Wir werden es schaffen ...

atetobi
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von atetobi »

Liebe Lea,

Dein Beitrag hat mich traurig und hilflos gemacht. Egentlich müsste ich jetzt meine Gedanken erst einmal ordnen, aber mein Gefühl, Dir schreiben zu wollen, ist stärker.

>... ich bin doch nur eine Frau!<

Du bist nicht NUR eine Frau, sondern Du bist eine Frau, die mit sehr viel Kraft ihre eigene Verzweiflung bewältigt und dazu ihrem Partner zur Seite steht, wie es wenige Menschen tun.

Ich kenne das Gefühl, das Du bei Deinem Mann spürst: "Es ist besser für alle, sie werden besser leben, wenn ich nicht mehr da bin. Ich bin nur eine Last." Ich selbst hatte es viele, viele Jahre. Aber ich lebe!

Obwohl ich noch häufig starke Schwierigkeiten habe, es anders zu sehen, weiß ich, dass das nicht so ist. Es ist immer mindestens ein Mensch da, der einen liebt und verzweifelt wäre, wenn man einfach gehen würde. Das ist auch das, was ich mir antrainiert habe. Im letzten Moment denke ich an meinen Mann und meine Kinder. Was würde ich diesen Menschen, die ich so sehr liebe und die mich lieben, antun!!?

Genau so ist es bei Euch beiden. Ihr liebt Euch. Einer ist also mindestens da, der schrecklich leiden und wahrscheinlich zerbrechen würde, wenn der andere ginge. Macht Euch das immer wieder bewusst!

Nach dem, was Du schreibst, habe ich den Eindruck, das es Euch beiden an Selbstwertgefühl mangelt. Auch das drückt sich besonders in Deiner oben zitierten Aussage aus (NUR eine Frau). Versteh mich richtig, das ist nicht negativ gemeint, denn auch das kenne ich von mir selbst. Ich hatte und habe auch heute noch oft gar keins und habe auch oft in meinem Leben gedacht, ich sei NUR eine Frau. Aber ich arbeite daran, diese Einstellung zu "verlernen".

Für Euch beide ist es besonders wichtig, professionelle Hilfe zu bekommen. Nichts, aber auch gar nichts ist es wert, das Leben wegzuwerfen. Es gibt so viele Wege, aus vermeintlich aussichtslosen Situationen heraus zu kommen, aber es ist zu schwer, das allein zu bewältigen.

Durch fast alles, was Du von Euch schreibst, bin auch ich in meinem recht langen Leben gegangen. Seit mehr als 30 Jahren versuche ich immer wieder, aus meinen Löchern zu krabbeln.

Ich schrieb in diesem Forum schon einmal, dass meine Tochter, damals 19, einen S-Versuch unternommen hat. Es war die Hölle für mich. Sie wollte keinen Arzt, keine Therapie. Ich konnte ihr nicht helfen, sondern ihr nur zuverlässig zur Seite stehen. Wenn man persönlich so eng verbunden ist, ist es nicht möglich, dem Anderen die Unterstützung zu geben, die er braucht.

Meine Tochter entschloss sich nach einiger Zeit, Hilfe von außen anzunehmen. Jetzt ist sie 24 und geht prima und selbstbewusst ihren Weg. Sie hatte frühzeitig die Chance, die reaktiven Depressionen, unter denen sie litt, kompetent behandeln zu lassen.

Ich hatte die Chance nicht. Trotzdem gebe ich nicht auf. Wie ich oben schrieb: Es gibt heute so viele Wege der Hilfe, auch wenn die Suche danach manchmal mühsam ist. Und egal, wie alt man ist, es lohnt sich immer.

Ich weiß nicht, wie alt Du bist, aber ich denke, wenn Du den Mut fasst, Dich einem Arzt oder einem Therapeuten anzuvertrauen, wirst Du eines Tage in der Lage sein, ruhiger mit Deiner Situation umgehen zu können. Das Gleiche gilt für Deinen Mann.

