Depressiv oder normal

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mephisto
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Depressiv oder normal

Beitrag von mephisto »

hallo schon seit langer zeit stelle ich mir die frage, ob ich möglicherweise an depressionen leide. bisher habe ich es nicht gewagt einen arzt oder psychologen diesbezüglich aufzusuchen. ich bin schon immer einzelgängerisch gesellschaftsfremd und, sagen wir eher von trübsinnigen art gewesen. an sich ist daran nichts negatives, aber seit längerer zeit schon scheint mir das ganze überhand zu nehmen. ich habe und suche kaum kontakt zu anderen menschen. "reale" kontakte pflege ich sowieso kaum, ich suche meistens kontakte im internet. allerdings habe ich auch die neigung menschen, die ich kennengelernt habe, absichtlich wieder "loswerden" zu wollen. soll heißen, ich "verjage" absichtlich leute, indem ich mich zynisch, abweisend und aggressiv (in worten) verhalte. ich versuche die leute davon zu überzeugen, dass sie mich hassen müssen, und zwar gerade die leute, die mich eigentlich (auch wenn ich ihnen gegenüber das nicht zugebe) verstehen könnten. auf diese weise knüpfe ich natürlich keine kontakte, vor allem nicht zu frauen, was das ganze nicht besser macht. obwohl ich zu hause wohne, habe ich zu meiner familie keinen kontakt. ich bin demotiviert, kann mich oft den ganzen tag lang nicht überwinden irgendetwas zu tun, kann mich nicht auf mein studium konzentrieren und mich oft nicht einmal überwinden mich mit den dingen zu beschäftigen, die mir eigentlich freude bereiten. körperliche beschwerden habe ich kaum. unwohlsein und kopfschmerzen begleiten mich zuweilen, aber das würde ich nicht überbewerten. mit selbstmordgedanken habe ich vor einiger zeit, als es mir ziemlich schlecht ging, ebenfalls gespielt. aber das ist mittlerweile wieder zurückgewichen. mein hauptgedanke damals war, es mit meinem tod "allen zu zeigen". meine familie ins elend zu stürzen. bei den wenigen (eigentlich nur eine) personen, die mir überhaupt etwas bedeuten, habe ich oft schuldgefühle oder angst etwas falsches gesagt zu haben. es gibt eigentlich nur diese eine person, von der ich nicht gehasst, sondern gemocht werden will. deshalb verhalte ich mich oft vielleicht etwas zu aufdringlich und bin sofort am boden zerstört, wenn die person beleidigt oder kritisierend reagiert. ich frage mich, ob sie mich überhaupt leiden kann. ich denke, dass ich überhaupt nicht in der lage bin "echte" gefühle zu empfinden. ich möchte noch anmerken, dass das ganze nicht unbedingt ein dauerzustand ist. manchmal fühle ich mich ganz "normal", dann überkommt es mich wieder, machmal von einer sekunde auf die andere, bleibt, kommt, geht... ich weiß, dass das alles ziemlich nach depression klingt. allerdings kann ich mich nicht wirklich erinnern jemals anders gewesen zu sein. seit meiner schulzeit (ich bin mittlerweile 20) habe ich mich immer ähnlich gefühlt. vielleicht gehört das alles zu mir. ich hoffe irgendjemand von euch macht sich die mühe, meinen roman zu lesen und mir zu antworten.
Uta
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Beitrag von Uta »

Lieber Mephisto, habe deinen "Roman" gelesen,aber leider im Moment keine Kraft,dir lange zu antworten. Ich kann nur sagen,dass es mir ähnlich ging wie dir und ich kann dich verstehen. Ich habe den Schritt gewagt mir Hilfe zu holen,weil es nicht mehr ging. Vielleicht solltest du auch mal drüber nachdenken,auch wenn es ein sehr schwerer Schritt ist. Wünsch dir viel Kraft für deinen Weg. Gruss Uta
christabelle
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Beitrag von christabelle »

