Opfer und Täter

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steppenwolf1

Opfer und Täter

Beitrag von steppenwolf1 »

Hi zusammen,

ich würde mich gern über das Thema austauschen, weiss aber nicht so recht, wie ich die Fragestellung genau formulieren soll.
Vllt. wie man aus der Opferhaltung herauskommt ? Weil man sich ständig runtergemacht, ignoriert oder gedemütigt fühlt ? Und nicht von vergangenem loslassen kann ......
Mir wurde mal gesagt, dass man z.B. in der Traumatherapie einfach versucht, sich mit starken Gefühlen immer wieder konfrontieren, um eine Gewöhnung zu erzielen. Diese würde aber eben immer von der Opferhaltung ausgehen.
Ein andere Weg wären die Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen und zu akzeptieren oder so ähnlich.

Eine weitere Sache die mir immer wieder in den Sinn kommt: Opfer sind auch Täter und umgekehrt.
Was meint Ihr dazu ?

Gruss, s.wölfin
Grenzgängerin
Beiträge: 618
Registriert: 25. Mär 2005, 23:44

Re: Opfer und Täter

Beitrag von Grenzgängerin »

Weiß nicht, ob Du das hören willst, oder ob es Dir weiterhilft.

Aber mir hat mal ein Atemtherapeut bei meinem ersten Klinikaufenthalt gesagt, ich solle mich nicht immer wieder zum Opfer machen, sondern zum Täter (tätig) werden.

Das kam auf, als wir über meine Probleme sprachen und die Worte Machtlosigkeit, Ohnmacht und Hilflosigkeit eine große Rolle spielten.

Es war nicht einfach, das umzusetzen. Aber ich musste immer wieder an diesen Satz von ihm denken, wenn ich mich ungerecht behandelt fühlte, beleidigt, verletzt o.ä. und mein erster Impuls war, mich dahinein zu flüchten, mich selbst zu verletzen, zu hungern oder depressiv herumzuliegen.
An diesen Stellen fiel mir dieser Satz wieder ein und ich fasste ganz langsam den Mut, mich zu wehren bzw. für mich einzustehen.

Das hat mir enorm geholfen, destruktive Muster bei mir abzubauen und die entsprechenden Impulse in ihrer Häufigkeit zu reduzieren.

Ich denke, man muss auch trennen, ob man z.B. als Kind Opfer eines Missbrauchs war oder auch als Erwachsener Opfer eines Verbrechens. Da ist man wirklich Opfer und da kann auch noch so viel Therapie nichts dran ändern. Ich fand es in Bezug auf den Missbrauch auch sehr erleichternd, die Opfer-Rolle anzunehmen und aufzuhören, mir selbst Vorwürfe zu machen. Es war falsch, was da jemand anders mit mir getan hat, ich war das Opfer.

Wenn mich aber heute irgendwo jemand schief anmacht oder angrapscht, dann kann ich meinen Mund aufmachen, ich kann mich wehren (es zumindest versuchen). Ich muss nicht hilfloses Opfer sein.

LG,

Alex
steppenwolf1

Re: Opfer und Täter

Beitrag von steppenwolf1 »

Hi Alex,

danke für Deine Antwort.

wenn zum Täter werden damit gemient ist, tätig zu werden im Sinne, sich selbst in den A... zu treten und anzufangen für sein eigenes Leben Verantwortung zu übernehmen ist das ok ....

Aber tätig werden kann ja auch anders aussehen. Wie z.B. wie im anderen Thread "Liebe erzwingen" oder Aufmerksamkeit durch Aggression oder oder oder .....hat für mich auch was mit Täter zu tun.

Ich war früher z.B. Täter, in dem ich meine Schwester schikaniert hab, meine Aggros an ihr ausgelassen habe, anstatt da wo sie hingehören. Aber einfach auch, weil sie das schwächere Glied war, im Gegensatz zu den Personen, wo es hingehört hätte. Aber da wäre ich aufgrund des Echos eingegangen wie eine ungegossene Primel. (wie armselig )

Dennoch bin ich schuldig und werde damit leben müssen.

