht als Spülbürste taugt…

> und dann hat man erkannt, dass das ständige mehr, teurer, hochklassiger nicht alles ist – und dann? Du sagst, dann hat man es schwer in der Gesellschaft.

Aber wenn ich das erkannt habe, dann bin ich doch gar kein Teil der Gesellschaft mehr zumindest nicht in den zentralen Werten; wenn man es wirklich erkannt hat, ist man dann nicht einfach glücklich und lässt es sich eben nicht schwer machen? Schwer ist es doch nur wenn ich daran zweifle ob meine Erkenntnis die richtige ist? SO sehe ich das zumindest. Habe ich (Schneeflocke) recht oder doch die große blökende Mehrheit? Und sie ist ja so laut, muss sie da nicht Recht haben? Hat die Mehrheit nicht immer Recht?

> wie hängt das alles mit Depressionen zusammen?

Naja, ich denke ja, dass man anders ist, oder sich zumindest so empfindet. Dass man merkt dass man mit den Werten und Ansichten der Mehrheitsgesellschaft nicht glücklich wird. Und dann versucht man – verzweifelt und verzweifelter – den Normen gerecht zu werden, von denen man tief im Inneren weiß, dass sie doch eigentlich gar nicht die eigenen sind. Das kann einen wirklich zur Verzweiflung treiben und es ist ja auch so sinnlos, denn es wird eh nie wirklich gelingen.
Deinem Ende bezüglich des Findens der eigenen Norm, dem stimme ich wirklich 100%ig zu. Auch den Schlussfolgerungen. Schwer ist der Verlust den du angesprochen hast, denn Verluste sind unweigerlich, auch wenn es nur Scheinverluste sind, denn man bekommt ja etwas besseres dafür: das eigene Leben, eine eigenes Selbst. Und auch wenn ich weiß, dass der von dir beschriebene weg der richtige ist, habe ich jeden Tag Angst davor….

Sophia

P.S.: Den Religionsteil habe ich rausgelassen. Das ist ein Punkt, aber kein wichtiger, finde ich. In Industriegesellschafte wird Religion eben immer unwichtiger und äußeres, Statussymbole etc. immer wichtiger-. Ich denke es hängt viel damit zusammen. In Japan zum Beispiel gibt es auch Buddhisten, allerdings haben da auch seeeehr viele Depressionen….
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Just before our love got lost you said “I am as constant as a northern star.” And I said, “Constantly in the darkness, where’s that?"
maribo
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Registriert: 10. Nov 2010, 00:24

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von maribo »

Hallo Kiwi, Hallo an Alle,

Trotzdem können wir etwas dagegen tun, indem wir etwas für uns selber tun.

Das ist für mich der Punkt.
Ich schaue zurück und überlege mir, will ich eigentlich mein altes Leben wieder haben. Das vor der Depression.
Das kann ich fast zu 100% verneinen.
Gut, es gibt natürlich Dinge, die ich selbstverständlich niemals mehr vermissen möchte, aber vom Grundsatz habe ich, wie du es beschreibst, liebe kiwi, ein an die Gesellschaft angepasstes Leben geführt.
Hinzu kommt, dieses Leben fand in der damaligen DDR statt, in einer völlig anderen Gesellschaftsordnung.
Da war das "WIR" ein Gesetz -- niemals nur das "ICH".
Das ICH für mich wichtig bin, es MEIN Leben ist, das hab ich erst in all den Jahren nach der Wende gelernt. Nachdem für mich, so zu sagen, mein ganzes vergangenes Leben in Trümmern vor mir lag.
Und da hab ich es kapiert!!
Da komme ich nur raus, wenn ich mich auf mich besinne, und für mich selbst etwas tue. Sorgsam, achtsam mit mir bin.
Das ist ein langer Weg, den ich nun immer noch gehe, mit Höhen und Tiefen.
Aber ich gehe.... Das ist entscheidend für mich!!
Wenn auch am Ende des Weges kein neuer Job, keine Chance, mein Leben noch einmal zu leben, warten, denn ich befinde mich inzwischen im Herbst meines Lebens, ist das für mich KEIN Grund aufzugeben!

Liebe Grüße __ maribo
______________________________
*ICH MUSS NICHT - ABER - ICH KANN*
kiwilana
Beiträge: 1622
Registriert: 14. Nov 2010, 14:10

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von kiwilana »

Hallo Fridolin, Secret, Gregor, Carrion und Maribo,

freu, hätte fast nicht gedacht, dass jemand es liest Hatte schon überlegt, den Thread wieder zu löschen (weil unzumutbar;) - aber dachte dann: "Nein, steh dazu - Jeder kann selbst entscheiden, ob er liest". Euch einen virtuellen Energie-Riegel für neue Kräfte

@ Fridolin: Ehrlichkeit der Eltern, finde ich wichtig. Meine Eltern waren/sind lieb, erklärten uns aber nicht, warum sie streiten (evtl. um uns zu schützen/rauszuhalten). In Kindern kann das aber viel auslösen, weil sie es nicht verstehen. Sie denken (evtl. unbewusst), sie haben Schuld, müssten lieber bzw. perfekter sein, etc.

