Hab ich ein Problem? Oder bin ich doch nur schlecht gelaunt?

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Hummelvogel
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Registriert: 1. Mär 2010, 19:40

Hab ich ein Problem? Oder bin ich doch nur schlecht gelaunt?

Beitrag von Hummelvogel »

Hallo zusammen!

Ich bin ganz frisch hier. Ich habe ein kleines Problem und weiß absolut nicht, an wen ich mich wenden sollte, da dachte ich mir, vielleicht hat der ein oder andere hier Erfahrung und / oder einen Tipp für mich.

Seit etwa einem halben Jahr machen mir absolute Motivationslosikeit, fehlende Energie und ständige Müdigkeit schwer zu schaffen. Vor allem bei der Arbeit, aber auch im Privatleben. Ich habe mich schon immer ziemlich über meine Arbeit definiert, schon seit dem Studium, ich war fleißig und total begeisterungsfähig, ich wollte unbedingt etwas Schaffen und habe auch mit großem Einsatz um meinen jetzigen Job (Grafikerin bei einer Computerspiele-Firma) gekämpft. Jetzt habe ich ihn seit zwei Jahren, und obwohl eigentlich kaum etwas anders ist als am Anfang, möchte ich jeden Montagmorgen fast heulen.

Es ist mir ein unheimlicher Angang, mich aus dem Bett zu schälen, zu duschen, mich ins Auto zu setzen, meinen Mann anzulächeln. Die Stunden ziehen sich endlos wie Kaugummi (lächerlich, ich habe früher locker 10, 12 Stunden gearbeitet und das noch lustig gefunden). Ich sitze vor dem Rechner und mir fällt partout nichts ein, was nun zu Malen wäre. Jede Kleinigkeit meiner Arbeit kommt mir unüberwindlich und wahnsinnig anstrengend vor, beständig plagt mich das Gefühl, dass ich den Job eigentlich gar nicht kann und die Stelle irgendwie fehlbesetzt wurde. Das liegt unter anderem daran, dass es ein sehr kreativer Job ist und ich noch nie besonders gut darin war, mir etwas auszudenken, immer eher auf der ausführenden Seite. Es ist sehr anstrengend für mich, dieses ständige kreativ sein, aber in letzter Zeit ist es keine Herausforderung mehr sondern viel mehr eine Überforderung, obwohl sich ja an der Arbeit selbst nichts geändert hat. Daraus resultierend arbeite ich natürlich im Schneckentempo und habe erst recht wieder das Gefühl, nichts zu leisten. Freude an der Arbeit ist fast überhaupt nicht mehr vorhanden.
Es fällt mir sehr schwer, mich länger als ein paar Minuten auf meine Arbeit zu konzentrieren, ständig ertappe ich mich dabei, meine Emails abzurufen oder auf Facebook rumzusurfen oder einfach nur blöd zu schauen. Wenn ich etwas Neues anfangen soll, steh ich derzeit immer da wie der Ochs vorm Berg und denk mir „das wird NIE was…“ Ich habe abwechselnd das Gefühl, dass es ohnehin keinen interessiert, was ich da mache, und dass ich kritisch beobachtet und bewertet werde.
Dabei ist die Firma echt toll, eigentlich, und nominell wäre das auch mein Traumjob! Aber ich habe derzeit immer das Gefühl, dass ich eigentlich nicht in dieses Team gehöre, dass ich ein Hochstapler bin, obwohl ich in der Vergangenheit gute Sachen gemacht habe, die auch gelobt wurden. Also rational bin ich mir durchaus bewusst, dass das Bullshit ist, was ich mir da zusammendenke, aber das nützt einfach nichts!

Am Abend bin ich dann total ausgelaugt, kann kaum mehr was machen. Ich hab nicht mal unbedingt keine Lust darauf, aber ich hab einfach das Gefühl, dass irgendwo in mir ein Loch ist, wo alle Energie raussickert. Mit dem Bisschen was noch da ist versuche ich, meine Brötchen zu verdienen und für mehr reicht es kaum.
Die Wochenenden sind eigentlich okay, solange ich sie nicht mit Aktivitäten fülle, sondern einfach nur gemütlich mit meinem Mann abhängen kann. Dann überkommt mich auch wieder Bock, etwas zu machen, zum Beispiel etwas zu schreiben oder ein Spiel zu spielen. Gelegentlich verfalle ich dann sogar in hektische Aktivität, weil ich meine kostbare freie Zeit so gut wir irgend möglich ausnutzen will. Aber wenn ich mal was mache, wie zum Beispiel zu meinen Eltern zu fahren (3,25 Stunden einfache Fahrt), bin ich hinterher so total fertig, dass die neue Woche noch unerträglicher wird als sowieso schon. Und regelmäßig drängt sich schon am Sonntag mittag dann wieder der dräuende Montag ins Bewusstsein, und ich kann eigentlich an kaum was anderes mehr denken als die Angst, wieder vor dem Rechner zu sitzen und keine Einfälle zu haben, den Kaugummistunden zuzugucken…

