(Falsche) Erwartungen an Therapie??

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AvantGarden
Beiträge: 182
Registriert: 11. Nov 2005, 17:11

(Falsche) Erwartungen an Therapie??

Beitrag von AvantGarden »

Hallo liebe Leute,

ich mache ja jetzt seit einigen Wochen eine Therapie, mit der ich sehr zufrieden bin. Ausserdem geht's bald für 6 Wochen in die Reha.
In der Thera bin ich mir schon über sehr viele Dinge bewusst geworden, u.a. dass ich in meinen alten Job nicht zurück kann, weil mich das alles in der Firma dort krank macht. Ich bin auch der Meinung, dass mir das die Lust an den Beruf (Bürokauffrau) allgemein versaut hat.
Ich hoffe nun darauf, dass mich die Thera stark genug macht, um diesen Schritt auch durchzuziehen und was Neues anzufangen, damit ich endlich mal wieder Spass am Leben habe.
Gleichzeitig zweifle ich aber, dass das vielleicht schon wieder zuviel des Guten ist, sprich: dass ich falsche Erwartungen an die Thera habe. Ich frage mich ständig, ob das nicht ein bisschen blauäugig ist. Z.B. träume ich momentan immer davon, dass ich wie Neugeboren aus der Therapie rauskomme, quasi ein ganz anderer, mutiger, total glücklicher Mensch bin. Ich lese aber oft in Beiträgen hier von Leuten, die teilweise schon jahrelang in eine Thera gehen, dass sie eigentlich dort nur lernen, mit der Krankheit besser umzugehen. Das erschüttert mich eigentlich ziemlich und ich denke: Das kann aber doch nicht alles sein.

Ich würd nun ganz gerne von Euch wissen, ob es Euch ähnlich geht bzw. was Eure Erwartungen an eine Therapie sind? Macht Ihr das erstmal nur, um Euch etwas besser zu fühlen oder erhofft Ihr Euch dadurch eine grundlegende Änderung für Euer Leben?

Viele Grüsse
** Jeder Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag (Charlie Chaplin) ""
Zazou
Beiträge: 38
Registriert: 18. Okt 2006, 19:42

Re: (Falsche) Erwartungen an Therapie??

Beitrag von Zazou »

Für mich sind das mehrere Schritte: zunächst mal die Krankheit in den Griff kriegen und auf ein gesundheitliches Level kommen, in dem ich mich überhaupt in der Lage fühle, mich damit auseinanderzusetzten (also nicht nur heulend in der Ecke hocke). Und dann die Weichen für die Zukunft stellen, das Leben und Denken in positive Bahnen bringen, um die Krankheit nicht nur in Schach zu halten, sondern zu überwinden.

Ich finde es gut, dass du dich schon dafür wappnest, dass es außerhalb der Therapie Schwierigkeiten geben könnte, denn so schützt du dich vor Enttäuschungen, die aus übertriebenen Erwartungen hervorgehen.
ABER: Mach dich nicht fertig, solange die Probleme überhaupt noch nicht da sind, und wenn sie auf dich zukommen, dann pack sie an!!
Lioness
Beiträge: 1911
Registriert: 29. Mai 2005, 23:21

Re: (Falsche) Erwartungen an Therapie??

Beitrag von Lioness »

Hallo Dani,

also ehrlich gesagt denke ich schon, dass Du falsche Erwartungen an eine Therapie hast - und zwar vor allem darüber, innerhalb welchen ZEITRAUMES so tiefreichende Veränderungen, wie Du sie Dir erhoffst, zu erreichen sind - wenn überhaupt!

Du hast richtig gelesen, es dauert in aller Regel JAHRE, bis mensch in der Lage ist, seine oder ihre alteingefahrenen Denk- und Verhaltensmuster zu durchschauen, zu durchbrechen - und beides durch neue zu ersetzen. Die Erkenntnis, WARUM mensch so geworden ist, wo die Ursachen sind, wo mensch also ansetzen kann etc. alleine ist nämlich nicht einmal die halbe Miete, leider! Viel schwieriger und langwieriger ist der Prozess, dieser Erkenntnis dann auch Taten folgen zu lassen. Das geht nur mit dem entsprechenden Handwerkszeug, ganz kleinen Schritten Stück für Stück und vor allem zwei Dingen: Dem absoluten Willen, etwas ändern zu wollen, egal wie steinig der Weg - und noch mehr GEDULD.