@ Gregor: Zeilenhonorar, das wär`s
"Also heisst das dann für uns raus aus den Verstecken? Rein ins Leben?"
:: Würde ich schon sagen (juhu, kurz geschafft;)

"Ich lese, auch hier im Forum, "dann habe ich Angst die Wahrheit zu sagen".
Aber ohne Wahrheit komme ich nicht zu mir."
:: Ja, das denke ich auch. Zumindest die wesentlichen Wahrheiten, die einem nunmal wichtig sind: Sich da selbst zu unterdrücken und zu verstellen ist nicht nur anstrengend, sondern entfernt mich extrem von mir selbst.

@ Secret:
"Ich denke, wenn der Mensch isoliert wäre würde sich trotzdem ein Bewusstsein ausbilden. Nur eben kein soziales Bewusstsein."
::: Bin bisl unsicher, was du meinst, weil das Wort "selbst" nicht dabei war. Nur Bewusstsein, wäre für mich: Man spürt/sieht seinen Körper, kann wahrnehmen: "Da ist ETWAS". Aber sich als Selbst wahrzunehmen: "Da(s) bin ICH" geht nur mit anderen (evtl. reichen schon Tiere, weiß nicht).

Wer Lust hat, ich fand das hier ganz gut (Definitionen) > Selbstbewusstsein:
http://www.psychology48.com/deu/d/selbs ... stsein.htm
"Aber die Umwelt prägt immer. Also nein, da würde ich nicht zustimmen."
Ups, steh auf Schlauch. Missverständnis? Klar prägt die Umwelt
http://www.psychology48.com/deu/d/umwelt/umwelt.htm

Wegen Kaspar Hauser: Hätt ich voll gern nachgeguckt, statt komplizierte Definitionen, aber dann stand da, dass Kaspar Hauser sprechen und schreiben konnte und voll diskutiert wird, ob das mit der Isolation überhaupt stimmte. Er soll wohl paranoid und was weiß ich nicht noch alles gewesen sein und das nur behauptet haben. Sachen gibt´s.

Soweit erstmal (muss dringend was essen), den Rest beantworte ich dann bald noch! LG! Kiwi
Secret
Beiträge: 1423
Registriert: 16. Dez 2010, 16:15

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von Secret »

Hallo Kiwi,

>@ Secret:
"Ich denke, wenn der Mensch isoliert wäre würde sich trotzdem ein Bewusstsein ausbilden. Nur eben kein soziales Bewusstsein."
::: Bin bisl unsicher, was du meinst, weil das Wort "selbst" nicht dabei war. Nur Bewusstsein, wäre für mich: Man spürt/sieht seinen Körper, kann wahrnehmen: "Da ist ETWAS". Aber sich als Selbst wahrzunehmen: "Da(s) bin ICH" geht nur mit anderen (evtl. reichen schon Tiere, weiß nicht).>

Also ich weiss jetzt auch nicht was Du meinst, ich glaube das hat auch Carrion geschrieben.

Ich habe geschrieben,
Genau das hat mich bei meinen letzten Bürojobs kaputt gemacht!

Aber: ich habe oft gehört "Das Leben ist kein Wunschkonzert. usw.

Übrigens: warst Du gestern zum ersten Mal bei einer Selbsthilfegruppe genauso wie ich?

Möchtest Du darüber schreiben? Oder sollten wir das in einem gesonderten Thread?

Ich war da und werde auch weiterhin kommen, habe mich danach gut gefühlt und nicht so mit meinen Grübeleien alleine gelassen.

LG
M.
LG

Secret
Citralopram
Beiträge: 4
Registriert: 17. Jan 2011, 19:28

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von Citralopram »

