Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Krimi
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Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von Krimi »

Hallo,

ich habe das Gefühl, dass ich mir gerade einen Teil meiner Sozialkontakte zerstöre, weil ich so entsetzlich kompliziert und dünnhäutig geworden bin. Ich habe einen lieben Freund (rein platonisch), mit dem ich regelmäßig Mails austausche, da er in einer anderen Stadt lebt. Er ist mir sehr wichtig und bisher war der Mailkontakt auch sehr schön und offen. In der letzten Zeit lege ich aber jedes Wort auf die Goldwaage, unterstelle ihm Distanziertheit, achte auf jede noch so kleine Kleinigkeit und interpretiere etwas hinein. Wenn er schreibt "Liebe Grüße, xy" statt wie sonst "Liebe Grüße, Dein xy" fühle ich mich sofort abgelehnt und denke, er mag mich nicht mehr, hat keine Lust mehr auf den Kontakt usw. Und so geht es die ganze Zeit.
Jetzt am Wochenende wollte er mich eigentlich besuchen kommen, aber mich setzt das total unter Druck, weil ich meinen Haushalt nicht geregelt bekomme, weil ich es nicht geregelt kriege, Lebensmittel einzukaufen usw. Vom Kopf her ist mir vollkommen klar, dass er hier ja nicht einziehen möchte und es deswegen nicht so wichtig ist, wie die Wohnung aussieht, zumal ich ja nicht im Müll und Schmutz lebe. Aber ich kann es nicht umsetzen, versuche seit Tagen, Staub zu wischen usw. und überfordere mich dabei total. Ich habe das Treffen nun abgesagt, um den Druck von mir zu nehmen.
Er schrieb mir nun schon, dass er sich langsam ohnmächtig fühlt, was ich auch verstehen kann. Ich merke selber, dass ich völlig überreagiere und nicht adäquat mit seinen Mails umgehe. Ich versuche mich auch zusammenzureißen und "normal" zu reagieren, aber ich kriege es einfach nicht hin.
Die Geschichte mit dem Freund ist nur ein Beispiel, es geht mir bei diversen sozialen Kontakten so, dass ich einfach völlig überempfindlich bin, schnell heule, wenn jemand was Falsches sagt, ich fühle mich sofort angegriffen, abgelehnt, weggestoßen. Gleichzeitig merke ich aber, dass ich nicht normal reagiere, dass es an mir liegt.

Kennt Ihr das auch? Kann mir jemand einen Tipp geben, wie man damit besser umgehen kann, wie man sich besser zusammenreißen kann?
Ich bin für jeden Tipp dankbar!

Viele Grüße,
Bea
cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Bea,

so, wie ich jüngst lernen musste, auf die Signale aus meinem Inneren zu achten, alles wahrzunehmen (anzunehmen) etc., so überträgt sich das auch auf meine Umwelt:

Bei jeder noch so kleinen Veränderung zucke ich zusammen. Jedes Signal will gedeutet sein und jeder Furz im Winde analysiert.
Kein Wunder also, wenn ich jetzt darunter leide, dass ich Anderen gegenüber nicht anders kann, als jede ihrer Äußerungen auf der Goldwaage zu schaukeln.

Für uns kommt jetzt wohl eine neue Phase des "Loslassens". Nicht die Freunde, sondern unsere (übertriebene?) Achtsamkeit. Wir vertrauen der Ruhe nicht, so sie mal in uns herrscht.

"Überwindung", sind wir mal ganz ehrlich, ist doch ein Sch*Wort, gelle?!
Klar, auch das wissen wir bereits, ohne geht es nicht. Gut daher, dass wir "es" auch einfach mal seinlassen können.
Insofern finde ich die Absage an Deinen Freund nicht schlimm. Fraglich bleibt natürlich, wie oft oder wie lange ein Freund das noch mitmacht, wenn es sich ständig wiederholt...

Aber wir können ja unmöglich krankbleiben wollen, nur, damit Andere unser Verhalten würdigen können, nichtwahr?

So besch* das Wort "Überwindung" auch für uns klingen mag: Ohne geht es nicht.
Wann diese allerdings fällig ist, kannst nur Du selbst für Dich entscheiden.
Gib Dir Zeit und kläre Deinen Freund darüber auf. So er ein echter solcher ist, wird er dafür Verständnis haben (wollen).

