ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

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Olga
Beiträge: 70
Registriert: 4. Mai 2005, 10:35

ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von Olga »

Hallo Forum,

ich versuche gerade meine diffusen unguten Gefühle zu ordnen um rauszufinden, warum mich immer wieder die Depression heimsucht.
Ich komm einfach mit dem Leben, wie es hier so ist, nicht mit. Das überfordert mich zusehends. Ich mag keine Entscheidungen treffen ("Nudeln oder Reis?"), ich mag nicht unter Leute, allgemeines Unwohlsein wird immer öfter zu Angst mit Herzrasen, Zittern, Schmerzen beim Atmen.
Ich will einfach nur Zeit und in Ruhe gelassen werden. Es fühlt sich so an, als ob meine Schutzschicht gegen das Leben endgültig abgenutzt wäre und jeder kleinste Windhauch ungehindert mein innerstes aufwirbeln kann. Darum brauch ich Zeit: um meine Schutzschicht wieder zu regenerieren.
Da ist die Depression ja die passende Krankheit - eine Art Lebensverweigerung. Vielleicht ist es ja wirklich so! Vielleicht ist die Depression eine Art Wundverband, unter dem in Ruhe die Schutzschicht heilen kann.

Hm. Was meint Ihr?
Viele Grüße

Olga



Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund.

(Hildegard v. Bingen)

68
Beiträge: 57
Registriert: 1. Mär 2010, 12:00

Re: ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von 68 »

Hallo Olga,

Deine Worte haben mich sehr nachdenklich gemacht...

Vielleicht ist es ja auch die Schutzschicht, die Dich vom Leben trennt und Du deshalb depressiv bist?!
Ich empfinde es so für mich! Meine Schutzschicht war irgendwann so dick, dass ich gar keine Gefühle mehr hatte, nur noch Leere, und dann wurde ich krank.

Versuch doch mal die Schutzschicht (oder das "Schutzschild")etwas bröckeln zu lassen, damit das Leben wieder an Dich ran kommt und Du auch die schönen Dinge sehen kannst, denn die schönen Dinge können auch nicht durch die Schutzschicht dringen!

Ich wünsche Dir alles Gute!
Viele Grüße,
Schneeball
kormoran
Beiträge: 3276
Registriert: 29. Mai 2007, 21:56

Re: ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von kormoran »

liebe olga,

ich glaube, ich bringe heute keine richtig gute antwort zusammen. ich wollte dir aber gerne mitteilen, dass ich diese beschreibung so gut nachempfinden kann.
in dem bild ist das leben selbst und alles da draußen ein feind - und wir selbst sind ganz winzig und schutzlos, haben keinen raum mehr um uns, weil da der wind hereinfegt, die leute hereintrampeln, die anforderungen, was zu tun ist, präsent zu sein, aufmerksam, denkend, lernend, die wüten da alle.

es ist ein bisschen so, als ob gesunde menschen ein haus um sich hätten, wo sie ganz ruhig und geschützt schlafen, essen, sich ausruhen, ein buch lesen ... und sich sammeln. und dann gehen sie raus und erfüllen draußen sicher und kraftvoll ihre aufgaben, setzen sich mit anderen menschen auseinander. in dem zustand, wie du ihn beschreibst, brechen wände ein, fegt der wind bis in die küche, die arbeitskollegen und die auftraggeber stehen im wohnzimmer herum ...

so lange die depressiven symptome stark sind, ist es vielleicht einfach wichtig, das anzuerkennen und ganz bewusst schutzräume aufzubauen. sich die zeit zu nehmen, die man z.b. morgens braucht, um so weit wach zu werden, dass man sich sicher fühlt; die zeit, die es braucht, wieder "runterzukommen" nach der arbeit, einfach in die luft zu gucken, bis man sich selbst wieder spürt. bis man sozusagen mental alle bei der tür rausgejagt, die wände aufgestellt und das dach aufgesetzt hat: udn hier drin ist MEIN RAUM.

nächster schritt wäre dann, diesen seinen raum wieder ganz auszufüllen, bis er sich ausdehnt, bis die wände nicht mehr nach innen kippen ...