Und zum Thema Opfer: klar kann man sich wehren, aber was wenn man es nicht getan hat ? Da bleibt doch immer ein Eigenanteil, warum man zum Opfer wurde oder ?

Und: rechtfertigt es, zum Täter zu werden ? Rechtfertigt es krank zu werden ? Oder ist man überhaupt krank und hat sich nur darin geflüchtet ?

Gruss, s.wölfin
s-ch
Beiträge: 76
Registriert: 6. Jul 2008, 23:44

Re: Opfer und Täter

Beitrag von s-ch »

>Ich denke, man muss auch trennen, ob man z.B. als Kind Opfer eines Missbrauchs war oder auch als Erwachsener Opfer eines Verbrechens. Da ist man wirklich Opfer und da kann auch noch so viel Therapie nichts dran ändern. Ich fand es in Bezug auf den Missbrauch auch sehr erleichternd, die Opfer-Rolle anzunehmen und aufzuhören, mir selbst Vorwürfe zu machen. Es war falsch, was da jemand anders mit mir getan hat, ich war das Opfer.<

Ich bin ebenfalls Mißbrauchsopfer, jahrelang in der Kindheit und den meisten wird vom Täter eine Mitverantwortung oder Schuld eingeimpft, ganz egal, ob dabei Gewalt dabei war oder nicht. Sowas sitzt extrem tief.

Ich weiß rational auch, dass ich objektiv keine Schuld habe, doch es gibt eben diese unselige Verbindung bis heute. Das ist auch der Grund, warum der Körper abgelehnt wird, vernachlässig, selbst verletzt, weil er eben dereinst die Quelle von Demütigung und Qual war. Hätte es damals den zarten Kinderkörper nicht gegeben, wäre das alles nicht passiert....

Das ist dann der Teil Schuld, den man unbarmherzig für sich selbst sieht, bewußt oder unbewußt.

Ich empfinde keinen Haß auf meinen Täter, ich habe niemals jemandem gesagt, was passiert ist, wer es war, erst recht keine Anzeige gemacht. Es ist über 30 Jahre vorbei und mein gesamtes enormes Haß- und Aggressionspotential richtet sich gegen mich selbst. Das mögen dann auch Täteranteile in mir selbst sein, quasi Täter und Opfer in einer Person selbst.

Viele Grüße S.
ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Opfer und Täter

Beitrag von ANOVA »

Hi Wölfin,

Vorweg: ich mag es im Zusammenhang mit Beziehungsdelikten nicht, von Tätern und Opfern zu sprechen, ich persönlich (!) finde Begriffe wie Geschädigte/r und Schädiger/in passender, weil es die ganze moralische Ebene rauslässt und sich aufs „Technische“ – das Ergebnis eines unseligen Zusammenspiels vieler Faktoren – konzentriert.

>Ein andere Weg wären die Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen und zu akzeptieren oder so ähnlich.

So in etwa war mein Weg. Wobei zu diesem Weg noch viele kleine Zwischenschritte gehören. Nur mit der Erkenntnis und Akzeptanz von Ursachen und Zusammenhängen ist es noch nicht getan. Für mich war z.B. wichtig, überhaupt anzuerkennen, dass mir etwas Schlimmes passiert war, ich hatte mir nämlich jahrelang eingeredet, es sei alles nicht so schlimm gewesen, schließlich würde ich ja noch leben usw. Nach diesem Anerkennen war es dann irgendwann wichtig, mich mit mir auszusöhnen, d.h. die „Schuld“ von mir zu nehmen.

>Und zum Thema Opfer: klar kann man sich wehren, aber was wenn man es nicht getan hat ? Da bleibt doch immer ein Eigenanteil, warum man zum Opfer wurde oder ?

Das war für mich auch ein Punkt, der es mir lange unmöglich machte, die Sachen zu verarbeiten. Ich habe mich nicht gewehrt, weil ich nicht gelernt hatte, mich zu wehren. Oder anders ausgedrückt: in meiner Lebensgeschichte kannte ich es nicht anders. Natürlich hatte ich einen Anteil am Geschehen. Es kommt jedoch darauf an, diesen Mitverantwortung frei von moralischer Schuld anzuerkennen. Damit ermöglicht man sich dann auch, in Zukunft anders zu handeln. Denn wenn ich weiß, welche Denkmuster und Verhaltensweisen wozu geführt haben, dann werde ich natürlich alles versuchen, diese Denkmuster und Verhaltensweisen zu „verlernen“. Das betrifft dann allerdings schon eine Art Prophylaxe zukünftiger Traumatisierungen.