Liebe Grüße
vom
cybolon
Krimi
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von Krimi »

Hallo cybolon,

vielen Dank für Deine Antwort. So ganz verstehe ich leider nicht, was Du mir sagen möchtest. Was soll denn überwunden werden? Die übertriebene Achtsamkeit? Wie kann man die denn überwinden? Ich fühle mich derzeit sofort angegriffen, interpretiere in jedes Wort etwas hinein. Ich weiß, dass ich nicht adäquat reagiere, versuche mich auch selber zu beruhigen, alles zu relativieren. Aber die Gefühle bleiben. Kannst Du mir einen Tipp geben?

Was meinst Du damit, dass wir unmöglich krankbleiben wollen können, nur damit andere unser Verhalten würdigen können? Ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass jemand mein Verhalten würdigt, eher sind die Leute genervt oder verständnislos, was ich gut verstehen kann, da ich über mich selber teilweise nur den Kopf schütteln kann.

Ich habe meinem Freund eine ehrliche Mail geschrieben und ihm von meinem Druck und meiner Überforderung erzählt. Er weiß von meiner Erkrankung und ist eigentlich sehr verständnisvoll. Aber sicher hat jeder seine Grenzen.

Alles Liebe,
Bea
cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Bea,

sorry, wenn ich nicht verständlich rüberkam.
Gerne erläutere ich Dir, was ich meinte:

Die Überwindung würde in Deinem Fall, so glaube ich, mit dem Aufräumen und Saubermachen beginnen können.

Mit "unmöglich krankbleiben wollen..." wollte ich eine Einschränkung zu eben dieser Überwindung hervorheben:
Nämlich, dass die Überwindung nicht zur Überforderung werden soll, wenn Du Dich dabei zum Staubwischen etc. richtig quälen musst. Deshalb auch der Hinweis, auf den Zeitpunkt, den Du dafür selbst wählen musst.
Andernfalls würde sich der Teufelskreis aus Überforderung und Krankfühlen erhalten oder gar verstärken.

Ergänzend möchte ich Dir einen Tipp geben:
Alles in kleinen Schritten machen. Heute nur den großen Schrank, morgen mal die Fensterbank abwischen usw.
Das Gleiche beim Aufräumen, Wäsche waschen, Geschirrspülen.
So kommt jeden Tag ein kurzes, kleines Stück dazu, bis plötzlich eine "ganze Runde" geschafft ist.

Kennst Du "Peppo", den Straßenkehrer aus "Momo"? Er kehrt einach gemütlich vor sich hin und schaut dabei auf die Landschaft, spricht mit den Leuten und merkt garnicht, wie er auf diese Weise die Straße komplett abkehrt...

Dass Du Deinem Freund die Wahrheit geschrieben hast ist bestimmt gut. Worum es mir ging, war, dass ein guter Freund einiges an Absagen einstecken kann, niemals aber alles und für immer...

Ich hoffe, dass ich mich etwas verständlicher ausgedrückt habe nun und wünsche Dir, dass Du mit meiner Ansicht etwas anfangen kannst!

Liebe Grüße
vom
cybolon
Krimi
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von Krimi »

Hallo cybolon,

vielen Dank für Deine Erläuterungen - ja, jetzt habe ich es auch verstanden

Ich versuche schon, in kleinen Schritten den Haushalt zu machen. An manchen Tagen geht es gut, da schaffe ich ´ne ganze Menge, und dann geht wieder tagelang gar nichts oder kaum was. Es fällt mir halt schwer, das so zu akzeptieren, ich denke immer, ich muss mich zusammenreißen. Aber ich werde mal Deinen Tipp beherzigen und mir nur noch kleine Schritte vornehmen.

Mich würde noch interessieren, wie andere Leute mit ihrer Überempfindlichkeit umgehen - oder ist das so ein seltenes Phänomen? Legt sonst kaum jemand jedes Wort auf die Goldwaage? Falls doch, wäre ich für Tipps sehr dankbar!

Liebe Grüße,
Bea
steppenwolf1

Momo :-) - schön

Beitrag von steppenwolf1 »

Hi Bea,

ja, Momo ...

