Ängste, wie damit umgehen.

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tina49
Beiträge: 14
Registriert: 27. Jan 2010, 21:57

Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von tina49 »

Hallo, an Euch hier!
auch ich bin neu hier und habe größtenteils in den letzten Tagen versucht, Eure Diskussionen nachzuvollziehen. Sorry, aber auch ich musste begreifen, dass das gar nicht möglich ist - wie ich gelesen habe, kennt Ihr das ja mit den Konzentrationsstörungen auch.
Auch das mit der Angst kenne ich sehr gut. Dabei ist mir aufgefallen, dass sie immer dann so richtig zuschlägt, wenn ich das Gefühl habe (oftmals merke ich das sogar erst sehr spät), dass ich nicht selbst agiere sondern nur noch reagieren kann. Wenn ich abhängig bin von den Abläufen oder dem Verhalten der "Außenwelt". Dann ist es wohl die Angst, dass mit mir etwas gemacht wird, was ich nicht beeinflussen kann. Vielleicht kommt daher die Angst? Angst vor Abhängigkeit, Fremdbestimmung, Ausgeliefertsein?
Meine Erfahrung ist, dass es mir dann immer besser ging, wenn ich die Dinge selbst in die Hand nehmen konnte - in irgend einer Form - und wenn es anfangs nur ein paar kleine Schritte sind. Ich denke, hier im Forum zu schreiben, ist ein kleiner Schritt. Und @ER sollte darauf schon wirklich stolz sein. Es ist ein Anfang...(denke ich)
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von ben1 »

Hallo Tina

Angst hat immer etwas mit Verlust zu tun. Die Angst, die Du beschreibst, ist wohl die Angst, in die Welt geworfen zu sein, ohne selber als Akteur an der Welt teilzunehmen.
Ich denke, um gesund leben zu können, muss man den Anteil, den man nicht selbst beeinflussen kann, schlicht und einfach akzeptieren (klingt einfach, ist es aber nicht), sich aber gleichzeitig einen Handlungsspielraum aufbauen (wie z.B. das Posten hier im Forum), den man selbst mit Leben füllen kann.

Du (und jeder Mensch) hat Möglichkeiten, sich zu entfalten und es gibt bei jedem Menschen Begrenzungen, die diese Entfaltung einschränken. Diese Grenzen zu sehen, ist erster Schritt - zu erkennen, welche Grenzen ich mir selber mache und welche Grenzen meine Existenz als Mensch qua Definition mit sich bringt ein weiterer, und die Grenzen, die ich mir selber setze immer mal wieder ein Stück weit zu sprengen ein dritter.
Sehr schön hat meiner Meinung nach Fritz Riemann die Problematik der Angst zusammengefasst (Grundformen der Angst - gibts als Buch - sehr lesenswert).

Ängste sind wichtige Wegweiser auf dem Pfad des Lebens - manche sind sehr hilfreich, andere eher hinderlich. Alle (!) haben oder hatten mal Sinn für uns! Ob dieser Sinn auch für heute noch gilt, sollte wohlüberlegt werden - denn viele Ängste schleppen wir seit unserer Kindheit mit uns, obwohl sich die Rahmenbedingungen völlig verändert haben - von denen können wir uns auch wieder trennen, ohne das unsere Existenz gefährdet ist.

Dir alles Gute

Ben
Mezier
Beiträge: 289
Registriert: 18. Jun 2009, 20:57

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von Mezier »

Hallo @all,

@ben
Dein Post ist eine Punktlandung. Kann mich nur anschließen.
@all
den Riemann gibts auch als Hörbuch(hab ich so genutzt) wenn lesen schwierig ist, weils mit der Konzentration nicht so klappt.