Die Übernahme von Mitverantwortung am Geschehen ist für mich wichtig gewesen, um mich mit mir selbst auszusöhnen. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich das mit der Mitverantwortung bei kindlichen Geschädigten so nicht sagen würde. Ein Kind hat in meinen Augen keine Mitverantwortung.

>Und: rechtfertigt es, zum Täter zu werden ?

Nein. Es kann höchstens bei der Erklärung, wieso der-/oder diejenige zum/zur Schädigenden geworden ist helfen.

>Rechtfertigt es krank zu werden ?

Ich glaube nicht, dass man eine Rechtfertigung zum Krankwerden braucht... Denn dann müsstest Du eine allgemeine Skala einführen, ab wann man krank sein darf und bis wann man sich nicht so anstellen solle. Das geht jedoch nicht, weil ein objektiver Maßstab nicht möglich ist. Das, was für mich traumatisch war, war für andere vielleicht nicht traumatisch und was für mich nicht traumatisch war, war für andere vielleicht traumatisch.

>Dennoch bin ich schuldig und werde damit leben müssen.

Naja, ich weiß nicht, wie Du mit Deiner Schwester umgegangen bist. Aber ich habe das Gefühl, dass Du Dir sehr hohe moralische Maßstäbe setzt. Das fiel mir schon in der Diskussion über die Therapieschäden auf. Hast Du mal mit Deiner Schwester darüber gesprochen?

Gruß
Xenia
Grenzgängerin
Beiträge: 618
Registriert: 25. Mär 2005, 23:44

Re: Opfer und Täter

Beitrag von Grenzgängerin »

Hallo Wölfin,

>wenn zum Täter werden damit gemient ist, tätig zu werden im Sinne, sich selbst in den A... zu treten und anzufangen für sein eigenes Leben Verantwortung zu übernehmen ist das ok ....

Ja, so ist das gemeint. Also nicht etwas über mich ergehen zu lassen, mich klein und zum Opfer zu machen (ich bin ja so hilflos, so wertlos, ich habs nicht anders verdient usw.), sondern aufzustehen und zu sagen: "Hey, das finde ich nicht o.k.." (oder etwas in der Art, kommt auf die Situation an).

>Und zum Thema Opfer: klar kann man sich wehren, aber was wenn man es nicht getan hat ? Da bleibt doch immer ein Eigenanteil, warum man zum Opfer wurde oder ?

Ich denke das kommt sehr darauf an. Eben z.B. darauf, wie alt man war/ist, auf die Situation (z.B. wenn wir jetzt von einer Gewalttat ausgehen, rät selbst die Polizei davon ab, sich groß zu wehren, wenn Waffen im Spiel sind), wie man erzogen wurde (mir hat man immer verboten mich zu wehren, z.B. wenn mich ein anderes Kind schlug) usw.. Ich denke auch, dass man grundsätzlich kindlichen Opfern von (sexuellem) Missbrauch keine Mitschuld geben kann.

>Und: rechtfertigt es, zum Täter zu werden ?

In meinen Augen rechtfertigt es nicht, anderen weh zu tun, sie zu unterdrücken und zu missbrauchen.
Das kommt aber immer wieder vor, vor allem bei Menschen, die selber Schreckliches erlebt haben. Es ist keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung, aber ein Erklärungsmuster.

>Rechtfertigt es krank zu werden ?

Ich denke auch, dass man sich zum einen dafür nicht rechtfertigen muss und zum anderen sucht man sich das ja nicht aus. Etwas macht einen Menschen krank oder eben nicht. Das hängt auch wieder von vielen Faktoren ab (soziales Umfeld, psychologische Unterstützung, Charakter,...).

>Oder ist man überhaupt krank und hat sich nur darin geflüchtet ?