Hallo, Ihr alle! Ich "muß" mal was loswerden, sonst werde ich noch verrückt so alleine... Eigentlich geht es mir sehr sehr gut (ich glaube zum ersten Mal an Heilung), ich mache große Fortschritte, soll heißen ich habe zum ersten Mal mein Hauptproblem "sehen" können, auch, wie es dazu gekommen ist, wie weit meine Erziehung daran "schuld" war und wieweit äußere Einflüsse; ich habe erkannt, daß meine Gefühle damals völlig berechtigt waren, heute aber nicht mehr; ich weiß, warum ich mich trotzdem immer wieder "falsch" verhalte und daß ich versuche, gewisse Situationen regelrecht herbeizuführen oder sie falsch zu deuten, damit mein falsches Gefühl mit der Wirklichkeit übereinstimmt - und was ist? Meine "Bald-Heilung" macht mich wieder depressiv! Wenn ich all' das ändere, was an mir "nicht normal" ist und so werde wie "normale" Menschen, dann ist von MIR überhaupt nichts mehr übrig. Dann bestehe ICH nur noch aus Depressionvermeidungsverhalten (das sind zwar positive Dinge wie Sport, gesunde Ernährung, Schlaf, Rhythmus, "positives Denken" und all das...aber ich tue es nicht, weil ich es will, sondern weil ich nicht wieder ins Loch will, und manchmal bis oft ist alles Krampf und fühlt sich falsch an); ändert sich das noch? Muß ich mich bloß daran gewöhnen? Ich fühle mich total in der Schwebe, nicht mehr die Alte, noch nicht die Neue, einfach ein Nichts. In meiner SHG ist für ein paar Mal eine Therapeutin dabei, aber das macht alles nur noch Schlimmer, die Erkenntnisse kommen so schnell aufeinander, ohne daß ich das steuern könnte, ich komme gar nicht mehr hinterher...und so ganz nebenbei hab' ich ja noch einen Alltag zu bewältigen, da ist es einfach ungünstig, wenn man neben sich steht (und nicht mal weiß, neben wem ;-)... Zweites Problem: so langsam weiß ich nicht mehr, was richtig und falsch ist, wenn meine (alten) Maßstäbe nicht mehr gelten, wie finde ich dann neue??? Ein Beispiel: dieses Forum zieht mich im Moment völlig runter, deshalb war ich auch ein Weilchen nicht da; so viel Leid; so viele Leute, die noch nicht einmal angefangen haben zu kämpfen (und das auch (noch) nicht wollen); so viele Leute, die schon so lange kämpfen und immer noch keinen Schritt weiter sind; und einige, die zwar schon weit gekommen sind, deren Weg aber auch noch sehr weit sein wird...das macht mich völlig fertig; helfen würde ich gerne, geht aber nicht, ich bin kein Arzt und kein Helfer, hab' den Kopf voll eigener Probleme und so selten Zeit, ich stehe also hilflos davor und habe keine Ahnung, was ich sagen soll... oder ist das wieder Depridenke, überzogenes Verantwortungsgefühl gepaart mit Perfektionsanspruch? Sollte ich einfach sagen, "was juckt mich das, zum Anti-Depri-Programm gehört "Vermeiden, was einem nicht guttut", also tu' ich das, lese es halt nicht, außerdem sind sie ja in guten Händen beim Team hier, und letzten Endes muß jeder selbst aufstehen (wollen)"? Keine Ahnung... Wenigstens ist das Problem (soll heißen: die Aufgabe) jetzt ein wenig klarer in meinem Kopf... Und - es ist schön, mal wieder hier zu sein! Christabelle
Ingrid
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Beitrag von Ingrid »

Hi Christabelle - freue mich total, Dich wieder hier zu lesen ! Dies nur ganz schnell in den "Raum" gestellt, weil ich längst kochen sollte, grins. Lieber Gruß von Ingrid
caroline

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Beitrag von caroline »

