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Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 15. Mär 2009, 20:58
von kida
Erstmal ein Hallo in die Runde!

Falls es das Thema schon gibt oder ich damit gegen die Forenregeln verstoße tut es mir sehr leid.

Es geht um Krisenintervention - aber ausdrücklich nicht hier und jetzt - mir geht im Moment ganz okay!

Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll... Ich beschreibe mal nur das allergröbste an der Situation, wenn ihr genaueres wissen wollt - fragt mich bitte.

Ich gerate eben gelegentlich außer Kontrolle. Mehr oder weniger ohne ersichtlichen Grund, das schaukelt sich einfach so hoch. Und dann kann ich nicht mehr und weiß nicht wie es weitergehen soll und denke, ich halte es nicht mehr aus.
Es ist wirklich schlimm und ich quäle mich dann sehr. Theoretisch weiß ich, was ich in so einer Situation tun könnte bzw. sollte (?): Irgendwo anrufen - Arzt, Notdienst, Telefonseelsorge etc. ...

Problem: Ich kann es nicht. Ich bin total gefangen in Selbstzweifeln, Unsicherheiten...

Würde mich daher freuen über praktische Tipps, was man in so einer Sitation tun könnte, oder wie man vielleicht vorbeugen kann, oder zumindest gutes Zureden, dass die Leute bei der Telefonseelsorge ganz lieb sind und einen nicht auffressen.

Vielleicht hilft es...
Vielen Dank im Vorraus.

Re: Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 16. Mär 2009, 10:42
von no name
Hallo Kida,
ich kann das gut verstehen, dass du unsicher bist, wenn du irgendwo anrufen und dir Hilfe holen sollst.
Mir ging (geht) es ähnlich, aber allmählich lerne ich mir Hilfe zu holen, weil es einfach anders nicht funktioniert.
Zum Thema Telefonseelsorge kann ich nicht viel beitragen, da ich selbst noch nie dort angerufen habe. Trotzdem glaube ich, dass dies eine gute Anlaufstelle ist.
Ich wende mich bis auf wenige Ausnahmen an meinen Arzt oder den diensthabenden Arzt in der Klinik. Allerdings ist es dann bisher immer so gewesen, dass ich zur Krisenintervention stationär bleiben musste. Und das war aber dann auch wirklich notwendig.
Jedenfalls kann ich dich nur bestärken bei einer Krise auf alle Fälle Hilfe zu holen, egal wo (wie du geschrieben hast, kennst du ja Anlaufstellen).

Was machst du denn bevor du außer Kontrolle geräts?
Wenn sich das so hoch schaukelt, dann merkst du es ja eigentlich rechtzeitig, bevor du nicht mehr kannst. Hast du denn schon das eine oder andere ausprobiert, so dass es gar nicht erst so weit kommt?
Ich denke da an die verschiedensten Möglichkeiten, wie du dich ablenken könntest. Z. B. Musik hören, spazieren gehen, ein gutes Buch lesen, mit Freunden telefonieren usw.
Probiers doch einfach mal aus!
Alles Gute und viele Grüße
no name

Re: Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 16. Mär 2009, 11:23
von ididid
Hallo Kida,

ja, Deine Frage kann ich gut verstehen. Ich habe selbst schon mehrere schwere Krisen um nicht zu sagen schwere Depressionen gehabt. Und denke danach: Jetzt weisst Du ja, was Du machen musst. Und irgendwie stehe ich dann wieder "auf dem Schlauch", wenn es so weit ist...

Ich glaube, der wichtigste Tipp ist einer, den man dann nicht so gerne hört: Das wichtigste ist, solche Krisen im Vorfeld zu verhindern, ganz aktiv. Wenn man erkannt hat, dass es Umstände und Auslöser gibt, kann man auch damit besser umgehen. So wie Du schreibst, kommen die Krisen einfach so und das ist aber nur bei wenigen Leuten der Fall (klassische endogene Depression, auch wenn der Begriff so nicht mehr als medizinisch richtig angesehen wird).

Ich habe für mich zum Beispiel erkennen müssen, dass ich mich beruflich immer ohne jedes Maß unter Druck setze und dann, wenn bestimmte Situationen dräuen (zum Beispiel schwierige Präsentationen / Projektvorstellungen gegenüber unseren Chefs) in eine Spirale reingerate: Abschalten kann ich sowieso fast gar nicht, aber dann schraubt sich das hoch: Noch mehr arbeiten, noch bessere Arbeit leisten wollen, keine Freizeit / keinen Ausgleich mehr, Appetitlosigkeit vor lauter Stress, Selbstzweifel werden verstärkt dadurch, dass ich keine Distanz mehr habe, eingesogen bin etc. pp. ...

Aber das ist nur ein Beispiel, was Probleme auslösen kann. Bei mir spielt halt die Angst vor Kritik und "Versagen" eine Riesenrolle.