EDIT: sorry, verklickt - war noch nicht fertig

ich hab ein bisschen nachgelesen - du hast ja schon therapien gemacht und warst auch in einer klinik. ist dieses gefühl der schutzlosigkeit neu für dich oder hast du konkret schon mal dran gearbeitet?

ist es ein muster, das wiederkehrt, wo du vielleicht eher einen guten umgang damit suchst; oder ist es ein neuer aspekt, der dir vielleicht eine neue erkenntnis und damit einen weg zu einer neuen lösung, verbesserung zeigt?

hoffentlich hab ich nicht zu wirr geschrieben ...

liebe grüße
kormoranin
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*** zurück ins leben!
Olga
Beiträge: 70
Registriert: 4. Mai 2005, 10:35

Re: ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von Olga »

Hallo und danke für die Antworten!

Ich denke, dass meine Schutzschicht für mich wichtig ist um das Leben zu leben. Also keine Abgrenzung, im Gegenteil.

Der Vergleich mit dem Haus trifft es sehr gut. Und dieses Gefühl ist tatsächlich neu. Ich war in einer Tagklinik und zwei Jahre später für kurze Zeit stationär hier im BKH. Und jedes mal regeneriere ist sehr schnell und werde als arbeitsfähig entlassen. Und jedes mal breche ich wieder ein und die Abstände werden immer kürzer. Und die Symptome ändern sich: weniger psychisch aber dafür kräftige körperliche Beschwerden. Und jetzt ist noch so eine Angst dazu gekommen, das hat mich richtig umgehauen weil ich dieses Angstgefühl plötzlich wieder erkannt hab: die dauernde Angst, die ich als Kind hatte, dieses Gefühl ausgeliefert zu sein und nie wissen, wann die Mutter wieder ausflippt. Konnte jeder Zeit passieren und aus völlig unterschiedlichen Gründen: was gestern noch völlig in Ordnung war konnte am nächsten Tag zur Katastrophe führen.
Und da ist mir der Vergleich mit der Schutzschicht eingefallen. Die wurde wohl in der Kindheit und Jugend überbeansprucht und hält jetzt den alltäglichen kleinen Herausforderungen nicht mehr stand. So wie ohne Zahnschmelz. Da tut auch alles weh, was einem gesunden Zahn nix ausmacht.
Darum ist es für mich einfach nur logisch, dass ich ausgerechnet Depressionen bekomme, weil man ja regelrecht im Leben erstarrt. Und ich brauche Zeit. Ich will auch nicht mehr in eine Klinik - so absurd es klingt aber es geht mir dort viel zu schnell wieder gut aber das ist nur oberflächlich. Ich will mich auskurieren. Oder besser ausheilen. Mir geht es im Moment nicht schlecht - solange man mich in Ruhe lässt und nichts von mir will.
Oh man, das klingt so absurd, aber versteht ihr was ich meine?

Ich mach jetzt was, was mir Spass macht: ich geh mit meinem Hund raus. Das ist sooo schön! Ich liebe das! Draussen ist alles in leuchtenden Farben und wir rascheln durch das Laub und mein Hund freut sich und ich mich auch.
Viele Grüße

Olga



Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund.

(Hildegard v. Bingen)

lowrider60sec

Re: ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von lowrider60sec »

""Ich mach jetzt was, was mir Spass macht: ich geh mit meinem Hund raus. Das ist sooo schön! Ich liebe das! Draussen ist alles in leuchtenden Farben und wir rascheln durch das Laub und mein Hund freut sich und ich mich auch.""

Hallo Olga,

Recht so ! Wenn du etwas hast, was dir wirklich Spass macht, dann nutze jede Gelegenheit es zu machen.

Ich sehe die sich annähernde depr.Phasen auch jeweils als Warnung mich nicht zu überfordern, mir mehr Ruhe zu gönnen, evtl.auch Rückzug.

Was macht die Natur uns vor ? Sie ruht sich aus, regeneriert sich während der Wintermonate - die Tierwelt macht Winterschlaf. Wieso sollte der Mensch, der ein Teil der Natur ist, nicht auch eine Pause verdient haben?

Werde jetzt auch mit dem Hund raus gehen.

Ein erholsames W-E wünsch ich dir

lowrider
lt.cable
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Re: ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von lt.cable »

Hallo zusammen!