Liebe Christabelle Ich denke, dass sich die letzte Zeit sehr viel bei dir getan hat, und dass dir das wirklich weiteren Mut machen soll. Und du fühlst dich so komisch zwischen allem, weil du jetzt in einer Lage bist, die du nicht kennst. Du kennst die Depressionen und du kennst dein Leben vor den Depressionen, welches du als "normal" schilderst. Es gibt auch noch ein Leben sozusagen NACH den Depressionen (was ja nicht heisst, dass sie niemals mehr auftauchen können), das heisst du hast die Depris jetzt irgendwie in dein Leben integriert. Du schreibst, du siehst Ursachen und glaubst an Heilung. Du bist jetzt einfach in eine andere Lebensphase eingetreten, die neu für dich ist, weil du sie noch nicht erlebt hast. Wie du sie jetzt nennen willst, ist eigentlich unwesentlich, so wie ich dein früheres Leben eben auch nicht als "normal" bezeichnen würde, denn das suggeriert dir irgendwie, das es endlos so weiter gehen müsste, und das tut es ja nicht (glücklicherweise!!!) Du machst eine Entwicklung durch und bist jetzt eben in einen NEUEN Abschnitt eingetreten. Das Neue ist dir noch nicht vertraut, daher dein Unbehagen. Aber auch das wird sich legen, wenn du einsehen kannst, dass dein "normales" Leben von früher gar nicht mehr zurückkommen kann und dann wirst du das auch gar nicht mehr wollen. Zu kompliziert ausgedückt? Lieben Gruss von Caroline
susan
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Beitrag von susan »

Hi Christabelle ich freue mich über jeden, der hier auftaucht und bestätigt, das so was wie "Heilung" möglich ist ;-) Dieser Scbwebezustand, dieses neue befreiende Gefühl, manchmal glaube ich es auch zu spüren. Ich fühle mich dann leicht und könnte Bäume ausreissen, mein Leben in die Hand nehmen, und loslaufen, losrennen, weil es mir alles viel zu langsam geht. Ich falle dann meist wieder auf die Nase, die Depression packt mich am Schlawittchen und sagt "SO nicht, ich bin auch noch da!!" Wie konnte ich sie vergessen? Und der Gedanke an das Klassegefühl, was da eben noch war, wird immer verschwommener, und ich bin bald wieder im Labyrinth der Gefühle, weiß nicht, wie es eben noch war, habe keine Ahnung, wo es hingehen soll. Wechselbäder sind das und da kann ich mich einfach nicht dran gewöhnen. Bin auch oft wütend auf mich, das ich mich wieder so "gehen ließ", ICH habe es zugelassen und mich nicht gewehrt. Und wenn ich dann mühsam meinen Weg wieder gefunden habe, dann geht das Ganze von vorne los. Bin mir immer noch nicht sicher, was an mir ICH bin und was an mir klebt und Depression heißt. Es hat sich jedenfalls schon geändert...während ich am Anfang ALLES weghaben wollte, was mich ausmachte in der Depri-Phase, erkenne ich nun, das vieles "meine Natur" ist. Ich beginne mich immer mehr zu fühlen, erkenne - manchmal - den Unterschied zwischen krank und gesund. Was sehr schwer für mich ist, dieses neue/alte ICH auch wirklich zu sein. Denn mein Umfeld hat mich inzwischen als depressiv abgestempelt und hofft, und sie betonen das auch sehr oft, das das schon wieder wird. "wenn du wieder gesund bist...." .."das wird schon wieder" Ich bin nicht mehr die Powerfrau, die ich mal war und werde es SO wie ich es war, nicht mehr für andere sein! und ...ich bin nicht nur alleine, weil ich depressiv bin, ich bin auch GERNE mal alleine! Das heißt für mich, es gibt einen kranken Teil, der wird irgendwann verschwinden - hoffe ich .... - und es gibt einen gesunden Teil - und das macht mich aus und das sollten die anderen auch irgendwann kapieren! Ich bin evtl. weiterhin depressiv, um sie mit aller Nachdrücklichkeit auf meine für mich "positiven Veränderungen" hinzuweisen??? Klingt sicher ziemlich verwirrt, aber heute geht's mir total mies. Ich habe den ganzen Tag versucht, mich aus der Umklammerung der Depri zu befreien - es ging nicht... Freue mich sehr, Christabelle, das du dich so gut fühlst, und danke, das du das hier aufgeschrieben hast - es macht mir Mut!! Weiterhin alles Gute!!! Lieber Gruß Susan


Ingrid
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Beitrag von Ingrid »

Hallo Susan - ich finde es toll, dass Du ..... trotzdem in der Lage bist, so viel über Dich zu schreiben. Das konnte ich, als es mir so richtig elend war, überhaupt nicht. Und morgen ist ein neuer Tag...... !! Lieber Gruß Dir, Ingrid
Ingrid
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Beitrag von Ingrid »

