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Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 14. Sep 2008, 19:17
von dolittle909
Liebe Forumsteilnehmer,

ich weiß nicht, was ich tun soll: Zurück in vollstationäre Behandlung oder Aushalten bis zum bitteren Ende?

Seit Anfang Mai bin ich wegen Depressionen zum ersten Mal in der Klinik. Vor ein paar Tagen verfrachtete man mich in die Tagesklinik (2. Versuch). Nun sitze ich heute verzweifelt alleine zu Hause und weiß nicht, wie ich die Zeit hier überstehen soll.

Dabei kenne ich die Diagnose bereits seit zehn Jahren (1998). Nach dem Ende meines Studiums erwischte es mich damals mit 25 zum ersten Mal. Die Phasen waren zwar heftig (mit Panik etc.), aber aus heutiger Sicht relativ kurz, ein paar Tage bis zwei Wochen, dann spürte ich wieder Boden unter den Füßen - bis er erneut verloren ging. Langsam milderten sich diese schlechten Zeiten. Die Depressionen öffneten mir in vielerlei Hinsicht die Augen und ich machte und sah seitdem viel anders.

In den folgenden Jahren ereilten mich trotzdem solche Phasen/Episoden in unterschiedlicher Intensität immer wieder, je nach Lebensumständen (Trennungen, Zurückweisungen, berufliche Veränderungen, Ortswechsel). Die meiste Zeit nahm ich Paroxetin, später kam Carbamazepin hinzu. Zudem verschließ ich aufgrund meiner Ortswechsel mehrere Therapeuten. Nachdem ich seit Anfang 2004 40 mg Paroxetin nahm, gab es so was wie relative Stabilität. Ich fühlte mich gelassener und grundsätzlich optimistischer. Egal wie ich mich fühlte, ich versuchte meine Pflichten zu erfüllen, war keinen Tag krank. Trotz immer wiederkehrender mittlerer depressiver Phasen glaubte ich die Krankheit im Griff zu haben.

All das änderte sich Anfang diesen Jahres (2008). Ende letzten Jahres hatte ich beruflich all das erreicht, was ich im Traum nicht zu erreichen gehofft hatte. Und konnte mich schon nicht freuen. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wie es weiter gehen sollte. Ich hatte den Glauben an den beruflichen Erfolg verloren, für den ich solange gekämpft hatte.

Zudem kam mir auch noch der Glaube an die Liebe abhanden. Alles brach zusammen. Ich sah mit meiner Freundin (die mich innig liebte) keine Zukunft mehr und trennte mich im Februar von ihr, weil ich die Beziehung mit ihr als unerträgliche Belastung empfand und in abgrundtiefe Löcher fiel. Alles erschien mir als ein Schrei nach Veränderung. Doch die Trennung schien ich dann ebenfalls nicht zu verkraften. Ich war hin-und-her gerissen, schließlich völlig zerrissen. Einen Urlaub, der mich wieder zu mir selbst bringen sollte, den brach ich ab. Da war ich schon Kleinholz, mein Selbstwertgefühl und meine Selbstsicherheit am Boden.

Kurz darauf ging ich von meiner Arbeitsstelle aus in die nächste Kriseninterventions- und Depressionsstation.

Dort hänge ich nun seit Anfang Mai in der Warteschleife. Meine bisherigen Medis wurden abgesetzt, ich bekam Remergil (30 mg) und Beruhigungsmittel. Erst mal ging es mir schnell wieder besser. Ende Mai wollte ich die Klinik verlassen. Doch schon auf dem Weg nach Hause bekam ich Panik, da ich das Gefühl hatte, auf ein riesiges schwarzes Loch zuzufahren. Am nächsten Tag war ich wieder auf Station. Ich überlebte dort die schlimmsten Tage meines Lebens. Als Medikament kam noch Lithium dazu. Aber aus dem Loch kam ich nicht raus, es war zeitweise nur weniger schlimm.

Im Juli schickte man mich das erste Mal in die Tagesklinik. Nach zweieinhalb Wochen hatte ich einen erneuten Zusammenbruch. Es wurde von "Remergil" auf "Trevilor" gewechselt (nun 225 mg) und ich ging wieder auf die Depressionsstation "für ein paar Tage". Dort hing ich erneut sechs lange Wochen fest. Nachdem es mir dort die letzten zwei Wochen in Nuancen besser ging, wurde mir erneut der Wechsel in die Tagesklinik nahe gelegt, um dem "Hospitalismus" entgegenzuwirken.

Seitdem ich dort bin, stehe ich am Abgrund. Nun, allein auf mich gestellt, spüre ich meine Freudlosigkeit und Einsamkeit gnadenlos. Verlasse ich die Tagesklinik, fahre ich wieder in ein schwarzes Loch, das mir Panik macht. Ich weiß nicht, wie ich die nächsten Abende und Nächte durchhalten soll. Ich traue mich nicht raus und halte es in der Wohnung nicht aus. Zurück ins Bett auf die Station käme mir wieder wie Versagen vor. Freunde, die mir helfen wollen, scheinen mir nicht helfen zu können.

Jetzt schlucke ich in meiner Verzweiflung wieder Diazepam, um nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen und bis morgen durchzuhalten. Aber das kann doch keine Lösung sein!? Natürlich kann ich immer in die Notaufnahme und würde das auch machen, bevor ich auf dumme Gedanken komme. Aber das würde mein Selbstwertgefühl noch weiter zerhacken.

Was soll ich in dieser Zwickmühle tun?

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 15. Sep 2008, 10:39
von just
Hallo dolittle,
wollte dich einfach herzlich in diesem Forum begrüßen.
Antworten dauern manchmal.

Versuche es evtl. heute Abend.
Bis dahin ist sicher schon jemand auf deine Fragestellung, die wirklich einer Zwickmühle gleicht, eingegangen.
Nur kurz:
Vollstationär (Hospitalismus klingt nicht gut, aber für mich sehr gut nachvollziehbar)
und Tagesklinik hilft dir auch nicht weiter,
wenn ich dich richtig verstanden habe, weil du dann abends in ein Loch fällst und dir demnach die 'Betreung' nicht 'engmaschig' genug ist?
Wenn es 'nur' dein Gefühl des Versagens ist,
und dir vollstationär besser geeignet erscheint, würde ich mich an deiner Stelle fragen wem gegenüber dein Gefühl des Versagens gilt.
Das konnte ich deinem Posting nicht entnehmen.
Wenn du nämlich der Meinung bist, vollstationär wäre für dich der bessere Weg,
dann ist das kein Versagen, sondern der geeignetere Weg.
Auch wurde mir beim Lesen nicht eindeutig klar, wer oder was dem 'Hospitalismus' entgegenwirken wollte. Also du oder die behandelnden Ärzte?

Liebe Grüße
delta

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 15. Sep 2008, 11:56
von sek__knd
Hallo dolittle,

begrüße dich hier auch ganz herzlich im Forum.

Verstehe dich hier sehr gut, daß du in deiner momentanen Situation den "Schutz die Unterstützung der stationären Einrichtung suchst.

Fühle dich nicht als Versager, denn sonst würde dieses Forum einen anderen Namen tragen .

Mir geht´s auch so wie dir, daß meine Depression, ganz arg an meinen Selbstwertgefühl (momentan kaum vorhanden) zerrt.
Weißt ja sicherlich selbst, daß dies auch ein Zeichen der Erkrankung ist.

Entnehme deinen Schreiben, daß du evtl. alleine lebst, lieg ich hier richtig mit meiner Vermutung ?

Korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liegen sollte !

