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Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 14. Okt 2010, 23:35
von Zarra
Hallo,

Jammern hilft nicht weiter. Soweit klar. Doch wie geht Ihr damit um, daß Ihr eigentlich keinem sagen könnt, wie es Euch geht? Daß eigentlich einfach kein normaler Austausch mehr stattfindet, höchstens auf gespielter Oberfläche. Ich hasse inzwischen die Frage: "Wie geht's Dir/Ihnen?" Und eigentlich bin ich mit Umgehen, Abtun, Schweigen und Verschweigen besser gefahren, passe mich damit besser in die Gesellschaft ein. Nur bin das irgendwie auch nicht mehr ganz wirklich ich oder nur noch ein Teil von mir. Und es macht mich traurig oder wütend - je nach Verfassung -, wenn KollegInnen ganz selbstverständlich über Ihre Erkältung oder sonst etwas Körperliches "jammern" (und meist dann auch noch entsprechenden "Zuspruch" bekommen). ... man selbst bekäme höchstens einen dummen Kommentar oder erschrockenes, ungläubiges Staunen - was man beides nicht will. Ich fühle mich mit dem Schweigen aber oftmals recht einsam, manchmal regelrecht eingekerkert - und habe das Gefühl, daß das dann eher depressionsverstärkend wirkt.
Erschwerend kommt bei mir hinzu, daß das alles inzwischen chronisch ist, ich auch nicht wirklich Phasen ausmachen kann, auch wenn es mir sicher mal irgendwie besser oder mal irgendwie noch schlechter geht.

Zarra

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 00:48
von tomroerich
Doch wie geht Ihr damit um, daß Ihr eigentlich keinem sagen könnt, wie es Euch geht? Daß eigentlich einfach kein normaler Austausch mehr stattfindet, höchstens auf gespielter Oberfläche. Ich hasse inzwischen die Frage: "Wie geht's Dir/Ihnen?

Hallo Zarra,

how are you? Darauf will kein Amerikaner eine Antwort, die ehrlich ist. Und sonst? Nur wenige Menschen sind interessiert daran oder überhaupt in der Lage , sich in die Befindlichkeiten anderer einzufühlen.

Wenn es dir gut geht, merkst du davon nicht viel. Wenn es dir schlecht geht, weißt du plötzlich, was du jetzt brauchst. Und daran merkst du auch, warum du depressiv geworden bist. Zu wenig Mitgefühl. Die Depression zeigt es, wie ein Brennglas.



Thomas

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 05:53
von wennfrid
Hi Zarra
Jammern und klagen bringt einem keinen Schritt weiter. In der Depression ist der Mensch aber so empfinsam, daß er jede Empfindung ca. 10 Mal stärker spürt. Nur ein Arzt, Therapeut kann dies verstehen. In einer Selbsthilfegruppe passiert ähnliches. Ein anderer, Depressiver kann sofort alle Gefühle nachempfinden. Der Satz: "Wie geht's "empfinde ich als Floskel der Höflichkeit. Derjenige, der fragt, erwartet eh nur "gut" und hat keine Interesse an deinem Wohlbefinden. Ich glaube, kein "Normalo" kann nachempfinden, wie man unter einer Depression leiden muß.
Ich erwarte einfach, daß ich so akzeptiert werde, wie ich bin, mit meinen guten Eigenschaften und mit meinen weniger guten Eigenschaften. Ich erwarte kein Mitleid, sondern eine Art Verständnis, auch wenn meine Gefühle nicht nachvollzogen werden können.So interessieren mich keine oberflächlichen Gespräche, sondern Gespräche mit Tiefgang, auch wenn dazu nur wenige Menschen bereit sind.

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 07:05
von otterchen
Hallo Zarra,

die Selbstmitteilung sollte vielleicht eher Dir selbst gegenüber stattfinden?
Dass nicht andere Dir zuhören, sondern Du Dir selbst?

