Depressive realistischer?!

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Keken
Beiträge: 338
Registriert: 26. Aug 2005, 14:34

Depressive realistischer?!

Beitrag von Keken »

Bislang habe ich mich während depressiver Episoden immer damit getröstet, dass ich aufgrund der Depris unter einer unrealistischen, weit zu negativen (Selbst-)Einschätzung leide.

Jetzt sagt mir Wikipedia Folgendes:

Depressiver Realismus: Depressive haben oft bessere Einschätzungen als nicht-Depressive darüber, inwieweit sie Aufgaben bewältigen können oder nicht (Dysfunktionalität [der während der Depression vorherrschenden grüblerischen Gedanken, Keken] somit fraglich).

Wikipedia ist eine mit Vorsicht zu genießende Enzyklopedie, das ist mir klar. Nichtsdestotrotz finde ich die Aussage für mich beunruhigend.

Was haltet Ihr davon?

Würde mich über einen Austausch freuen! (unsicherer Seitenblick auf die Docs: Dafür ist das Forum doch gedacht, oder? Möchte nicht wieder gegen Forumsregeln verstoßen!)

Keken
Fear NOT, for I'm with you, says the LORD.
Joy

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von Joy »

Hallo Keken,

ist doch irgendwie logisch.

Wir kriegen eh kaum was auf die Reihe und das bisschen, was wir schaffen haben wir im Blick.

Nicht Depressive tun einfach.

Oder ?

Grüsse
Joy
deca_53
Beiträge: 63
Registriert: 3. Jul 2006, 17:30

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von deca_53 »

Hallo Keken,

ich habe diesen Satz auch bei Wikipedia gelesen (in einem Artikel über kognitive Therapie). Weiß nicht, ob es der Gleiche ist, den Du gelesen hast?
Ich denke, das die Selbsteinschätzung Depressiver schon manchmal realistischer ist.
Manche Theras sind einfach zu "gut drauf" und überschätzen die Möglichkeiten eines depressiven Menschen. Das kennt man ja auch von sich selbst, wenn man mal gut drauf ist..
Andererseits hält uns ein zu geringes Selbstwertgefühl manchmal davon ab, Dinge zu tun, die wir vielleicht tatsächlich könnten.
Es hängt wohl immer vom momentanen Zustand ab.
Aber John Teasdale's Kritik an Becks kognitiven Therapie enthält ja noch andere Punkte, zb:
- Depressives Denken ist zustandsabhängig (wichtiges Argument, geht wohl Jedem so),
- Intervention auf rein kognitiver Ebene reicht nicht..... (die Depression betrifft ja besonders das emotionale und vegetative System),
- Rationale Argumente erweisen sich oft, trotz Einsicht des Klienten, als ineffektiv (kenne ich auch gut....)

Meine Meinung ist, dass Therapie "ganzheitlicher" werden muss.

LG
Gert
flocke
Beiträge: 3603
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von flocke »

naja, also ich finde der satz ist mit vorsicht zu genießen... ich meine, wenn man sich lang genug einredet etwas nicht zu können, dann ist es auf jeden fall unwahrscheinlicher dass man es schafft als wenn man positiv an die sache rangeht.

wie soll ich das erklären was ich meine...? also ich meine, der satz mag zwar, wenn man es nachprüft bestätigt werden, aber eben auch nicht ganz. immerhin (so zumindest meine meinung) weiß man ja nicht zu was derjenige fähig wäre (oder nicht) wenn er nicht depressiv ist.

kann nun also ein depressiver objektiver einschötzen oder bremst er sich selbst?


wenn ich vor einem berg stehe udn sage, "da kann ich nicht hochgehen" und nicht hochgehe, dann weiß ich doch nicht ob ich nicht wirklich hätte hochgehen können.

macht das ergebnis >"ich kann nicht hochgehen" >ich gehe tatsächlich nicht hoch bereits eine perfekte rechnung, oder beeinflusst die variable "depression" vielmehr die ausführung betsimmter dinge als die einschätzung der eigenen fähigkeiten???


hach jetzt entwickelt sich ne "henne-ei" diskussion" ich lass es lieber....


flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
912318798
Beiträge: 1590
Registriert: 28. Jul 2007, 13:39

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von 912318798 »

Grüß Euch zusammen!
Jemand hier im Forum schreibt als Absender:" Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung!"
Das finde ich gut, aber im Ernst: Ich glaube, durch unser ständiges Grübeln schließen wir viele Optionen mit einem Unsichheitsfaktor von vornherein aus und gehen eher den als sicher geltenden Weg.
Aber wir sind Gewordene. Meine Problematik hat sich u. a. aus den vielen Mißerfolgen in Zeiten von "Machen wir schon..." ergeben.
Deshalb, ja, wir schätzen uns besser ein.
Überdies ist die Selbsteinschätzung und das Weltbild vieler "Gesunder" nach meinem Dafürhalten ohnedies viel zu hoch und deshalb auch nicht mehr "normal", nur halt ohne Depressionen.
Da bin ich bei "y-n...unaussprechlich" (sorry!).
Ein unschlagbares Argument dafür: technologischer Fortschritt und Umwelt. Wir, respektive SIE machen viel mehr, als für uns alle vertretbar ist. Einfach, weil sie es können.