Mit den kleinen Schritten versuch ich's auch. Manchmal unterteil ich die eine Aufgabe sogar nochmal in kleine Teilaufgaben.
Leider gelingt's nicht jeden Tag. Aber so hab ich doch ein wenig geschafft. An den Rest mag ich gar nicht denken .

Sich bei jeder kleinen Abweichung oder Bemerkung abgewertet fühlen kenn ich auch. Ist schwer das abzustellen, und tut auch sehr weh.
Aber vllt. ist es schon ein erster Schritt, wenn du bemerkst, dass es gerade so ist und versuchst zu sagen, dass das "nur" dein Gefühl ist.

(Leider bestätigt sich aber auch oftmals ein Gefühl)

Viele Grüsse, s.wölfin
Zephirina
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von Zephirina »

Beatrice schrieb:
> >
>Mich würde noch interessieren, wie andere Leute mit ihrer Überempfindlichkeit umgehen - oder ist das so ein seltenes Phänomen? Legt sonst kaum jemand jedes Wort auf die Goldwaage? Falls doch, wäre ich für Tipps sehr dankbar!
>>


Also zuerst einmal: Du bist mit diesem Problem nicht alleine; ich neige in den schlimmen Phasen auch dazu, jedes Wort (und auch jede Geste, jede Mimik, jeden Tonfall) auf die Goldwaage zu legen.
Ein am Boden liegendes Selbstbewusstsein wittert halt überall Gefahr und neigt manchmal dazu, wild um sich zu beißen, wie ein verletztes Tier.

Wirksame Tipps habe ich leider kaum welche auf Lager.
Ich versuche mich halt oft zusammenzureißen und gewisse Dinge erstmal mit mir gedanklich auszumachen und zu deeskalieren. Ich versuche dann oft bewusst "gegenzudenken" anstatt mich in Trauer, Wut oder andere negative Gefühle hineinzusteigern. Wenn eine Freundin also am Telefon mal kurz angebunden ist, nicht sofort überlegen, ob sie von mir genervt ist und es aus Höflichkeit nur nicht aussprechen mag, sondern mir zu sagen "Vielleicht hatte sie einfach nur einen doofen Arbeitstag/ Kopfschmerzen/ sonstwas."
Manchmal hilft mir auch Musik hören, um die Hineinsteiger-Spirale zu beenden.

Bei oberflächlicheren Kontakten funktioniert das eigentlich auch immer ganz gut, nur in meiner Beziehung kommt diese Angewohnheit oft ganz häßlich zu Tage.
Hinterher fühle ich mich dann immer ganz furchtbar und schäme mich dafür. Ich habe schon etliche Stunden damit vergeudet, mit meinem Freund fruchtlose Diskussionen über irgendwelche totalen Kleinigkeiten auszutragen.

Ich muss aber dazu sagen, dass mein Freund über meine Krankheit informiert ist und mittlerweile toll damit umgeht. Manchmal, wenn ich wegen irgendwelcher Kleinigkeiten total überreagiere, übergeht er das dann einfach und steigt nicht darauf ein, mit mir eine Diskussion zu starten (habe da also quasi einen "Krankheitsbonus").

Ich finde es aber SEHR auch wichtig, nachdem sich das Gemüt wieder beruhigt hat, darüber zu reden. Auch wenn es mir schwer fällt, versuche ich dann meinem Freund zu erklären, was dieses oder jenes Wort (oder Verhalten) bei mir ausgelöst hat, damit er zumindest ansatzweise nachvollziehen kann, warum ich so reagiere, wie ich es manchmal tue. Und sich gegebenenfalls dafür entschuldigen finde ich auch wichtig!
Ich weiß, dass das Zusammenleben mit mir schon kompliziert genug sein kann; einen Freifahrtschein sollte es aber für Depressive nicht geben...


Naja, ich weiß nicht, inwiefern ich dir helfen konnte. Aber vielleicht hilft es ja auch schon, wenn man weiß, dass man nicht alleine dasteht mit seiner komplizierten Goldwaage.