Grüße Mezier
tina49
Beiträge: 14
Registriert: 27. Jan 2010, 21:57

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von tina49 »

Vielen Dank für Eure Meinung und auch an Euch Beide für den Buchtipp.
Dass Angst immer etwas mit Verlust zu tun hat, kann ich sehr gut nachvollziehen - und wenn es sich um den Verlust des eigenen Handlungspielraumes dreht. Auch das gibt es - und dies zu akzeptieren, wär natürlich der beste Weg. Was aber, wenn man nicht akzeptieren kann? Es gibt Dinge auf der Welt, die passieren einem, Dinge, die man nicht akzeptieren kann. Man möchte sich dagegen wehren, etwas tun. Nur würde dies unweigerlich zu einer Straftat führen, würde ich mir selbst damit schaden.
Kurz zur Erklärung/zum besseren Verständnis:
Meine Tochter wurde durch einen rücksichtslosen Autofahrer (angetrungken, gerast) so kapputt gefahren, dass sie einen GdB von 100 hat. (Lange Koma, Polytrauma, Verlust des rechten Armes uvm.)Der Schuldige ist mit Bewährung davongekommen, hat seine Fahrerlaubnis wiederbekommen, nahm 4 Wochen nach dem Unfall (es gab auch noch einen 18jährigen Toten und eine weitere Schwerstverletzte) an einem Autorennen teil und ließ das sogar im Internet zeigen. Am "Urteilstag" hat er eine Party gefeiert, lachend die Zunge rausgesteckt und auch dieses Foto öffentlich gemacht! - Unser Leben hat sich seither dramatisch verändert. Nicht wenige wissende sagten mir direkt, dass der Kerl nicht mehr leben würde, wäre ihnen das passiert. Tausendmal habe ich vorher geschworen: Wenn einer meinen Kindern was tut, tu ich ihm was. Und jetzt? Alles in mir schreit wirklich nach Rache, aber ich kann nichts tun, weil meine Tochter dann meine Hilfe nicht mehr hätte.
Dies ist eine ganz andere Form von Angst, die ich meine. Andere bestimmen teilweise unser Leben (Unfallfahrer-Ämter usw.) Der Handlungsspielraum ist sehr klein geworden. Und auch immer die Angst, irgendwann nicht mehr die Kraft zu haben...
ben1
Beiträge: 1379
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von ben1 »

Hallo Tina

das ist eine sehr sehr traurige und auch wütend machende Geschichte. Wenn jemand scheinbar gleichgültig das Leben anderer Menschen zerstören darf, ohne eine "gerechte" (ja, was wär das) Strafe zu erhalten dann fühlt man da sicher eine ohnmächtige Wut. Und der Gedanke der Rache oder Vergeltung liegt sehr Nahe. Allerdings verändert der NICHTS am Zustand Deiner Tochter! Was passiert ist, ist furchtbar und schrecklich, aber es ist nicht mehr veränderbar. Die einzige "Macht", die jetzt noch bleibt, ist zu dem, was gerade ist, Stellung zu beziehen. Bei Hesse steht in Sidharta sinngemäß "Wenn Du nichts zu Essen hast, ist Fasten die bestmögliche Entscheidung". Du brauchst Deine Engergie jetzt für Deine Tochter und für Dich, um das alles zu verarbeiten - verschwende keine Energie für Andere - die sind die Energie nicht wert, so egoistisch sollst Du sein!

Ich wünsche Dir viel Kraft und viel Mut und Deiner Tochter alles Gute.

Ben
tina49
Beiträge: 14
Registriert: 27. Jan 2010, 21:57

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von tina49 »

Hallo Ben,

vielen Dank für Deine lieben und richtigen Worte. Es hat mir wirklich gut getan. Natürlich ist mir das vom Verstand her schon alles sehr klar geworden. Was macht man aber mit den Gefühlen, die eine völlig andere Sprache sprechen? Klar: Ich sage mir immer wieder: Meine Tochter hat überlebt, was ein Wunder ist, wie die Ärzte immer wieder sagen. Ihre Kunst war am Ende - sie hat überlebt, weil SIE es wollte. Damit gehe ich um, das ist für mich immer wieder Herausforderung, tapfer und "diszipliniert" zu bleiben. Nachts kommen die Träume über meine nicht ausleben dürfende Wut. Wohin damit? Um es auch für meine Tochter leichter zu machen, halte ich mich ihr gegenüber - was meine Wut betrifft - zurück. Es nutzt ja auch ihr nix, immer wieder damit anzufangen, dass der Typ ungestraft blieb. Sie hat selbst Probleme damit. Ich bin freilich in Therapie, habe so viel begriffen, aber nach wie vor stehe ich da und frage mich: Wohin mit der Wut...Hast Du/habt Ihr eine Idee?
Tears
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Registriert: 9. Nov 2009, 00:25