ABER es lohnt sich absolut, diesen Weg zu gehen! NUR: Der Wunsch, ein "perfekter", "besserer" Mensch zu werden - der ist meines Erachtens absolute Illusion! Immer wieder stößt frau an ihre Grenzen, muss erkennen: Manche Dinge lassen sich auch nicht ändern, wieder einrenken, egal wie lange sie schon Therapie macht. An manchen Erinnerungen wirst Du vielleicht Dein Leben lang "knabbern". Und manche Ereignisse werden weiter schmerzhaft sein. Und manche uralten Sehnsüchte bleiben einfach da, egal wie sehr man auch versucht, sie anderweitig zu befriedigen.

DENNOCH: Frau wird ein anderer Mensch! Jemand, der definitv sehr viel über sich und damit auch über Andere erfahren hat. Jemand, die eine ganze Reihe von Bewältigungsmechanismen zur Verfügung hat, um mit zukünftigen Belastungen und Konflikten besser umzugehen. Jemand, die schmerzlich erfahren hat, dass das Leben nun mal nicht schmerzlos ablaufen kann. Dass manche Dinge nicht ungeschehen gemacht werden können. Dass manche Verletzungen nie ganz "ausheilen" werden.

Aber auch jemand, die die Fülle des Lebens in seiner ganzen Bandbreite kennen lernt. Die klarer sehen kann, was das Leben für sie eigentlich lebenswert macht. Und die wesentlich besser als vorher in der Lage ist, die persönliche Lebensführung danach auszurichten. Die das Leben in all seiner Fülle wahrnehmen, die Höhen voll auskosten - und die Tiefen besser bewältigen kann.

Allein dafür lohnt es sich!

Alles Gute auf Deinem Weg, und bleib am Ball!

LG
Lioness



Wir brauchen den Blick nach hinten, um unser Leben zu verstehen. Wir brauchen den Blick nach vorne, um unser Leben zu LEBEN!
Arwen.Abendstern
Beiträge: 6
Registriert: 24. Jun 2007, 16:03

Re: (Falsche) Erwartungen an Therapie??

Beitrag von Arwen.Abendstern »

Liebe Dani,

als ich deinen Beitrag gelesen habe dachte ich im ersten Moment: Das gibt's doch nicht. Du beschreibst fast exakt die Situation, in der ich mich zur Zeit auch befinde... Ich habe auch Bürokauffrau gelernt, mich k.... der Beruf auch einfach nur noch total an - ich bin auch seit ein paar Wochen in Therapie und auch ich habe einen Reha-Antrag gestellt (geht ca. Ende des Monats los)... Schon erstaunlich, was sich doch manchmal für Paralellen zu anderen Menschen ziehen lassen, wenn man hier Beiträge liest. Meinen kannst du unter "Wie soll es jetzt weitergehen...?!?" lesen - du wirst erkennen, dass sich bei mir eine fast exakt gleiche Situtation wie bei dir z.Zt. wiederspiegelt und die Fragen die du hier gestellt hast finde ich auch sehr interessant.
Ich hoffe zwar, dass ich total mutig und glücklich aus der Reha wiederkomme, mache mir aber keine Illusionen. Lass das mal auf mich zukommen. Meine Erwartungen sind an die Reha, dass ich viel über mich, über meine Denk- und Verhaltensmuster lerne und mit vielen anderen "Betroffenen" ins Gespräch darüber komme bzw. mich mit einigen anfreunde (denn sonst können 6 Woche sicherlich ziemlich lang sein...). Ich hoffe natürlich, dass sich durch dieses Wissen Vieles "zum Besseren" wendet, so dass ich z.B. nicht mehr das Gefühl haben muss (wie ich es z.Zt. habe) mich verstecken zu wollen, wenn ich jemanden sehe, den ich kenne, damit ich mit ihm kein Gespräch anfangen "muss" und somit über meine derzeitige, meiner Meinung nach zieml. "bescheiden schöne" Situation sprechen zu müssen... Natürlich hoffe auch ich, dass ich die Reha als glücklicher, selbstbewusster, offener Mensch verlassen werde und natürlich werde alles dafür tun, damit es mir danach möglichst gut geht und ich mich insoweit stabilisiere, um überhaupt wieder irgendetwas Neues beginnen zu können, denn im Moment könnte ich eigentlich den ganzen Tag in der Ecke sitzen und heulen (oder den ganzen Tag im Bett liegen bleiben)...
Muss zugeben, dass ich ein bisschen "erschüttert" über Lioness's Beitrag bin (Lioness - nicht böse gemeint =) ), dass das Ganze mit dem "sich ändern" und so JAHRE dauern kann. Solange möchte ich eigentlich nicht dafür brauchen =( Aber ich weiss schon, nach "möchten" geht es ja auch nicht.
Lioness: Danke für deinen Beitrag, hat mir sehr weitergeholfen und er ist auch auf irgendwie aufbauend =)