Das dir deine Freunde / Bekannte dir in deiner Situation helfen wollen, sehe ich schon einmal als positiv an, denn somit bist du ja nicht ganz alleine.

Leider, kenne ich auch diese Situation: Hilfe von außenstehenden Personen1

Diese meinen es sicherlich gut mit dir wollen dich aus dem schwarzen Loch rausholen, jedoch löst dies oftmals Druck aus.
Auch kann dein Freundeskreis, evtl. deine Situation nicht ganz begreifen.
Lese hier im Forum mit, viele Depressive haben mit diesem Problem zu kämpfen.

Zum Hospitalismus, du schreibst ja selber, daß du "gerne" lieber stationär sein würdest, da dir die momentane Lösung mit der tagesklinischen Einrichtung noch Probleme bereitet; jedoch wurde dir vom Doc hierzu geraten ?

Kannst du nicht mit deinen behandelnden Ärzten und Therapeuten sprechen?

Vielleicht ist der Zeitpunkt für die Tagesklinik noch zu früh ???

Oder kannst du nicht versuchen, daß abends nach der Tagesklinik, deine Freunde bei dir sind?
Ihr zusammen leckeres Essen kocht, und im Anschluß noch einen kleinen Spaziergang unternimmt ???

Hier im Forum, kannst du dich ja auch melden, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt. Natürlich nicht nur deswegen ...

Uns geht´s ja teilweise auch nicht anders.

Dies um Leerlauf zu überbrücken ?
Wichtig, nicht alleine denn Gedanken nachhängen. Ich weiß, dies ist schwer....

Mir hilft da mein kleiner Zwerg, damit ich nicht ganz in der tiefe der inneren Leere und meinen Gedanken versumpfe!!!
Hätte ich für diesen keine Verantwortung, würde ich evtl. auch nur noch in meinem "Wandschrank" sitzen, oder würde schon in einer stationären Therapie sein !!!

Du schriebst, daß es mit deiner Krankheitssymptomatik wieder "abwärts" ging, als du beruflich sehr viel erreicht hast, und u. a. einer zwischenmenschlichen Trennung.
Wenn man selbst eine Beziehung beendet, leidet man/Frau doch auch, so wie der verlassene Partner. Würde ja meiner Meinung nicht normal sein, wenn man/Frau gleich in Jubel ausbricht.
Ist eben zusätzlich eine Belastung, der Trennungsprozeß. Dies benötigt seine Zeit.

Mir ging´s da ähnlich, als ich vor meiner Erkrankung nur noch Streß, Ärger und Kämpfe hatte. Mich hat´s erst so richtig erwischt, als mein Leben wieder ruhiger geworden ist?
Zwar ziemlich unlogisch, denke ich mir auch , denn mit "gesunden Menschenverstand", könnte man/Frau doch stolz auf dies Alles sein, sich belohnen und zur Ruhe kommen.

Liebe Grüße

S E K

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 16. Sep 2008, 22:26
von dolittle909
Hallo,

besten Dank für Eure Antworten und Euer Verständnis!

Noch bin ich in der Tagesklinik, beiße mich durch. Kampf Tag für Tag. Mir wurde dieser Schritt empfohlen, weil ich mich "im Kreise drehe", weil auf der Station monatelang keine Veränderung in meinen starren Zustand gekommen ist. Und ich will da ja raus, will wieder leben und arbeiten. Die Ärzte/Therapeuten sagten, je länger ich Selbständigkeit und Selbstvertrauen verliere, desto länger daure die Depression. Deshalb Tagesklinik, da hätte ich ein Bein im Leben. Aber was ist, wenn dieses Leben kaum erträglich ist? Gegen 17 Uhr empfängt mich die Leere meiner Wohnung (ich wohne alleine) und ich habe nicht die Kraft, noch einmal vor die Tür zu gehen, obwohl ich es sollte. Doch immer wenn ich es mache, spüre ich keinerlei Effekt.

Daher das Gefühl zu versagen, gegenüber mir und gegenüber den Ärzten/Therapeuten. Alle anderen schaffen es auch. Nur ich nicht. Auch heute machte sich in mir das Gefühl breit, ich sei selbst schuld an meinem Zustand.

Klar, Freunde und Familie wollen helfen, das ist wichtig und gut, zugleich könnte man daran verzweifeln, dass Trost, Zuneigung und Zuwendung das Herz nicht erreichen. Es macht mich fertig, wenn ich immer wieder das Gleiche sagen muss, wenn gefragt wird, wie es mir geht. Da wird mir angeboten, da und dorthin zu fahren, und ich traue mich nicht, habe Angst.

Vorerst weiter kämpfen. Aber es bleibt das Gefühl, dass alles sinnlos ist, was ich mache. Irgendwas mache ich falsch und ich weiß nicht was.

Euch alles Gute!

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 18. Okt 2008, 09:06
von dolittle909
Liebes Forum!

Einen Monat nach meinem Hilferuf melde ich mich wieder, um Euch zu berichten, wie es mir weiter ergangen ist:

Ich bin in der Tagesklinik geblieben und es lief etwas besser mit mir. An den Wochenenden traute ich mich erstmals wieder aus der Stadt heraus, nachdem ich monatelang nur zwischen Klinik und meiner Wohnung gependelt war. Ich besuchte einen Bekannten in der Uckermark, war mit meiner Mutter an der Ostsee und besuchte meine bayerische Heimat. Jedes Mal eine enorme Anstrengung, sich auf den Weg zu machen. Aber dafür fühlte ich mich auch immer wieder einige Tage besser, manchmal fast normal.

Doch die Stimmungsaufhellung hielt nie, immer wieder kippte es nach unten. Trotzdem gaben mir die Schwankungen mehr Zuversicht, nachdem sich monatelang gar nichts bewegt hatte, ich völlig depressiv erstarrt war. Deshalb hoffte ich, ich müsste nur hinaus ins "normale" Leben, wieder arbeiten, und ich käme wieder ins Lot.

Deshalb entschied ich mich letzte Woche zu einem "Probearbeitstag" in meinem Job. Kaum war das festgeklopft, fiel ich wieder in ein Loch, hatte Angst, den Tag nicht durchzuhalten. Ich zog den Tag durch, alle waren sehr nett zu mir, und ich konnte mich sogar so konzentrieren, dass ich ein bisschen arbeiten konnte. Aber ich hielt dabei mühsam eine Fassade aufrecht, in mir tobte und pochte es, wie ein unerträglicher Schmerz. Der milderte sich auch nicht, obwohl es doch gut lief, obwohl ich keinen objektiven Grund fand, warum mich mein Job deprimieren könnte. Als ich das Büro verließ, war da keine Erleichterung, sondern nur das Gefühl, "das halte ich nicht durch". Ich bin nicht dabei, ich bin nicht "normal". Ich fühlte mich so wie an dem Tag im Mai, als ich vom Job aus in die Klinik gegangen war. Keinen Schritt weitergekommen.

Das hat mich jetzt wieder in große Hoffnungslosigkeit gestürzt. Ich wollte zurück in mein altes Leben und von dort aus Veränderungen einleiten, Schritt für Schritt. Die letzten Wochen hatten mir Zuversicht gegeben, ich könnte das. Nun merke ich, ich bin draußen und finde weder die Türe noch den Schlüssel. Ich wollte was tun, an was arbeiten - und jetzt habe ich wieder das Gefühl, zum Warten verdammt zu sein, wie schon monatelang.

Von den Medikamenten merke ich im Grunde genommen gar nichts, schon seit Wochen stand ein Wechsel an, weil es mir aber ja immer mal wieder besser ging, schob man/ich den immer wieder auf ("keine Experimente"). Jetzt habe ich wieder das Gefühl, das Zeugs hilft nichts, gibt mir keine Stütze, gar nichts.