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von Tears »

Liebe Tina,

es ist sehr schwer, dazu etwas zu sagen, gibt es doch kaum etwas Schlimmeres, als wenn dem eigenen Kind ein solch großes Unglück widerfährt, das zu allem Überfluss noch von Häme gekrönt wird. Das ist allzu unbegreiflich. Deshalb glaube ich, dass der einzige Weg zum inneren Frieden darüber geht, es nicht mehr versuchen zu begreifen, keine Erklärungen mehr vom Täter oder vom Gericht zu erwarten und aus der Dualität zu diesen, ich nenne sie mal, Instanzen hinaus zu gehen.

Das ist sicher sehr schwer. Ich hoffe, dass Dein Therapeut Dir bei diesem Prozess eine Hilfe ist.

Schau mal hier, vielleicht kannst Du mit den Worten von Anselm Grün etwas anfangen. Wenn es dafür jetzt noch zu früh ist, kannst Du Dich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder daran erinnern.

http://www.kompetenznetz-depression.de/ ... 1262249403

Ich wünsche Dir und Deiner Tochter alles Gute
Virtuella
tina49
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Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von tina49 »

Hallo tears,

danke für Deinen Rat - ich habe mal nachgelesen. Ja, etwas früh mit dem Verzeihen, aber da ist ja gut beschrieben, wie es gehen könnte. Ich werde mir das aufheben und immer mal wieder lesen, auch mit meiner Therapeutin besprechen. Manchmal denke ich schon darüber nach, durch Vergebung zur Ruhe zu kommen, aber immer dann, wenn wieder irgend eine schlimme Geschichte neu dazukommt (OP) oder so, bricht eben alles wieder auf. Vielleicht ist es wirklich auch eine Frage der Zeit.
Danke auch für die lieben Wünsche.
ben1
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von ben1 »

Hallo Tina

wohin mit der Wut? Wut ist ja eine Form von Energie und die will kanalisiert werden, soll sie sich nicht ihren Weg selber suchen. Sprich das bitte mit Deinem Therapeuten ab (hast Du wahrscheinlich schon getan). Denn Wut, die nicht geäußert werden darf, sucht sich ihren Weg und (im blödesten Fall) richtet sie sich gegen Dich selbst. Vielleicht findest Du Formen, wo Du diese Wut und die Gefühle äußern kannst - das kann z.B. in künstlerischem Gestalten sein (hast Du Deine Wut und Trauer schon mal gemalt?) oder auch im ausagieren im Bewegungs/ Sportbereich (ein Sandsack tut da manchmal richtig gut!).
Alles, was und BEdrückt, muss AUSGEdrückt werden das es uns nicht ERdrückt. Wege gibt es viele - probier das aus, was für Dich am besten passt.

Ben
bee
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Registriert: 1. Jan 2004, 23:50

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von bee »

Hallo Tina,

nur so eine Idee:

Kannst Du Dir vorstellen, einen Brief an den Unfallverursacher zu schreiben?

Nicht um ihn wirklich abzuschicken, sondern einfach nur um Dir Deine ganze Wut von der Seele zu schreiben.....