Das mit dem Brennglas, was Thomas anspricht, kann man schön mit Byron Katies "The Work" austüfteln:
http://www.moritzboerner.de/The_Work_Test.htm

Aus "andere sollten mir zuhören und sich für mich interessieren" wird dank des Umkehrverfahrens ein "andere sollten mir überhaupt nicht zuhören müssen" bzw. ein "ich sollte anderen zuhören" oder "ich sollte mir selbst zuhören".

Ausprobieren!

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 07:54
von lowrider60sec
Hallo Zarra,

Der Fragesteller will doch eigentlich nur eine Antwort hören, und zwar : Gut.
Fällt die Antwort: Schlecht - dann ist derjenige erst mal sprachlos.
Es ist eben einfach nur eine Phrase, natürlich gut gemeint , dient aber nur als Einleitung zu einem Gespräch. Nicht mehr und nicht weniger.

Hast du denn Niemanden , dem du eine ehrliche Antwort geben kannst, der von deinem Leiden in Kenntnis ist, dem du bei Bedarf etwas Vorjammern kannst?
Eine Person reicht vollkommen aus, wenn sie Verständnis hat. Vor all den anderen solltest du einfach deine Maske bewahren, auch wenn man öfters Lust hätte sie niederzureissen und herauszuschreien : Es geht mir beschissen !

lowrider

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 10:28
von Unwetter
Hallo,
ich habe mit den Jahren gelernt, nicht mehr darüber zu sprechen mit Menschen, die das nicht kennen.
Ich habe nur einen Freund, mit dem ich darüber reden kann, der auch meine Empfindlichkeit versteht, der selber aber nicht depressiv ist.
Er zeigt mir Anteilnahme.


Die Maske, mit der ich lebe, ist mein Schutz, sie macht es mir möglich, überhaupt zu arbeiten.

Mit Hilfe der Maske habe ich soziales Leben, Bekannte, ich bin aber eher geneigt, diese Kontakte aufzugeben. Eigentlich berühren mich diese Menschen nicht und ich sie nicht.

Ich sehe mehr Sinn darin, mich zu bemühen, Freunde zu finden, die mit meiner Depression umgehen können.

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 11:55
von albert
Hallo Zarra,

die Antworten auf deine Frage sind entsprechend. Und in einer Selbsthilfegruppe ist Jammern nicht erwünscht, das würde die anderen Teilnehmer mit runterziehen. Müllabladestation will keiner sein.

Es hilft nur eins: ich habe gerade zu viel Kraft, ich schick dir ein Päckchen davon. Richt dich damit wieder auf.

Grüße
Albert

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 12:58
von Kodiak
Liebe Zarra,

Selbstmitteilung braucht jeder Mensch und wenn uns diese Möglichkeit verwehrt wird, besonders uns, dann kann das eine Depression sehr verstärken. Doch Du hast ja schon einen Schritt in die richtige Richtung getan.

Ich mache aus meiner Depression kein Geheimnis mehr. Auf der Arbeit wird darüber mit mir nicht geredet, es sei denn, der Arbeitgeber benötigt ein paar Infos zwecks Arbeitsfähigkeit und Einsatzmöglichkeiten und dann bin ich schon offen.
Falls wirklich jemand fragt, wäge ich von Mensch zu Mensch ab, ob ich sage "gut" oder "schlecht" oder "na ja". Es sind nicht alle gleich und ich nehme es niemandem übel, wenn er mit dem Thema nicht umgehen kann.

Aber ich kann das, was Du meinst, gut nachvollziehen.
Als ich im vergangenen Jahr nach mehrmonatigem Klinikaufenthalt wieder zu arbeiten begann, war das so, als wäre ich nur einen Tag weg gewesen. Keine Fragen, nichts! Und da habe ich ein "wie geht es Dir" schon vermißt.
Doch wäre mein Bedürfnis nach Mitteilung dort auch wirklich angebracht gewesen?
Ich glaube nicht, dazu braucht es schon besondere Menschen, und die findest Du selbst, wie bei mir, in helfenden Berufen ganz selten.

Einige Tage später hatte ich dann einen Herzinfarkt und da war es dann ganz anders. So, wie Du es beschrieben hast. Damit kann man ja was anfangen, darüber kann man reden.

