@DocHolliday,
Nein, guten Willen kann man dir sicherlich nicht absprechen
Du hast viele Themen angesprochen. Ich versuche, der Reihe nach darauf einzugehen.
Das wäre der 1. Teil, ich arbeite mich diese Tage pö a pö weiter...
Hallo Bigmac,
Du hast ja nun Deinen Unmut umfangreich kundgetan und die Verhältnisse aus Deinem Erleben ausführlichst und wiederholt dargestellt.
Ich frage mich, warum Krankenkassen für etwas zahlen, was aus Deiner Sicht für gewisse Patientengruppen nicht sinnvoll ist. Die KKs haben doch Kontrollistrumente, Fachleute und Gutachter, die sich über die Wirksamkeit von Therapieinhalten auskennen sollten, oder siehst Du da "große Verschwörung", "Korruption" und Geldverschwendung?
Ach, nein, ich sehe da keine große Verschwörung.
Bei allem Respekt, du scheinst mir zuviel „Ehrfurcht“ vor der vermeintlichen Expertise dieser Branche zu haben.
Ich bin selber von Fach, von daher kann man mir mit Basteln als „Arbeitserprobungsmaßnahme“ nicht kommen, sorry. Und diesen Glauben, oder Ehrfurcht, will ich dir gar nicht nehmen. Die braucht man, um Hilfe zu spüren. Ich glaube auch an die professionelle Zahnreinigung als Prophylaxe, obwohl der Nutzen, soweit ich weiß, nicht 100% belegt ist. Aber ich denke, es wird meinen Zähnen schon gut tut, und diese Frau im Kittel und mit Mundschutz weiß sicher, was sie tut.
Aber „Glauben“ hat bei mir auch seine Grenzen, wenn gefühltes Nichts dahinter steckt. Nehmen wir das Beispiel der – hier sind wir uns wahrscheinlich fast alle hier im Forum einig – katastrophalen ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Wie kann es sein, dass ein so offensichtlicher Mißstand nicht behoben wird, daß Kassen weiterhin behaupten, der Bedarf sei gedeckt? Letztendlich - es sei denn, du glaubst Ärzte sind allgemein alles altruistische Gutmenschen, und das Gesundheitswesen orientiert sich ganz objektiv am Bedarf - geht es im die Verteilung des Kuchens.
Und in der KV - und was es sonst noch an Entscheidungsgremien gibt – sind Mediziner nunmal am besten vertreten, oder am lautesten. Wenn du dich ein bißchen informierst (vieles darüber wird offen in der Presse berichtet, z.B. wenn ein KV-Vorsitzender entnervt seinen Posten räumt – habe leider die passenden links auf die Schnelle nicht parat) kannst du auch erfahren, was die verschiedenen Fachrichtungen gegeneinander für einen Krieg um Budget führen. Radiologen gewinnen, Hausärzte ziehen eher den Kürzeren. Da bleibt für ein paar psychologische Psychotherapeuten, die eine kleine Minderheit sind und vermutlich von Medizinern eher milde belächelt werden, nicht viel übrig, bzw. sie können sich nicht durchsetzen.
Und daß man mit Kontrollmechanismen, Gutachtern und Fachleuten alles, und das Gegenteil sowie das Gegenteil davon beweisen kann, weißt du sicherlich: Da rechnen irgendwelche Gesundheits- und Wirtschafts-„Schreibtischexperten“, die nie wirklich krank waren oder verzweifelt einen Therapieplatz gesucht haben, aus, wieviele Therapeuten pro Einwohner (auf der Grundlage einer dafür günstigen epidemiologischen Studie über die Inzidenz von psychischen Störungen in Deutschland; viele werden eh nicht diagnostiziert und dadurch reduziert sich die Zahl).
Dann wird berechnet wieviele Kapazitäten so ein Therapeut durchschnittlich hat, und wie lange die Wartezeit dann theoretisch ist („3 Monate“ laut meiner Krankenkasse – vorausgesetzt natürlich, jedes Erstgespräch ist erfolgreich, die Chemie zwischen den Beteiligten stimmt und führt tatsächlich zu einer Behandlung).
Psychiater müssen dann in diesem „Spiel“, in dem es wie gesagt um die Verteilung des Budgets geht, für sich sorgen. Wenn ein Patient so krank ist, daß er diese „drei Monate“ nicht überbrücken kann, dann wird er natürlich psychiatrisch versorgt – die nehmen, wenn örtlich zuständig, immer schnell und unkompliziert auf. Was sie als „Therapie“ anbieten, möchte ich hier nicht näher beschreiben, durfte ich aber leider 2x erleben. (Inzwischen weiß ich, daß ich nie wieder freiwillig irgendeine Psychiatrie betreten werde, aber das ist ein anderes Thema).