LG bee
Betroffene für Betroffene
http://www.depressionsliga.de/
tina49
Beiträge: 14
Registriert: 27. Jan 2010, 21:57

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von tina49 »

Danke für die lieben Tipps an Euch! einiges habe ich schon getan: Da der Typ genau mit mir Geburtstag hat, habe ich ihm eine Geburtstagskarte geschrieben. Ich habe ihn nicht beschimpft oder so, aber ich habe ihn über den momentanen Zustand meiner Tochter und die den Alltag mit seinen ganzen Schwierigkeiten erzählt. Natürlich kam keine Reaktion, habe ich auch nicht erwartet, aber in dem Moment, als ich schrieb, hat es mir gut getan. Jetzt, wo ich durch die Anregung wieder daran erinnert werde, überlege ich mir, ob ich nicht eine Art Tagebuch schreibe, so für mich.
Wie sehr die Wut an mir nagt, habe ich natürlich schon genug am eigenen Körper gespürt. Da kann ich nur Recht geben, dass sie raus müsste. Ich bin ja auch auf Grund der Geschichte zur Zeit EU-Rentner und werde im Sommer nochmal zur Therapie gehen. Bis dahin heist es für mich, "über Wasser halten". Ich suche nun nach Wegen und glaube, hier bei Euch schon einen gefunden zu haben. Was haltet Ihr von meiner Idee mit dem Tagebuch? Ist das "rauslassen" oder "reinsteigern"? - Habt Ihr da Erfahrungen?
Wünsche Euch noch einen schönen Nachmittag!
tina
ben1
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von ben1 »

Ich find die Idee mit dem Tagebuch sehr gut. Allerdings würde ich mir dafür immer eine bestimmte Zeit freischaufeln und auch nicht mehr Zeit damit verbingen - das ganze also ritualisieren. Damit kanalisierst Du die Wut und bleibst aber "am Drücker", d.h. Du verhinderst ein Reinsteigern, lässt die Wut aber raus. Und die anderen Vorschläge kannst Du ja auch mal ausprobieren.

Alles Gute

Ben
Tears
Beiträge: 127
Registriert: 9. Nov 2009, 00:25

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von Tears »

Liebe Tina,

das ist auf jeden Fall eine sehr gute Idee. Alles, was Dir Erleichterung verschafft, weil Du etwas loslassen kannst, wird Dich weiterbringen. Vielleicht kannst Du es Dir auch so vorstellen, dass Du die niedergeschriebenen Gedanken dem Tagebuch übergibst und Dich dadurch zumindest für eine gewisse Zeit, seien es Minuten, Stunden, Tage oder oder, davon befreist, die Last woanders abstellst.

Ich finde es aber auch einen guten Vorschlag, die Wut zu malen. In einem anderen Thread hatten wir schon mal kurz darüber gesprochen, dass Bilder Unaussprechliches heilen können. Das kann jede Art von Bildern sein, gemalt, erzählt, gestaltet, wie auch immer.

Du klingst ganz gut, finde ich. Das freut mich.

Lieber Gruß
Virtuella
remi
Beiträge: 386
Registriert: 23. Jun 2006, 14:08

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von remi »

hallo, tina,

dein bericht hat mich zutiefst erschüttert.
die wut, die in dir nagt und dich kaputt macht, ist mehr als verständlich.

es ist gut, dass du noch eine stationäre psychoth mitmachst. ich hoffe, da kannst du die schlimme wut und angst aufarbeiten !

ich selber habe auch in schlimmen phasen in eine kladde geschreiben, allerdings nannte ich es nicht tagebuch, sondern "gefühlebuch"
hab einfach alles durcheinander reingekritzelt, was in mir nagte.

das hat mir gut getan. und wenn es an einem tag mal ganz schlimm war, habe ich nur einen dicken schwarzen balken oder stein reingemalt.

ich wünsche dir alles gute, bleib tapfer !
lg kreati
tina49
Beiträge: 14
Registriert: 27. Jan 2010, 21:57

Re: Ängste, wie damit umgehen.

Beitrag von tina49 »

Danke für den Tipp - Gefühlsbuch klingt besser. Und danke auch für Deine guten Wünsche. Ich versuchs mal mit dem Gefühlsbuch.
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