Psychische Erkrankungen werden noch lange ein Tabuthema bleiben. Hilflosigkeit auf beiden Seiten. Dagegen tun kann man schon etwas.

Ich habe Depressionen. So ist das und ich mache daraus kein Geheimnis. Wenn ich mit Bekannten/Freunden zusammen bin, bemühe ich mich, nicht von selbst davon anzufangen, denn selbst die haben damit Probleme.
Sollte jemand mit mir darüber reden wollen, bin ich dafür offen. Was ich preisgebe, hängt dann von meinem gegenüber ab.

Ganz wichtig für mich ist, dass ich eine Partnerin habe, die mich so nimmt, wie ich bin. Ihr kann ich sagen, mir geht es schlecht. Sie weiß, was Depressionen sind und unterstützt mich.

Dann habe ich da noch eine Therapeutin, der ich mich mitteilen kann. Habe richtig großes Glück mit ihr. Hoffe, dass es noch eine Weile so geht.

Ich weiß nicht, ob ich Dir helfen kann.
Da ist jetzt auch die fehlende Rückmeldung.
In diesem Forum probiere ich mich auch erst aus.

Liebe Grüße,
Dietmar

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 13:34
von Schlaflos2010
Hallo Zarra,

im Beruf muss die Maske wahrscheinlich sein, weil die Krankheit einfach noch nicht anerkannt wird von den Mitmenschen. Und wenn wir ehrlich sind, ist es ja auch schwer jemandem Zuspruch zu geben, der so fertig ist, dass er es kaum hören würde.

Aber im Privatleben habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Nachbarn und Freunde besser mit mir klar kamen, als sie endlich wussten was mit mir los war. Ja, es gibt auch Nachbarn die mich nicht mehr grüßen. Aber mit Hilfe meiner Therapeutin habe ich es geschafft darüber hinweg zu sehen und mich nur darüber zu freuen, dass die anderen Kontakte besser geworden sind.
Vielleicht hast du auch Menschen in deiner Umgebung, die anders reagieren würden als du glaubst.
Ich wünsche dir viel Kraft und nette Mitmenschen
Zarra schrieb:
> Hallo,
>
> Jammern hilft nicht weiter. Soweit klar. Doch wie geht Ihr damit um, daß Ihr eigentlich keinem sagen könnt, wie es Euch geht? Daß eigentlich einfach kein normaler Austausch mehr stattfindet, höchstens auf gespielter Oberfläche. Ich hasse inzwischen die Frage: "Wie geht's Dir/Ihnen?" Und eigentlich bin ich mit Umgehen, Abtun, Schweigen und Verschweigen besser gefahren, passe mich damit besser in die Gesellschaft ein. Nur bin das irgendwie auch nicht mehr ganz wirklich ich oder nur noch ein Teil von mir. Und es macht mich traurig oder wütend - je nach Verfassung -, wenn KollegInnen ganz selbstverständlich über Ihre Erkältung oder sonst etwas Körperliches "jammern" (und meist dann auch noch entsprechenden "Zuspruch" bekommen). ... man selbst bekäme höchstens einen dummen Kommentar oder erschrockenes, ungläubiges Staunen - was man beides nicht will. Ich fühle mich mit dem Schweigen aber oftmals recht einsam, manchmal regelrecht eingekerkert - und habe das Gefühl, daß das dann eher depressionsverstärkend wirkt.
> Erschwerend kommt bei mir hinzu, daß das alles inzwischen chronisch ist, ich auch nicht wirklich Phasen ausmachen kann, auch wenn es mir sicher mal irgendwie besser oder mal irgendwie noch schlechter geht.
>
> Zarra

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 15. Okt 2010, 16:27
von elas
Zarra,

schön, dass Du dieses Thema, das Dich so beschäftigt, hier ins Forum gestellt hast.

Die Antworten gefallen mir alle recht gut.

Ich kenne das auch aus diesen ganz dunklen Tälern, ich wünschte mir auch damals, ich könnte meinem Umfeld mehr erzählen.