zweiter Versuch.
War früher schon mal hier, hab aber vieles vergessen..., auch unter welchem Namen ich hier auftrat und das ist sicher gut so.
Habe den langen Text gelesen und mich gefragt, warum schreibt sie, was sie schreibt, warum so viel theoretisches, ja fast schon philosophisches und hilft es bei depressiven Schüben?
Wie auch immer, ich habe gelernt mich zu distanzieren, von diesem: "mein Auto, mein Haus, mein, was weiß ich nicht alles" . Und das, obwohl auch ich einmal so erzogen wurde, immer darauf zu achten, dass mich der Teil der Gesellschaft, der mich umgab, immer gut leiden konnte. Hat mich fast umgebracht und mir viele starke depressive Schübe beschehrt.
Heute, nach bald 30jähriger ambulanter und stationärer therapeutischer Erfahrung, lerne ich, das, was von mir - bevor die Fremdbestimmung anfing - übrig geblieben ist, zu lieben. Das ist sicher noch ganz wenig, aber gibt mir ein gutes Gefühl.
Lebe trotzdem nicht wie Diogenes in der Tonne, sondern oberflächlich betrachtet, bürgerlich unauffällig aber mehr und mehr bewusst. Damit geht es mir richtig gut. Bin dabei die ambulante Therapie zu beenden, nehme keine Medikamente mehr und versuche jeden zufriedenen Gedanken festzuhalten.
Weiß nicht, ob das jetzt hierzu passt, versteh mich ja selbt kaum, wollte aber einfach so antworten, wie es mir jetzt aus den Fingern auf die Tasten schlug.
und tschüss
Rottweiler
kiwilana
Beiträge: 1622
Registriert: 14. Nov 2010, 14:10

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von kiwilana »

Hi Secret!
ups, i hab di aus Versehen mit Carrion verwechselt, also eure Texte. Sorry!
Cool, dass deine Selbsthilfe so gut war, meine war nicht so dolle, naja. Melde mich dazu später nochmal und wollt ja auch noch den Rest beantworten. Ich antworte jetzt aber erstmal Rottweiler, weil es mich grad selbst beschäftigt, warum ich so lange Texte schreibe.

@ Rottweiler: Hi! Ich fand sehr schön, was du beschrieben hast und fand es auch sehr klar und auf das Wesentliche gebracht, absolut nachvollziehbar. Das ist etwas, dass ich nur selten kann: Klar und auf das Wesentliche gebracht meine Gedanken nieder zu schreiben. Wenn ich anfange, habe ich oft eine Idee oder eher ein Gefühl - spüre irgendwie, worauf ich hinaus will - aber kann es noch nicht so recht in Worte fassen. Erst über das Schreiben bekomme ich mehr Klarheit - und sortiere meine vielen Gedanken dabei. Tja, das ist der Grund für meine langen Texte.

Dass ich oft theoretisch schreibe... Hm... Ich denke, dass mache ich deshalb, weil ich mich im Umgang mit meinen Gefühlen noch nicht sicher fühle. Unsicher bin, ob ich ihnen spontan auch wirklich vertrauen könnte. Weil ich jahrelang zwar viel gefühlt, aber mich selbst in all den Gefühlen nicht gespürt habe. Oft hatte ich sogar den Eindruck, dass ich Gedanken von anderen Menschen denke. Nicht als Stimmen, aber als ob ich wüsste, was andere über mich denken: Dass sie mich beäugen, dass ich komisch oder schlecht bin, etc. Naja, gehört wohl zur Depression und den sozialen Ängsten. Aber da hilft mir persönlich die Theorie jetzt sehr, Dinge, die in mir passieren zu verstehen und meine Gefühlen ein bißchen zu ordnen - grob gesagt nach eigenen und eher fremdbestimmten. Das ist mir unglaublich wichtig, weil mein spontanes impulsives Handeln der letzten Jahre meistens aus fremdbestimmten Gefühlen resultierte. Und das machte mich krank bzw. noch kränker. Ich wollte wohl irgendwelche Erwartungen erfüllen. Jetzt will ich einfach nur mein Leben leben und ich selbst sein - keine Rolle, kein Ideal von mir.

Liebe Grüße, Kiwi
Carrion
Beiträge: 317
Registriert: 13. Dez 2010, 08:13

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von Carrion »

Liebe Kiwi!

Ein Nachtrag: Gestern in meiner Sitzung meinte mein Arzt, dass Kinder bis 14 (!)alles aus der Umwelt annehmen und sich nur über diese definieren. Erst danach setzt das "eigene, kritische" Denken ein. Davor sei alles, auch die Fragen, harmlos. EIn lustiges Beispiel:

Ein Kind fragt: "Papa, warum trägst du eine Krawatte?" - "Weil ich in der Bank arbeite" und das Kind ist glücklich.

Ein Jugendliher sagt: "Mein Papa ist ein komsicher Kerl, er arbeitet in einer Bank und trägt jeden Tag eine Krawatte."



Bis 14 können wir uns sozusagen nicht "wehren" und nehmen alles einfach hin. Dann kommt die sensible Zeit in der wir unsere Persönlichkeit ausprägen. Ich kann für mich sagen. dass diese Zeit wirklich nicht gut lief in unserer Familie: suizidal Mutter (zumindest ständige Drohungen; nach Meinung meines Theras stark Borderline verdächtig) und ein Vater, der - weil ja getrennt lebend - an Weihnachten vorbeigeschaut hat und sich mit Geschenken freigekauft hat.