Natürlich kann von Euch auch keiner den Ausweg für mich finden. Aber wer Ähnliches erlebt hat, der kann mir vielleicht berichten, wie er raus gekommen ist.

Ein bisschen Hoffnung...

Danke!

d.

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 9. Dez 2008, 08:08
von dolittle909
Liebes Forum!

Erneut ein Hilferuf hinaus zu Euch! Denn mir stellt sich wieder die Frage: Zurück in die Klinik, zurück auf Station? Was habe ich falsch gemacht? Zugleich ein Bericht, wie es mir seit dem letzten Beitrag hier ergangen ist:

In der Tagesklinik ging es mir insgesamt langsam besser. Mit ganz kleinen Schritten, fast unmerklich. Man war dort der Meinung, ich müsse wieder in die Arbeit, des Selbstwertgefühls wegen. Mit vielen Schwankungen, Ängsten und großen Kraftanstrengungen war es am 21. November soweit: Ich wurde entlassen. Drei Tage später fing ich zum Arbeiten an (Hamburger Modell).

Und die ersten zwei Wochen ging es mir gut, besser, als in der gesamten Zeit in der Klinik. Ich merkte zwar, dass da bei mir noch viel nicht in Ordnung war, aber es lief, ich funktionierte und ich dankte Gott für jeden Tag. Ich war so froh, endlich wieder am Leben teilhaben zu können, ich konnte reden, schlafen, gefiel mir, wieder Mr. Wichtig zu sein, meinen Kopf arbeiten zu spüren, mich sicher zu fühlen, mich allem gewachsen zu fühlen.

Doch nun hat es mich am Wochenende wieder erwischt und zwar richtig heftig, so heftig, wie seit Anfang September nicht mehr: Ich zittere am ganz Körper, alles dreht sich, mir ist speiübel, ich kann nicht schlafen, nicht liegen bleiben, nicht zuhören, nicht essen, mich nicht konzentrieren und die Haut brennt wieder wie Feuer. Seit drei Tagen schlucke ich 10mg Diazepam und denke ich nur: Du musst zurück in die Klinik, ich halte das alles nicht mehr aus! Nichts beruhigt, tröstet, lenkt ab.

Doch dann - zurück in der Klinik - fällt alles in Scherben, was ich mir die letzten Monate mühsam an Lebenswillen wieder aufgebaut habe. Oder bin ich völlig auf den Holzweg? Ich bin zurück in mein altes Leben und prompt zieht es mir wieder den Boden unter den Füßen weg. Alles Irrtum? Spätestens in der Klinik steht alles zur Disposition. Aber wir hatten es ja dort monatelang durchgekaut: Es gibt keine Alternativen, zumindest keine erkennbaren.

Ich bin völlig verzweifelt. Ich hatte damit gerechnet, dass es mir nicht immer gut gehen würde, aber in dieser Abgrundlosigkeit und Uferlosigkeit - nein, seit Monaten hatte ich das nicht mehr.

Was habe ich nur falsch gemacht?

d.

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 9. Dez 2008, 12:30
von Wycombe1
Hallo,

es macht mich ganz traurig zu lesen wie es dir geht, obwohl unsere „Fälle“ sich nicht ähneln, hab ich doch das gefühl, sie sind sich (von der empfindung her) ähnlich.

Ich bin 39, habe 2 kleine kinder, bei mir wurde seinerzeit eine angst-und panikerkrankung mit leichter depression diagnostiziert. Bei mir ging gar nichts mehr, ich hatte solche panikattacken, es war der reinste horror.

Ich bin anfang 2007 in eine tagesklinik gegangen, da ich sonst dachte, ich dreh total durch; ich habe oft das gefühl gehabt völlig vorm kollaps zu stehen, geistig total abzudrehen. Medikamente habe ich keine genommen, da ich dies aufgrund meiner sehr kleinen kinder (da ich allein erziehend bin) nicht machen wollte.

In der tagesklinik hab ich mich sehr unwohl gefühlt und ich fühlte mich ähnlich wie du dich: nicht fisch, nicht fleisch, nicht dort „zuhaus“ nicht hier zuhaus; als versager, was ist wenn ich noch weiter „abstürze“, warum wird es nicht besser usw. usf. – es war sehr, sehr schrecklich mit den ganzen selbstvorwürfen.

Ich habe die tagesklinik geschmissen, da mir diese art der therapieform und die therapeuten überhaupt nicht lagen und es mir von tag zu tag schlechter ging und es keiner in dieser klinik gesehen hat wie es mir wirklich geht. Ich habe dann fast zeitgleich eine verhaltenstherapie angefangen, 1 x woche und das war endlich die richtige therapieform für mich! Es ging zügig aufwärts, bis dann eine richtig heftiger rückschlag kam; ich war wieder ins alte fahrwasser gefallen.

Ich habe mich sehr mühsam aus diesem rückschlag berappelt und immer begleitet mit angst, hoffnungslosigkeit, allen geht’s doch besser; warum mir nicht, trauer, enttäuschen, die gesamte palette.

Ich kann dir den genauen punkt nicht nennen, aber es ist irgendwann, fast unmerklich besser geworden… begleitet mit kleinen einbrüchen, begleitet mit totalen ohnmachtsgefühlen, dem gefühl der hoffnungslosigkeit und tiefen verzweiflung – aber es wurde besser.

Ich habe wieder angefangen zu arbeiten, und anfangs bin ich auf dem zahnfleisch gegangen, war innerlich total ausgehöhlt, war der meinung, es nie zu schaffen. Aber es ist alles eine einstellung zu sich selbst; wie hoch man die erwartungen an sich selbst schraubt. Und als ich das begriffen habe, konnte ich mit den „schlechten“ gefühlen während meiner arbeitsaufnahmezeit (ich nenns jetzt mal so) besser umgehen.

Jetzt arbeite ich seit monaten wieder, habe keine panik mehr. Meine innere verzweiflung ist besser geworden. Sie ist noch oft da, aber es ist sehr viel weniger geworden.

Ich habe aufgehört mich unter druck zu setzen und es zu akzeptieren. Mich nicht mehr dagegen gewehrt das es mir ging wie es ging, hab mich nicht mit menschen verglichen, hab mich als das genommen was ich war respektive bin.

Ich habe noch andere baustellen, die bearbeitet werden müssen, bin nach wie vor in therapie, aber mein „hauptproblem“, welches mich damals so zerrissen und kaputt gemacht hat, ist nicht mehr vorhanden.

Vielleicht brauchst du eine andere art der therapie. Vielleicht brauchst du andere medikamente. Ich weiss es leider nicht, aber ich wünsche dir alles erdenklich gute.

Und du hast nichts "falsch" gemacht!!! Bitte hör auf dich selbst runterzureissen!