Aber es ist Tatsache_ heftiges Leid eines anderen Menschen birgt die sogenannte "Ansteckungsgefahr". Will sagen damit, dann ist der Andere , der zuhört und sich einlässt, eben auch mal kurze Zeit betroffen und nicht so gut drauf.
Und das wollen Viele nicht, egal ob Psychos oder Normalos.

@lowrider, nein, ich meine nicht, dass ein einziger Mensch ausreicht, der verstehen kann, wie es in einem depressiven Tal in einem aussieht.
Es ist meine Erfahrung, dass damit ein oder zwei Menschen heillos überfordert sind, auch wenn sie selber Depris kennen.

Meine Erfahrung ist, dass es viel besser ist, sich ein größeres Umfeld von Kontakten zu schaffen.
Auch aus anfänglich belanglosen Kontakten kann sich im Laufe der Zeit Intensiveres entwickeln. Und nein, ich würde auch nicht gleich hausieren gehen mit dem Thema Depri.
Manchmal entwickelt es sich von alleine, dass man drauf kommt.
Und auch da kann man nur stauenen, wieviele es schon erwischt hat.

Zarra, Dir wünsche ich von Herzen, dass Du bald aus dem zur Zeit noch "gefühlten Gefängnis der Einsamkeit" herausfindest.

Beim Stuttgarter Treffen hast Du ja so von einigen Schritten erzählt, die Du vorhast, und die eventuell hilfreich sein könnten für Dich.

Ich freue mich, dass Du jetzt hier im Forum mitmischst.

Herzlich
elas

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 18. Okt 2010, 23:57
von Zarra
Hallo an alle,

Danke für Eure Mitteilungen! Es hilft ja schon, zumindest etwas, zu erfahren, daß es für andere auch nicht so locker und immer glasklar zu entscheiden und zu handeln geht.

Natürlich sage ich auf die "Frage" "How are you?" "Gut"; ggf. "... gutes/schlechtes Wetter heute." etc.

Mir ging's schon eher um den Teil, wo es einem selbst um etwas "Authentischeres" (großes Wort, zu großes Wort, ich weiß) geht. Denn klar will ich das z.B. im Beruflichen nicht jedem publik machen; "Rollenspiele" u.ä. haben ja durchaus auch ihre guten Seiten - doch nach meinem Empfinden sollte mein Leben halt nicht nur daraus bestehen. Und ich habe auch Bekannte und Freunde, wo ich "gerade nicht so gut" u.ä. sagen kann - und schon allein das tut gut, auch wenn ich es in aller Regel nicht ausführe, (... das vielleicht auch gar nicht könnte??). Es ist einfach vielleicht auch die Erkenntnis, daß es eine Grenze nach unten gibt (und zwar vielleicht nicht nur wegen der anderen, sondern auch wegen mir selbst), ... und daß mich die An- und Fortdauer solcher Aussagen selbst nervt (!), mich aber halt gerade das, und zwar ggf. extrem, umtreibt -- und wenn's dann gerade mal etwas besser ist, kann ich ja selbst manches bei mir nicht mehr so ganz verstehen, sehe die vorher empfundene Dramatik nicht mehr so ganz. ... und dann will ich, daß die anderen mich verstehen??

Ich kenne es halt, daß es mir bei "banalem", normalem Ärger oder einem blöden Erlebnis oft hilft, das mitzuteilen, kurz was dazu zu sagen, auch mal 'ne andere Meinung zu hören oder eine Bestätigung oder ... Bei psychischer Krankheit fällt das sozusagen weg; sie bekommt noch etwas zusätzlich Problematisches zu dem Problem an sich. - Naja, wahrscheinlich ist es so ein Wunsch nach "Normalisierung".

@Dietmar: ... das entspricht sehr meinem Empfinden. Danke!

@Otterchen: Muß erst mal sehen, was Du mir da verlinkt hast (bin nicht so schnell, Muße fehlt), von daher nur unbekannt-unwissender Dank.

@elas: Grüßle! ... bin nur nicht "ständig" im Internet, muß das gut dosieren. (Laut Vorschau scheint mein erster Smily geklappt zu haben!! Wenn das nichts ist!?!)

