Nähe und Distanz

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flower123
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Nähe und Distanz

Beitrag von flower123 »

Hallo liebe Leute!

Momentan besuche ich wochentags eine TK und bei mir ist viel im Umbruch.
Da drängte sich mir in den Gesprächen die Frage auf, wie ich bisher mit Nähe und Distanz zu anderen Menschen umgegangen bin.

Mir fällt es unheimlich schwer, auf andere Menschen zuzugehen.
Wenn ich dann in einer Gruppe bin, fällt es mir sehr schwer, mich in das Gespräch einzubringen; Ängste und Zweifel halten mich oft davon ab.
Auf irgendeine Art und Weise bin ich sehr angespannt, wenn ich von anderen Menschen umgeben bin.

Ähnlich sieht es mit Partnerschaften aus: ich kann nicht aus mir herauskommen; meist zeige ich gar nicht meine verschiedenen Facetten, sondern nur eine:
die Unantastbare.

Konkret gesagt:
Man sehnt sich nach Nähe, aber sobald es danach aussieht, geht man wieder auf Distanz.

Bei mir ist es so, dass ich Angst habe, mein Gegenüber zu verletzen bzw. Angst davor habe, selbst verletzt zu werden.

Kennt jemand von euch dieses Gefühl?
Wie geht ihr damit um?

GLG von der schläfrigen white orchid
wennfrid
Beiträge: 799
Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Nähe und Distanz

Beitrag von wennfrid »

Hi withe orchid
Angst vor Verletzung, Angst, andere erkennen, wie ich wirklich bin, isoliert. Ich hatte früher Angst, auf Menschen zuzugehen, Kontakte zuzulassen, ich könnte durch meine Angst oder Depression, als Schwächling betrachtet werden. Ich kann deine Haltung sehr gut nachfühlen. Heute weiß ich, daß niemand perfekt ist und jeder nur mit "Wasser kocht." Jeder Mensch hat Angst, ich bin nicht allein. Außerdem helfen mir Affirmationen in Form von Segnungen. (Ich segne alle Menschen, die Gegenwart und mich selber.)Außerdem weiß ich, niemand kann mich verletzen, außer ich lasse es zu. Mit diesen Einstellungen kann ich jederzeit und ohne Schwierigkeiten mit anderen Kontakt aufnehmen.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Liber
Beiträge: 1491
Registriert: 4. Jun 2006, 18:09

Re: Nähe und Distanz

Beitrag von Liber »

Liebe Orchidee,

diese Schwierigkeiten mit Nähe und Distanz kenne ich auch.

Irgendwann wurde mir klar, dass das Problem mit der Wahrnehmung von Grenzen zu tun hat, sowohl meiner eigenen als auch der des Gegenüber.

Lange Zeit hatte ich geglaubt, ich hätte keine Grenzen bzw. ich dürfte keine haben. Ich hatte geglaubt, Nähe könnte nur entstehen, wenn ich jegliche Grenze völlig aufgebe bzw. gar keine Grenze hätte. Das Muster stammt aus meiner Kindheit. Da ist es so geschehen.

Daraus entstand später die Angst: wenn ich jemanden zu nah an mich heranlassen, wird der/die andere mich überrollen, völlig vereinnahmen, verletzen können. Ich bin ihm/ihr ausgeliefert.

Dann bleibt als Notwehr nur die Distanz. Aber sie verhindert Nähe, genau wie du es beschreibst.

Ein Teufelskreis?

Ich musste erst mal begreifen, dass gesunde Nähe mit gesunden Grenzen zu tun hat.

Ich habe gesunde Grenzen und das Recht, sie zu bewahren. Und genauso hat sie der/die andere.

Das erste ist also zu lernen, die eigenen Grenzen überhaupt erst mal zu spüren. Weder muss ich mich im Kontakt vereinnahmen lassen noch muss ich mich völlig aufgeben, damit Nähe entstehen kann.

Ganz im Gegenteil! Das ist keine wirkliche Nähe. Das ist Selbstaufgabe.

Denn jede Beziehung braucht Nähe UND Distanz. NUR Nähe ist ebenso schädlich wie NUR Distanz.

Klingt das für dich plausibel?

Es ist meine perönliche Erfahrung, ich schreibe es dir einfach mal als Gedankenanregung.