Im Laufe der vielen Jahre der Depression bei mir habe ich viele verschiedene Diagnosen bekommen. Quer durch die Bank. Die letzte war vor ca. 3 Monaten. Bipolare affektive Störung. Bisher hat mir in den vielen Jahren kein Medikament Erleichterung gebracht.

Jetzt arbeiten eine Verhaltstrainerin und ein Therapeut mit mir. Beide sind der Ansicht, dass ich stark traumatisiert bin. Damit bin ich wieder bei der ersten Diagnose gelandet und weiß, es ist die richtige. Ähnliche Strukturen sehe ich bei Deinem Mann. Sag ihm, wie verzweifelt Du wärst, wenn er den letzten Schritt tun würde!

Ich weiß, dass Ihr Euch nur selbst helfen könnt, aber ich wünsche Euch den Mut, das zu tun. Es wird anstrengend sein, aber nicht so anstrengend wie das, was Ihr zurzeit aushalten müsst.

Alles Liebe.
Beate


Lieber Herr Dr. Niemeier,
da bin ich nun wieder, und ich hoffe, nicht wieder zu weit ausgeholt zu haben.
Gruß
Beate
Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.
Emily
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von Emily »

Hallo Beate,

schön, dass du wieder dabei bist!

LG, Emily
Acedia
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von Acedia »

Liebe Beate,

danke für deine vielen guten Gedanken und deine große Mühe. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass wir es schaffen. Leider ist es ja so, dass man in den akuten Krisen keinerlei vernünftiger Argumente zugänglich ist und man selber ganz leer im Kopf ist. Mein Mann weiß natürlich, dass wir uns lieben und ohne einander noch verlorener wären, aber auf der anderen Seite sieht er auch, wie sehr krank uns diese Depressionen gegenseitig machen. Vor allem kommt es uns so vor, als würde es von Tag zu Tag schlimmer statt besser werden. Wir werden auch immer schweigsamer, getrauen uns kaum noch, den anderen zu fragen, wie es ihm denn heute geht, weil wir es ja sehen!!
Auch über Ostern kam es nachts bei meinem Mann wieder zu einer heftigen Krise mit immer stärkeren Panik- und Angstattacken und intensiver Anklammerung an mich, dass es mir fasst den Atem nimmt. Da ihm sein Verhalten als falsch bewusst ist, wachsen gleichzeitig seine Schuldgefühle und er reagiert immer verzweifelter. Und schon sind wir wieder mitten drin im Teufelskreis.
Wenn wir nicht vorher zerbrechen, wird es ein sehr langer und mühsamer Weg zur Gesundung werden, das ist uns bewusst. Wir wissen nur noch nicht ganz genau, ob es sich wirklich lohnt, diese zermürbenden Kämpfe und Qualen auf sich zu nehmen.

Lea
Acedia
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von Acedia »

Hallo Dietmar,

habe mich sehr über deine Grüße gefreut und auch darüber, dass es dir im Moment besser geht. Auch ich bin der Meinung, dass je unabhängiger man sich von allem macht,um so glücklicher und zufriedener kann man leben. Vielleicht ist diese Unabhängigkeit von allen Dingen, aber auch von Menschen, von deren Liebe und der Zuwendung sogar der Schlüssel zum Glück. Und vielleicht kann man erst all das wirklich genießen, wenn man nicht mehr davon abhängig ist. Aber jemanden, der Angst hat vor dem Verlassenwerden, der aufgrund seiner Depris klammert, der versteht das nicht bzw. der versteht das falsch und hört genau das heraus, wovor er sich so sehr fürchtet...

Wenn man alleine lebt, kann man das Schritt für Schritt verwirklichen und dann wie du, die Freude am Leben wieder finden. In einer Partnerschaft kann es nur funktionieren, wenn ein großes gegenseitiges Vertrauen besteht, beinahe schon so eine Art Urvertrauen. Das wäre es dann gewesen.