Aber hier geht es ja um Dich: Ich bin nach Jahren Therapie der ganz festen Überzeugung, dass es gewisse Umstände und Auslöser für solche Krisen gibt. Seit ich das begriffen habe, kann ich mich auch drum kümmern, diese zu vermeiden oder wenigstens mit Ihnen umzugehen und sie zu entschärfen. Und ich glaube auch, dass man das nur sehr schwer alleine schaffen kann. Auch und gerade wenn man eigentlich selbst ein analytischer Mensch ist und meint, Dinge gut zu durchschauen... (Mensch, jetzt schreib ich schon wieder von mir...

Ein Psychoonkel oder -tante kann hier wirklich wertvolle Dienste leisten, nur Mut! Was meinst Du?

Gruß
by_heart

Re: Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 16. Mär 2009, 15:34
von ididid
Vielleicht noch, wenn hier das Wort Klinik fällt: Ich war mal in der Klinik und hatte fortan immer Horror davor - nicht, weil es dort so schrecklich gewesen wäre, sondern weil ich Angst hatte wieder sechs Wochen "off" zu sein und dann wieder in den Alltag und die Probleme dort zurückfinden zu müssen.

Zwischen Deiner Situation und dem Wort Klinik *gruselgrusel* gibt es aber ganz viele Orte und Möglichkeiten. Die Telefonseelsorge beisst tatsächlich nicht und ist 24 Stunden da, ist doch schon mal was. An sich würde ich aber mal einen Psychologen befragen, das bringt im Endeffekt vielleicht mehr. Und nicht denken: Der hält mich für total bekloppt / kann mir eh nicht helfen / eigentlich habe ich ja nix, der lacht mich aus oder ähnlichen Unsinn. Diese Leute sind für einen da und dafür werden sie bezahlt. Punkt. Einfach als Dienstleistung sehen, wie bei einem kaputten Bein oder einer komplizierten Krankheit wo man erst mal rausfinden ist, was da los ist.

Außerdem gibt es (zumindestens in größeren Städten) Krisenzentren, wo man einfach vorbeigehen kann wenn man denkt man hält es nicht mehr aus. Da gibt es einen Tee, fundierte und verständnisvolle therapeutiusche Gespräche und, wenn man nicht nach Hause will/kann auch eine Übernachtungsmöglichkeit. (Zum Beispiel in Berlin das Krisenzentrum Moabit in der Turmstrasse.)

Außerdem gibt es ja auch immer die Möglichkeit akut ins Krankenhaus zu gehen, da finde ich allerdings die Hemmschwelle ziemlich hoch. Bevor man die Nacht nicht überlebt allerdings durchaus eine ernstzunehmende Alternative...

Wenn Du schreibst "Problem: Ich kann es nicht. Ich bin total gefangen in Selbstzweifeln, Unsicherheiten..." dann kann ich nur sagen: Das ist nicht der Grund, es nicht zu tun, sondern Teil des Problems, wegen dem Du es tun musst!!!

Ein letzter Klugscheissertipp ist der, Dir in einem weniger akuten Moment (so wie Du es als den momentanen Zustand beschreibst) zu überlegen, was zu tun wäre und es Dir auf eine Liste zu schreiben. Mit Telefonnummer und so. Rein ins Portemonnaie und wenn es soweit ist rausziehen und "GO!". In der Situation selbst nach Lösungen und Telefonnummern zu fahnden wird nicht klappen...

Gruß und - all the best
by_heart

Re: Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 16. Mär 2009, 16:32
von Ina80
Hallo Kida,

ja, ich finde, by_heart hat da schon einen guten Tipp mit diesem Notfallzettel und den Telefonnummern darauf. Das hat mir meine Therapeutin auch letztens vorgeschlagen, als eine Art "Notfallkoffer". Ich habe jetzt einen Zettel immer bei mir, auf dem die Namen und Telefonnummern von denen draufstehen, die ich anrufen kann, wenn ich einmal wieder in einer Krise stecke und akut Hilfe benötige. Leute, die auch schnell bei mir sind und ein bisschen auf mich aufpassen können. Das sind sehr gute Freundinnen von mir. Naja, und dann sind da noch die Telefonnummer meiner Therapeutin und die Nummer der Telefonseelsorge, wenn ich meine Freundinnen mal nicht erreiche.