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 9. Dez 2008, 13:11
von conny123
Auch von mir ein HALLO,

auch mich berührt Dein 'Leidensweg' sehr!!!
Du schreibst von Dingen,die auch in meine Seele geschrieben sind!
Ratschläge kann ich Dir keine geben - nur mein tiefes MIT-Gefühl!!!
Ich glaube ein Grund für diese scheußliche Krankeit ist der Mangel an 'Eigen-L I E B E ' !!! Wir Alle hier sind Knechte unserer Selbstzweifel-Ängste-Sensibilität und vielleicht auch der scheinbar unstillbaren Sehnsucht nach Harmonie und Glück...
Mir geht es im Moment auch wieder sehr schlecht ... nach Wochen im Glashaus, in dem mich wieder nichts und niemand erreichen konnte ausser mein mir so wohl bekanntes "Monster",bin ich gestern wieder zusammengeklappt...Ganz schlimm hatte es mich im Frühjahr erwischt (7 Wochen krankgeschrieben...Tabletten,die keine Wirkung zeigten usw.) ... So nun sitze ich hier wieder wie ein Häuflein Elend ... mit der Gewißheit dass ich meinem 'Monster' mal wieder das Feld und den Sieg überlassen habe!
Ich mag nicht mehr kämpfen-mag leben genauso wie Du ... Ein Versager scheine auch ich zu sein...schaff dieses Leben nicht ... Ich will aber glaube ich auch dieses Leid ... .Genau das muß aufhören, sonst wird es nicht besser.Medikamente helfen da wohl wenig.Nur die Liebe,die Achtung und der Respekt zu und vor sich selbst könnte uns wirklich helfen.

Von Panik und Angst bin ich im Moment nicht so gebeutelt.Nur diese beklemmende - alles Unbeschwerte erstickende Traurigkeit breitet sich wie die Pest in mir aus ... weil ich es zulasse,denn hierin kenn ich mich aus ... Ich wünsche mir Glück und Zufriedenheit.Aber auf diesem Terrain bin ich nicht zu Hause ... Vielleicht wähl ich ja deshalb immer wieder den qualvollen (vertrauten) Weg...???
Ich wünsche mir für Dich und mich,dass wir aufhören uns selbst zu quälen ... Ich glaub erst dann könnte es besser werden!?

Viele liebe Grüsse an Dich!
conny

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 9. Dez 2008, 15:12
von Reve
Hallo,

ich möchte nicht zuviel sagen, ich glaube hier im Forum gibt es Leute, die das besser können und die vielleicht auch eher in deinem Alter sind. Ich bin 45, eine Träumerin, habe 3 Kinder, einen Mann, eine süße Katze, eigentlich ein Bilderbuchleben.
Wie es bei mir vor 3 Jahren losging nach einer schlechten Diagnose, fiel ich in tiefste Finsternis, vor allen Dingen deswegen, weil ich als Vollzeitmutter keinen Job hatte. Und den wollte ich, sofort. Und ich ließ nicht locker, trotz massiver Beschwerden machte ich mich selbständig. Natürlich hatten unter diesen Umständen die Medikamente wengig Chance, richtig zu wirken, ich stand ständig unter dem Druck, den ich mir selbst machte.
Was ich sagen will, die Depression verläuft in Schüben, es ist normal, dass es besser geht und dann wieder schlechtere Stunden kommen. Aber man muss genau hinsehen und analysieren, warum, ich zumindest finde immer einen "Übeltäter" und das ist auch wiederum beruhigend. Ich erkenne eine genau Regelmäßigkeit in meinen Stimmungstiefs, in der Früh beim Grübeln ist es bedrohlich, Mittag, Abends kommt eine Nebelschwade, Freitag ist schlecht für mich, Samstag Abend, Silvester...Immer dann, wenn eine Veränderung eintritt, die mich aus meinem festem Rhythmus rausbringt, den ich mir schwer erkämpft habe. Ich habe jetzt gelernt, dass meine Melancholie wohl bleiben wird schon auch deswegen, weil ich nicht mehr dazu bereit bin, noch länger so viel Chemie zu schlucken. Aber das was ich an Dosis einspare, ersetze ich durch täglich joggen, Pausen, Photographieren, Tagebuchschreiben, Stimmungskalender und solche Sachen am Abend, mit dessen Hilfe man gut erkennen kann, woran es gelegen haben mag, dass wieder eine Krise eingetreten ist, die unselige Gefühle hervorruft. Durch das Tagebuchschreiben kann man aber auch schöne Gefühle festhalten, sie nachleben.
Ich kenne inzwischen meine Auslöser, erst am Sonntag war ich wieder soweit und dachte mir verzweifelt, ich muss wieder mehr Chemie nehmen. Und ich tue es nicht,ich lasse mich durch "Rückfälle" nicht mehr entmutigen, denn ich weiß inzwischen, dass nach dem üblichen "Sonntagstief" am Wochenende am Montag vermutlich wieder die Sonne scheinen wird oder der Raureif glitzert, wenn ich meinen Tag so gestalten darf, wie er mir besser bekommt. Aber um das zu erkennen habe ich auch 3,5 Jahre gebraucht.

Ganz liebe Grüße
Carin

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 9. Dez 2008, 19:56
von dolittle909
Hallo und herzlichen Dank für Eure Antworten!

Es tut gut, sich mitteilen zu können, wenn nichts mehr geht, bin ich gnadenlos offen. Das Elend in Worte zu fassen ist der letzte Akt des Willens gegen die Ohnmacht.

Der Mangel an Selbstliebe, die hohen Ansprüche an sich selbst, der Hang zum Perfektionismus gepaart mit Trägheit, eine Kindheit mit Mangel an Mutterliebe und Verlust - das ist der Stoff, aus dem die Depression gemacht ist.

Und ehrlich gesagt: Nichts davon war gelöst, als ich aus der Klinik kam. Die Therapie dort war vorrangig darauf angelegt, mich wieder in die Arbeit zu bringen. Wirkliche Ansatzpunkte, wie ich die ganze Zerrissenheit in mir lösen könnte, hatte ich nicht. Deshalb wunderte ich mich auch, wie gut es mir anfangs wieder ging. Endlich wieder dabei, kein kranker Krüppel mehr. Das ist sicher ein wichtiger Punkt, die ganzen Monate in der Klinik hat es mich extrem runter gezogen, "draußen" zu sein, draußen aus dem Leben.

Deshalb wollte ich so schnell wie möglich wieder "normal" sein, wollte meine Ansprüche erfüllen - und die anderer. Und die Krankheit war nun nicht mehr als Hinderungsgrund da, wieder sagte ich nicht "Nein!", wenn mir was nicht recht passte, aus Angst vor schlechtem Gewissen. Andererseits hatte ich den Eindruck, ich ziehe mich in ein Schneckenhaus zurück, meine Gefühle waren oberflächlich, da war Antriebslosigkeit, meine Wohnung war ein Chaos und ich meldete mich nicht bei Freunden usw. Das gefiel mir alles nicht, aber es quälte mich auch nicht. Zudem war da die Zuversicht, dass das alles schon werden würde, in der ambulanten Therapie, beim Yoga, in der Kirche.

Der Absturz kam daher aus heutiger Sicht nicht völlig unvermittelt. Doch wo liegt der Auslöser? Schlimm ist zudem, dass ich mich wieder so fühle, wie in den Wochen im Frühjahr, bevor ich in die Klinik kam. Schlimm ist auch, dass ich es zu Hause kaum aushalte. Kann ich nicht mehr arbeiten, bleibt mir eigentlich nur die Klinik. Zudem drehe ich mich bei jeder einfahrenden S-Bahn weg, das beugt zwar einer eventuellen Kurzschlussreaktion vor, aber beseitigt nicht die dazu gehörigen Gedanken. Und dann kriege ich Todesangst und bete "Nein, ich will nicht sterben, ich will leben!"

Alles, was mir vor einer Woche noch Spaß gemacht hat, überfordert mich nun, jede Straße, jeder Gang, jede Stunde stellen schier unüberwindliche Hindernisse dar.

Aber was erzähle ich da, viele von Euch kennen das! Morgen habe ich einen Termin bei der Ärztin, bis dahin nehme ich das Diazepam weiter. Lieber das Zeug ein paar Tage genommen, als sofort wieder in die Klinik (wo ich nichts anderes bekäme).