Liebe Grüße
Lea
atetobi
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von atetobi »

Liebe Emily!

Danke für das nette Willkommen. Tut gut, so empfangen zu werden!

Gruß
Beate
Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.
atetobi
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von atetobi »

Liebe Lea,

bitte gib nicht auf, auch wenn Du zurzeit nicht weiter weißt!

>Wir wissen nur noch nicht ganz genau, ob es sich wirklich lohnt, diese zermürbenden Kämpfe und Qualen auf sich zu nehmen.<

Ich wiederhole mich, aber es ist wichtig: Es lohnt sich! Wenn Ihr Euch gemeinsam auf den Weg macht, Euch helfen zu lassen, wird es sicher ein schwieriger Weg, aber dieser Weg ist nicht so qualvoll wie Euer jetziges Leben. Schritt für Schritt wird es leichter für Euch werden. Nur muss der erste Schritt getan werden!!!

Auch eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.
Und: Das Gute am Tiefpunkt ist, dass der Weg von dort nur in eine Richtung führt.

Ich hoffe, Du empfindest diese Sätze nicht als banal oder "guten Ratschlag". Mir helfen sie seit sehr langer Zeit, nicht aufzugeben und weiter mit kleinen Schritten voran zu gehen.

Ich wünsche Dir Mut und Zuversicht und dass Du die Kraft, die Du zweifellos in Dir hast, für den ersten Schritt aktivieren kannst. Auch, wenn es vielleicht nur noch ein Fünkchen ist. Auch ein Funke kann sich zu einer wärmenden Lichtquelle entwickeln.

Beate
Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.
dietmar45
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von dietmar45 »

Hallo Lea,

ich freue mich auch, dass Du mir geantwortet hast. Ich finde es sehr gut, dass Du uns inzwischen etwas mehr Einblick in Deine Probleme gewährst.
Dieses extreme "Klammern" ist sicher sehr belastend für eine Beziehung. Mein Eindruck ist, nachdem ich das gelesen hab, dass es vor allem Deinem Mann sehr schlecht geht und Dich das als Folge auch so runterzieht, weil Du ihm nicht helfen kannst. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, will Dein Mann demnächst eine Therapie anfangen. Das ist doch schon mal ein Hoffnungsschimmer.
Ich möchte mich Beates Worten anschließen. Gib nicht auf!
Es geht immer etwas. Versuche die vermeintlich ausweglose Situation mit etwas Gelassenheit zu betrachten. So mache ich es auch jetzt immer. Sicher, das ist einfacher, wenn es "nur" um die eigenen Probleme geht. Denke aber immer daran, Du kannst nicht auch die Probleme Deine Mannes tragen, ohne unter der Last zusammenzubrechen. Das MUSS er begreifen.
Wenn ich hier etwas falsch sehe, sags mir einfach.

Du schreibst von "zermürbenden Kämpfen". Dazu möchte ich Dir etwas sagen. Ein Grund, warum es mir jetzt verhältnismäßig gut geht, ist der, dass ich praktisch jeden Kampf beigelegt habe. Ich lebe im Hier und Jetzt. Ich mache keine großen "Lebenspläne" mehr. Ich genieße es einfach, wenn die Sonne scheint und ich dabei schöne Musik höre. Das konnte ich viele Jahre schon gar nicht mehr. Wenn ich zu etwas heute keine Lust habe, dann lasse ich es einfach liegen, basta. Jegliches Leistungsdenken hab ich in die Tonne gekloppt. Ich lasse mich von NIEMANDEN mehr zu etwas "zwingen", was ich NICHT will!!! Dieser Trotz ist seit mittlerweile 9 Monaten meine "Lebensversicherung". Und es funktioniert! Ich hab auch nicht mehr den Hauch eines schlechten Gewissens dabei. Wie meine Mitmenschen darüber denken, geht mir am A.... vorbei. Ja, sogar das bringt Lebensfreude.