Liebe Grüße,
Zephirina



PS: Das mit dem Großputz, sobald sich Besuch ankündigt, kenne ich auch. *g*
Vielleicht sollten wir endlich einmal begreifen, dass nicht alle so auf Details fixiert sind wie wir... *Kopf kratz*
Krimi
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von Krimi »

Guten Morgen,

vielen Dank für Eure Antworten, es hilft mir ungemein zu wissen, dass ich nicht alleine mit meiner Goldwaage dastehe
Ach, es ist so schwer, sich zusammenzureißen. Meine Beziehung habe ich längst beendet, weil ich mich nicht verstanden fühlte. Aber das ist okay so, es hat auch wirklich nicht so richtig gepasst. Jetzt haben wir einen freundschaftlichen Kontakt und auf der Ebene klappt es ganz gut.
Besonders schwierig ist es halt mit dem anfangs erwähnten Freund. Er ist selber sehr empfindlich und so schaukelt sich das Ganze immer weiter auf. Ich hoffe, wir kommen aus dieser Negativspirale wieder raus, wäre sehr schade, wenn nicht.

Heute habe ich mal nicht bis 11 Uhr geschlafen, ich denke, heute wird ein guter Tag und werde ein bisschen was in der Wohnung machen. Ich werde mal Eure Tipps beherzigen und trotzdem nur kleine Schritte angehen. Mein Impuls wäre jetzt eigentlich, heute möglichst die ganze Wohnung auf Vordermann zu bringen, aber das würde mich dann wahrscheinlich wieder überfordern. Was war das Leben früher doch einfach...

Alles Liebe,
Bea
Hase9999
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Die guten und die schlechten Tage!

Beitrag von Hase9999 »

Hallo Bea,

es geht mir genauso wie Dir. An manchen Tagen ist bei mir die Welt in Ordung. Und dann denke ich, jetzt ist es soweit, die Depression entfernt sich von mir. Aber dann holt mich alles wieder ein. Ich habe kaum Bekannte/Freunde. Ich habe mich daran gewöhnt. Vor kurzen hatte ich sehr nette Bekannte kennen gelernt, aber die Krankheit kam mir wieder dazwischen. Und dann ... wird es sehr kompliziert. Ich war sehr ehrlich und habe ihr die Wahrheit gesagt. Ich glaube, ich war zu ehrlich. Ich habe nie wieder was vor ihr gehört.
Und mein Haushalt .... ich schaffe an manchen Tagen gar nichts, alles ist mir zuviel. Und dann wieder ....
Es ist für mich immer noch schwer, dass zu akzeptieren.
Kompliziert wird es, weil ich mir vieles so zu Herzen nehme. Manchmal nur ein Blick ...
dass reicht dann schon ...
Große Schwierigkeiten habe ich im Berufsleben. Momentan arbeite ich wieder, aber dann brauche ich meine Auszeiten.
Du bist nicht allein!!!

Liebe Grüße,
Toskana
cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Toskana,

herzlich willkommen im Forum!

"Kompliziert wird es, weil ich mir vieles so zu Herzen nehme. "

Ja, das kenne ich ich auch sehr gut und habe mir inzwischen sagen lassen, dass dies nicht unbedingt zur Depression gehört, sondern eher zu meinem Naturell.

Einerseits beruhigt mich das, weil es eben nicht bedeutet, dass ich noch soo krank bin, andererseits erschreckt es mich, weil es somit viel schwerer ist und noch länger braucht, um es ändern zu können. (Sofern ein Mensch sein Naturell überhaupt sichtbar verändern kann)

Das mit Deiner Bekannten tut mir leid!
Vielleicht kann sie damit nicht umgehen, es hat sie möglicherweise erschreckt.
Mir ist aufgefallen, dass meistens die Leute so reagieren, die am wenigsten über die Krankheit wissen oder wissen wollen(!).

Ich wünsche Dir, dass Du ganz schnell liebe Freunde/innen findest!