Noch hoffe ich ein bisschen, dass ich das alleine überstehe (mit Hilfe von Freunden, Kollegen usw. - soweit das möglich ist). Wenn ich diese Krise überstehe, dann bin ich sicher einen Schritt weiter. Denn ich merke, wie sehr es mich unterstützt hat, dass in der Klinik Mitpatienten und Personal da waren, denen es nur darum ging, dass es mir besser geht. Jetzt bin ich auf mich gestellt. Wahrscheinlich ist es auch deshalb so quälend.

Eure Geschichten haben mich berührt. Ist das Ziel ja nicht ein Leben ohne Leiden. Sondern ein Leben mit einem erträglichen Leiden, ein Leben mit Höhen und mit Tiefen. Ich glaube, die Depression kann man nicht beseitigen (zumindest nicht bei mir), aber ich möchte sie lindern, ich möchte mit ihr leben können und einigermaßen zufrieden sein. Das wünsche ich mir.

Und das wünsche ich Euch allen auch!

Alles Liebe

Dolittle

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 9. Dez 2008, 20:21
von conny123
Ach Dolittle,

ich würd Dir sooooo gern helfen...Dabei kann ich mir selbst nicht helfen...denk an Dich und wünsch Dir von Herzen alles Gute!!!!

conny

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 10. Dez 2008, 17:16
von dolittle909
Danke conny!

Helfen können Freunde, Angehörige, liebe und verständnisvolle Menschen, Schwestern, Ärzte, Therapeuten und Mitpatienten, helfen kann das darüber reden, schreiben (so wie ich hier), helfen kann religiöser, philosophischer oder spiritueller Glaube, helfen können die Zeit und die Geduld, helfen kann der Satz "Sei lieb mit Dir selbst!"

In meiner Situation kann natürlich ein Posting hier wenig helfen. Aber auch ein bisschen.

War heute bei meiner Ärztin. Sie hat sich super viel Zeit genommen und war sehr warmherzig. Ich habe die ganze Zeit geweint. Sie meinte, ich solle wieder in die Klinik. Das wollte ich nicht, zumindest nicht sofort. Aber ich versprach ihr, notfalls auch Nachts in die Notaufnahme zu fahren, bevor ich mit dem Kopf gegen die Wand oder vor eine S-Bahn renne. Ich bin total orientierungslos, aber da bin ich mir sicher. Das Leben ist ein Geschenk, das gebe ich nicht auf, auch wenn ich auf derartiges Leid verdammt gerne verzichten würde.

Ich glaube an die Sonne,
auch wenn sie nicht scheint.
Ich glaube an die Liebe,
auch wenn ich sie nicht spüre.
Ich glaube an Gott,
auch wenn ich ihn nicht sehe.

(Aus dem Warschauer Ghetto)

Liebe Grüße

dolittle

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 10. Dez 2008, 17:48
von BeAk
Liebe Dolittle,

Nein, Freunde, Angehörige, liebevolle Menschen, Schwestern und Mitpatienten können Dir nicht helfen.
Sie können Dich begleiten.

Ärzte und Therapeuten können Dir auch nicht helfen.
Sie können Dir einen Weg zeigen, den Du gehen kannst.

Gehen musst Du den Weg aber selber.

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 10. Dez 2008, 17:54
von conny123
Lieber Dolittle,

...bitte glaub auch an D I C H !!!...

Ich denk fest an Dich!!!

conny

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 12. Dez 2008, 08:15
von dolittle909
Hallo Ihr Lieben!

Besten Dank für Eure Unterstützung! Noch bin ich in freier Wildbahn und gestern ging es soweit besser, dass Klinik erst Mal nicht mehr auf dem Programm stand.

Geholfen hat mir (auch wenn ich natürlich meinen Weg alleine gehen muss) meine Selbsthilfegruppe und die Aufmerksamkeit, die ich mehr auf das gerichtet habe, was mir gut tut. So habe ich gestern meiner Mutter mitgeteilt, dass ich Weihnachten nicht zu ihr komme, auch wenn es mir nicht leicht gefallen ist. Aber ihr letzter Besuch hier bei mir hat mir einfach nicht gut getan.

Es liegt noch viel Arbeit vor mir...

Alles Liebe und eine den Umständen entsprechen gute Adventszeit wünscht Euch

dolittle

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 12. Dez 2008, 17:37
von BeAk
Liebe Dolittle,

super, weiter so!

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 12. Dez 2008, 22:58
von lt.cable
Hallo dolittle!

Die Suche nach Deinem eigenen Weg ist in dieser dunklen Zeit sicher eine fabelhafte Idee! Du solltest jetzt in der Tat auf das achten, was Dir gute Gefühle oder auch nur Entlastung bringt und gleichzeitig die Augen für das offen haben, was Dich und wo es Dich schmerzt. Die Lokalisation der Ursachen für diesen manchmal diffusen (aber quälenden!) Schmerz Deiner Seele, den ich das ganze Jahr 2008 durch auch immer wieder erfahre, ist eine riesige Aufgabe, die es anzugehen gilt. Die Einsamkeit zum Beispiel, die Du verspürst, kenne ich auch aus den Momenten, wo ich ganz aufrichtig und ehrlich mit mir selbst bin. Ich habe allerdings auch noch keinen Weg gefunden, diese erfolgreich zu bekämpfen. Familie und Freunde geben mir da auch keine rechte und schon gar keine dauerhafte Linderung - so blöd das vielleicht zunächst klingen mag. Bei mir dringen momentan selbst äußerst positive Erfahrungen (fachlich wie persönlich) überhaupt nicht in der Form zu mir durch, dass sie mir ein dauerhaft besseres Gefühl geben. Diese Momente fühlen sich eher an wie ein kurzes Strohfeuer, nach dem es rasch wieder dunkler und kälter wird.
Ansonsten kann ich mich den anderen Schreibern nur anschließen: Hol Dir die Hilfe, die Du jeweils brauchst.

Es grüßt
lt.cable

Oben und unten

Verfasst: 1. Feb 2009, 11:43
von dolittle909
Liebes Forum!

Ich führe meinen „Blog“ hier weiter, leider immer nur dann, wenn es mich wieder „erwischt“ hat. Dann stimmt auch der Titel des Threads wieder, obwohl ich gerne hier auch einmal Ermutigendes von mir geben würde, statt in meiner Not mein Leid zu klagen.

In den letzten Wochen hatte ich mir mehrfach überlegt, hier auch mal was Positives zu berichten und mich zugleich den Dingen zu stellen, die noch gar nicht in Ordnung waren. Aber ich scheute mich davor. Stattdessen wollte ich mit der Depression gar nichts mehr zu tun haben. Als mich eine ehemalige Mitpatientin vor gut einer Woche fragte, wie ich die gemeinsame Zeit in der Klinik heute sehe, sagte ich:

„Wie durch eine dicke Glasscheibe. Ich weiß noch alles und ich sehe noch alles. Aber da ist keine emotionale Verbindung. Als ich in der Klinik war, da war es genau umgekehrt: Ich war auf der anderen Seite der Glasscheibe, sah die Welt, aber ich spürte sie nicht.“

Nun ist das Problem, dass diese Glasscheibe scheinbar genau durch mich hindurch geht, mich von der einen (der erwachsen-rationalen?) und der anderen (der kindlich-emotionalen?) Hälfte trennt.