GELASSENHEIT, GELASSENHEIT und nochmal GELASSENHEIT!!!

Vielleicht bleib ich ja auch nicht ewig unfreiwillig allein und alles ändert sich wieder. Ich lasse die Dinge einfach auf mich zukommen.

Liebe Grüße
Dietmar


PS. Einen besonderen Gruß auch an Dich Beate und Deinen Mann. Meine große Leidenschaft ist die Modelleisenbahn(H0).
kr
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von kr »

Ich will mich mal bedanken, bei Allen die mir direkt und indirekt in den letzten Tagen geholfen haben.

Euer Kleiner Rabe
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IMPOSSIBLE IS NOTHING.
Acedia
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von Acedia »

Hallo Rabe, schön dass du das so siehst und auch die indirekte Hilfe für dich entdecken kannst. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so hineingedrängt hatte und du dich gar nicht mehr zu Wort meldetest.

Auch dir, Dietmar und dir liebe Beate, danke ich für eure Antworten.

Ja, es stimmt, dass es meinem Mann sehr schlecht geht und er sehr starke Depressionen hat. Nicht richtig ist, dass ich aufgrund seiner Depris erkrankt bin und er mich mit hinunter zieht.

Man kann wohl nicht sagen, dass es alleine leichter ist als in einer Partnerschaft, aber es läuft anders. Als ich alleine gelebt habe und damals vor der Entscheidung stand Leben oder Nichtleben, habe ich das Ja für mich selbst, für MEIN Leben getroffen. Und dann habe ich mich Schritt für Schritt von all dem befreit, was mich krank gemacht hat. Es gab auch keinen Rückfall in die totale Verzweiflung mehr, höchstens mal ein Anfall von Schwäche.
Doch wenn ich heute das Ja zum Leben aufgrund der Liebe zu meinem Partner sage, steht das auf keinem festen Fundament, denn dieses Ja ist abhängig von meinem Partner. Und auch umgekehrt kann das Ja zum Leben von meinem Partner, wenn es nur mir zuliebe gesagt wird, kein konstruktives Ja zum Leben sein, weil es wegbricht, sobald der Partner nicht mehr mitzieht.
Unabhängigkeit von den Gefühlen des anderen ist einfach eine wichtige Voraussetzung, um ein gesundes und sinnvolles Leben aufzubauen.
Aber das umzusetzen ist sehr schwer.
Gruß Lea
kr
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von kr »

Ich glaub´ ich sag auch was dazu. Wenn ich einen Stein in´s Wasser werfe gibt es Kreise, die sich ausbreiten, immer, denn es gehört dazu.

Und wenn mein Gefühl durch einen anderen Menschen berührt wird, gibt es auch in meiner Seele Kreise. Und wenn das Gefühl Liebe ist, sind die Kreise besonders schön, denn sie tanzen und hüpfen bis in mein Herz.

Kleiner Rabe

P.S.: Und jetzt bitte ich Euch mal einen neuen Thread aufzumachen, wegen der Ladezeit. Danke
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IMPOSSIBLE IS NOTHING.
kr
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von kr »

An alle, die mir immer helfen: Im vergangenen Spätherbst habe ich eine kleine Japanische Lärche, die im Kübel auf unseren Balkon stand im Wald ausgepflanzt. Und seit heute zeigen sich die ersten grünen Nadeln. Ich bin sehr froh.
Euer Kleiner Rabe
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IMPOSSIBLE IS NOTHING.
Marlen-04
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Re: Wir werden es schaffen ...

Beitrag von Marlen-04 »

Hallo zusammen,

auf Wunsch von kleiner Rabe beende ich hiermit diesen Thread und mache einen neuen auf mit dem gleichen optimistischen Titel.

Auf weitere fruchtbare Diskussionen ...
Marlen
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