Hallo Christabelle - zum Vermeidungsverhalten kann ich nur sagen: Alles Gesunde, das Du da tust, braucht natürlich Zeit, um zu w i r k e n und sich in Deinem Hirn einzunisten, Teil von Dir zu werden. Irgendwann wirst Du es nicht tun, um die Depression zu vermeiden, sondern weil es einfach schön ist und natürlich. Zu den Maßstäben kann ich nur sehr subjektiv antworten: Für mich sind eigentlich nur Gottes Maßstäbe bedeutend. Das enthebt mich aber auch der Last, die Maßstäbe anderer Menschen an mir anzulegen. Ich bin doch ein Individuum, wie sollte das denn funktionieren ? Nichts für ungut. Alles Liebe Dir von der NUSS
susan
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Beitrag von susan »

Hallo Ingrid danke für die lieben Worte gute Nacht Susan


susan
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Beitrag von susan »

Hallo Ingrid du schreibst " dass Du ..... trotzdem in der Lage bist, so viel über Dich zu schreiben. Das konnte ich, als es mir so richtig elend war, überhaupt nicht. " Wann war das, das du dich so elend gefühlt hast? Wie hast du es geschafft, da rauszukommen? Bist du auch einer "neuen Ingrid" begegnet? Bei mir funktioniert nichts mehr - mein Leben ist aus den Fugen geraten - nur...ab und zu hier schreiben - das geht noch. Wir sind eben alle Individuen... Gruß Susan


christabelle
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Beitrag von christabelle »

Hallo, Caroline! Danke für die Antwort :-) ...nein, nicht zu kompliziert :-), Du hast schon recht, alles ist so neu und anders, und die Erkenntnis, daß ich nicht wieder so werde wie vorher, schockt mich schon (was soll erst mein Mann sagen? ;-) - gestern hab' ich gelesen, daß es keinen Sinn hat, sich so festlegen zu wollen auf gewisse Eigenschaften, die man hat oder nicht - jeder ist in einer bestimmten Situation so, und bei der nächsten, ähnlichen wieder ganz anders, mal mutig/mal ängstlich, mal scheu/mal kontaktfreudig u. Ä. (das fällt mir auch schwer, auf dieses dauernde Planen, Einordnen, Katalogisieren und Ketegoriesieren zu verzichten, schafft so eine Sicherheit...geh' ich also und werde versuchen, die Freiheit zu genießen). Dir einen schönen Tag! Christabelle
christabelle
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Beitrag von christabelle »

Hallo, Ingrid! ...ich hoffe nur, "irgendwann" (wenn ich mich daran gewöhnt habe) kommt bald! Gottes Maßstäbe sind mir immer noch zu hoch, ehrlich gesagt, kann ihn nicht lieben (nicht mal an ihn glauben) und nein, nichts für ungut, bin immer noch nicht besonders empfindlich (ich hoffe, wenigstens das bleibt ;-) Dir auch einen lieben Gruß Christabelle
christabelle
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Beitrag von christabelle »

Hallo, Susan! Danke für Deine lange Antwort! Und schön, daß Du dieses Gefühl der "Freiheit" von der Depression auch kennst - und auch wenn sie Dich dann wieder einholt: das ist nicht Deine Schuld, dagegen kann man sich einfach nicht wehren, bloß auf seinem Weg immer wieder weiter machen, wie Du das so tapfer tust - es wird wiederkommen! Die Umwelt...kenne ich auch...zum einen habe ich mich schon daran gewöhnt (auf die Frage: Wie geht es Dir? KANN ich schon gar nicht mehr sagen "GUT!", die Stimme flüstert sofort "Guuut? Dir?? Kann doch gar nicht sein, nur nicht übermütig werden, wer am Morgen singt, den holt abends die Katze...") - aber auch mein Umfeld, auch wenn ich mich "normal" verhalte, können sie da gar nicht drauf reagieren und machen weiter in der "Schonhaltung". ...ich nehm' Dich mal kurz in den Arm (wenn ich darf) und stärke Dich - so wie Dich jede Deiner positiven Erfahrungen stärkt, jedes Mal ein bißchen mehr! Lieben Gruß Christabelle
maggy
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Beitrag von maggy »

