Noch nicht zufrieden

Antworten
DYS-
Beiträge: 1838
Registriert: 19. Mär 2003, 17:28
Kontaktdaten:

Noch nicht zufrieden

Beitrag von DYS- »

Normalerweise habe ich allen Grund total vor Freude aus dem Häuschen zu sein. Ich habe eine enorme Leistung vollbracht. Habe nach einem Jahr lernen alle meine Prüfungen gut geschafft, besser als ich erwartet hatte. Mein Selbstbewußtsein müsste nur so überschießen....aber ich empfinde nur Leere. Im Gegenteil, mich ärgert es, daß ich nicht nur die besten Noten habe. Warum kann ich mich nicht über das Gelingen der Prüfung genauso freuen wie meine Mitstreiter? Ich habe natürlich ein lächeln aufgesetzt als gestern die Zeugnisvergabe war, aber innerlich war ich traurig. Alle haben lustig gefeiert und mir tat es nur weh. Wann läßt dieses Gefühl nur endlich nach? Seit 4 Wochen hab ich ein Taubheitsgefühl im rechten Bein, genauso fühlt sich irgendwie mein ganzes Innenleben an.
°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°^°

Gerade weil wir alle in einem Boot sitzen,

sollten wir heilfroh darüber sein,

dass nicht alle auf unserer Seite stehen.
Emily
Beiträge: 1217
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von Emily »

Liebe Dys,

zu deiner bestandenen Prüfung gratuliere ich dir herzlich. Das war bestimmt ein schweres Stück Arbeit.

Allerdings wundere ich mich nicht darüber, dass du dich trotz dieser tollen Leistung nicht freuen konntest. Deine Sorgen um deine Gesundheit sind einfach zu groß, als dass du dich viel freuen könntest. Ich kenne das noch gut aus meiner eigenen Krankheit. Alle anderen um mich herum freuten sich, weil z.B. Weihnachten war, oder irgendein anderer Grund zum Freuen und Feiern gegeben war, mir hat es nicht mal ein müdes Lächeln entlockt. Der Kummer um das Taubheitsgefühl in deinem Bein, die Leere in deinem Inneren ist zu schmerzlich für dich, als dass du viel Freude empfinden könntest. Meine Fähigkeit, Freude zu empfinden, ist erst zurückgekommen, als ich auf dem Weg der Genesung schon ein gutes Stück weit vorangekommen war. Freude kann man sich nicht befehlen.

Lieber Gruß,
Emily.
tomroerich
Beiträge: 3102
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von tomroerich »

Liebe Dys,

Emily hat Recht, Freude nicht empfinden zu können ist ja eines der Leitsymptome der Depr. und auch ich weiss, wie sehr man das vermisst. Ja, nun hast du also eine kleine Meisterleistung abgeliefert und hast unter sehr schwierigen psych. Bedingungen eine gute Prüfung absolviert und bist nicht zufrieden. Was trieb dich dann an, diese Belastung auf dich zu nehmen, was war dein Motiv?
Ich möchte dir Folgendes vorschlagen:
Nimm dir 5 Minuten Zeit, setz dich irgendwo in Ruhe hin, mach die Augen zu und lass die Zeit, in der du dich auf die Prüfung vorbereitet hast, noch einmal an die vorbeiziehen. Schau dir die Frau an, die in diesem kleinen Zimmer sitzt und büffelt und mach dir bewusst, wie viel Zeit und Energie die Frau investiert hast. Und dann sagst du zu dir selbst, dass es einfach großartig ist, was du geschafft hast, am besten sprichst du es laut aus. Es ist egal, wenn du nichts dabei fühlen solltest oder sogar einen Widerstand spürst, das zu denken oder zu sagen.
Man kann mit einer solchen Übung viel mehr erreichen, als du dir jetzt vorstellen kannst und sollte in Gedanken immer dann gut zu sich sprechen, wenn man etwas geleistet hat (und nicht nur dann ) und im Laufe der Zeit wird dein Gefühl folgen.