Liebe Grüße
Brittka
brrr
Beiträge: 262
Registriert: 3. Mär 2010, 13:31

Re: Nähe und Distanz

Beitrag von brrr »

hallo, liebe orchidee

das ist auch für mich ein ganz wichtiges thema. auf der einen seite lasse ich niemanden an mich heran - aus angst vor verletzungen. aber ich kann den "schein" besser lösen als du. ich kann ohne hemmungen auf wildfremde leute zugehen und mit ihnen plaudern, diskutieren oder sonstwas. das habe ich halt durch meinen job gelernt.

das mit den grenzen-setzen ist ein wichtiger punkt. konnte ich früher überhaupt nicht. seit meinem klinikaufenthalt zumindest ein bisschen. meine wichtigste strategie ist halt das weglaufen. oder barrikaden aufbauen. was letztlich das gleiche ist.

das verhältnis zu meinen eltern war ein besonderes - halt ein eltern-kind-verhältnis und kinder habe ich keine. und zu all den anderen menschen, incl. liebhaber, freundInnen und lebenspartner, da habe ich immer distanz gewahrt, in unterschiedlicher intensität. immer aus angst, verletzt oder vereinnahmt zu werden. ich war nicht mal bereit, mich lieben zu lassen. auch mochte ich nie geschenke haben. ich hatte immer angst um meine freiheit und/oder davor, aufgefressen zu werden. irgendwie ist es bei mir mit dem urvertrauen wohl schief gelaufen.

heute bin ich endlich so weit, mich auf eine beziehung einzulassen: auf einen hund. ich weiß, dass in manchen kliniken mit tieren gearbeitet wird. ich habe es unbewußt gemacht. und bin froh drum.

diesen hund liebe ich heiß und innig. ich weiß, dass er nie grenzen verletzen würde. ich weiß, dass er mich nie zurückstoßen würde. ich weiß, dass er mich nie ausnutzen würde. er ist in seinen hunde-grenzen 100%ig verlässlich. und genau so nehme ich seine liebe ohne vorbehalte an. es gibt für mich keine zuverlässigere liebe als seine.

im moment bin ich (noch) nicht in der lage, auch einen menschen so dicht an mich heranzulassen. kann aber noch kommen. denn bei aa sagt man: "zuerst ne pflanze, dann ein tier und erst dann einen menschen".

orchidee, vielleicht kannst du mit meinen erfahrungen was anfangen. wünsche dir und allen anderen ein schönes wochenende

brit
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Nähe und Distanz

Beitrag von flower123 »

Ein liebes Hallo an alle!

Vielen vielen Dank für eure Antworten!

@Fridolin: Den Aspekt, nur dann verletzt zu werden, wenn man es zulässt, finde ich phantastisch!
Dies ist mir gestern aufgefallen, als ich ein wichtiges Gespräch mit jemandem führte, dem gegenüber ich mich nie durchsetzen konnte; bis gestern
Als er merkte, er beisst bei mir auf Granit, hat er angefangen, sehr viel zu meckern, mich unter Druck setzen zu wollen und ausfallend zu werden (was denn mit mir los sei; ob mich die ADs so komisch verändert hätten)
Die Wut brodelte in mir, aber ich sagte mir: er weiss jetzt nicht, wie er an dich herankommen soll, deshalb wird er beleidigend. Dem komme ich nicht entgegen, indem ich mich aufrege - no way.

@Brittka: Grenzen zu setzen ist auch so eine Sache bei mir...
Erst jetzt, wo ich mich intensiv mit mir und der Depression auseinandersetze, merke ich, dass ich zu wenig bzw. keine Grenzen setze.
Das will ich ändern
Es macht Mut zu sehen, dass es nicht nur mir so geht und dass es Leute wie dich gibt, die es geschafft haben
Danke, es ist ein toller Impuls!
Ich werde es mir zu Herzen nehmen und versuchen, dass auch mein Kopf versteht, dass Grenzen etwas Gesundes sind

@brit: Deine Situation kann ich verstehen; ich weiss auch nicht, ob ich derzeit bereit wäre für eine Beziehung.
Andererseits denke ich mir auch: es kommt sowieso meist anders als man denkt und vielleicht muss man manchmal etwas riskieren, um etwas zu bekommen...

Denn man bekommt das zurück, was man gegeben hat, und wenn ich z.B. kein Selbstbewusstsein ausstrahle, ziehe auch Menschen an, die ebenfalls keins haben und dass ist ja eigentlich das, was ich nicht will...

Mir ging es in Vergangenheit oft so, dass ich in Freundschaften zu Allem Ja und Amen gesagt habe, obwohl es mir manchmal sehr gegen den Strich ging.
Und sich dann selbst zu fragen:
Wieso stehst du nicht zu deiner Meinung?

Ist es euch auch so ergangen?

Macht euch einen wunderschönen Tag!
GLG white orchid
Liber
Beiträge: 1491
Registriert: 4. Jun 2006, 18:09

Re: Nähe und Distanz

Beitrag von Liber »

Liebe White Orchid,

nur um ein Missverständnis zu klären:

ich habe es nicht "geschafft" .

Dies Thema "Gesunde Grenzen in Beziehungen" ist ein Dauer- und Lebensthema für mich, denn ich habe über 40 Jahre ohne Bewusstsein für gesunde Grenzen gelebt.