So ging es mir die letzten Wochen ganz gut. Da war keine Depressivität, ich funktionierte, war alltagstauglich in der Arbeit, aber ich fühlte mich auch von meinen Gefühlen abgeschnitten. Da war keine Einsamkeit, keine Sehnsucht, da war keine Melancholie, da war keine tiefe Freude. Mit 36 Jahren fühlte ich mich wie 66. Stattdessen suchte ich Ersatzbefriedigung. Ich kaufte für irrsinnig Geld Technikkram - ohne ihn wirklich zu brauchen. Damit wollte ich alleine sein, Ruhe haben, vor Computer und TV Schokolade in mich hineinstopfen. Mausklick, Fernbedienung, alles im Griff. Zuhause ließ ich mich nur noch gehen, die Wohnung versank im Chaos. Ich klagte mich deswegen an, fühlte mich unwohl - und konnte mich trotzdem nicht aufraffen, den Staubsauger zur Hand zu nehmen. Meinen Körper fand ich hässlich. Zugleich waren mir alle Menschen, an die ich mich in der Depression noch verzweifelt geklammert hatte (insbesondere meine Familie und meine Ex-Freundin) so fern, da war so viel Distanz. Sie wurden mir lästig, Schatten der Vergangenheit, und ich hoffte, wenn ich nach Hause kam, dass kein Brief im Postkasten, kein Anruf auf dem AB sein würde, den ich beantworten müsste. Als klar wurde, dass meine Ex-Freundin auch in eine depressive Phase rutschte, wurde ich genervt, ungeduldig und meine Ratschläge gipfelten mehr oder minder in einem „Reiß Dich zusammen!“ Mitgefühl? Im Kopf ja, im Herzen Fehlanzeige.

Vor sechs Tagen legte sich plötzlich der Schalter in mir um und es beamte mich wieder auf die andere Seite der Glasscheibe. Dem waren ein paar Tage vorausgegangen, in denen ich das Gefühl hatte, „es“ (die Arbeit, die Termine, die mir selbst auflegten sozialen Pflichten) wächst mir wieder alles über den Kopf. Ich fühlte mich gestresst, wusste nicht, was mir „gut tut“ und lief zugleich hochtourig, bis es „Klick“ in mir machte. Der teure, schicke neue Computer, den ich noch in der „guten“ Phase bestellt hatte, der steht nun unausgepackt herum. Ich will ihn nicht anschließen, es kommt mir dumm und sinnlos vor, so viel Geld ausgegeben zu haben (soll ich ihn zurückschicken?).

Heute kommt es mir so hohl vor, dieses „gut“ auf der anderen Seite. Ich klage mich an, verdamme die besseren Tage, meine, sie nicht richtig genützt zu haben, komme mir wie ein hoffnungsloser Fall vor. Mühsam kämpfe ich mich durch jeden Tag. Warte. Als ich so lange im Krankenhaus war, da versuchte ich mir dieses Loch zu erklären, indem ich feststellte, dass ich den Glauben an die Liebe und an die Arbeit verloren hätte. Wenn ich die zwei Monate betrachte, in denen ich wieder arbeite, stelle ich da zumindest viel Zwiespältigkeit fest, Positives und Negatives. Aber hinsichtlich der Liebe (nicht nur der erotischen), da scheine ich nur die todtraurige, schmerzhafte Liebe zu kennen. Liebe ist Vergänglichkeit, Liebe ist Verlust, Liebe ist Schmerz und Depression.

Doch wo ist die freudige Liebe, die Hingabe, die Sehnsucht? Wo sind die Träume, die Wünsche, die Lust? Zugleich weiß ich, dass es enttäuschte Illusionen sind, die mich in die Depression getrieben haben. Ich hatte von Partnerschaft und sicherem Job die Erlösung erwartet, die nicht eingetreten ist. Sagt deshalb meine Seele „Gefahr!“? Deshalb die Distanz, der Rückzug, das Schneckenhaus?

Meine Ärztin sagt, mein Hauptproblem sei meine Selbstentwertung und eigentlich könne man mir relativ leicht helfen. Doch wie soll das gehen, wenn ich 36 Jahre Übung darin habe und die Selbstentwertung sogar noch in dem Maße steigt, in dem von außen positive Bewertungen kommen?

Klar, ich möchte wieder raus aus dem Loch, in dem ich bin. Ich möchte arbeiten, nicht von Panik, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit aufgefressen werden. Aber ich möchte auch etwas anders machen, wenn es mir besser geht, damit ich nicht immer wieder in diese Abgründe zurückfalle. Jetzt kommt es mir noch so vor, als ob es mich zwangsläufig immer wieder zurückziehen würde - auf die andere Seite der Glasscheibe - weil es sie noch gibt... Wie kriege ich sie weg???

Danke für Eure Geduld

dolittle

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 28. Feb 2009, 13:56
von triste
Hallo Dolittle,


ich habe eben diesen thread durchgelesen und das Auf und Ab, das Vor und Zurück Deiner letzten Monate hat mir meine eigene Geschichte wieder ganz nah gebracht, da sie sehr ähnlich verlief und auch über einen längeren Zeitraum.

Viele Parallelen... (ADs, die nicht anschlugen, Hamburger Modell, das scheiterte, Klinikaufenthalte mit dazugehörigem Loch nach der Entlassung, extremste Selbstüberforderung, das sich Abschotten gegen aussen....) und deshalb viel Nachempfinden-Können und sogar wieder ein Gewahrwerden des Schreckens, eine Erinnerung an das Grauen dieser meiner Zeit.

Ich will gar nicht lange über mich sprechen.
Du stellst viele Fragen, was Du falsch machst, was Du anders machen könntest, was die Gründe sein könnten.

Ich sag´ Dir einfach meinen Eindruck beim Lesen Deiner Posts:
-Hast Du Dich schon wirklich mit Dir selbst konfrontiert? Und ich meine nicht, kognitiv, sondern emotional.
- Machst Du Therapie? Für mich klingst Du wie der klassische Analyse-Patient, der noch nicht weiß, dass die Analyse ihm helfen könnte

Letztere würde ich Dir ernsthaft empfehlen.
Mir hat sie geholfen (hilft sie noch), nachdem eine Gestalt-Therapie sowie eine Verhaltenstherapie wirkungslos blieben.
Für mich war es lebenswichtig, an meine Gefühle heranzukommen, und zwar nicht an die oberflächlichen, sondern an die, die ich gar nicht mehr spürte. (Zudem bietet die Analyse den unglaublichen Luxus einer intensiven Arbeit, im Notfall bis zu 3x die Woche sowie die höchste Stundenzahl, die die Kasse bezahlt.).

Ich habe den Eindruck, dass Du noch viel deckelst (mit Computerkauf, mit selbst auferlegten Regeln "Wieder Arbeiten bringt die Besserung" etc.), Dir dessen bewußt bist, aber nicht weißt, wie Du das ändern sollst. Eine intensive Psychotherapie könnte ein Weg sein, zu Deinem Innersten vorzudringen.

Und schon mal daran gedacht, dass Deine Arbeit kaum Zeit lässt, Dich mit Dir zu beschäftigen? Scheinst ja einen Job in den "höheren Etagen" zu haben, was bedeutet, dass Deine Arbeitswoche vermutlich keine 40 Stunden hat, oder?
Teilzeit ist auch eine Möglichkeit, Ruhe `reinzuberingen und trotzdem auf dem beruflichen Sektor etwas zu leisten (was ganz klar extrem wichtig ist, um das Vermögen, selbst für sich sorgen zu können sowie das Selbstwertgefühl zu stärken!).

Soweit meine Gedanken.
Und versuch mal, den Computer auszupacken - ohne schlechtes Gewissen und mit kindlicher Freude daüber, dass Du Dir etwas leistest und dass Du es auch verdienst!