Lieber Gruß

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
albert
Beiträge: 1284
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von albert »

Ein Jahr Projektarbeit, und danach eine Riesenarbeit abgeliefert. Ich konnte mich nicht darüber freuen. Da war viel Herzblut enthalten, ich hatte alles gegeben und ein Techniker, also ein Mensch des unteren Ranges sagte mir, der Chef habe die Arbeit ungelesen in die Ecke geworfen. Ich hätte zu diesem Punkt nachhaken sollen, aber ich habe es nicht getan, typisch depri. Heute ist das Vergangenheit, ich kann zurückblicken, ich würde manches wieder tun, einiges anders machen.
Aber im neuen Fall werde ich wieder mein Herzblut verspritzen, ich weiß doch, das ist mein Leben, ich kann es nicht anders. Ich werde nie zufrieden sein.
Nachttaube
Beiträge: 295
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von Nachttaube »

ja, Dr. Keim, mit Leidenschaft an einer Sache rangehen, Blut und Schweiß vergießen, exzessiv daran arbeiten, dazu stehen. Das ist auch mein Credo und ich werde so oft deswegen belächelt und verspottet.
Und natürlich auch mißverstanden, denn das passt nun gar nicht in das Bild einer Depressiven.
Meine Begeisterung schlägt sehr schnell in Unzufriedenheit / Selbstzweifelum, wenn die Aufgabe beendet ist. Habe ich sie wirklich optimal gelöst? Habe ich alles richtig gemacht? Gab es nicht doch einen besseren Weg? Warum mußte ich mich da so hineinknien? Eigentlich war doch alles umsonst.
Dieses hin und her zieht an meinen Nerven.
gruß
albert
Beiträge: 1284
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von albert »

Hallo Nachttaube,
vielen Dank für deine Antwort. Jetzt der Reihe nach:
ich heiße hier einfach Albert.
Das Auf und Ab, Hoch und Nieder war auch für mich lange Zeit ein Rätsel. Bis mich eines Tages ein jemand fragte, ob ich auch manische Fasen gehabt habe. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte tatsächlich mal eine manische Episode erlebt. Die war nicht lange, der Schaden war auch nicht groß, ich war gerade noch davongekommen. Aber da fing ich an, nachzudenken und begann noch einmal zu lesen. Im Rückblick konnte ich Zeiten identifizieren, in denen ich heiter und gelöst war, und andere Zeiten, in denen ich gedrückt und schwermütig nieder lag. Die Periodik schlägt einmal im Jahr um. Ein Zyklus dauert also zwei Jahre. Das war so ein Meilenstein, also manisch-depressiv mit Betonung auf die Depressionen oder nach der heutigen medizinischen Terminologie bipolar gestört II zu sein.
Ich habe das für mich akzeptiert, dass ich jeweils ein Jahr wie jetzt das Jahr 2003 habe, in dem ich doppelte Arbeit leisten kann, weil ich gerade in einer hypomanischen Fase bin und nächstes Jahr werde ich depressiv gestimmt sein und muss mich bei Verlusterlebnissen gegen die Depressionsschübe wehren. Das tue ich inzwischen auch erfolgreich - sonst hätte ich das Jahr 2002 nicht überstanden.
Aber das Ding hat einen großen Haken. Du hast einige Worte darum gemacht, ich sage es mit einem kleinen Satz: ich bin in Gefahr, Opfer zu werden.
Deshalb richte ich mein Hauptaugenmerk dahin, die Opferrolle abzustreifen, deshalb muss ich das selbstgegrabene Loch vor den verschlossenen Türen verlassen und jene Bereiche an der Mauer suchen, wo die Türen offen sind. Denn wenn ich zu lange im Loch verbleibe, werde ich eines Tages im Loch verschüttet oder einfach vergessen.
Ich wünsche dir alles Gute
Herzliche Grüße
Albert
tomroerich
Beiträge: 3102
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von tomroerich »

Lieber Albert, liebe Nachttaube,

eine Sache so gut wie einem möglich zu machen, halte ich für eine außerordentliche Qualität und jeder sollte so handeln, ob Straßenfeger oder Bundeskanzler. Qualität spricht für sich selbst und in diesem Zusammenhang ist sie Ausdruck für die Ernsthaftigkeit, mit der ich meine Lebenszeit verbringe. Wie andere darüber denken ist nicht belanglos aber entscheidet trotzdem nicht über diese Qualität. Denn die besteht oft einfach darin, dass man sich verwirklicht und ausgedrückt hat. Wenn es für mich gut ist, dann ist es gut. Ob andere dem einen Wert beimessen können entscheidet sich eben nicht so sehr an der Qualität sondern daran, ob und wie sie es für sich verwenden können. Können sie es nicht, bleibt es doch ein Stück guter Arbeit, eben weil mein Herzblut darin steckt.

Ich glaube, wenn man Perfektion im Auge hat, hat man etwas anderes als sich selbst dabei im Auge. Die Anerkennung der anderen, ein Ideal, das andere für mich aufstellten, das Hinterherrennen nach einem nicht zu verwirklichendem Ziel der Makellosigkeit. So makellos will man auch selber sein, weil man hofft, dass dann die Anerkennung der anderen gar nicht ausbleiben kann und die bleibt gerade dann aus.
Wenn man mit Herzblut bei jeder Sache ist, die man tut, lebt man sich selbst und dazu ist Perfektion nicht nur unnötig sondern störend, weil man es selbst ja auch nicht ist. Und man wird ganz von selbst für andere attraktiv weil nichts attraktiver ist als zwanglose Souveränität, die nichts beschönigen will aber auch nichts auslässt.