Und daß, trotz dem von Krankenkassen wie der DAK bestätigtem Zuwachs an psychischen Krankheiten, die ambulante Versorgung
nicht ausgebaut wird, dafür aber "Kliniken für Psychosomatik und "Psychotherapie"" wie Pilze aus dem Boden zu wachsen scheinen und weiter anbauen, spricht auch dafür, und man fragt sich, wo sich all die Experten bei dieser Entscheidung verstecken. Es gilt das Primat "stationär vor ambulant", obwol alle "Experten" in der Öffentlichkeit natürlich vorgeben, eine ambulante, wohnortnahe Versorgung sei erstrangig, nur wenn das nicht ausreiche oder es gar nicht anders geht, sollten stationäre Maßnahmen eingeleitet werden. Mmh, komisch.... ich kann jederzeit bei mir in die Psychiatrie, für viele Wochen oder Monate, kriege in einem 10' Gespräch vom Hausarzt eine Einweisung in die Psychosomatik, aber ambulante Psychotherapie? Oh, ganz schwierig...
Vielleicht ist es bei dir anders, meiner Erfahrung nach spielt Psychotherapie (also sozusagen „echte“ Therapie, von Medikamenten mal abgesehen) in der Psychiatriewelt keine Rolle: In einer Klinik durfte eine Auszubildende einmal die Woche mit mir üben (vermutlich, weil es ein Uni-KH ist), im anderen „Krankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie (!!!) war Psychotherapie kein Bestandteil der Behandlung. Meine 3. Erfahrung ist mit dieser in älteren posts auf affektive Störungen spezialisierten Klinik, bei der ich mich telefonisch erkundigt habe.
Natürlich wird jeder Psychiater sagen, daß Psychotherapie "ein wichtiger Bestandteil" der Behandlung ist. Letztendlich sind sie aber Mediziner und behandeln vorrangig mit Medikamenten – das ist ihre Spezialität – und meiner Meinung als
Ergänzung zur Therapie, und nicht umgekehrt, wie sie es tun, auch manchmal durchaus sinnvoll. In der Realität ist Psychotherapie dann aber letztendlich nur eine nette Dreingabe, die aufgrund nicht zu bestreitender Studien nicht von der Hand zu weisen ist, und sie nicht abstreiten können.
Wie ehrlich gemeint diese Floskel und was der Stellenwert von Therapie für sie wirklich ist, ist anhand der „Konzepte“, über die ich mich hier schon genug geärgert und, wie du sagst, ausführlich beschrieben habe, ersichtlich: In der Regel gleich null, in psychosomatischen Kliniken sogar ganze 50' wöchentlich. Und selbst DAS kannst du mit psychiatrischen Worthülsen (oder „psychiatrischen Sprachakrobatik“, wie Postel sagt – ich kann dir die Videos nur ans Herz legen) so „begründen“, daß es fachlich und wissenschaftlich fundiert ist und Laien und fachfremde Entscheidungsträger beeindruckt sind und danach entscheiden.
Dann sagt man einfach z.B., daß es in der Therapie nicht um Quantität sondern Qualität geht, daß diese 6 Tage zwischen den Sitzungen gewollt ist, damit das Erarbeitete weiter vom Patienten im Rahmen der therapeutischen Gemeinschaft verarbeitet werden kann und innerhalb weiterer „therapeutischer“ Maßnahmen integriert und vertieft werden kann – oder so.
Ich habe mich mal zufälligerweise, als ich krank war und der Internist des Bereitschaftsdienstes bei mir war, darüber mit einem Arzt unterhalten. Ich wußte (ich glaube, es stand auf diesem Zettel, den sie ausfüllen und dir dalassen, ich weiß es nicht mehr genau), daß er Mitglied in der KV war. Ich sprach ihn darauf an, daß es mich wundert, daß die Anzahl an Kassenzulassungen für Therapeuten begrenzt wird, obwohl bekannt ist, daß er den Bedarf nicht deckt, aber es in meiner Gegend es alle (gefühlte) 100 m eine schicke Zahnarztpraxis gibt, und im letzten Jahr zwei neue dazu. Da meinte er ganz direkt, daß es bei Zahnärzten halt leichter sei, die berechnen nur ein paar Füllungen, alles andere wird sowieso privat in Rechnung gestellt.
Es geht also niemals um den tatsächlichen Bedarf, sondern um das Budget und wer wieviel davon abkriegt. Und Psychotherapien sind nun mal kostspielig, und wie gesagt, Therapeuten haben keine so machtvolle Stellung innerhalb der KV um ihre „Zunft“ zu vertreten.