Das nur zur Ergänzung, von wegen eigenes Denken...

Liebe Grüße
Sophia

P.S.: Ich finde es großartig wenn hier auch längere Texte stehen mit denen man sich wirklich auseinandersetzen und die man durchdenken kann. Danke nochmal dafür!
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Just before our love got lost you said “I am as constant as a northern star.” And I said, “Constantly in the darkness, where’s that?"
Annettegehring
Beiträge: 293
Registriert: 29. Nov 2010, 07:53

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von Annettegehring »

Guten Morgen Carrion, liebe Kiwi, Rottweiler und allen!

Kann man das so genau abgrenzen?
Ich frage am Freitag mal meinen Therapeuten dazu, weil:
mich hat es genau einen Monat NACH meinem 14-ten Geburtstag "erwischt", da brach die Hölle los und meine Stiefmutter war der "Teufel"...
ich konnte mich in keinsterweise gegen ihre Übergriffe/Angriffe wehren, in der Zeit mit 15 dann habe ich auch das erste Mal "dissoziert" also über mehrere Stunden gleich, kein Wachbewußtsein, keine Möglichkeit mehr gehabt auf meine Umgebung zu reagieren.
Körperspannung alles da, hab auch gesprochen immer wieder dasselbe aber war wie im Autopilot-Modus.

Oh, Mann ich werde so leicht missverstanden, ich meine das nicht als Kritik, sondern Du merkst, ich ziehe da eine Anregung herauß, also
danke und
LG
Annette
kiwilana
Beiträge: 1622
Registriert: 14. Nov 2010, 14:10

Re: Wie kann ich in dieser Gesellschaft besser (über-) leben? Eine "Theorie"

Beitrag von kiwilana »

Hi Secret,
so, nach der ganzen verwechslung jetzt erstmal zu dir

> Dein Satz man bekommt Depressionen wenn man sich selber nicht treu bleibt gibt mir zu denken: Denn momentan befinde ich mich in einer Sackgasse. Weder das eine extrem (nur Hausfrau? Harz 4) oder das andere (Karrierefrau, Workaholic bis zum Umfallen) kommt für mich in Frage.
erstmal: natürlich weiß ich nicht, ob das allgemein stimmt, aber für mich und bei mir war und ist es so. und jetzt zu dir: also ich finde überhaupt nicht, dass das nach sackgasse klingt! du hast doch ganz klar beschrieben - also deutlich erkannt - was du nicht möchtest (nämlich das eine extrem nicht und das andere auch nicht). und dann hattest du selbst noch davon geschrieben, dass du den goldenen mittelweg gut fändest. und was kannst du daraus ziehen? (ich beziehe z.b. zurzeit leider (auch?) hartz IV, fühle mich aber noch nicht in der lage vollzeit zu arbeiten. also bewerbe ich mich für nachmittags als teilzeit).

mir hat es übrigens geholfen, mich mal ganz ehrlich zu mir selbst (aber auch sanft!) in alle meine lebensbereiche "hinein zu fühlen". und zu gucken, was dann passiert. was ich spüre, ob es mir gut geht, wenn ich an den oder den bereich denke. oder ob mir etwas fehlt und was genau das sein könnte. so eine art innere billanz. aber nicht, um sich alle negativen dinge vor augen zu halten und dann traurig zu sein. sondern um sich mal aufschreiben zu können, wo noch veränderungsbedarf wäre. und dann habe ich mir überlegt, was genau ich für eine änderung bzw. besserung der einzelnen punkte tun könnte, mit denen ich nicht ganz glücklich bin. also nicht auf den 6er im lotto hoffen. sondern versuchen zu verändern, was man selbst auch verändern kann. und die dinge, die man wirklich nicht ändern kann, versuchen zu akzeptieren.

so entstand eine schöne liste, an die ich mich halten kann. z.b. privat mit menschen und tieren kontakt haben, beruflich bürokraft (statt sozpäd), öfter mal rausgehen, mir selbst öfter mal was kochen statt pizza (weil mir das gut tut, das andere schwächt mich irgendwie), etc. und wenn es mir schlecht geht, kann ich gucken, ob ich davon (mal wieder) etwas habe schleifen lassen. dann versuche ich wieder mehr davon umzusetzen bzw. anzugehen und dann geht es mir meistens schnell besser.

so ungefähr hilft mir das. ich hoffe, das half dir ein wenig. und wie so oft: im thread "depression als botschaft" steht auch noch was in der richtung. liebe grüße, kiwi

PS: ich muss mir das antworten hier bißchen einteilen, die konzentration schwindet, also bis bald!
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