Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

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urs.hardtfeld
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Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

Beitrag von urs.hardtfeld »

Hi!

Kennt ihr das?

Ich sitze da, sehe irgendwas, was erledigt werden muß und was zu erledigen überhaupt keine Schwierigkeiten bedeuten würde... z..B. endlich mal den Kofferraum ausräumen, die Blumen gießen, den Saustall in der Küche aufräumen (oder auch "nur" die gelaufene Spülmaschine wieder ausräumen)... doch ich sitze da wie die Karikatur eines Beamten im Bummelstreik und tu´ nix.

Umso mehr bei anderen Dingen, an denen evtl. "noch was dranhängt", z.B. Behördenkram.
Habe neulich beispielsweise eine (viel zu hohe) Umsatzsteuerschätzung bezahlt, dabei hätte ich an den vielen Abenden und Morgenstunden des Herumsitzens doch mehr als genug Zeit gehabt, endlich mal die Belege zu sammeln und die paar Zahlen ins Stauerprogramm zu tippen (an ´nen externen Steuerberater geben wäre keine Alternative, der würde sich in meinem XXL-Chaos nie zurechtfinden, und selbst wenn doch, was würde der nur von mir denken...).

Aus demselben Grund ist vor ein paar Jahren mal ein Fernkurs (und der war nicht billig) voll in die Hose gegangen.
Bin das Kursmaterial geradezu im D-Zug-Tempo durchgegangen und, nach anfänglichen Verständnisproblemen mit der jeweiligen Fragestellung (war übrigens schon zu meiner Schulzeit so), auch null komma garkeine Probleme mit den Einsendeaufgaben gehabt, eigentlich kam mir alles schon viel zu leicht vor... aber NICHT EINE Einsendeaufgabe habe ich dann auch abgeschickt.

Habe aktuell von einem Kunden einen Laptop mit zerschossenem Windows hier liegen... für eine 08/15 Windowsneuinstallation will der mir mal eben 150 Euro (und die noch dazu schwarz!) geben.
Hätte ich in der Zeit, die ich rumsitze und die x-te Wiederholung der "Terra-X" Folgen über Wikinger und Taklamakan-Wüste auf Phoenix sehe, locker machen können... doch der Lappi steht immer noch in der Ecke, unberührt.

Auch auf der Arbeit sitze ich eigentlich nur meine Zeit ab (OK, ist bei einem Verkäuferjob halt so), und lasse den zwischenzeitlich anfallenden Papierkram auch ziemlich schleifen, die Menge an totem Baum in meiner Tasche wird langsam, aber stetig größer.

Ab und zu packt mich dann die Arbeitswut, und ich ziehe in einer Nacht einen Bereich durch (z.B. Steuererklärung oder so), doch auch das ist in den letzten Monaten immer seltener geworden, und selbst wenn das mal lief, war ich den Folgetag dann bei der Arbeit auf "Sparflamme".

Aufräumen? Wozu? Was ich täglich brauche, finde ich auch in meinem Saustall wieder, und was ich da nicht auf Anhieb finde, auch egal.

Neulich war der Fensterheber am Auto kaputt. An sich eine Kleinigkeit, doch ich staune jetzt noch daß ich mich vor 2 Wochen überhaupt soweit zusammennehmen konnte, die Teile zu bestellen und einzubauen.
Doch selbst da: statt mich in dem seltsam zusammengewürfelten Haufen, den ich irgendwann mal "Büro und Werkstatt" nannte, nach dem passenden Werkzeug umzusehen, fuhr ich lieber zum Baumarkt und kaufte mir das Werkzeug neu...
moonlight
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Re: Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

Beitrag von moonlight »

Hallo Urs,

ich denke, das kennen sehr viele.

Manchmal bin ich so nieder, dass ich kaum einen Fuß vor den anderen setzen kann.
Manchmal sehe ich sozusagen den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Manchmal traue ich mir etwas nicht zu.
Manchmal fehlt mir der Sinn oder das Ziel dazu.

Vielleicht hilft es dir, wenn du dir Notizen oder einen Plan für die Woche machst.
Jeden Tag nur eine Aufgabe.
Wenn du gelbe Post-Its nimmst, an eine Pinnwand heftest, hat das auch einen optischen Wert.
Auch, wenn es vielleicht für dich blöd klingt, wenn du auf die Zettel schreibst "Spülmaschine ausräumen", "Werkzeug sortieren" usw.

Lade dir einen Gast oder Gäste ein. Das motiviert zu so manchem.