Liebe Grüße
vom
cybolon
FönX
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von FönX »

Zitat von cybolon
>> "Kompliziert wird es, weil ich mir vieles so zu Herzen nehme. "
> Ja, das kenne ich ich auch sehr gut und habe mir inzwischen sagen lassen, dass dies nicht unbedingt zur Depression gehört, sondern eher zu meinem Naturell.
Wenn wir so ein Naturell haben (me too!), sind wir da nicht besonders anfällig für Depressionen? Was ich sagen will ist, die beiden Dinge können causal zusammenhängen.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Phoenix,

davon bin ich sogar überzeugt.
Die Docs reden ja auch davon, dass nur besonders sensible Menschen zur Depression "fähig" sind. Das sind eben solche, die sich alles viel zu sehr zu Herzen nehmen. Wir, eben. (Eine Fähigkeit, auf die ich liebend gerne verzichten würde )

Liebe Grüße
vom
cybolon
FönX
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von FönX »

Ja Horst,

das ständige sich alles zu Herzen zu nehmen. Woher kommt das? Warum konnte ich nie eine Kritik sachlich sehen? Warum musste ich es IMMER ALLES (jawohl, so pauschal!) persönlich nehmen? Warum ist mein Ohr, das den Beziehungsteil einer Aussage (Schulz von Thun, Miteinander reden, Teil 1) aufnimmt, so wahnsinnig hypersensibel? Allein aus der Vermutung heraus, dass ich als kleines Kind sehr oft verbal misshandelt und streckenweise vernachlässigt wurde, lässt mich wütend auf meine mittlerweile betagten Eltern werden, die mir aber später so sehr geholfen haben, als ich in Not war. Ist das eine Sch**ß*!!

Ja, auch ich bin kompliziert. Und das nicht erst seit meinem Zusammenbruch. Ich war das schon immer. Aber jetzt besonders.

Traurige Grüße
FönX

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otterchen
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von otterchen »

Hallo Phoenix, hallo Horst,

in diesem Bereich ist bei mir eine Änderung eingetreten!

Wenn (derzeit nur mir nahestehende) Personen mich kritisieren, kann ich das besser verkraften. Zum einen weiß ich, dass sich das nur auf ein spezielles Verhalten von mir bezieht, nicht auf mich als Person. Zum anderen denke ich, dass vieles auch aus Wohlwollen geschieht.
Außerdem habe ich ja immer noch das Instrument, mich zu fragen, ob diejenigen überhaupt kompetent sind bzw. ob ich auf deren Meinung überhaupt was geben muss.

Klar funktioniert dies noch lange nicht in allen Bereichen. Aber es hat sich verändert. Wie entlastend!

Außerdem habe ich bemerkt, dass sie vieles eben auch NICHT sagen. Kein "du nervst" oder "du bist ein Klugscheißer" oder "du hast aber zugenommen".

Wobei... *kopfkratz* ... manchmal scheine ich derartige Aussprüche geradezu herauszufordern. Seltsam... muss ich nochmal drüber nachdenken. Aber das schweift ab...

Ja, manchmal ist man empfindlicher. Besonders, wenn man nicht ganz bei sich selbst ist. Ich versuche mir dann immer zu sagen, dass wichtig ist, was ich über den anderen denke, nicht umgekehrt. Allerdings ist auch dies ein Feld voller Tretminen. Wie schnell "lässt mich jemand etwas fühlen"!

Wenn ich dabei merke, dass ich z.B. mehr Aufmerksamkeit brauche, mehr Interesse an mir selbst, mehr Zuwendung, dann - so habe ich es gelernt - gebe ich mir dies zunächst selbst oder hole es mir an anderer Stelle. Der andere kann es womöglich gerade gar nicht.

Hm.
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Krimi
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von Krimi »

Hallo in die Runde,

ja, ich war auch schon immer sehr sensibel, habe mir alles mehr zu Herzen genommen als andere. Aber früher konnte ich das irgendwie relativieren, konnte mir deutlich machen, dass ich überreagiere und meine Reaktion dann anpassen. Zur Zeit kann ich das ganz schlecht, ich fühle mich sofort abgelehnt und ungeliebt und unverstanden.
Die Idee, sich selber die gewünschte Aufmerksamkeit zu geben, finde ich gut. Das erinnert mich an die Geschichte mit dem inneren Kind, um das mein erwachsener Anteil sich kümmern muss.