Liebe Christabelle, ich freu mich von Dir zu lesen. Das, was Du beschreibst, ist für mich einfach das Leben mit allen Höhen und Tiefen die dazu gehören. Ich weiß nicht, ob ich die Parabel von den Trapezen aus dem Buch Krieger des Herzens von Danaan Parry schon mal hier reingesetzt, egal hier ist sie: Die Parabel der Trapeze Von der Furcht vor der Verwandlung zur Verwandlung der Furcht. Manchmal denke ich, mein Leben sei eine Serie von Trapezschwüngen. Entweder hänge ich an einem Trapezbalken, der vor sich hinschwingt, oder, einige Augenblicke meines Lebens lang, schleudere ich durch den Raum zwischen zwei Trapezen. Die meiste Zeit meines Lebens verbringe ich damit, mich an meiner Trapezstange-des-jeweiligen-Augenblicks festzuklammern, als ginge es um mein Leben. Sie schwingt mich in einem bestimmten festen Rhythmus hin und her, und das gibt mir das Gefühl, mein Leben unter Kontrolle zu haben. Ich kenne die meisten richtigen Fragen und sogar einige der Antworten. Aber hin und wieder, wenn ich glücklich (oder nicht ganz so glücklich) vor mich hin schwinge, schaue ich ein Stück vor mich und was sehe ich? Ich sehe, wie mir eine andere Trapezstange entgegenschwingt. Die Trapezstange ist leer und ich weiß, in dieser Stelle in mir, die weiß, dass auf dieser neuen Trapezstange mein Name steht. Sie ist mein nächster Schritt, mein Wachstum, meine Lebendigkeit, die gekommen ist, um mich abzuholen. Tief in meinem Herzen weiß ich, dass ich, um zu wachsen, meinen Halt dieser augenblicklichen, wohlbekannten Stange loslassen und mich zur nächsten Schwingen muß. Jedes Mal, wenn mir das passiert, hoffe ich (nein, ich bete), dass ich meine alte Stange nicht ganz loslassen muß, bevor ich die neue greifen kann. Aber in dieser Stelle in mir, die weiß, ist mir klar, dass ich meinen Halt an meiner alten Stange erst völlig loslassen und für einen Augenblick in der Zeit durch den Raum schleudern muß, bevor ich die neue Stange greifen kann. Das erfüllt mich jedesmal mit Schrecken. Es hilft auch nicht, dass ich es in all meinen früheren Schwüngen durch die Leere des Unbekannten immer geschafft habe. Jedes Mal habe ich Angst, dass ich daneben greifen werde, dass ich auf den unsichtbaren Felsen in der bodenlosen Kluft zwischen den Trapezstangen zerschmettert werde. Ich tue es trotzdem. Vielleicht ist dies das Wesen dessen, was die Mystiker Erfahrung des Glaubens nennen. Keine Garantien, kein Netz, keine Versicherungspolice, aber sie tun es trotzdem. Irgendwie steht es nicht mehr länger auf der Liste der möglichen Alternativen, weiter an dieser alten Trapezstange zu hängen. Also erhebe ich mich für eine Ewigkeit, die eine Mikrosekunde oder Tausende von Lebenszeiten dauern kann, durch die dunkle Leere des Zwischenstadiums, das da heißt: das Vergangene ist vorbei, die Zukunft ist noch nicht da. Man nennt das Übergang. Ich habe glauben gelernt, dass dieser Übergang der einzige Ort ist, wo sich wahre Veränderung vollzieht. Ich meine wahre Veränderung, nicht die Pseudo-Veränderung, die nur so lange anhält, bis ich das nächste Mal einen tritt in den Hintern erhalte. In unserer Kultur wird dieser Übergang als Nichts angesehen, als ein Nicht-Ort zwischen den Orten. Klar, die alte Trapezstange war real, und ich hoffe, dass es die neue Stange, die auf mich zukommt, auch sein wird. Aber die Leere dazwischen? Ist das nur ein angsterregendes, verwirrendes, orientierungsloses Nichts, durch das man so schnell und so ahnungslos wie möglich hindurch muß? NEIN! Was wäre das für eine verschwendete Gelegenheit: Mir drängt sich der Verdacht auf, dass dieser Übergangsbereich das einzig Reale ist und die Trapezstangen Illusionen sind. Wir haben sie uns erträumt, um die Leere zu vermeiden, die sich für uns dann auftut, wenn wirkliche Veränderung, wirkliches Wachstum für uns geschieht. Ob meine Vermutung stimmt oder nicht, sicher ist, dass die Übergangsbereiche unseres Lebens ungeheuer reiche Orte sind. Man sollte sie respektieren, ja sogar genießen. Trotz all des Schmerzes und der Furcht und den Gefühlen, außer Kontrolle zu sein Empfindungen, die solche Übergänge begleiten können sind sie trotzdem die lebendigsten, wachstumserfülltesten, leidenschaftlichsten, ergreifendsten Augenblicke in unserem Leben. Wir können keine neuen Ozeane entdecken, wenn wir nicht den Mut haben, die Küste aus den Augen zu verlieren. Die Verwandlung der Furcht muß gar nicht damit zu tun haben, die Furcht zu vertreiben. Wir müssen uns vielmehr selbst die Erlaubnis geben, im Übergang zwischen den Trapezen zu hängen. Wir müssen unser Bedürfnis, die neue Trapezstange, irgendeine Stange, zu ergreifen, umwandeln und uns selbst erlauben, an dem einzigen Ort zu verweilen, wo wirkliche Veränderung stattfinden kann. Das kann erschreckend sein. Es kann uns aber auch im wahrsten Sinne des Wortes erleuchten. Wenn wir durch die Leere schwingen, lernen wir vielleicht auch zu fliegen.
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
Ingrid
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Beitrag von Ingrid »