Zur Telefonseelsorge kann ich sagen, dass ich da vor einigen Wochen die Hilfe in Anspruch genommen habe und es mir sehr, sehr gut getan hat. Ich habe dorthin jetzt das zweite Mal Kontakt aufgenommen, das erst Mal per chat, jetzt per Telefon. Und ich kann sagen, dass ich beide Male sehr kompetente Personen hatte, die sehr auf mich und meine akute Situation eingegangen sind. Aber das ist nur eine akute Hilfe, für längere Hilfe oder Besserung ist da ein Therapeut die ideale Anlaufstelle, würde ich sagen. Aber zur Krisenintervention würde ich die Telefonseelsorge jederzeit weiter empfehlen. Und nicht von den besetzten Terminen im chat abschrecken lassen, meistens bekommt man dort dann doch noch kurzfristig einen Termin. Wenn man mal nicht persönlich reden möchte bzw. nicht am Telefon...Also, ich würde die Hilfe der Telefonseelsorge jederzeit wieder in Anspruch nehmen, wenn ich meine Therapeutin nicht erreiche oder sonst etwas ist....

Viele liebe Grüße
Ina

Re: Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 16. Mär 2009, 20:30
von Zorra
Hallo kida,

ja, die von der Telefonseelsorge sind wirklich ganz nett - habe ich allerdings nicht in einer akuten depressiven Situation genutzt (sondern zu einem anderen Problem).

Ich bin, wenn ich gaaanz verzweifelt war und das Gefühl hatte, jetzt falle ich ins Bodenlose einfach ins nächste Psychiatrische Krankenhaus gefahren, hatte vorher dort angerufen und wurde auch zu einer Ärztin durchgestellt. Die haben da einen Arzt vom Dienst und ich wurde nach intensivem Gespräch mit Medikamenten versorgt, so dass ich bis zum nächsten regulären Termin bei meiner Fachärztin zurecht kam. Sie haben mich auch nicht da behalten wurde nur als "helfender Hinweis" gegeben, sollte ich aber mit meiner Ärztin klären. Wenn man nicht ärztlich versorgt ist, gibt es dort noch eine sogenannte Institutsambulanz, die dann auch die weitere Versorgung vorerst übernimmt, bis man was gefunden hat. War bei mir ja aber nicht nötig.

Also Fachärztin (da bekomme ich in Krisensituationen auch einen kurzfristigen Termin) und Psychiatrisches Krankenhaus mit Arzt vom Dienst sind mein letzter Ausweg, wenn gar nichts mehr geht.

Und was no name und by_heart geschrieben haben, find ich ganz bedenkenswert!

Liebe Grüße von Elke

Re: Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 17. Mär 2009, 00:00
von kida
Danke für die vielen ausführlichen Antworten, das sind ja schon jede Menge Anregungen.

Bin zur Zeit ziemlich nervös, weil es gefühlsmäßig bei mir wahnsinnig rauf und runter geht. Ich versuche mich immer rechtzeitig aufzufangen, bevor es ganz in den Keller geht, aber das ist so schwer zu beeinflussen. Spazierengehen hilft zum Beispiel ganz gut, aber hinterher geht es ganz schnell wieder runter...
Deshalb versuche ich eben mir einen "Notfallplan" zurechtzulegen und/oder mir am besten schon im Voraus kompetente Hilfe zu holen.
Eure Vorschläge klingen wirklich überzeugend, absolut vernünftig und nachvollziehbar. Ich kann selbst nicht verstehen, wieso es so schwierig ist, die Sachen auch wirklich umzusetzen....

by_heart schrieb:
"Und nicht denken: Der hält mich für total bekloppt / kann mir eh nicht helfen / eigentlich habe ich ja nix, der lacht mich aus oder ähnlichen Unsinn."

Ups. Du kannst ja in meinen Kopf gucken .

Ihr habt mir aber schon etwas Mut gemacht. Vielen Dank dafür.

Re: Umgang mit Krisen (nicht akut!)

Verfasst: 17. Mär 2009, 00:29
von ididid
Hallo Kida,

"Eure Vorschläge klingen wirklich überzeugend, absolut vernünftig und nachvollziehbar. Ich kann selbst nicht verstehen, wieso es so schwierig ist, die Sachen auch wirklich umzusetzen...."

Tja. Ganz einfach:
1.) Kopf versteht, Bauch wehrt sich. Total verständlich.

2.) Entscheidungen treffen, Dinge anpacken, sich um sich kümmern - das ist doch genau das, was während der Krankheit/Krise so schwierig ist. Keine Vorwürfe machen! Geht uns allen so!

3.) Bei einem gebrochenen Bein fällt es leichter, Hilfe anzunehmen, siehe oben. "Eigentlich habe ich ja nichts, man sieht mir ja gar nichts an, für die anderen bin ich ja wie immer; wie geht das denn alles zusammen?!"

"by_heart schrieb:
"Und nicht denken: Der hält mich für total bekloppt / kann mir eh nicht helfen / eigentlich habe ich ja nix, der lacht mich aus oder ähnlichen Unsinn."

Ups. Du kannst ja in meinen Kopf gucken ."

Ne, aber in meinen...

Wünsch Dir Power, Durchhaltevermögen und meld Dich beizeiten wieder

by_heart