Gleichzeitig stelle ich bei mir fest, dass ich es den Menschen um mich herum sehr schwer mache, für mich dazusein, weil ich immer anders drauf bin. Mal lege ich die Karten offen auf den Tisch und sage: "Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe!" und wenn mir jemand Hilfe anbietet, sage ich wiederum oft "Ne, ne, ich kriege das schon hin, Du musst nicht mit mir Lebensmittel einkaufen gehen. Habe alles im Griff!", weil es mir dann peinlich ist, meine Schwäche zuzugeben bzw. dazu zu stehen. So sende ich permanent widersprüchliche Signale aus und mache es eigentlich meinem Umfeld unmöglich, "richtig" zu reagieren.

Meinem anfangs erwähnten Freund habe ich nun eine "Kapitulations-Mail" geschrieben, im Sinne von: "Okay, komm mich besuchen, es kann aber sein, dass ich die ganze Zeit nur heule, dass die Wohnung schrecklich unordentlich und staubig ist... wenn Du das aushalten kannst, dann komm!" Ich muss einfach von meinen eigenen Ansprüchen runterkommen und zu mir stehen, wie ich eben gerade bin.

Ja, viele Selbsterkenntnisse nach einer schlecht geschlafenen Nacht

Ich wünsche Euch einen schönen Tag und alles Liebe,
Bea
FönX
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von FönX »

Zitat von otterchen:
> Außerdem habe ich bemerkt, dass sie vieles eben auch NICHT sagen. Kein "du nervst" oder "du bist ein Klugscheißer" oder "du hast aber zugenommen". Wobei... *kopfkratz* ... manchmal scheine ich derartige Aussprüche geradezu herauszufordern.
Ich tue das anscheinend auch. Aber mit offenem Austausch kann ich besser leben als mit Anschweigen. Mein Vater hat, als ich klein war, oft ein saures Gesicht gemacht. Was er dachte, fühlte usw. wusste ich nie. Wenn er mit mir unzufrieden oder auf mich böse war und nicht direkt schimpfte, machte er ein saures Gesicht. Das machte er natürlich auch, wenn ihm ein Kunde oder Vorgesetzter auf den Schlips getreten war. Ich sah nur sein Gesicht und dachte "Papa ist böse auf mich." Das hat sich mit der Zeit, vermute ich, so bei mir manifestiert, dass ich auch als Erwachsener jetzt mehrere Jahrzehnte auf dem "Beziehungsohr" hypersensibel bin. Davon wegzukommen, ist sehr schwer.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
otterchen
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von otterchen »

Hallo Beatrice,

das klingt gut!
Es ist sehr schwer, sich so zu zeigen. Und wohl noch schwerer, dann Hilfe und Unterstützung anzunehmen. Und wenn einer die Schulter anbietet, diese auch wirklich anzunehmen und dann loszuheulen.
Wie sehr fühle ich mich dann "zuviel"! Das ist "too much", das kann ich dem anderen doch gar nicht zumuten.

Ich wünsche mir sehr, dass Deinem Freund das wurscht ist bzw. dass er sich nicht deswegen abschrecken lässt. Vielleicht möchte er Dir sogar helfen?


Hallo Phoenix,

bei mir ist es eher so, dass ich automatisch in kindliche Beziehungsmuster abdrifte. Ich bekomme keine Aufmerksamkeit (will heißen: ich bin nicht achtsam), also nerve ich meine Arbeitskollegen.

Hm. Nee. Diese Aussage fühlt sich noch nicht "richtig" an. Ich tue das ja nicht bewusst, sondern ich werde unruhig, aber auf die lustige Weise. Ich blödel dann die ganze Zeit herum.

War ich als Kind vielleicht auch laut und lebhaft? DARAN kann ich mich nicht erinnern, wohl aber an den Geschmack von Baldrian auf Zucker. Wollten die mich ruhiger stellen?
Ich weiß noch, dass ich das toll fand; mit diesem Geschmack verbinde ich Zuwendung. Jemand hat sich um mich gekümmert, sich um mich gesorgt.
Außerdem war ich als Kind so dünn, dass ich 3x zu einer Kur weg war, damit ich zunehme. Habe ich so gelernt, dass Essen mir die überschüssige Energie nehmen kann, dass ich ruhiger werde? Oder dass Essen die Zuwendung ersetzen kann, die ich zu Hause nie bekommen habe?