Jetzt aber raus in die Sonne

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
Franzi
Beiträge: 191
Registriert: 1. Apr 2003, 12:10

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von Franzi »

Liebe Dys!
Gratuliere!!! Das kommt später! Ist noch viel zu frisch, Du mußt es erst mal sacken lassen. Das ist doch eine enorme Leistung trotz Krankheit solch eine Prüfung zu bestehen!

Aber es steht Dir nun ja auch andererseits noch viel Schweres bevor, daher kannst Du ja auch noch nicht völlig aufatmen.

Aber trotz alledem gönne Dir erstmal ne Zwischenpause, bevor Du das nächste in Angriff nimmst!!! Du kannst stolz auf Dich sein, auch, wenn Du momentan noch anders empfindest!!!

Tue Dir etwas Gutes quasi als Belohnung!!!
Gönne Dir etwas, was Du gerne magst. Es wird Dir helfen, den nächsten Krafakt in Angriff zu nehmen.

Liebe Grüße
Franzi
Caroline1
Beiträge: 831
Registriert: 19. Mär 2003, 16:48

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von Caroline1 »

Liebe Dys

Also, dass du diese tolle Leistung von dir nicht so bewerten kannst, wie sie objektiv wirklich einzureihen ist, das liegt wohl wirklich an der Depri. Deshalb musst du nun auch noch schlucken, dass auch ich dir dazu gratuliere

Aber ich kenn das, man glaubt, man müsste sich freuen, doch es funktioniert nicht, man spürt nix, eben genau diese Leere. Ich erlebte das auch zu Zeiten, wo ich gar nicht akut depri war. Ich habs dann ganz massiv verdrängt, und redete mir ein, dass alles OK sei, bzw dass ich in dieser hinsicht eben "nicht normal ticke". Wenn ich mir das jetzt im nachhinein so betrachte, ist es ganz einfach so, dass ich mir das Recht für mich nicht herausnahm, auf MICH stolz sein zu dürfen, wie es ja jetzt bei deiner bestandenen Prüfung auch ist. Und wenn du die beste Note geschrieben hättest, würdest dich kein bisschen mehr freuen, denn du würdest dann einen noch abstruseren Gedanken anführen, weswegen es doch noch immer nicht gut genug ist. Das sind depressive Verstrickungen, in denen du da hängst. Und ich bin mir ganz sicher, dass der Moment kommen wird, in denen du deine eigene Leistung gebührend einschätzen kannst, nämlich wenn deine Depressionen ihren Würgegriff um dich lockern werden.

Gefühlsleere ist was ganz schreckliches, ich weiss das:-(
Ich würd dich jetzt gern mal umarmen....

Einen ganz lieben Gruß an dich von

Caroline
rea1956
Beiträge: 59
Registriert: 21. Aug 2003, 21:55

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von rea1956 »

Lieber Albert,
das Forum Depri-Manie ist geschlossen,so das ich Dich nur auf diesem Weg erreichen kann.
Ich hätte eine Frage zu einem anderen früheren Thread,als diesem an Dich,weiß aber nicht,ob es Dir recht ist, danach zu fragen,weil es schon im Frühjahr war.Kann ja sein,Du willst nicht mehr dran erinnert werden.Deshalb frage ich jetzt vorher,ob ich es darf.
Herzliche früße Andrea
albert
Beiträge: 1284
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von albert »

Hallo Andrea,
sicher sind einige Foren aus früherer Zeit geschlossen. Das hindert aber nicht, zu den gleichen Fragen ein neues Thema aufzumachen.
Jetzt ist es kurz vor sechs Uhr und ich muss zur Arbeit, so ein komisches Gefühl sagte mir gerade, dass ich hier noch schnell reingucken kann.
Heute abend habe ich wieder Zeit, um zu schreiben.
Bis später mit herzlichen Grüßen
Albert
sandrak
Beiträge: 530
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Noch nicht zufrieden

Beitrag von sandrak »

Hallo DYS,

wollt auch nur mal kurz sagen, das du da ne meisterhafte Leistung vollbracht hast, echt super! bin froh, wenn ich auch mal soweit bin, aber ich denke ja auch ständig von mir dass ich es nicht schaffe, muß erstmal eine andere einstellung zu mir selber finden.
Antworten