„Gutachterlich“ und „expertentechnisch“ läßt sich ALLES belegen, insbesondere im Bereich der Psychiatrie.
Ich weiß, in wie weit über den Fall Mollath informiert bist?
Um es stark vereinfacht, unvollständig und kurz zu sagen: Ein psychiatrischer Gutachter, also ein „Experte“ deiner Meinung nach, befand, auf Grundlage von alten Akten, Berichten von anderen Beteiligten usw. (da Mollath sich geweigert hat, mit ihm zu sprechen) daß er paranoid und allgemeingefährlich sei. Natürlich „greifen“ dann die "Kontrollinstrumente", wie du sagst, die vor Willkür schützen und Objektivität garantieren sollen.
Niemand kann einen so schnell gegen seinen Willen einsperren. Also wird ein zweiter Gutachter bestellt. Der Patient redet aber auch mit ihm nicht, und so schreibt der 2. renommierte Gutacher von seinem ebenfalls renommierten Kollegen mehr oder weniger ab, „untermauert“ mit „klinischen Observationen“ der Klinik, in der der Patient schon war. Und in der
natürlich alles was er tut oder läßt als diagnosebestätigend ausgelegt wird. Dann kommt der Richter, der zu entscheiden hat, und mit einigen der Gutachter per Du ist, selber vom Fach keine Ahnung hat und sich natürlich dem psychiatrischen „Befund“ anschließt.
Übrigens: In einem 7-minütigen Interview bei Beckmann beschreibt eine Psychiaterin sehr schön, wie „unabhängig“ Gutachter sind, und warum sie sich nicht begutachten lassen würde:
http://www.youtube.com/watch?v=IcBlL0wMrA0" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;
Wurde bei dir eine psychische Störungen „gefunden“ und diagnostiziert, dann versuche mal den Experten zu beweisen, daß du das NICHT hast. Das ist dann natürlich deine mangelnde Einsicht!
Damit möchte ich nicht sagen, daß alle Diagnosen falsch sind, sondern auf deinen Glauben an die Expertise und den Kontrollmechanismen in der Psychiatrie eingehen und warum ich – mit Verlaub –finde, daß du das mit einem etwas naiven Blick siehst.
Um nochmal auf deine Frage, warum KK etwas zahlen sollten, was nicht wirksam ist, bei all den Gutachtern und Experten an Bord: Manche Kassen übernehmen alternative Therapien, wie Homöopathie. Die aktuelle Studienlage ist so, daß eine Wirksamkeit nicht bewiesen ist (bevor ein shitstorm losgetreten wird: Was nicht heißt, daß sie nicht bei einigen Patienten aus welchen Gründen auch immer zu helfen scheint). Ich glaube, es war mal eine Sprecherin der DAK, die sich diesbezüglich mal verplappert hat (link leider nicht parat, aber du mußt es mir auch nicht glauben) und sinngemäß erklärte, Homöopathie als solche sei zwar umstritten, aber man nehme sie trotzdem freiwillig in den Leistungskatalog auf, weil man damit die eher gebildeten, jungen, Vegetarier als Mitglieder anzieht, die bekannterweise eher gesund sind und die Kasse trotz Inanspruchnahme solcher Leistungen wenig belasten.
Es gibt ganz sicher auch viele Erfolgsgeschichten, wie Patienten durch ambulante Psychotherapie ihre Krankheit bewältigt haben, nur haben diese eher keine Veranlassung sich (hier) zu Wort zu melden. Der Leidensdruck dafür, ist nicht mehr so vorhanden.
Du hast pauschal von "den Therapeuten" gesprochen, dabei gibt es himmelweite Unterschiede bei den Therapieverfahren und den Ausbildungswegen. Die Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ist meines Wissens, eine der längsten und teuersten Ausbildung bei den Medizinern.
Das ist mir so nicht bekannt, aber selbst wenn, ändert das wenig an deren – meiner Meinung/Erfahrung nach – Ratlosigkeit. AD aus den verschiedenen Kategorien kann, wie gesagt, jeder Hausarzt verschreiben. Der fängt auch bei Citalopram 10 mg an und wartet und sieht dann weiter. Ich habe mit auch meist die Rezepte bei meinem Hausarzt geholt. Aber wie gesagt, ich möchte dich nicht, schon gar nicht „mit Gewalt“, überreden. Wenn du glaubst, daß Psychiater ein geheimes, oder tiefes oder whatever- Wissen über „die Psyche“ haben, dann ist das echt OK für mich. (Du siehst, ich habe heute meine Wut soweit etwas mehr unter Kontrolle).