Bitte entschuldigt, das ist wohl off topic, aber das sprudelt gerade so aus mir heraus.
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cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Otterchen,

das ist doch nicht off (siehe Thread-Titel).
Auch ich kann mich gut erinnern, extrem dünn und zappelig gewesen zu sein. In einer Aufpäppel-Kur war ich 2x (Schwarzwald).

Bin mir heute noch nicht so ganz sicher, ob ich nicht wenigstens hyperaktiv war (bin).
Dieses nicht-maßhalten-können und diese unglaubliche Unruhe, empfand ich noch nie als normal.
Meine Oldies steckten mich in ein Internat, weil ich einfach nicht mehr zu bändigen war.
Dort lernte ich selbstverständlich, wie man sich drückt und durchmogelt usw.
Was denn sonst?

Immer hatte ich das Gefühl, nicht ganz so zu sein, wie die Anderen. Viele Dinge, besonders in der Schule, die für Andere easy waren, musste ich in mich reinprügeln. Für die Hausaufgaben brauchte ich doppelt so lang, weil ich ständig lieber spielen wollte und Träumereien im Kopf hatte.

Insofern fühle ich mich genauso, wie Phoenix :
"Ja, auch ich bin kompliziert. Und das nicht erst seit meinem Zusammenbruch. Ich war das schon immer. Aber jetzt besonders."

@Beatrice
Das ist mir jetzt schon fast unheimlich, was Du da beschreibst. Und zwar deswegen, weil auch ich spüre, dass der Umgang mit mir einem Tanz auf dem Vulkan gleicht. Andere wissen nie vorher, wie ich reagiere und meine Tochter hat sogar manchmal Schiss, mich zu fragen, ob sie mal an den PC kann...
Da frage ich mich immer, bin ich sooo schlimm?

Scheine ich aber zu sein, denn mal gehe ich an die Decke, weil ich doch so wichtige Sachen am PC mache oder ich tänzele fröhlich vom Hocker mit den Worten: "Aber klar, meine Süße".
Das Üble daran ist, oft weiß ich vorher selber nicht, wie ich reagieren werde, obwohl ich auf die Frage gefasst bin, wenn ich länger als 2 Std. am PC hocke.

Naja, mit den neuen Techniken, darunter auch das "verzögerte Reagieren", gelingt es mir zunehmend, mich im Zaum zu halten und eine, für beide Seiten erträgliche, Reaktion hervorzurufen.

Bin ich dann aber noch authentisch?

Liebe Grüße
vom
cybolon

P.S. Wow, was für ein mords Päckchen reißen wir da gerade auf!
otterchen
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von otterchen »

Horst,

Du fragst, ob Du mit einer verzögerten Reaktion noch authentisch bist.

Schau, ein Impuls lässt uns Dinge sagen oder machen, die irgendwie erstmal raus müssen oder wollen. Teilweise sind diese Impulse aber geprägt worden von alten Erfahrungen.
Der Impuls sagt "boah siehst du nicht, dass ich hier soooo wichtiges am PC zu erledigen habe?"
Verzögerte Reaktion lässt kurz innehalten. Ist dieser Impuls wirklich angebracht?
Wichtiger ist vielleicht doch Deine Tochter.
Wichtiger als etwas rauszuposaunen ist vielleicht, das ganze liebevoller zu verpacken. Wichtiger oder besser für Dich ist vielleicht, innezuhalten und zu prüfen, ob Du vielleicht schon zu lange am PC hockst.

Wenn diese verzögerte Reaktion beinhaltet, dass Du Dir nur was Nettes aus den Fingern saugst, dann wäre es nicht mehr authentisch.
Wenn diese verzögerte Reaktion aber bedeutet, dass Du kurz ein Stück weiter in Dich reinhorchst, bist Du vielleicht damit authentischer als mit einem Impuls, der einfach aus Dir rausknallt.

Du tauschst im Idealfall quasi "Muster" gegen "Horst" ein.
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FönX
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von FönX »

Zitat von otterchen:
> nerve ich meine Arbeitskollegen. ... nicht bewusst, sondern ich werde unruhig, aber auf die lustige Weise. Ich blödel dann die ganze Zeit herum.
Yep! Wie ich. Das Problem bei mir ist, dass ich dann mehr mit meinen Jokes beschäftigt bin als mit dem Thema, das in dem Meeting besprochen wird.