Herzliche Grüße, Zarra

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 24. Okt 2010, 23:22
von Zarra
Hallo Otterchen,

nein, es ging nicht darum, daß die anderen mir zuhören sollen - es ging mir um Kommunikation.

Habe Deinen Hinweis gerade mit einem anderen Satz ausprobiert - ist gut! Danke.

Viele Grüße

Zarra

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 25. Okt 2010, 07:52
von otterchen
Hallo Zarra,

bitte entschuldige, aber das kann ich Dir gerade nicht so recht abkaufen

Dieser Thread hier und der zweite, den Du heute eröffnet hast, sagen in meinen (!) Ohren eigentlich: ich will über mich reden, warum will das keiner hören.
So kommt Deine Botschaft bei mir an.

Und das ist doch auch ok - diese Frage stellen sich wohl viele von uns irgendwann. Bis wir erkennen, dass wir mit dem Hadern und Grübeln unnötig Energie verschwenden, die wir lieber uns selbst widmen könnten.

Die anderen werden sich nicht ändern; ich kann nur an meinem eigenen Verhalten etwas ändern.
Wenn ich gehört werden will, muss ich mich erst einmal selbst hören.
Und wenn ich kommunizieren will, muss ich lernen, wie ich andere Menschen zum Reden (und erstmal nicht zum Zuhören) bringe.

Großes Thema! Schwierig umzusetzen. Besonders, wenn man in einem Tief steckt und andere Menschen brauchen würde. Aber wenn von denen keiner ein offenes Ohr für mich hat, muss ich mich um mich selbst kümmern.

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 25. Okt 2010, 22:52
von Zarra
Hallo otterchen,

das darf ja auch so bei Dir ankommen. - Was ich zu meinen meine, kann ja dennoch etwas anderes sein. - Und klar: Ich will nicht nur zuhören. (Bzw.: Ich will auch als Person in all ihren Facetten wahrgenommen werden, den positiven wie den betrüblichen.) Wobei ich in all den Jahren genügend Rückmeldungen bekommen habe, daß ich das kann (zuhören). Prinzipiell und meist. Wenn ich mich total verrannt habe, wage ich, das selbst zu bezweifeln. Dann kann ich mich aber auch nicht mehr angemessen mitteilen, noch nicht einmal den Versuch dazu starten.

Weißt Du, mit der Selbstgenügsamkeit ist es so eine Sache: einerseits schön, auch notwendig (man sollte nicht immer jemand brauchen), andererseits ist der Mensch auch ein Gemeinschaftswesen. Ich lebe allein, habe keine Familie; da fallen viele automatische Kontakte weg.

"Und wenn ich kommunizieren will, muss ich lernen, wie ich andere Menschen zum Reden (und erstmal nicht zum Zuhören) bringe."
Das sehe ich nicht ganz so; Kommunikation ist eine zwei- bis mehrseitige Sache, und im positiven Fall geht es hin und her und man wechselt "unmerklich" die Rollen. Das geht Hand in Hand. Und: Ggf. fällt Sich-Mitteilen gar nicht so einfach und ist das Naheliegende. Ich glaube sogar, daß ich in viel mehr Fällen den Rückzug antrete oder ablenke - denn das gibt mehr Sicherheit.

Zarra

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 26. Okt 2010, 07:51
von otterchen
Hallo Zarra,

aktuell befinde ich mich tatsächlich sogar in einer ähnlichen Situation wie Du: die Depri ist wieder stärker in mein Blickfeld getreten, und eine "vertraute Person" (wenn auch keine Freundin) hat mir gesagt, ich könne mit ihr darüber reden.
Und dennoch will ich nicht... weil das, was ich hören werde, mir nicht gefällt.
Ich habe bereits bei dem ganz kurzen Gespräch (in dem ich ihr sagte, dass es mir nicht gut ging) mitbekommen, was sie dann umso ausführlicher in einer ruhigen Stunde äußern würde (tu dies, lass jenes). Das ist sicher alles richtig - aber dennoch nicht das, was ich hören möchte. Das weiß ich ja alles.