Dieses Gefühl ist wirklich sehr belastend. Teilweise drehen sich meine Gedanken für Stunden im Kreis, ohne dass ich auf eine Lösung käme, teilweise schelte ich mich dann selbst, weil ich ja eigentlich, rational gesehen nun wirklich keinen Grund hab, mich zu beschweren, liebsten Ehemann der Welt, schöne Stadt, unbefristeten Job auch noch im gelernten Beruf, einer nach dem sich viele die Finger lecken würden…

UND es ist ja nicht so, dass ich wirklich komplett niedergeschlagen wäre und sämtliches Interesse an der Welt verloren hätte. Solange ich mich in meinem warmen Nestchen einigeln und viel schlafen kann ist alles gut, dann kann ich lachen, kuscheln, Freude empfinden. Nur das rausgehen ist mir ein derartiger Angang, das ewige tapfer sein, Verantwortung übernehmen (im Dezember hab ich mich zwei mal aufm Klo einschließen müssen, weil mir einfach so die Tränen gekommen sind, ohne meine Zutun)…

Deswegen glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass ich depressiv bin. Ich hab ein paar dieser ominösen Selbsttests gemacht, bin aber nicht wirklich überzeugt von diesen Ergebnissen, da es ja bei mir nicht immer die ganze Zeit so ist. Auf die Idee bin ich gekommen, weil Depressionen in meiner Familie verbreitet scheinen, meine Oma hat sie, meine Schwester ist sogar seit einiger Zeit arbeitsunfähig deswegen, und ich selbst hatte eine mit 17/18, die erfolgreich behandelt worden ist. Aber das hat sich damals ganz anders angefühlt, viel weniger schleichend, mehr wie eine offene Wunde.
Ich frage mich nur, dieses bedrückende, taube Gefühl, wenns keine Verstimmung ist, was ist es dann? Versteht mich nicht falsch, ich will mich hier bestimmt nicht aus meiner Verantwortung als Arbeitnehmer rausreden. Ich möchte eigentlich sehr gerne stark und motiviert sein, ich will wirklich gerne was Ordentliches leisten. Ich würde wirklich gerne einmal sicher sein, dass ich gute Arbeit mache und zu recht bezahlt werde.
Aber ich frage mich langsam, wenn dieses Gefühl normal ist, wo nehmen all die Leute die Kraft her, damit trotzdem jeden Morgen aufzustehen und zur Arbeit zu gehen? Und wenn es normal ist, ist das dann eigentlich nicht das Deprimierendste überhaupt, den Großteil eines Lebens mit so einer grauen Watte im Kopf zu verbringen?

Manchmal denk ich mir, dass ich vielleicht den Beruf wechseln sollte… aber es hat mit eigentlich doch immer tierisch Spaß gemacht, warum denn jetzt nicht mehr?! Und ausserdem, was sollte ich machen, die Arbeit bleibt ja die gleiche, da müsste man schon umschulen und ich wär echt total bekloppt, wenn ich in diesen Zeiten einen unbefristeten Arbeitsvertrag aufgeben würde (mal ganz davon abgesehen, dass ich dann keine staatliche Unterstützung (=ALG) bekommen würde, weil ich ja selbst schuld bin, und da ich der „Versorger“ der Familie bin…). Und vermutlich würde ich mich ewig schaben, dass ich meinen Traumjob in den Wind geschlagen hab. UND ausserdem sind es ja nur 40 Stunden die Woche, also eigentlich voll der Klacks, vor allem gemessen an dem was ich sonst geschafft hab.

Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los ist. Und ich weiß auch niemand, der mir dahingehend Rat geben könnte. Meine Familie ist mit meiner Schwester beschäftigt, und wenn ich jetzt auch noch was hätte, käme das ja rüber wie ein Trittbrettfahrer, der nur zu faul zum Arbeiten ist. Mein Mann ist ein absoluter Schatz, er tröstet mich wirklich wo es geht und versucht mich aufzubauen (hab ich ein Glück mit dem), aber leider vergeht dieses wohlige Gefühl von Geborgenheit sobald ich das Haus verlasse. Weil ich diesen Winter ungewöhnlich oft krank war, hat mich meine Ärztin mal gefragt, ob ich Stress hätte, da hab ich vorsichtig angedeutet dass mir mein Job sehr schwer fällt, aber ausser mich krankzuschreiben schien da kein weiterer Handlungsbedarf zu bestehen.

Puh, das ist ja ganz schön lang geworden, so viel wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Also wer immer bis hier hin gelesen hat, meinen allerherzlichsten Dank dafür! Wenn mir jetzt noch jemand einfach ein Wort sagen würde, irgendwas, und wenns nur ein „reiß dich z’samm“ ist (obwohl ich das nicht hoffe), das wär wirklich famos, denn ich weiß nicht, was noch tun, ausser Johanniskraut-Tee trinken und auf den Frühling zu warten…
ben1
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Hab ich ein Problem? Oder bin ich doch nur schlecht gelaunt?

Beitrag von ben1 »

Hallo und herzlich willkommen, Hummelvogel

Ich glaube, es war Marc Twain, der gesagt hat "Es gibt 2 Katastrophen im Leben eines Menschen - das, was man unbedingt will, nicht zu erreichen - oder es eben zu erreichen".

Wenn man (wie Du) ein Glücksrezept hat und das fertig kochen kann und dann zum abschmecken kommt, wird man enttäuscht sein. Alles, was man sich gewünscht, wofür man gearbeitet hat, ist Realität geworden - und genau dann (!) fangen die Probleme an.

Um Dich zu beruhigen - das ist erst mal ganz normal. Auch die Schuldgefühle, die Du beschreibst (ich wollte das doch so - ich kann mich doch über nichts beschweren) sind eine Folge dieser Denke.

Leben ist zu 90% Alltag - und wie spannend und erstrebenswert ein x-beliebiger Zustand im ersten Moment ist, genau so schnell verliert er diese Faszination. Das ist keine Sache des Denkens, sondern eine mehr oder weniger genetische Disposition. Wenn wir als Neandertaler jahrelang nur ums Feuer gesessen wären vor lauter Freude über dessen Erfindung, wir wären ausgestorben.

Die Aufgabe ist im Leben, das, was uns einst faszinierte (ein passiver Prozess), für uns wieder Interessant zu machen (ein aktiver Prozess). Das kommt nicht "von selbst" wieder, da ist ein anderer Umgang gefragt.

Ob Du depressiv oder ausgebrannt oder über/unterfordert bist - ich habe keine Ahnung. Die Begriffe sind nicht wichtig - wichtig ist, das es Dir derzeit nicht gut geht. Also würde ich das in Angriff nehmen. Vielleicht machst Du mal ein Coaching, vielleicht auch eine Therapie - vielleicht kannst Du aber auch Deinem Arbeitgeber sagen, das Du derzeit keine kreativen Einfälle hast - das finde ich menschlich.

Ein paar Gedanken von

Ben
wennfrid
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Registriert: 15. Feb 2010, 08:01

Re: Hab ich ein Problem? Oder bin ich doch nur schlecht gelaunt?

Beitrag von wennfrid »

Hi Hummelvogel
Ich denke mal, du bist ausgebrannt. Burn-Out, leben mit wenig bis keiner Energie. Nichts macht Freude, man zwingt sich, die täglichen Aufgaben zu erledigen und ist abends nur noch kaputt. Burn-Out ist ein Folge von Depression, Ängsten oder einfach über einen längeren Zeitpunkt eine Überforderung. Außerdem wird dieser Zustand, Angst, auslösen. Angst, weil ich nicht mehr das Leisten kann, was ich möchte. Meist versucht man das "ausgebrannt sein" mit noch mehr Aktivität aus der Welt zu schaffen und man muß feststellen, es wird dadurch nur noch schlimmer.
Woher das Burn-Out-Syndrom kommt, kannst nur du selber, rausfinden. Sehr oft kommt es von
verdrängten Ängsten, ev. niedriges Selbstwertgefühl, zuwenig Vertrauen in sich selber und die Umwelt, usw. Das sind meine Denkanstöße, meine Erfahrungen. Vielleicht kannst du für dich etwas brauchbares rausfinden.
Viel Kraft und Energie

Fridolin
Katja70
Beiträge: 10
Registriert: 1. Mär 2010, 03:11

Re: Hab ich ein Problem? Oder bin ich doch nur schlecht gelaunt?

