ich wollte mal noch auf die Geschichte mit deiner Therapeutin eingehen.
Ich hatte zwar nicht das Problem, dass ich so eine Fassade hatte wie du, aber auch ich habe locker ein halbes Jahr gebraucht, bis ich in der Therapie die Probleme erzählen konnte, die mir total unangenehm und peinlich waren. Das ging ziemlich ans Eingemachte und es war nicht einfach zu erzählen, aber meine Therapeutin hat auch sehr wertschätzend und verständnisvoll reagiert. Das vielleicht nur so als Beruhigung, dass es normal ist, dass man länger braucht, bis man jemanden so nah an seine empfindlichsten Punkte herablässt. Meine Therapeutin hat damals auch gemeint, dass sie es eher komisch gefunden hätte, wenn ich sofort mit der Tür ins Haus gefallen wäre. Ob ich jetzt mit ihr über meine intimsten Probleme rede oder du dein Problem, dass du keine Schwäche zeigen darfst, offenbarst, ist für mich das gleiche. Beides sind Punkte, an denen man uns sehr schnell sehr verletzen kann und die zeigt man nicht gleich, wenn man sich noch nicht gut kennt. Das braucht einfach Zeit.Lerana hat geschrieben:Ich habe ungefähr ein halbes Jahr Therapie gebraucht, um mich zu trauen, die Fassade der starken Lerana fallen lassen zu können.
Warum ging es dir da denn so schlecht? Weil du jetzt endlich jemanden hattest, wo du deine ganze Not zeigen durftest, endlich mal alles rauslassen durftest? Wenn es deswegen so war, finde ich das eigentlich eine ganz gesunde Reaktion. Du hast bei ihr den Freiraum, so zu sein wie du bist, und wenn es dir schlecht geht, dann geht es dir eben schlecht. Blöd wäre gewesen, wenn du danach wieder deine Fassade hochgezogen hättest!Lerana hat geschrieben: Ich habe die ganze Zeit über ein Therapietagebuch geführt. Darin stand all mein Kummer. (...) Nach einer wahnsinnig schlimmen Woche und einer schrecklichen Panikattacke, in der ich dachte, ich verliere den Verstand, schrieb ich ihr einen Brief. Wieder bat sie mich, ihn ihr vorzulesen. Diesmal war das Bedürfnis, jemanden teilhaben zu lassen an meinem Leid größer als meine Scham. Ich las ihn vor. Ich schwitzte, mein Herz raste, ich war rot vor Scham, ich dachte ich müsste sterben, solche Angst hatte ich, sie könnte mich für eine Heulsuse, jemand, der sich anstellt, schwach...halten. Doch sie begegnete mir aufrichtiger Anteilnahme, mit Betroffenheit, mit Mitleid, mit Zuneigung. Sie sagte, es täte ihr leid, wie schlecht es mir ging und dass sie so dankbar wäre für diesen authentischen Moment. Und ich machte eine korrigierende Erfahrung, dass ich nicht stark sein muss, dass mir Trost zusteht, dass mir Mitleid zusteht, dass ich traurig nicht abgelehnt werde. Da war ich vorher der festen Überzeugung. Ich war überwältigt von dieser Zuneigung und ich begann sie zu brauchen, hatte ich sie doch mein ganzes Leben zu wenig bekommen.
Also ging es mir schlecht und das ging es mir wirklich. Und so sagte ich zu jedem Vorschlag meiner Therapeutin: Ja, aber ... Ich kann nicht!
Genau das bräuchtest du bei ihr aber nicht denken. Ich denke, wenn man sein Denken und sein Verhalten ändern will, ist es ja so, dass man wenig Erfahrung mit dem neuen Verhalten hat. Von daher ist es normal, wenn man erstmal in ein "Extrem" ausschlägt und dann wieder ins andere, bis man ein gutes Maß findet und ein Gefühl dafür entwickelt.Lerana hat geschrieben: Und da bat sie mich, mutiger zu sein, mehr gegen die Depression zu kämpfen, es mir weniger bequem zu machen. Wieder brach Scham über mich herein, so wie zu der Zeit, in der ich feststellte, mein Helfersyndrom ist nicht altruistisch. Ich erinnere mich genau ab diese Sitzung. Jetzt war ich doch ein Jammerlappen, schwach und heulsusig.
Mir ging es so, als ich lernte mich besser zu wehren. Da bin ich auch erstmal auf der anderen Seite vom Pferd gefallen und habe mich über Sachen beschwert, wo es eigentlich nicht nötig gewesen wäre und einmal hat mir auch jemand gesagt, ich wäre ganz schön unverschämt. Das ist mir heute noch total peinlich.
Meine Erfahrung ist, dass wenn ich versucht habe, ein Problem anzugehen und gedacht habe, ich kriege es ganz gut hin, hat es sich klammheimlich durch irgendein Hintertürchen wieder eingeschlichen. Bei mir war es der Perfektionismus. Mir war klar, dass ich nichts perfekt machen musste, also habe ich versucht, alles locker anzugehen und Dinge auch unperfekt zu akzeptieren. Irgendwann habe ich gemerkt, dass sich der Perfektionismus dann aber so äußerte, dass ich perfekt mit unperfektem umgehen musste. Wenn ich das nicht geschafft habe, war ich wieder deprimiert, denn ich konnte ja nicht perfekt damit umgehen, dass ich nicht perfekt war... Blöd.Lerana hat geschrieben: Und wieder lernte ich, die Beziehung zur Therapeutin hält stand. Sie lässt mich nicht fallen. Also hörte ich auf Ja, aber... zu sagen und probierte das ein oder andere aus. Und ich wehrte mich gegen meinen inneren Kritiker und strampelte wieder.(...)
Es ist nicht so einfach, solche hartnäckigen Verhaltens- und Denkweisen abzuschütteln, denn sie verstecken sich manchmal ganz gut.
Mir scheint aber, als wärst du bei deiner Therapeutin gut aufgehoben. Sie hat dich akzeptiert, als du zugegeben hast, dass du gar nicht so bist wie es scheint und sie hat dich akzeptiert, als du sozusagen auf der anderen Seite vom Pferd gefallen bist.
Ich kann mir vorstellen, dass du dich für dein "Gejammer" und "Ja, aber"-Sagen ziemlich verurteilst/verurteilt hast.
Jetzt bist du dabei, zu versuchen, dich auf ein gutes Maß einzupendeln zwischen Anstrengung und Schwachsein-dürfen. Und mir scheint es, als würdest du dich auch wieder dafür verurteilen, dass du das noch nicht hinkriegst. Kann das sein?
Das brauchst du aber im Prinzip nicht, denn es ist normal, dass sich das erst einpendeln muss.
Ich hoffe, du kannst etwas mit meinem Geschreibe anfangen.
Liebe Grüße,
DieNeue
P.S.: Zu dem Tagebuch: Sei froh, dass deine Therapeutin es nicht lesen wollte. Die Ärztin in meiner Tagesklinik hatte mitbekommen, dass ich Tagebuch schreibe und mal gemeint, ich solle es doch mal mitbringen. Auf meine Frage, wozu, hat sie einfach gemeint: "Weil ich's lesen will!"
Ich bin aus allen Wolken gefallen! Ich fand das so dreist! Man liest nicht einfach das Tagebuch anderer Leute und fordert es schon gar nicht ein.