Meine depressiven Episoden vor 6 Jahren waren sicher eine Folge mehrerer traumatischer Erfahrungen, in denen ich mich sehr hilflos und machtlos gefühlt habe. Ein Kennzeichen der Depression ist ja auch, dass die Betroffenen sich so hilflos/machtlos in Bezug auf die eigene Person/das eigene Leben erleben. Die Depression ist bei mir allgemein auch ein Mittel der Flucht. Klar.
Ich finde das allerdings nicht grundsätzlich verwerflich.

LG,

Alex
TearsforFears
Beiträge: 392
Registriert: 18. Jan 2008, 12:52

Re: Opfer und Täter

Beitrag von TearsforFears »

Hi,
schweres Thema, aber sehr wichtig. Ich war dank und wegen meiner Depris sehr oft Opfer, besonders in meiner Jugend. Aber Täter war ich auch. In meiner oft grenzenlosen Wut und Verzweiflung über meinen Zustand und meine Umwelt habe ich auch ganz schön um mich geschlagen. Die Menschen die es getroffen hat waren nicht unschuldig, im Gegenteil. Trotzdem tut es mir leid, vor allem für eine frühere Schulkameradin. Die hat meine geballte Wut gehörig zu spüren bekommen. Sie hat es provoziert und viel falsch gemacht, aber trotzdem war es nicht richtig von mir. Dafür schäm ich ich bis heute.
Tears
BeAk

Re: Opfer und Täter

Beitrag von BeAk »

Hallo zusammen,

mir ging es auch so. Ich empfand schuld am SM, dabei war ich ein Kind.
In der Therapie habe ich gelernt ganz unvoreingenommen anzuschaun was passiert ist. Und ich konnte erkennen das ich getäuscht und benutzt wurde.
Dieses klar zu erkennen und deutlich zu bennen hat mir meine Schuldgefühle und den Schmerz genommen.
ANOVA
Beiträge: 1137
Registriert: 22. Jul 2006, 21:27

Re: Opfer und Täter

Beitrag von ANOVA »

>Also nicht etwas über mich ergehen zu lassen, mich klein und zum Opfer zu machen (ich bin ja so hilflos, so wertlos, ich habs nicht anders verdient usw.), sondern aufzustehen und zu sagen: "Hey, das finde ich nicht o.k.." (oder etwas in der Art, kommt auf die Situation an).

So sehe ich es auch. Und was mir bei der Umsetzung geholfen hat, war zum einen die Wut: Ich wollte ihm nicht den Gefallen tun, mein Leben zu zerstören (indem ich z.B. nicht mehr rausgehe) und wollte ihm die Macht über mich (z.B. indem ich dauernd voller Angst an ihn denke) nehmen. Zum anderen, und das ist für mich wichtiger, habe ich mir immer wieder klargemacht, dass ich zwar in meinem Leben mehrmals traumatisiert wurde, aber dass das in Zukunft nicht unbedingt weiterhin passieren muss. Es sind quasi die Karten neu gemischt und es liegt an mir, was ich daraus mache.
steppenwolf1

Re: Opfer und Täter

Beitrag von steppenwolf1 »

Hallo zusammen,

ich danke euch für Eure antworten ...

gut finde ich den Gedanken, das man aus Wut schon nciht aufgibt ....
Bei mir kam das ab und an so, dass cih mir gesagt habe, der ist es nicht wert .... (auch was Ding vom Thera anging)

@Xenia meine Schwester und ich hatten schon mal drüber gesprochen und waren uns einig, dass es schon ne krasse Zeit war. Sie hatte Angststörung und meiner Meinung nach auch Depression (mit 11 schon) .....
was ich nie gesagt hab, dass ich oft denke, dass ich daran nicht unschuldig war. ich bin 5 3/4 Jahre älter und war durchaus schon in dem Alter, Verantwortung zu übernehmen, v.a. auch für meine Schwester !

Morgen hol ich sie vom Flughafen ab. Sie war ein halbes Jahr im Auslandssemester. Wird sich umgucken, wie kalt es in D. ist

Ich wünsch Euch ein stressfreies Verlängertes WE !

s.wölfin
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