Liebe Susan - jetzt hatte ich Dir schon einen Beitrag geschrieben, und den "schluckte" das System. Auf ein Neues ! Ich werde mich immer wieder einmal elend fühlen, aber ich hoffe, dass diese Sprachlosigkeit nie zu mir zurückkehrt. Sie war schrecklich. Ich kann mich jetzt besser mitteilen, und das hilft, half immer. Einer "neuen Ingrid" begegne ich zwar nicht bewusst, aber ich bin sicher, dass es sie täglich gibt. Wenn Du bedenkst, dass jede kleinste Wahrnehmung die Schaltungen im Gehirn verändert. Mir kommt es darum im erhöhten Maße darauf an, was ich an mein Gehirn "verfüttere" als Bollwerk gegen die Einflüsse, die ich nicht verhindern kann. Es ist ein fortwährender Reinigungsprozess - von "herausgekommen" kann nicht die Rede sein. Es tut mir Leid zu hören, dass Du Dich momentan in einer schlechtern Phase befindest. Aber lass' Dir gesagt sein - Deine Beiträge sind von einer Tiefe und Du besitzt ein wahrhaft großes Spektrum wirklich ermutigender Gedanken ! Ich lese fast dauernd mit, auch wenn ich meinen Senf nicht ständig dazu abgebe. :-) Ich hoffe, Dir geht es schon sehr bald wieder sehr viel besser. Lieber Gruß von Ingrid
Ingrid
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Beitrag von Ingrid »

Hallo Christabelle - was lange gebraucht hatte, um sich einzunisten, kann meist nicht sehr viel schneller ausgenistet werden. Ich wünsche Dir einfach die Ausdauer, die Du jetzt brauchst ! Und Christabelle - braucht man bei mir sehr viel Unempfindlichkeit - sag' die nackte Wahrheit, ok ?! :-) Ich finde die Maßstäbe, die andere Menschen an mich legen, sehr viel unbarmherziger als die Maßstäbe, die Gott mir vorgibt. Beispiel: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, ......" Wir waaaaren das doch schon - im positiven Sinne - und dann haben die Maßstäbe anderer Menschen, die Macht über uns hatten, das brutal zerstört, missachtet, erstickt, usw., auch wenn es absichtslos und unwissentlich geschah. Lieber Gruß von Ingrid
susan
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Beitrag von susan »

Liebe Christabelle danke :-) wenn ich darf, bleib ich noch ein wenig in deinem Arm! Fühle mich heute total "neben mir". Habe gerade im anderen thread drüber geschrieben. Lieber Gruß Susan


susan
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Beitrag von susan »