Ich kann das eigenartige Gefühl das eigene Leben betreffend auch gut nachempfinden. Ich muss dazu allerdings auch anmerken, dass Rückzug aus dem Leben und auf die Dinge, die mir Spaß machen, sowie Ruhe mir auf lange Sicht nicht besonders gut getan haben. Ich bin ja letztes Semester einfach nicht mehr zur Uni gegangen, weil ich einen starken Unwillen verspürte und der Überzeugung war, es gäbe in der Zeit, die ich ansonsten an der Uni verschwenden würde, sinnvollere, interessantere, spaßigere Dinge für mich zu tun. Anfangs war das auch so, das Gefühl der Befreiung war immens! Dann wurde die Lage aber Stück für Stück wieder schlechter, mangelnde intellektuelle Herausforderung ließ den Kopf und mangelnder Kontakt zu Menschen die sozialen Fähigkeiten einrosten. Aktuell fällt mir daher schon der Aufenthalt an der Uni zwischen den vielen unbekannten Menschen deutlich schwerer, auch Kritik gegen mich bringt mich schneller aus dem Gleichgewicht. Dass ich das übliche Arbeitspensum auch noch schlechter jongliere, brauche ich ja fast nicht noch extra zu schreiben.
Mein Hinweis also: Ein klein wenig Vorsicht vor derartigem Durchhängen ist angebracht. Dahin können Rückzug und Ruhe nämlich ganz schnell abrutschen. Erst merkt man die fortschreitende Erstarrung vielleicht nicht, doch wenn sie einem dann dick, fett und unübersehbar offenbar wird, ist der Rückweg zu der Weggabelung, wo man falsch abgebogen ist, ziemlich lang.

Es grüßt
lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
kormoran
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Re: ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von kormoran »

liebe olga,

vielleicht ist ja doch nochmal ambulante therapie oder, wenn klinik, dann einmal ein anderer ansatz gefragt. (was das sein kann?) aber einen zugang zu den wurzeln des problems hast du eigentlich. da ist doch eine chance, einmal tiefer und nachhaltiger dran zu arbeiten als das bisher der fall war, wo du dich schnell und oberflächlich erholt hast?

liebe grüße
kormoranin
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Olga
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Re: ich glaub, ich bin am Leben erkrankt

Beitrag von Olga »

Ach, ich weiß auch nicht....

Die Antwort von Lt.Cable hat mich recht aufgewühlt. Immer wenn ich mir vorstelle, dass ich wieder zurück in die Arbeit gehe zieht sich mein ganzer Brustkorb zusammen und der Kopf schmerzt wieder und die Knie werden weich und das ganze restliche Programm.
Ich hab im Mai die Stelle gewechselt und bin jetzt in einem sehr guten Arbeitsklima an sich gut aufgehoben. Es ist aber die Arbeit an sich, mein Beruf, der mir keinen Spaß macht glaub ich.

Das hat aber auch mit früher zu tun: mir wurde ziemlich früh das Recht auf Kindheit abgesprochen. Meine Aufgabe war die überforderte weil allein erziehende Mutter zu unterstützen.
Das ging los nach der Scheidung meiner Eltern, da war ich 7 Jahre alt. Ab da musste ich immer abrufbar sein, musste meine Bedürfnisse hinten an stellen - eigene Bedürfnisse zu haben war sogar ein Zeichen von miesem Charakter und Egoismus! Du denkst nur an Dich, Hauptsache Dir geht´s gut, was mit uns ist ist Dir doch völlig wurscht! Wenn wir Dir so egal sind dann hau doch ab! Geh! Hau ab, wir brauchen Dich nicht!
Ich weiß gar nicht wie oft ich heulend zu meiner Oma gelaufen bin weil mich meine Mutter wieder raus geschmissen hat.

Ich hab tatsächlich lange geglaubt, dass es ungewöhnlich ist, wenn Eltern liebevoll mit ihren Kindern umgehen. Und dass das dann aber ganz besondere Kinder sein müssen, wenn die Eltern sie so lieb haben. Diese Kinder waren wahrscheinlich Einser-Schüler, total hilfsbereit, höflich, fleißig und haben nie was falsch gemacht. Diese Kinder waren so toll, die hatten die Liebe ihrer Eltern verdient. Nicht so wie ich.

Ich denke, ich kann nicht artikulieren, wenn mir etwas zuwider ist. Ich kann das noch nicht mal richtig wahrnehmen! Eher kommt mir die Idee, dass ich zu zimperlich bin, zu faul, zu wehleidig.
Aber jetzt hat mein Ich einen Weg gefunden, mir zu sagen dass ich mich nicht Wohl fühle: psychosomatische Beschwerden, Depression.
Das ist so meine Theorie.

Ich will halt einfach mal mich selbst wahrnehmen ohne dauernde Ängste und schlechtes Gewissen und Zweifel. Ich will erfahren, was mir wirklich gut tut und was nicht und wie ich will, dass es mit mir weitergeht.

So einfach ist das
Viele Grüße

Olga



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