Beitrag von Katja70 »

Liebe Hummelvogel,

also für mich klingt das alles sehr ernst und hört sich nach einer Depression an. Ich habe da meine eigenen Erfahrungen und weiß, wie bleiern man sich anfühlt. Ich würde auf jeden Fall Hilfe suchen, Johanniskraut-Tee hilft da nur bedingt. Wichtig ist viel Bewegung - da hilft der Frühling schon. Hier auch ein Buch, das ich sehr gut finde: The Mindful Way through Depression. Freeing Yourself from chronic unhappiness. "Well-being is not the absence of pain, but the presence of joy." In diesem Sinne wünsche ich dir alles Liebe, take care,
Katja
Salvatore
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Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
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Re: Hab ich ein Problem? Oder bin ich doch nur schlecht gelaunt?

Beitrag von Salvatore »

Hallo Hummelvogel,

alles, was du beschreibst, ist mir ganz genauso passiert. Ich durchlebe die selben Ängste und Zweifel wie du.
Ich habe einen Job, der 1a zu mir passt, der anspruchsvoll aber nicht körperlich schwer ist und den ich eigentlich schon unter widrigeren Umständen gemeistert habe. Dann kam irgendwann die Entwicklung, wie du sie beschreibst, habe mich überfordert gefühlt, scheinbar grundlos. Habe mir gedacht, "Himmel, stell dich nicht so an" und weitergemacht. Meine Freunde waren sauer, weil ich nicht mehr wie früher jede Woche ausgehen wollte/konnte.

Aber ich dachte, das wird schon, kleine Krise, geht vorbei. Ist ja alles nicht so schlimm, ich jammere ja auf hohem Niveau und habe doch alles, was man sich wünschen kann.
Dann kam das Weihnachtsgeschäft (bin Einzelhändler) und hat mich völlig fertiggemacht. Dachte aber, jetzt kann ich nicht krankfeiern, was sollen die Kollegen denken? In einer solchen Zeit ist das unmöglich, das geht gar nicht.
Ich hatte aber auch immer mal wieder schöne Arbeitstage, die Spaß gemacht haben. Und wenn ich weggegangen BIN, hat das auch Spaß gemacht. Ich dachte mir, ich bilde mir alles nur ein.
Und weil meine Oma im Herbst gestorben ist, wollte auch ich meine Familie nicht damit belasten, dass ich unter einer pathologischen Arbeits-Unlust leide.

Nach Neujahr kam dann der Zusammenbruch. Ich habe das verlängerte Wochenende komplett durchgeheult, aus einem diffusen Gefühl der Verzweiflung heraus.
Da war mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich bin zum Arzt und jetzt nehme ich das in Angriff und ich bin ich erleichtert, dass ich diesen Schritt endlich gegangen bin und denke mir, warum eigentlich nicht schon früher?

Ich kann dir keine Tipps geben, da ich selber ja noch ganz am Anfang stehe. Aber vielleicht zeigt dir meine Geschichte, dass du nicht alleine bist und dass du vielleicht doch (schleunigst?) was unternehmen solltest.
Hast du einen (Haus-)Arzt, dem du vertraust? Dann schildere ihm deine Situation genauso wie uns und frage ihn.

Ich wünsche dir alles Gute und viel Glück!
Alles Liebe,

Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
Denker
Beiträge: 645
Registriert: 11. Apr 2005, 13:55

Re: Hab ich ein Problem? Oder bin ich doch nur schlecht gelaunt?

Beitrag von Denker »

Hallo Hummelvogel,

Lust auf ein kleines Gedankenexperiment?

Nehmen wir einmal an, du wärst wirklich depressiv. Dann könntest du z.B. folgende Symptome aufweisen:
- Konzentrationsstörungen
- Gedächtnisprobleme
- Schlafstörungen

Diese Symptome könnten dazu beitragen, dass du nicht mehr in der Lage bist, deinen Job auszufüllen, sondern nur noch dieses "Watte im Kopf" Gefühl hast.

Jetzt kommt aber dein Ehrgeiz ins Spiel. Du möchtest etwas leisten, möchtest einen guten Job machen, dein Geld wert sein. Du quälst dich ab, aber es geht einfach nicht. Schuldgefühle kommen hinzu. Du kannst nicht mehr abschalten und deine Freizeit verliert zunehmend ihren Erholungswert. Eine Teufelsspirale abwärts beginnt...

Kannst du dich darin wiederfinden?

Liebe Grüße
Denker
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