Es ist bei mir ein mühsames neues Lernen mit immer wieder Mich-Verlieren, Fallen-ins-Abhängigkeit, Neu-Besinnung und neuer Versuch ... die Richtung stimmt, aber es geht langsam und es ist harte Arbeit.

Deshalb freue ich mich über dein Thema und den Erfahrungsaustausch hier.


>Mir ging es in Vergangenheit oft so, dass ich in Freundschaften zu Allem Ja und Amen gesagt habe, obwohl es mir manchmal sehr gegen den Strich ging.
>Und sich dann selbst zu fragen:
>Wieso stehst du nicht zu deiner Meinung?

>Ist es euch auch so ergangen?

Dies Muster ist mir absolut vertraut. Genauso habe ich mich auch verhalten. Ja, warum stand ich nicht zu meiner Meinung? Der Grund war die Angst vor Ablehnung. Und dahinter steht wieder: die Angst, ohne Anerkennung der anderen "nichts wert" zu sein, quasi keine Dasein-Berechtigung zu haben.

Einmal ist zu lernen: ich HABE Daseins-Berechtigung, einfach aus mir selbst heraus - völlig unabhängig von anderen.
Und zum zweiten: Ausprobieren !!!
Nein-Sagen, wenn ich in mir ein "Nein" spüre - und akzeptieren lernen, dass die anderen mich dann vielleicht wirklich nicht verstehen, vielleicht sogar ablehnen, und dass ich mich einsam fühlen könnte, wenn ich nicht alles "mitmache".

Aber es ist dann eine Übereinstimmung mit mir selbst vorhanden, die vorher nicht da war. Anfangs nur ganz zart zu spüren, wie ein ganz zartes Pflänzchen, das gehegt und gepflegt werden muss.

Und manche Überraschung ist auch zu erleben: nicht alle lehnen mich ab, wenn ich mal nicht so funktioniere wie gewünscht. Manche spüren, dass ich auf diese Weise lebendiger, authentischer bin, es kommt zu einer anderen Ebene der Beziehung.

Es ist mühsam und lohnend.

Lieben Gruß
Brittka
Blaumeise-umk
Beiträge: 85
Registriert: 2. Dez 2009, 20:31

Re: Nähe und Distanz

Beitrag von Blaumeise-umk »

Hallo,
auch für mich ist "Nähe und Distanz" ein ganz wichtiges Thema; in einer größeren Gruppe von Menschen fühle ich mich meistens unwohl und oft auch unsicher - Du schreibst: "Auf irgendeine Art und Weise bin ich sehr angespannt, wenn ich von anderen Menschen umgeben bin" - ja, das geht mir ganz genauso!
Zum einen sehne ich mich nach Nähe und verlässlichen Beziehungen, aber zum anderen habe ich auch große Angst davor und bewahre deshalb meistens lieber eine gewisse Distanz.
Bei mir ist der Grund nicht unbedingt die Angst vor Verletzungen, sondern die Angst, anderen zur Last zu fallen, wenn ich ihnen "zu nahe komme". Sicher ist da aber auch Angst dabei, nicht anerkannt zu werden und nicht "gleichwertig" zu sein. Deshalb gehe ich meistens sehr schnell auf "Rückzug", wenn es mir unheimlich wird... - obwohl ich mich dann manchmal eben auch sehr alleine fühle.
Aber ich denke, es ist wie Brittka es schreibt: man kann es wohl nur für sich selbst ausprobieren...?!

Euch allen noch einen schönen Abend!
flower123
Beiträge: 205
Registriert: 4. Apr 2010, 19:02

Re: Nähe und Distanz

Beitrag von flower123 »

Hallo Brittka!

Dir wünsche ich sehr, dass du es schaffst!
Ja, es ist ein langer und mühsamer Weg, aber dieser Weg wird sich bestimmt lohnen!

Als ich begonnen habe, ehrlicher zu mir selbst zu sein, sind mir diese Ängste, die du beschreibst, begegnet und deutlich geworden:
Angst vor Ablehnung, Angst, ohne Anerkennung der anderen wertlos zu sein, Angst, alleine zu sein.

Das Nein-Sagen ist da die wichtigste Übung, denn dies zeigt, dass ich zu mir selbst stehe und dies auch nach außen hin ausstrahle.
Somit werde ich auch ernst genommen.

So viel zur Theorie
Jetzt muss nur noch die Praxis folgen

Du hast so Recht: nein zu sagen, wenn man ein "Nein" in sich spürt, befreit.
Egal, was mein Gegenüber von mir hält:
Ich stehe dazu.
Und dann bin ich authentisch!

Es fällt mir sehr schwer, aber langsam scheint es ab und an zu klappen
Habe am Freitag jemandem, dem ich nie meine wirkliche Meinung sagen konnte, tatsächlich NEIN gesagt!

GLG und viel Kraft!
white orchid
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