Wir Depressiven sind für ein spezielles Phänomen sehr anfällig. Und zwar arbeiten wir konsequent und unbeirrbar auf die Situation hin, die wir am meisten fürchten. Ist das nicht furchtbar? Das habe ich vor Jahren gelesen, fühlte mich ertappt ... und mache das teilweise ganz fleißig noch heute. Damit habe ich eine Reihe sehr wertvoller Freundschaften zerstört.

Ich denke, das ist - um die on/off-topic-Frage zu stellen - schon sehr kompliziert.

Liebe Grüße
FönX

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cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Otterchen,

obgleich ich mich schon ab und an dabei erwische, die verzögerte Reaktion nur zu spielen (was nettes aus den Fingern saugen), gefällt mir Deine Antwort sehr gut und beruhigt mich sehr!

"Du tauschst im Idealfall quasi "Muster" gegen "Horst" ein."

Erstrebenswert und schön!
Danke Dir!

Liebe Grüße
vom
Horst
cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Phoenix,

ich war immer gerne der Klassenkasper.
Dadurch, dass ich mit meinen Gags ankam, fühlte ich mich immer bestärkt und wurde noch "lustiger". Konzentration war absolut nicht meine Sache, wenn mich was nicht mindestens im Ansatz begeisterte.

Aber mit dem Hinarbeiten auf die meistgefürchtete Situation, das sitze ich jetzt irgendwie auf dem Schlauch:
Ich dachte immer, ich würde den Weg des geringsten Widerstands suchen, wenn ich es z.B. immer allen recht machen möchte. Die Depression ließ mich doch auch jeden (noch so kleinen) Trigger vermeiden.
Also: Wie jetzt??

Liebe Grüße
vom
cybolon
dyterdyter
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von dyterdyter »

Hallo Beatrice,
ich hätte Deinen ersten Beitrag fast genau so schreiben können, also: Du bist NICHT alleine mit Deiner Dünnhäutigkeit!

Mögl. Tipps:

Aufräumen ist glaub ich, auch ne gute Idee... auch wenn das echt schwer sein kann, sich zu Überwinden, ich schieb schon seid 3 Tagen meine blöde Einkommenssteuer vor mir her und die MUSS fertig sein. und das aufschieben machts jeden Tag schlimmer.


andere möglichkeit fürs nächste treffen: setzt dich nicht zu sehr unter druck mit dem aufräumen. wenn der freund kommt, kauft zusammen ein. und deine unaufgeräumte wohnung findet er vielleicht gar nicht so schlimm. vielleicht sogar charmant... das weiß man nie (es sei denn, war schonmal bei Dir...)

ich höre bei aufgaben, die ich ungern mache, und die nicht meine volle aufmerksamkeit erfordern, oft hörspiele, dadurch versüße ich mir die tätigkeit.

Liebe Grüße von meinem chaotischen Schreibtisch
dyter
FönX
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von FönX »

Moinsen Horst!

Zitat von Horst:
> Aber mit dem Hinarbeiten auf die meistgefürchtete Situation, das sitze ich jetzt irgendwie auf dem Schlauch: Ich dachte immer, ich würde den Weg des geringsten Widerstands suchen, wenn ich es z.B. immer allen recht machen möchte. Die Depression ließ mich doch auch jeden (noch so kleinen) Trigger vermeiden. Also: Wie jetzt??
Jetzt stehe ich auf dem Schlauch. Willst du damit sagen, dass du das bei dir nicht so erkennen kannst? Wenn ja, irrst du. Du hattest es vorgestern hier (http://tinyurl.com/5vzld2) etwas umrissen.

Liebe Grüße
FönX

Bei riesigen Nebenwirkungen essen Sie die Packungsbeilage oder schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
cybolon
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Re: Ich bin so schrecklich kompliziert geworden!

Beitrag von cybolon »

Hallo Phoenix,

willkommen auf dem Schlauch!

Sorry, der Link bringt mich nur an den Anfang des "Doof" Threads.
Könntest Du mir bitte Datum/Uhrzeit nennen?

Denn ich vermute hier sowas, wie ein kleines Mis(t)verständnis.

Liebe Grüße
vom
cybolon
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