Auch ich wünsche dir alles Gute, würde mich freuen, wenn du zurückschreibst...

LG
Lioness
Beiträge: 1911
Registriert: 29. Mai 2005, 23:21

Re: (Falsche) Erwartungen an Therapie??

Beitrag von Lioness »

Hallo Arwen,

danke Dir für Dein Feedback! Zugegeben, ich habe schon sehr deutlich meine Sicht der Dinge geschildert. Ich selbst bin seit knapp 5 Jahren in Therapie - davon allerdings 1,5 Jahre nicht kontinuierlich bei einer Behandlerin, die Zeit war daher auch nicht so "ergiebig".

Nun bin ich aber auch ein "mittelaltes" Semester - knapp 43 - und hatte eben an die 40 Jahre Zeit, meine Gedanken- und Verhaltensmuster zu "zementieren". Meine Therapeuten sagten alle übereinstimmend: Was sich über die Jahre hin manifestiert hat, wird frau nun mal nicht in Monaten oder gar Wochen los. Leider.....

Aber wie schon gesagt, aus meiner Erfahrung heraus ist es das alles Wert, vor allem, wen man bedenkt, wieviel Jahre noch vor einem liegen, die man durch die Erkenntnisse / Ergebnisse einer erfolgreichen Therapie ganz anders erleben und gestalten kann.

Alles Gute auch Dir
Lioness



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AvantGarden
Beiträge: 182
Registriert: 11. Nov 2005, 17:11

Re: (Falsche) Erwartungen an Therapie??

Beitrag von AvantGarden »

Hallo Lioness,

vielen Dank für Deinen konstruktiven Beitrag. Du hast vollkommen Recht mit dem was Du schreibst. Ich weiss ja selbst, dass meine Erwartungen vielleicht nicht falsch, aber zu hoch sind. Ich wünsche mir nur endlich, dass es weitergeht und ich endlich mal einfach nur glücklich bin. Ich gebe mich im Moment einfach so Tagträumen hin und die sind vielleicht ab und zu etwas hoch gegriffen. Aber das hält mich auch einfach aufrecht.

-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-

Liebe Arwen,

ich stelle hier schon länger fest, dass bei Vielen der Beruf ein Hauptgrund für die Erkrankung ist. Das ist einerseits ziemlich ernüchternd, andererseits aber auch tröstend, weil man merkt, dass man nicht alleine ist. Bei mir spielen sicherlich noch andere Dinge eine Rolle für meine Erkrankung, aber der Beruf bzw. die Firma, in der ich arbeite, sind der Hauptgrund. Meine Therapeutin sagt, dass mich all die Jahre dort einfach ausgelaugt und meine ganze Kraft gekostet haben, so dass ich jetzt keine mehr habe.
Ich bin bereits seit Mitte März krankgeschrieben und diese Auszeit tut mir einfach nur gut, ich kümmere mich um mich selbst und meine Bedürfnisse. Ich freue mich auch auf die Reha, hab leider noch gar keine Info bekommen, wann es los geht. Musstest Du lange warten?
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Bellasus
Beiträge: 1628
Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: (Falsche) Erwartungen an Therapie??

Beitrag von Bellasus »

Lioness' Text kann ich nur ganz dick unterstreichen, besser kann man es nicht beschreiben, und du hast es so geschrieben, dass ich als mittlerweile alte Häsin mich auch davon motiviert fühle. Danke dir!

Annette




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