Beste Grüße
Virginia

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 14. Mär 2009, 15:47
von dolittle909
Liebe Virginia,

besten Dank für Deine hilfreiche Antwort, die ich erst kürzlich gelesen habe. Deine Eindrücke haben mir sehr weiter geholfen!

Zum einen, weil ich tatsächlich Anfang diesen Jahres mit einer analytischen Psychotherapie angefangen habe und derzeit immer wieder mal zweifle, ob das alles richtig ist. Denn ich wühle mit meinem Therapeuten in all dem Seelenmüll in mir herum und das ist nicht gerade schön, sondern verstärkt das Gefühl, hoffnungslos für alle Ewigkeit in Ängsten, Selbstvorwürfen, Überforderung, Kampf und Krampf verstrickt zu sein. Mein Therapeut meint zwar, das sei am Anfang immer so, aber ich glaube niemandem mehr irgendwas. Da bin ich froh, dass Du mir das empfiehlst, was ich nun auch mache!

Denn Du hast völlig Recht, kognitiv weiß ich alles, alles ist zehnmal durchgekaut. Aber an meine Gefühle tief in mir komme ich nicht ran, da ist viel zu viel Angst vor den Abgründen in mir. Aber alles Ausweichen, drumrum denken, reden und handeln hat in der Vergangenheit nicht weiter geholfen. Rationalismus, Verdrängung, Arbeit, Anpassung, geborgte Hoffnung, trügerischer Zukunftsoptimismus. So hoffe ich sehr, mich endlich mal auch emotional mir selbst stellen zu können. Die depressiven Zeiten zwingen mich dazu immer, da verschlingen mich meine Gefühle, aber dass sie mich auch mal im Guten verschlingen durften, das ist schon sehr lange her.

Das ist alles viel Arbeit. Und da ich noch immer leicht dazu neige, mich überfordert zu fühlen, habe ich Teilzeit genommen. Da ich - wie Du richtig vermutest - in den "höheren Etagen" tätig bin, kann ich es mir auch finanziell erlauben. Natürlich nicht, ohne gleich wieder Existenzängste zu bekommen ("Hilfe, ich gebe zu viel aus, ich muss sparen, reicht es im Alter?!" usw.). Derzeit sind es 31 Std. in der Woche, trotzdem habe ich oft das Gefühl, total gestresst zu sein. Die Großstadt geht mir auf den Senkel, der große Laden, in dem ich arbeite (da "oben" fühlt man sich oft kleiner als "unten") mit seinem Glas, Stahl und Beton, seinen Hierarchien und den vielen narzisstischen Profilneurotikern. Ob ich da den Rest meines Lebens verbringen will ist fraglich.

Einerseits weiß ich nun, dass ich im "deckeln" meiner Gefühle keinen Erfolg haben kann, dass ich mein Heil nicht in Erfolg, Karriere oder Anerkennung von außen finden werde. Ich kann mein Heil nur in mir, anderen Menschen und vielleicht Gott (was immer das ist) finden. Andererseits weiß ich noch gar nicht was, wie, wohin. So muss ich derzeit am Erreichten festhalten - und ein Stück loslassen, um Neues zu entdecken. Mühlselig alles. Aber das kennst Du ja auch.

Und Du hörst Dich so an, wenn es heute Vergangenheit ist? Ich wünsche es Dir jedenfalls - und bei aller Bescheidenheit auch mir!

Liebe Grüße und besten Dank für die Ermutigung,

dolittle

P.S.: Der Computer ist natürlich mittlerweile ausgepackt und vielleicht kann ich auch mal das schlechte Gewissen vertreiben, dass mich ab und an mal packt, wenn ich mich damit rumspiele...

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 15. Mär 2009, 00:58
von triste
Lieber Dolittle,

gern geschehen! Ist gut zu hören, dass Du bereits in Therapie bist. Du schreibst, dass das Wühlen im Seelenmüll Dich eher hoffnungslos macht. Es scheint mir ziemlich logisch zu sein, dass man kein Land mehr sehen kann, wenn man sich erstmals mit all dem auseinander setzt, das man sein Leben lang verdrängt hat.
Aber hast Du nicht auch das Gefühl, dass es auf eine Weise gut ist, sich das alles endlich einmal anzuschauen? Auch wenn es weh tut, verzweifelt macht, Angst macht...ist es nicht doch auch befreiend, endlich hin zu schauen und jemanden zu haben, der einen dabei begleitet?
Es ist eine riesige Chance, das tun zu können.
Die meisten Menschen tun das nicht, aus den verschiedensten Gründen. Wir Depressive werden im Grunde durch den Leidensdruck gezwungen, uns zu konfrontieren, und auch wenn Therapie mühselig ist, ist es doch ein ziemlich effektiver Weg, zu uns selbst zu finden. Und die Depression ist meiner Meinung nach nur das/ein Ergebnis davon, dass wir uns schon lange verloren hatten.

Du scheinst mir recht klar zu sehen, wo Deine Probleme liegen, Du sagst selbst, dass das Verdrängen nicht mehr funktioniert. An diesem Punkt angelangt, bleibt Dir doch ohnehin nur noch der Blick nach innen, oder?
Jetzt wieder wegzuschauen, wäre reichlich idiotisch;-)

Ob Dein Therapeut gut ist oder richtig für Dich, kann niemand ausser Dir wissen, da musst Du Dich auf Dein Gefühl verlassen. Insofern kann ich nicht wirklich "empfehlen"... aber ich glaube auf jeden Fall an die Wirksamkeit von Psychotherapie und hatte einfach den Eindruck, dass sie Dir weiterhelfen könnte.

Dass Du bereits einen Tag weniger arbeitest zeigt auch, dass Du Deine Gefühle ernst nimmst. Glückwunsch. Sofern es in Deiner Position möglich ist, dann auch wirklich 31 Stunden zu arbeiten (und nicht mehr...), ist das etwas, dass Du FÜR Dich machst und da bist Du schon weiter als viele! Ich weiß, dass das gerade in höheren Positionen nicht einfach ist.

Du hast noch immer viele Fragen und ich glaube, Du musst Dir einfach Zeit geben. Den Status Quo akzeptieren, etwas weniger zu arbeiten und den Rest der Zeit mit Dir verbringen und den Gründen, warum Du krank wurdest.
Ich weiß noch gut, dass ich längere Zeit völlig getrieben war von diesen Fragen: wie geht es weiter, will/kann ich in diesem Job überhaupt noch arbeiten, in dieser Stadt (auch Großstadt) leben. Muss nicht etwas ganz Neues her? Ich hatte die irrwitzigsten Ideen, von: im Blumenladen arbeiten, ans Meer ziehen... heute bin ich noch immer im alten Job, in derselben Stadt und es fühlt sich richtig an! Etwas Neues ist dazu gekommen, ich entdecke neue Felder, die mich interessieren, aber das hat ehrlich gesagt Jahre gedauert und eine lange Zeit wollte ich alles radikal ändern und wußte nicht, was und wie und das hat mich völlig überfordert.

Es hilft vielleicht, von aussen gesagt zu bekommen, dass es doch erstmal gut ist, so wie es ist. Weniger arbeiten, Therapie machen und ansonsten zu versuchen, wieder auf die Beine zu kommen, stabiler zu werden, nach und nach wieder Wohlbefinden zu entdecken. (Ich weiß nicht, ob Du das kennst, mir war das völlig abhanden gekommen!).
Ob Du in 10 Jahren noch diesen Job machst, kannst Du immer noch entscheiden.
Ich selbst bin gezwungenermassen ziemlich bescheiden geworden, was meine Leistungsfähigkeit betrifft und versuche heute, mein langsameres Leben als Gewinn zu sehen und mir Neuorientierung im Schneckentempo zu erlauben....