Wenn's um das Geld für die PC-Geschichte geht, schreibe dir auf, was du damit gern machen möchtest - auch auf einem Post-It.
Klebe ihn dir an den Spiegelschrank oder dorthin, wo du immerzu dran vorbei läufst.
Gilt auch für die anderen Post-Its.

Und am Ende des Tages belohnst du dich mit irgendetwas Schönem.

Formuliere dir einen Sinn, ein Ziel.
Schreib es auf.

Vielleicht klingt alles ziemlich blöd oder zu simpel.
Aber es hilft.

Liebe Grüße
Moonlight.
.

Es sind nicht die großen Feuden, die am meisten zählen. Es kommt darauf an, aus den kleinen viel zu machen. (J. Webster)
Calzino
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Registriert: 12. Jan 2007, 13:34

Re: Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

Beitrag von Calzino »

hallo urs,

schau mal hier:

http://www.bychan.de/procrastination/index.php

es handelt sich dabei um ein verhalten, dass bei den meisten depris mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. das kann bis zu totalen blockade reichen, wie ich selbst schon erfahren durfte.

ich habe mir erstmal für die wichtigen sachen hilfe von aussen geholt, in diesem falle meine schwester. die glaubt mir zwar nicht wirklich ("wieso machst du das nicht einfach?"), nimmt mich aber immer wieder an der hand und hilf mir dinge fertig zu bringen wie z.b. meine umsatzsteuerzahlungen und anderes ungemach, das ich schon ewig vor mir her schiebe.

ausserdem ist das natürlich thema in meiner therapie, wo ich mit vielen kleinen schritten (und so manchen rückschritt) nach ursachen und lösungen suche.

man kann es nicht erzwingen, man kann es nur annehmen und lernen damit besser umzugehen.

machst du eine therapie? wenn ja was für eine?

viele grüße

calzino
urs.hardtfeld
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Registriert: 25. Aug 2007, 08:45

Re: Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

Beitrag von urs.hardtfeld »

ich bin also nicht allein.. immerhin ein Trost.

Was noch hinzukommt: ich neige dazu, Dinge entweder 2500%ig oder gar nicht zu erledigen.

Ist insbesondere bei der Steuer ein Problem: wenn ich auch nur die Spur des Eindrucks habe, der ganze Kram lasse sich unter den momentanen Umständen (z.B. weil noch ein Auszugsblatt fehlt oder in meinem Saustall nicht auffindbar ist) nicht absolut akkurat (incl. perfektem "Versteckens" der Sachen, die gelegentlich mal an der Steuer vorbei laufen...) erledigen, dann packe ich den ganzen Kram wieder in die Ecke.

Was mir aber aus aktuellem Anlaß auffällt: ein seltsamer Zusammenhang mit dem Sehen!
Zur Erklärung: ich bin stark kurzsichtig, und die Brille kann das nicht mehr perfekt ausgleichen, zumal die Gläser auch schon etwas zerkratzt sind.
Mit Kontaktlinsen geht es wesentlich besser, vor allem das "räumliche Sehen". Die Linsen habe ich hier auch, aber setze sie nur seltenst ein. Denn es ist ja sooo viel einfacher und geht schneller, morgens beim Aufstehen die Brille auf die Nase zu setzen...

Wenn ich die Linsen aber mal trage (wie z.B. gerade heute, jetzt!), dann fallen mir viele sonst als "lästig" empfundene Sachen leichter.
Und das sogar beim Bürokram, obwohl ich da mit den Linsen im Nahbereich gar nicht mal unbedingt besser sehe, bei schwacher Beleuchtung sogar schlechter.
Es kommt mir fast so vor, als ob ich mit der realen Glasscheibe vor der Pupille auch einen Teil der "virtuellen Glasscheibe" abgelegt habe, die mich manchmal von meiner Umwelt zu trennen scheint...
moonlight
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Re: Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

Beitrag von moonlight »

Nein, du bist absolut nicht allein.

Und das du alles 2500 %ig machen willst, kann ich sehr gut nachvollziehen.
Das, was du geschrieben hast, könnte glatt von mir stammen.
Entweder mache ich etwas richtig oder gar nicht.
Kein Mensch ist aber wirklich perfekt, deshalb bin ich selten ganz zufrieden mit mir. Dann muss ich aufpassen, dass ich mich nicht noch mehr runter ziehe, sondern ganz bewusst darauf achte, was ich geschafft habe.
Ich habe sogar schon ein Gespräch mit meinem Chef gehabt, weil ich unzufrieden mit mir war, Sorge hatte etwas nicht richtig zu bewältigen und er war im Gegensatz zu mir zufrieden.