Liebe Ingrid find ich Klasse, das du einen Weg gefunden hast, den "Reinigungsprozeß" in Gang zu halten. Bin gerade dabei, herauszubekommen, was mich so runterzieht. Mit fortschreitender Depri sehe ich vieles schon beim "Tun", und schaffe es auch, dagegenzusteuern. Doch ab und zu überrollt es mich noch und dann heißt es, den Scherbenberg aufheben und die Splitter wieder zusammensetzen. Mühsam -aber es geht... Aufmunternde Worte, wie du sie mir geschrieben hast, kann ich gut gebrauchen :-) also DANKE!! Sag mal, habe ich hier was verpaßt, wie kommst du zu der "Nuss" ? ;-) Lieber Gruß Susan


christabelle
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Beitrag von christabelle »

Hallo, Maggy! Wie schön, Dich zu "treffen"! :-) Und wie schön, wieder eine Deiner wunderbaren Geschichten zu bekommen; wovon handelt denn das Buch im Ganzen? Sicher ist das, was ich beschreibe und erlebe "nur" das Leben, wie es nun mal ist; aber Kennzeichen der Depression ist ja gerade, mit dem "normalen" Leben nicht zurecht zu kommen. Die Geschichte hab' ich mir ausgedruckt und an markanter Stelle plaziert, das Bild mit den Trapezen trifft es genau! Wie geht es Dir, Maggy? Macht Dein Fuß immer noch Ärger? Lieben Gruß Christabelle
maggy
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Beitrag von maggy »

Liebe Christabelle, der Untertitel des Buches heißt: "Eine Schulung zur friedlichen Konfliktlösung". Ich bin im Rahmen meiner Ausbildung zur Mediatorin damit in Kontakt gekommen und es geht nicht nur um Konflikte zwischen Menschen mit unterschiedlichen "Wahrheiten", sondern auch um Konflikte, die ich in mir trage. Z.B.: Es gibt eine wundervolle Geschichte von der Frau, die einen Albtraum hatte. In diesem Albtraum wurde sie von einem schrecklichen, ekelerregenden Monster verfolgt. Stundenlang - so schien es - versuchte sie vor ihm zu fliehen. Sie rannte und rannte und versteckte sich, aber das Monster fand sie immer. Sie floh und rannte weiter weg und immer weiter, aber immer war dieses übelriechende, verabscheuungswürdige Monster direkt hinter ihr, fast nah genug, um sie zu greifen. Sie rannte über Wiesen und Ebenen, über Hügel und durch Wüsten, bis sie schließlich nicht mehr rennen konnte. Sie war in eine Schlucht gelaufen, aus der es keinen Ausgang gab, und die Felswände waren mehrere hundert Meter hoch und umgaben sie völlig. Sie war gefangen. Die Frau konnte den heißen Atem des Monsters in ihrem Rücken spüren und in ihrer Verzweiflung schwang sie sich herum, sah dem Monster ins Gesicht und stotterte: "Wa...wa...was wirst du mit mir tun?" Das furchteinflößende Monster sah auf sie herab und sagte: "Zum Teufel, Lady, ich habe keine Ahnung. Das ist IHR Traum." Danaan Parry: Das stimmt. Es ist IHR Traum. Was wollen sie Ihre Monster in dieser Welt tun lassen? Sollen sie wirklich böse sein, damit Sie wirklich gut sein können? Sollen sie das Sinnbild der Dunkelheit sein, damit Sie sich nicht mit Ihrer eigenen Dunkelheit befassen müssen? Es scheint so, als ob uns der Weg eines Kriegers des Herzens nach innen führt, um diese Frage zu stellen, um sich umzudrehen und den Monstern, die wir uns "da draußen" geschaffen haben, ins Gesicht zu sehen, damit wir erkennen können was sie wirklich sind. Solange wir vor unseren Konflikten weiter davonlaufen, werden sie furchtbare Monster bleiben, die uns folgen, wohin immer wir auch gehen. Das, dem wir WIDERSTEHEN, bleibt BESTEHEN. Liebe Christabelle, was ist das "normale" Leben? Wer entscheidet was "normal" ist? Ich habe entschieden, das mein Leben, mit allen Höhen und Tiefen, normal ist, eben mein Leben. Einen Wunder-vollen Sonntag und alles Liebe schickt Dir Maggy P.S. Ach ja, mein Fuß: Seitdem ich ihm erlaubt habe "Ärger" zu machen, ist es erträglicher.
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Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
pauli
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Beitrag von pauli »