Deine Frage nach der Vergangenheit:
Einiges ist Vergangenheit, ich hab viel gelernt. Die Depression kommt jedoch wieder, wenn ich die Chemie weglasse, insofern bin ich noch nicht fertig mit der Geschichte... das entmutigt mich auch heute noch manchmal, aber so lange ich es steuern kann, versuche ich es eben als Teil von mir zu begreifen, den ich in mein Leben integrieren muss.

Ein Tipp zum Schluß (wegen der Schuldgefühle, siehe Computer)... viele von uns erlauben sich nicht viel und leben nach einer ganzen Reihe absurder, selbst auferlegter Regeln und Vorstellungen, wie man zu sein hat. Es tut saugut, wenn man sich wieder etwas gestatten kann und das dann einfach nur herrlich findet, gegen jede Vernunft.
Ein Kind fragt sich nicht, ob die zehnte Barbie politisch korrekt ist. Es will sie einfach haben und wenn es sie hat, ist es glücklich. Ist jetzt natürlich sehr simpel, aber im Kern gehts schon darum, sich selbst soweit schätzen zu lernen, dass man sich auch einen Fehltritt, eine Unvernunft oder sowas - ohne schlechtes Gewissen und stattdessen mit dem wohligen Gefühl, dass das jetzt völlig daneben war, aber völlig geil - gestatten kann.


Lieben Gruß!
Virginia

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 15. Mär 2009, 00:58
von triste
war doppelt

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 15. Mär 2009, 18:07
von dolittle909
Liebe Virginia, liebes Forum!

Das Gefühl, alles, aber auch wirklich ALLES ändern zu müssen, das kenne ich sehr gut, Virginia. Ich hatte es immer wieder, wenn die Depression von mir Besitz ergriff. Dann erschien mir mein ganzes Leben als riesengroßer Irrtum, als (Selbst-)Beschiss, ich hatte alles falsch gemacht - sonst würde es mir ja nicht so dreckig gehen.

Doch zugleich hatte ich keine Kraft etwas zu ändern und ich hatte eine riesige Angst davor. Jede Veränderung ist für einen Depressiven furchteinflößend. Und dann kam ja noch das Gefühl, dass eh alles sinnlos ist, dass ich mich als Neohippie auf Gomera, als Kampagnenreferent bei Attac oder als alternatives Kommunenmitglied genauso depressiv fühlen würde. Sich selbst nimmst du immer mit. Als ich so lange in der Klinik war, da war mein Gefühl, mich jahrelang selbst vergewaltigt zu haben. Es musste also alles anderes werden. Alles. Aber was und wie? Wenn ich mir konkret die wichtigsten Schritte ankuckte, dann blieb erst mal nur: Zurück ins alte Leben, zurück in die Wohnung und die Einsamkeit, es dort aushalten, zurück in den Job, den Frust und die Zweifel und dort bestehen. Und erst dann (und doch auch zugleich), Schritt für Schritt, kleine Veränderungen, innen und außen. Das war mühselig und es dauerte Wochen und Monate.

Nun bin ich erfolgreich zurück in meinem "alten" Leben, aber es ist natürlich nicht mehr das Alte. Ich bin alleine, die Arbeit ist nicht mehr Passion, Erfüllung und Projektionsfläche für Illusionen. Oberflächliche Zerstreuung funktioniert nicht, Ablenkung ebenfalls nicht. Zusammen mit den Erfahrungen des letzten Jahres in der Klinik, der Therapie und meiner Illusionslosigkeit bin ich ziemlich klein, bloß und nackt geworden. Ohne jede Watte zwischen meinen Erkenntnissen und meinen Gefühlen und zugleich die Welt um mich herum als fremd und bedrohlich erlebend. Der Raum, der frei geworden ist, der ist noch leer, noch ungefüllt und das stresst mich, macht mich nervös, tut weh. Eine unbemalte Leinwand, vor der ich stehe und die mir Angst macht, weil ich fürchte, jeder Pinselstrich könnte wieder mein Verderben sein. Perfektionismus und moralischer Rigorosismus inklusive. Was tut mir gut?

- Siehe das beigefügte Foto - zufällig heute bei Regenwetter an einem Theater fotografiert... -

Immerhin: Das ist alles scheußlich, anstrengend und sehr unangenehm - aber nicht dramatisch und existenzbedrohlich. Ich weiß, ich kann den Alltag wieder bewältigen - das ist die wesentliche Voraussetzung für jede Veränderung. Und es verändert sich auch etwas. Zum einen wurde ich vor ein paar Tagen zum Abteilungsleiter gerufen: Sonderauftrag für mich. Wenn ich will. Das bedeutet: neuer Arbeitsplatz, neue Kollegen, Projektarbeit, neue Herausforderungen. Zum einen bin ich geschmeichelt, dass man da oben bei den Chefs auf mich gekommen ist, obwohl ich ja letztes Jahr sechs Monate erkrankt war. Ich sei gut, hieß es. Zum anderen sitzt mir die Angst im Nacken: Schaffe ich das? Stürze ich nicht wieder ab? Sollte ich nicht besser bei dem bleiben, was ich mache und kann, wo ich zwar nicht völlig zufrieden bin, wo mich aber auch nichts passieren kann. Ich entschied mich für die Veränderung, die neue Herausforderung, letztlich aus dem Bauch heraus - trotz der Angst. Prompt kamen die kritischen Fragen: "Ist das gut für Dich? Wolltest Du nicht Stress vermeiden? Ist das nicht zu viel Druck?" Hm.

Zum anderen war ich vor ein paar Tagen auf einem Geburtstag eingeladen. Und alle Leute, die ich dort traf, waren mir sofort aus tiefstem Herzen sympathisch. Da regt sich wieder was im Herzen, da blubbern Gefühle, warme Gefühle...

Zum Schluss noch ein paar Worte zur Chemie: Es ist wohl gut möglich (wir wissen ja sowenig über unsere Krankheit, auch wenn man stundenlang darüber sprechen kann), dass ein einmal mit Medikamenten erreichtes biochemisches Gleichgewicht erneut durcheinander gerät, wenn man die Medis weglässt. Anders herum gesagt: Der Kopf gewöhnt sich an die Chemie und fängt zu zucken an, wenn sie fehlt. Das muss wohl auch theoretisch dann der Fall sein, wenn das Medikament in der depressiven Episode gar nicht wirklich geholfen hat. Das ist der Preis, der zu zahlen ist, wenn die Chemie helfen soll. Wer Medikamente absetzt, läuft Gefahr, einen Rückfall zu erleiden. Ich denke, das ist die Realität. Wenn Du also ohne leben willst, dann musst Du ggf. einen Rückfall/eine neue Episode ohne Medis überstehen und darauf warten, dass sich wieder ein natürliches Gleichgewicht einstellt. Ich verzichte auf solche Experimente, jedenfalls solange ich nicht unter schwer erträglichen Nebenwirkungen zu leiden habe...

Herzliche Grüße und alles Gute,

Dolittle

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 15. Mär 2009, 20:44
von BeAk
Lieber Dolittle,

viellicht bin ich etwas empfindlich, aber das Bild bereitet mir unbehagen.

Habe erst mal gucken müssen, ob da nicht einer an der Dachkante steht.

Re: Zurück in die vollstationäre Behandlung?

Verfasst: 15. Mär 2009, 21:12
von dolittle909
Ok Bea,

das kann ich verstehen, ist nicht aufmunternd, tut mir leid! Ich habe es gelöscht. Wer es unbedingt sehen will, schicke mir eine E-Mail.

Schönen Abend noch,

dolittle