Die kognitiven und rationalen Eingriffe in unsere Psyche (im Rahmen von Therapien) sind übrigens meiner Erfahrung nach überhaupt nicht zielführend.
Wir sind schließlich weit weg von unseren Fähigkeiten. Wie schon der Name der ganzen Angelegenheit lautet - Psyche - haben wir es erstmal mit Emotionen zu tun.
Daran glaube ich.
Danke "y-n...unaussprechlich" für Deinen Beitrag.
Eins aber ist ganz sicher: Wir sind die KREATIVEN!....

Liebe Grüße und bleibt stark

Jojo 1
Regenwolke
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Registriert: 15. Apr 2006, 12:46

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von Regenwolke »

Hallo Keken und ihr anderen,

ich bin jetzt gerade zu müde, um den Wikipedia-Artikel noch zu lesen, aber ich vermute, daß sich diese Aussage auf eine psychologische Untersuchung bezieht, bei der festgestellt wurde, daß depressive Menschen ihre Leistungsfähigkeit treffender einschätzen können, als gesunde Vergleichspersonen.

Hab das nicht mehr ganz im Kopf, aber ich glaube, die Versuchspersonen mußten Leistungstests absolvieren und dann einschätzen, wie sie wohl abgeschnitten haben. Dabei kam halt heraus, daß die depressive Gruppe sich ziemlich zutreffend eingeschätzt hat, während die nicht depressive sich eher überschätzt hat.

Dieses Ergebnis widerspricht natürlich in gewisser Weise der Aussage, Depressive würden unrealistisch/verzerrt denken. Ersetzt man unrealistisch allerdings durch dysfunktional, machts wieder Sinn, denn anscheinend kommt man besser durchs Leben, wenn man sich etwas zu positiv einschätzt.

Gute Nacht,
Regenwolke
Keken
Beiträge: 338
Registriert: 26. Aug 2005, 14:34

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von Keken »

Hallo Leute,

schön, dass so viele von Euch etwas zum Thema beizutragen haben. Danke!

Das Zitat – ich hätte die Quelle angeben sollen - stammt tatsächlich aus einem Artikel über kognitive Verhaltenstherapie, genauer gesagt aus dem Teil, in dem die Beck'sche Theorie kritisiert wird. http://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_ ... nstherapie

„Andererseits hält uns ein zu geringes Selbstwertgefühl manchmal davon ab, Dinge zu tun, die wir vielleicht tatsächlich könnten. Es hängt wohl immer vom momentanen Zustand ab.“ (Gert)
„wenn man sich lang genug einredet etwas nicht zu können, dann ist es auf jeden fall unwahrscheinlicher dass man es schafft als wenn man positiv an die sache rangeht.“ (Flocke)
"[Man] kommt besser durchs Leben, wenn man sich etwas zu positiv einschätzt." (Regenwolke)

Diese Zitate spiegeln meine Interpretation gut wieder. Ich bin der Ansicht – und erkenne das bei mir selbst und depressiven Freunden immer wieder – dass wir uns durch „negative Programmierung“ (schädliche Gedanken und Einstellungen, schwankender Selbstwert) selber im Weg stehen und sich deswegen häufig unsere negativen Erwartungen auch erfüllen. Stichwort „self-fullfilling-prophecy“: Wenn ich mir hundert Mal am Tag einrede, ich könne meine Klamotten nicht mehr im Schrank finden oder meinen Papierkram nicht erledigen, dann kann ich's tatsächlich nicht mehr. Wir sind, was wir denken. Depressive bleiben dadurch häufig hinter ihren Möglichkeiten zurück. Darum finde ich es unzutreffend, von „realistischer Selbsteinschätzung“ zu sprechen – selbst wenn Output=Erwartung -, denn ohne bremsende Antizipationsmuster könnten wir durchaus über unsere Selbsteinschätzung hinaus wachsen.

"Meine Meinung ist, dass Therapie 'ganzheitlicher' werden muss.“ (Gert)

Das stimmt. Die Gedanken und Einstellungen lediglich von einer rationalen Meta-Ebene aus zu betrachten, reicht bei vielen nicht aus. Die Therapie sollte durch schöne Sachen wie Tanzen, Theater , Singen, Basteln, Meditation, Sport, malen u.v.m. ergänzt werden. Hilft mir auch viel. Aber die eigenen Gedankenmuster und Einstellungen mal kritisch und rational zu beleuchten und schädliche durch andere zu ersetzen halte ich für sinnvoll und funktioniert bei mir auch gut.