Lieber mephisto, könnte es sein, dass du immer noch auf eine Antwort von irgendjemanden wartest? Die Frage kenne ich; was ist normal und was bin ich? Bin ich normal? Der Duden sagt u.a. zu normal: gewöhnlich, üblich, durchschnittlich, aber auch geistig gesund. Will ich überhaupt normal sein? Ja, geistig gesund will ich natürlich sein, aber doch nicht gewöhnlich und durchschnittlich. So ähnlich wie dir, geht und ging es vielen. Mir übrigens auch, nur meine Frage war immer: "Was ist gesund und was ist krank". Bei mir habe ich festgestellt, je mehr mich solche Frage beschäftigt, desto unnormaler bzw. kranker war ich. Mephisto, hast du schon irgendwo Hilfe? Einen schönen Sonntag möchte ich noch dir und allen anderen wünschen. Pauli
caroline

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Beitrag von caroline »

Liebe Maggy Toll, die Parabel des Trapezes!!! Und es ist schon so, erst wenn man die alte Stange, an der man so lang festgehalten hat, loslässt, eine Zeitlang im "Nichts" ist und dann erst die neue Stange ergreifen kann, erst dann kann mein Leben weitergehen. Und die Angst vor diesem "Nichts" ist halt riesig!! Ich habe gerade eine alte Stange losgelassen und kann die neue noch nicht greifen, ich fliege sozusagen in der Leere. Mit viel Zittern und Herzklopfen konnte ich sie loslassen, eben weil sie einfach keine Alternative mehr sein konnte. Und es kann sein, dass die neue mich auch nicht lange halten kann. Ja, in der Leere zu schweben, das sind so intensive Momente des Lebens, auch mit Schmerzen, aber genau dann wächst man, genau so ist es! Ich LEBE! Vielen Dank Maggy für die wunderschöne Geschichte! Dir einen ganz lieben Gruss (hatte fast Fuss geschrieben ;-)) Caroline
Ingrid
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Beitrag von Ingrid »

Hallo Caroline ich wünsche Dir baldige Wahrnehmung der unsichtbaren "Balken", die in den Übergängen stecken. Lieber Gruß von Ingrid
Lilian
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von Lilian »

Huhu!! Christabelle, Ingrid, Susan, Pauli, Caroline und Maggy! Freut mich, Christabelle, einfache "Mitfreude"!!! Und Maggy, ich persönlich könnte mir statt eines Trapezes auch eine urwaldumwucherte Liane vorstellen, die mich durch das Dickicht schwingen läßt. Denn manchmal kann ich den ganzen Psychowust in mir und um mich für kurze Momente auch als Abenteuer sehen, als Entdeckungsreise in das Unbekannte und Neue in mir, als Wagnis, in das ich mich hineinstürze oder hineingestürzt werde... Liebe Ingrid-Nuß, jetzt werde ich doch glatt nostalgisch, dir hier im Forum mal wieder zu schreiben ... oder überhaupt hier zu schreiben. Seid alle recht herzlich gegrüßt von Leila
Ingrid
Beiträge: 727
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

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Beitrag von Ingrid »

Haaaaaalooooo, Leila - guck und staun !!! Dachte erst, ich hätte einen Sehfehler :-) Und ausgerechnet gestern konnte ich Dich nicht einmal gebührend begrüßen. War wieder so ein richtig "heißer" Montag mit auswärtigem Amt usw. - oioioi ! Diese ganze Woche wird bei mir nicht minder voll. Schlechtes Timing ? Nein, mehr eine Anreihung von dummen Zufällen. Ich hoffe, Dich wieder öfter zu lesen hier. Zum Glück schmerzt Nostalgie im Zusammenhang mit Dir kein bisschen ! :-))))) Ganz lieber Begrüßungsgruß von der Ingrid-NUSS
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