Ich erkenne aber an, dass sie durchaus bereit ist, für mich ihr Hirn zu bemühen um für mich eine Lösung zu finden - und das kann sehr anstrengend sein.

In Deinem anderen Thread schreibst Du, dass da jemand selbst psychische Probleme hat und doch eigentlich Verständnis für Dich haben sollte, und doch will sich diese Person schützen und sich Deinen Kummer nicht anhören. Dass das für Dich sehr bitter wirkt, kann ich nachvollziehen, aber ich kann auch ihre Seite durchaus verstehen, weil ich weiß, wie kräftezehrend und anstrengend es sein kann, sich jemandem intensiv zuzuwenden.

Worauf ich hinaus will: was möchtest Du in dieser Kommunikation erreichen, was willst Du hören, was willst Du sagen?
Brauchst Du das Öffnen des anderen, um Dich selbst öffnen zu können? Brauchst Du die Kommunikation, um Deine Gedanken sortieren zu können? Und welche Menschen betrifft das?

Ich merke, dass Kommunikation mir sehr gut tut, wenn sie fließt und sich entwickelt. Aber ich merke auch, dass dies nur mit ganz wenigen, ausgewählten Personen möglich ist. Das Thema Depression kann ich nicht wirklich mit anderen teilen.

Worauf will ich eigentlich hinaus? Vielleicht, dass man durchaus damit hadern kann, dass eine Kommunikation oft nicht möglich ist. Aber dass einen dieses Hadern nicht weiterbringt, es sei denn, man findet etwas, wo man bei sich selbst ansetzen kann. Die anderen kann man nicht ändern. Und wenn sie sich nicht anhören möchten, was wir über uns zu erzählen haben, dann ist das leider so (und wenn sie nur bislang die Lektion nicht gelernt haben, wie das ist, wenn man keinen mehr zum Reden hat). Daran zu verzweifeln ist sicher nicht der richtige Weg, denn es zieht uns nur runter. Dann müssen wir uns selbst zuhören, in eine Selbsthilfegruppe gehen, ein Forum finden oder sonstwas. Alles besser, als seine Energie damit zu verschwenden, die Kommunikationsunwilligkeit der anderen zu analysieren. Finde ich.

Übrigens: es gefällt mir gut, mit Dir gerade zu kommunizieren. Weil ich das Gefühl habe, wir "kommen zusammen" mit unserem Gespräch hier.

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 26. Okt 2010, 23:11
von Zarra
Hallo otterchen,

erstens habe ich gestern weitergedacht, als der PC schon aus war, so in die Richtung: Was bedeutet es eigentlich, wenn ich mir selbst zuhöre? Und: Geht das eigentlich?
Als erstes viel mir ein, daß ein tief Depressiver (bin ich gerade glücklicherweise nicht) sagen würde: "Es ist alles schrecklich." Ja; und dann? - Ich weiß schon oder meine zu meinen, daß Du das nicht gemeint hast. - Vermutlich eher so etwas wie: seinen eigenen Bedürfnissen nachspüren? Das ist ja gerade mit Depression verknüpft sehr schwer. Man fühlt u.U. nichts. Oder es ist bei mir einfach so, daß ich meinen Wahrnehmungen nicht traue (das kann auch aus einer anderen Ecke kommen) - das ist bei mir im Prinzip grundsätzlich so, obwohl ich daran arbeite und sich auch schon etwas verändert hat. Das hat auch etwas mit fehlenden Rückmeldungen zu tun, aktuelle und weit vergangene (siehe dieses Podcast mit Josef Giger-Bütler). Rückmeldungen geben Bestätigung oder korrigieren, wetzen Kanten ab. Das stärkt. Wobei ich es wichtig finde, einzelne Rückmeldungen nicht überzubewerten; ich habe irgendwo mal dazu gehört: wenn einer mir die Rückmeldung xy gibt, kann ich es gelassen ignorieren (da ging es um kritische Rückmeldungen; nicht um Komplimente), wenn ein zweiter das tut, auch noch, beim dritten (oder auch späteren, je nach Spannungsbreite der "Auswahl" würde ich sagen) sollte ich mir überlegen, ob was dran ist.