Grüße Euch, habt einen sonnigen Sonntag. Leg mich gleich auf die Wiese und wandere dann mit Freund & Co. zum „Weinfescht“

Bis bald,
keken

PS: Würde gern meine Beiträge formatieren (kursiv, fett, unterstreichen). An die Checker unter Euch: Wie geht das? Danke!
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Leni2
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Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von Leni2 »

Alles, was man über das Leben lernen kann, ist in drei Worte zu fassen: Es geht weiter!

Keken
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Registriert: 26. Aug 2005, 14:34

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von Keken »

O Lena,

wie schön von Dir zu hören! Oh man, welch Neuigkeiten! Unglaublich! Bin jetzt aber erst mal baff, muss den Mund wieder zukriegen und schreibe Dir nachher mal eine Mail, wenn die Gesichtsstarre vorbei ist.

Alles Liebe Dir und dem / der Kleinen! Und ganz, ganz herzliche Gratulation!!!

Gros Bisous
Keken
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ils_pixent9
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Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von ils_pixent9 »

"naja, also ich finde der satz ist mit vorsicht zu genießen... ich meine, wenn man sich lang genug einredet etwas nicht zu können, dann ist es auf jeden fall unwahrscheinlicher dass man es schafft als wenn man positiv an die sache rangeht."

Hi,
ich halte das für eins der gängigsten Vorurteile.Wenn ich mir sage, dass ich etwas schaffe, schaffe ich es sicher nicht und wenn andere es sagen, macht es mich eher aggressiv, woher wollen die wissen ob ich etwas schaffe oder nicht?

Für mich ist am besten wenn ich mir einrede, es nicht zu schaffen. Und damit stehe ich nicht allein da, ich kenne auch andere denen es genauso geht.

Ich sehe in der heutigen Zeit schon fast einen Zwang zum positiven Denken der mich manchmal regelrecht aggressiv macht.

Es lebe der Pessimismus.
Gret.
flocke
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Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von flocke »

deshalb sagte ich ja auch "unwahrscheinlicher" und nicht "auf jeden fall"...

flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
Keken
Beiträge: 338
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Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von Keken »

heyhey gret,

sorry, aber bei mir funktioniert's echt gut... natürlich darf mir keine unrealistischen sachen vornehmen... und ich möchte auch weiterhin dran glauben.

dennoch: der optimist hat genauso häufig unrecht wie der pessimist. er lebt nur besser.

lieben gruß
keken
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flocke
Beiträge: 3603
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von flocke »

der pessimist und der optimist würden vielleicht "besser" sagen, der realist aber "anders"

flocke
Pessimisten sind Optimisten mit Erfahrung
ils_pixent9
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Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von ils_pixent9 »

Hi ihr Lieben.

Da sieht man doch wie verschieden wir alle sind und dass wir verschiedenes brauchen.

Und jeder soll in der Welt sein wie es ihm guttut.

LG Gret.
183699
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Re: Depressive realistischer?!

Beitrag von 183699 »

Also
ich denke, dass die Frage so pauschal
nicht beantwortet werden kann,
natürlich können manchmal pessimistischere Prognosen sich im Nachhinein
als die realistischeren erweisen,
aber
das ist natürlich schwer zu erkennen,
inwiefern sich Sichten und Ergebnisse,
als gänzlich von einander unabhängig,
nicht-beeinflussend trennen lassen.
Durch die Soziologie ist mir nämlich
auch das self-fulfilling-prophecy-Phänomen
bekannt.
Schon allein daher würd' ich eher zu 'neutraleren', leicht positiven Sichten raten (was sich so einfach schreibt ...).


Also bei mir persönlich, nehm' ich es eher so
wahr, dass ich bei schlechten Stimmungen,
emotionalen Tiefs eher davon-ausgehend
deduziere, projeziere, auf alles und jeden
(bis hin zu einem schon absurden
und leider grotesken Grad)
dann wird dann schon aus Kleinigkeiten
die große Katastrophe.
Meine 'Wahr'nehmung (besonders meine Selbst'wahr'nehmung) wird dann so pessimistisch, schon trügerisch negativ,
so dass ich mich als überflüssig, störend, schlecht usw. empfinde.
(Aber leider kann wie angedeutet,
durch solche Sichten
und dem vielleicht damit ausgestrahlten
Pessimismus, der eigenen Selbstunsicherheit,
dem geringeren Selbstbewußtsein
oder der selbstzerstörerischen, falschen
Selbstsicht und -darstellung
die 'soziale Wirklichkeit' beeinflußt werden.)

Wer möchte schon jemanden einladen,
der sich 'schlecht' präsentiert ?

Gruß
MathoL
Der Mensch braucht den Menschen.
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