Und ja, sicher hilft Psychotherapie vielen Menschen, das streite ich auch nicht ab! Im Gegenteil, ich finde, es müßte im psychiatrielastigen und von medikamentöser Therapie geprägten Versorgungssystem etwas mehr Raum dafür geschaffen werden, und nicht nur so ein bißchen, alibimäßig.
Eine sehr lange Ausbildung haben auch Psychotherapeuten der Fachrichtung "tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie", u.a. müssen sich beide Therapeuten einer umfangreichen und intensiven Lehranalyse unterziehen, mithin "selber auf die Couch", bevor sie so arbeiten dürfen.
Ich weiß.
Ich habe einige Semester Sozialpädagogik studiert und das dann erfolgrich abgebrochen, weil sich dort viele Theorien auf verhaltenstherapeutische und "kognitive" Ansätze stützen. Die Worthülsen und das, aus meiner Sicht, häufige substanzlose Gelaber von Kommilitonen und Professoren, fand ich schlichtweg zum Kotzen. Also VT würde mich auch aggressiv machen. Es ist für mich nicht echt, nicht authentisch, eher nur angelernt. Und ich denke, dass diese von Dir beschriebenen Psycho-Kliniken mit ihren "Angeboten" eher aus der VT Ecke kommen...
Oh, da öffnest du ein großes Faß. Das schaffe ich heute nicht mehr. Ich werde aber versuchen, diese Tage darauf einzugehen.
....und Deine Wut daher rührt, dass Du eine Art "Unechtheit" bei Deinen Psychogesprächspartnern da gespürt hast, angelernte Worthülsen, die Dich nicht erreichen konnten, mit denen Du nichts anfangen konntest.
So, bei der TP kommt es ganz entscheidend auf ein Vertrauensverhältnis an, dass sich im Verlauf der Therapie erabeitet wird. Dabei entstehen auch Konflikte und es gilt diese zu bewältigen.
Das ist in der VT nicht anders. Mittlerweile geben alle zu, und es gibt Studien, die auch dies belegen, daß unabhängig vom therapeutischen Ansatz der wichtigste Wirkungsfaktor einer Therapie die therapeutische Beziehung ist.
Wenn Du, Bigmac, schon von vornherein, aufgrund Deiner angestauten Negativerfahrungen, "auf Krawall gebürstet bist" und das Bedürfnis hast, zunächst mal Deine miesen Psycho-Begegnungen aufzuarbeiten, glaube ich, wird sich kein Therapeut darauf einlassen, denn Dein Blick ist wütend, reinsteigernd und anklagend nach außen gerichtet. Und das hat wenig mit "eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" zu tun, sondern mit der Blickrichtung und Vertrauensaufbau.
Das ist mir klar, leider. Auch in der Therapie gibt es Tabus und das ist wohl eins. Hast du mal Patienten getroffen, die im Rahmen ambulanter Therapien durch Behandlungsfehler schwer traumatisiert wurden (nachweislich!), und nie wieder einen Therapeuten finden, die ihnen helfen, diese letztendlich nichts anderes als eine Form von traumatisierender Erfahrung aufzuarbeiten? Weil sie gebrandmarkt sind, eine „heiße Kartoffel“, „schwierig“? Weil man höchstens dazu bereit ist, zu sprechen, wie sie dazu beigetragen haben? (Hier nochmal das Beispiel der Vergewaltigten, die „auch alleine nachts unterwegs war“, und es „vielleicht unbewußt gewollt hat“.) Ich schon.
Das hat
sehr wohl mit Krähen zu tun. Obwohl es letztendlich nicht so sein bräuchte. Letztendlich passieren in der somatischen Medizin auch manchmal Fehler. Aber Patienten durch so eine Erfahrung zu helfen, ja, das überhaupt zu hören und vielleicht sogar zu validieren ist pfui und scheint gegen einen irgendwie-gearteten Zusammenhalt oder Solidarität unter Krähen zu verstoßen.
„Vertrauensaufbau“ ist ein gegenseitiger Prozeß, und wenn ein Therapeut mit sowas überfordert ist, oder es nicht hören kann, dann kann kein Patient Vertrauen zu diesem Therapeuten aufbauen (mit Recht.)
Wie auch immer… Ich weiß wohl, daß Kritik unerwünscht ist, und ich diese Erfahrungen und meine Wut schlucken muß und in keiner Therapie erwähnen darf (außer ich stelle es als „nur meine Verantwortung“ dar, dann wäre es nicht wirklich meine Erfahrung). Ich werde mich auch hüten, das ggf. in Erstgesprächen zu erwähnen.
Traurig für eine Zunft, die ja eine so lange Ausbildung durchläuft und mit Menschlichem am besten vertraut sein sollte.
Ich mache für heute erstmal Schluß... Gute Nacht.