Wenn es mir stärker schlecht geht und mir in jenem Moment nicht der Sinn danach steht, "hasse" ich es - und weiche dem inzwischen auch aus -, wenn mir Leute "mehr Sport", "Gartenarbeit" oder je nachdem, was Ihnen gerade einfällt, empfehlen. Sie meinen es dann echt gut, bei mir kommt nur nichts an, oder ich fange nichts damit an, oder ich finde es auch "zu banal im Verhältnis zu meinem schrecklichen Gefühl".
Deine "vertraute Person" klang ja etwas differenzierter. Doch: Wenn Dir Dein Gefühl sagt: "Jetzt gerade nicht" (so habe ich Dich verstanden), dann stimmt das mit ziemlicher Sicherheit erst mal. Andererseits: "Das weiß ich ja alles". Das mag stimmen, wird im Prinzip stimmen. Es macht aber ggf. einen Unterschied (in Dir), ob das nochmals jemand anderes zu Dir sagt. Die Frage ist, ob es (das Gegenüber, Deine Situation, die gemeinsame Situation etc.) passend ist oder nicht.

Deinen letzten/vorletzten Absatz kann ich nur unterschreiben.

Einen guten Tag, Du Morgenschreiberin (oder war das Zufall?)!
Zarra

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 27. Okt 2010, 07:48
von otterchen
Hallo Zarra,

manchmal bin ich eine Morgenschreiberin

Was ist dieses "sich selbst zuhören"?
Mir gelang es ganz gut, indem ich vieles aufgeschrieben habe und dann bewusst versucht habe, mir selbst ein bester Freund, ein liebevoller Elternteil, ein Anwalt oder Bodyguard zu sein.

Diese Anteile sind in Depressiven oft nicht ausreichend ausgebildet. Oft stehen da Anteile wie Hilflosigkeit, Bestärkung (im Negativen), ein großer innerer Kritiker oder sonstiges im Vordergrund.

Sich selbst zuhören bedeutet, mich in dieser Situation mir selbst ganz widmen. Was ist in mir los? Wie würde ein mich liebender Mensch darauf reagieren? Würde er mich auch kritisieren und in Frage stellen oder mir Tipps geben ("du musst dich nur überwinden" blabla)?

Gegen den Gefühlsverlust hilft Achtsamkeit, und zwar so oft es geht. Es fängt damit an, einfach seine Sinne wieder zu aktivieren: was höre, sehe, schmecke, fühle, rieche ich?
Später kommen dann andere Wahrnehmungen hinzu: ich bin heute weinerlich - kann ich erspüren, was da in mir los ist? Welcher Gedanke hat das ausgelöst? Welches Gefühl könnte dahinter stecken? (und das kann manchmal Tage dauern, bis man das aufdeckt)

Es folgt das Entdecken der eigenen Gefühle und dem Vertrauen in sie (mir hat geholfen, dass ich mir gedacht habe "wer würde anders fühlen, wenn er genau das erlebt hat wie ich?" = den Gefühlen Recht geben, sie sind nicht falsch).
Und dann das Prizip wahrnehmen - zulassen - annehmen - loslassen.
Hinzu das Überprüfen von Bewertungen, das Lernen, wie ich mir selbst Gutes tue usw. usw.

Das alles habe ich in der VT gelernt und langsam umsetzen können.

Selbstverständlich ist es wundervoll, wenn mir jemand zuhört! Aber ich fand es ebenfalls sehr bereichernd und wichtig für mich, dass ich lernte, mir selbst zuzuhören. Da ist ein Anteil in mir drin, den ich lange nicht gehört habe, und das ist wie eine ganz leise innere Stimme, der man sich wirklich zuwenden muss, sonst hört man sie nicht.
Außerdem fiel auf, dass ich mich selbst in einem sehr negativen Licht sah, dass ich fast nur noch ein "Muss" in meinem Leben hatte usw.
Wenn jemand so mit mir gesprochen und unter Druck gesetzt hätte wie ich selbst es tat - ich hätte den Kontakt abgebrochen! Und dennoch habe ich mich selbst über Jahre so behandelt.