Und - ebenfalls wichtig - höre darauf, wenn andere dich mal loben.
Könnte mir vorstellen, dass dir das schwer fällt.
Ist häufig so, dass andere etwas richtig gut finden, wo du noch lange nicht zufrieden bist.

Dieser verflixte Perfektionismus führt auch dazu, dass man etwas mit den falschen Augen sieht. Man sieht dann nur die Fehler, das Lückenhafte.

Und wenn man dir einen Auftrag gibt, liegt es bestimmt nicht daran, dass man es dir nicht zutraut.

Das eine Brille den Sehfehler nicht so ausgleichen kann wie Kontaktlinssen, kann ich bestätigen.
Und wenn man dann ohnehin angespannt ist, machen Kratzer auf dem Glas oder eine zu schwere Brille auch noch nervöser.
Kann natürlich auch eine willkommene, unbewusste Ablenkung sein.

Wenn du weißt, dass dir dieser kleine Trick mit den Linsen hilft, wende ihn doch einfach an.
Ja, ich weiß, ich hab auch nur selten Lust sie einzusetzen, weil eine Brille schön bequem ist.

Du solltest aber vielleicht auch das andere mal ausschließen bzw. verändern - die zerkratzen Gläser austauschen lassen, dir mal ggflls. ein anderes, ganz leichtes Gestell gönnen. Auch, wenn's teuer wird.

Manchmal muss man einfach etwas Äußeres verändern, um sich selbst gut zu tun, sich zu motivieren.
Frauen gehen in der Regel zum Friseur oder zum Shoppen.
Okay, hilft nicht immer. Gebe ich zu. Will jetzt auch nichts ins Lächerliche ziehen.
Ist nur, weil meine Therapeutin mal gesagt hat, dass auch so etwas total in Ordnung und erlaubt ist, wenn es ein winzig bisschen hilft. Es geht halt darum, uns gut zu fühlen, uns selbst zu motivieren.

Liebe Grüße
Moonlight
.

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ausdemEis
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Registriert: 18. Mär 2007, 22:11

Re: Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

Beitrag von ausdemEis »

Hab nicht alles gelesen, ist mir zu viel. Aber:

Hi!

Kennt ihr das?

Ich sitze da, sehe irgendwas, was erledigt werden muß und was zu erledigen überhaupt keine Schwierigkeiten bedeuten würde... z..B. endlich mal den Kofferraum ausräumen, die Blumen gießen, den Saustall in der Küche aufräumen (oder auch "nur" die gelaufene Spülmaschine wieder ausräumen)... doch ich sitze da wie die Karikatur eines Beamten im Bummelstreik und tu´ nix.

.... Ja! Willkommen im Club... Man (jedenfalls ich) kommt sich ziemlich bescheuert dabei vor...
urs.hardtfeld
Beiträge: 15
Registriert: 25. Aug 2007, 08:45

Re: Notwendigkeiten sehen und doch nichts tun

Beitrag von urs.hardtfeld »

> Und - ebenfalls wichtig - höre darauf, wenn andere dich mal loben.

Dazu müßte es erstmal kommen. Außer ab und zu mal von der Freundin ist da Funkstille.

> Wenn du weißt, dass dir dieser kleine Trick mit den Linsen hilft, wende ihn doch einfach an.

Sofern es geht schon. Leider mache ich immer wieder den Fehler, die Linsen vor Begeisterung die ersten Tage zu "übertragen", und dann sind gleich wieder die Augen für mehrere Tage gereizt.

Diesmal habe ich da aber die Notbremse noch rechtzeitig gezogen und nach dem ersten Tag (natürlich gleich wieder "übertragen") einen ausgesetzt.

In dem Zusammenhang fällit mir aber gerade ein: die Zeiten, in denen ich vorwiegend Linsen getragen habe (die ersten bekam ich mit 11, noch vor der ersten Brille), waren auch die, in denen es für mich irgendwie "voranging".
Gegen Ende der Schulzeit hatte ich zunehmend Verträglichkeitsprobleme, so daß ich während der Oberstufe wieder zur "Brillenschlange" wurde... und zur Schlafmütze!
Mitte der 90er dann gab es einen neuen Anlauf, der Grund für die Unverträglichkeit wurde gefunden, und das fällt genau mit einer "Aufbruchphase" zusammen... die leider infolge einer geschäftlichen Vollpleite ein jähes Ende erfuhr.

Kann natürlich Zufall sein, oder umgekehrt gelaufen sein: die durch was auch immer verursachte "Aufbruchstimmung" ermunterte mich, es wieder mal mit den Linsen zu versuchen.
Halte ich aber eher für unwahrscheinlich.
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