Es ist ein relativ großes Thema, das man (so denke ich) nicht einfach ohne Anleitung umsetzen kann. Aber WENN man es lernt, kann es einem richtig viel geben: Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Selbstwert, Akzeptanz und Liebe.



Jetzt habe ich den Rest von dem, was Du geschrieben hast, gar nicht mehr vor Augen, und ich muss mich für die Arbeit fertigmachen... ich schaue also später nochmal vorbei!


Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 27. Okt 2010, 20:04
von Zarra
Liebes otterchen,

uns scheint es da recht ähnlich zu gehen (ich bin übrigens (noch) genauso alt wie Du) - nur daß Du schon ein gutes Stückchen weiter zu sein scheinst. Ich werde mir da wohl noch einiges erarbeiten müssen. (Über einen ziemlich mißglückten Versuch in diese Richtung könnte ich auch noch etwas erzählen, doch das lasse ich jetzt; das führt auch nicht wirklich weiter. Nicht der Ansatz war grundlegend falsch ("Arbeit mit dem inneren Kind" als Schlagwort), sondern wohl eher die "Rahmenbedingungen"; das ist bei mir eben nicht so einfach.) Danke für Deine Ausführungen.

Nur noch als P.S. zu meinem Auslöser-Kontakt für den anderen Thread: Ich habe inzwischen kapiert, daß diese Reaktion viel mehr mit ihr als mit mir zu tun hat. Denn so viel hatte ich gar nicht gesagt. Nur daß es mir schlecht ginge - und man merkte es. Darauf reagieren die meisten doch eher "irritiert" als genervt. Und ich hatte mit dieser Bekannten vor Jahren auch schon mal was Ähnliches; und ich habe damals insgesamt schon ihre relative "Zugeknöpftheit" nicht verstanden, weil mir das so bei anderen irgendwie auch von psychischer Krankheit Betroffenen einfach noch nie begegnet ist; irgendwie war da immer irgendein Austausch möglich. Also muß ich das als Ihrs und als für mich Sonderfall akzeptieren.

Liebe Grüße, Zarra

Re: Jammern hilft nicht. Doch wie ist es mit der "Selbstmitteilung"?!?!??

Verfasst: 27. Okt 2010, 21:03
von otterchen
Hallo liebe Zarra,

es wäre vielleicht gut, dass ich mir selbst auch wieder mehr zuhöre. Ich versumpfe so langsam und fast unmerklich wieder in Alltag und alten Gewohnheiten und fühle mich derzeit wie ein reiner Theoretiker, der aber vieles in der Praxis nicht hinbekommt.
Bei einem Austausch mit jemand anderem kann ich mich dann aber wieder besser sortieren und auch viel mehr an/in mir selbst wahrnehmen. Das geht also schonmal besser als früher, wo ich von anderen verstanden werden wollte, ohne mich jedoch selbst so recht zu verstehen bzw. zu kennen.

Die Arbeit mit dem inneren Kind... wenn man offen für diese Vorstellung ist, kann einen das tatsächlich weiterbringen.
Dann möchte ich Dich an dieser Stelle ermutigen, dies wieder aufzunehmen. Vielleicht sind die Rahmenbedingungen jetzt etwas günstiger dafür?

Dass Du das mit der Bekannten abgrenzen kannst, ist schon ein guter Schritt. Ich kann aber nachvollziehen, dass einem sowas zu denken geben kann, besonders, wenn das innerhalb einer gewissen Zeitspanne mit mehreren Menschen passiert (ist mir so gegangen - und ebenfalls mit "da klingelt gerade jemand an der Tür", was SO nah und laut war, dass die Person das selbst gewesen sein muss... oder "ich habe gerade gesundheitliche Probleme, ich melde mich wieder" jaja).
Bei EINER Person kann man's noch abhaken, aber wenn dann die zweite oder dritte Person ist... daran hatte ich schon gut zu kauen.

Übrigens: auch ich muss in kürze mein Alter wieder aktualisieren