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Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 28. Jan 2020, 20:07
von DieNeue
Hallo Inchen,
Inchen517 hat geschrieben: Betroffene haben ja diesen blickwinkel gar nicht.. oder doch?!
Welchen Blickwinkel meinst du?

Ich hab das geschrieben, weil ich hier in letzter Zeit immer wieder lese, dass Depressive sich so egoistisch verhalten.
Ich finde es allerdings unfair, so generell zu sagen, Depressive oder depressives Verhalten sei egoistisch.
Ich habe da viel drüber nachgedacht und mich selbst hinterfragt. Ich weiß, dass meine Familie und v.a. meine Eltern es sehr schwer mit mir hatten. Ich verstehe, dass das Verhalten eines Depressiven oft extrem egoistisch rüberkommt und vielleicht auch ist.

Für mich hört sich das hier im Angehörigenforum aber immer so an, als wären die Depressiven total egoistisch und die Angehörigen ja so selbstlos.
Ich finde es super, wenn sich Angehörige um die Betroffenen kümmern und sich hier austauschen. Das auf jeden Fall, versteht mich bitte nicht falsch. Und ich sehe auch, dass ihr was richtig macht und euer Bestes gebt.
Ich schreibe hier schon seit fast vier Jahren mit und ich könnte mir hier aber ehrlich gesagt auch immer wieder die Haare raufen, wenn ich lese, was manche von ihren Betroffenen wollen. Und im gleichen Atemzug sagen, sie hätten überhaupt keine Erwartungen, sie wollen ja "nur", dass es dem anderen besser geht.

Ich weiß nicht, wieso manche nicht verstehen, dass allein der Wunsch, dass es dem Anderen besser geht, dem Betroffenen schon Druck machen kann. Als Betroffener muss man ständig an sich arbeiten, man ist der einzige, der voll für sich und seine Entwicklung verantwortlich ist. Man ist derjenige, der mit dem Therapeuten zurechtkommen muss, der mit der Therapieart klarkommen muss, der sich nen Arzt suchen muss, der kompetent und zumindest einigermaßen menschlich ist, vielleicht x Therapeuten seine Geschichte erzählen muss, bis er den passenden gefunden hat, sich wildfremden Leuten öffnen muss, jeden Tag jede Minute auf seine Symptome achten muss, dass er sich nicht übernimmt, sich nicht überfordert, dass die Stimmung nicht kippt. Der ständig mit den Symptomen zu kämpfen hat, wo man manchmal nicht mehr weiß, an welcher Baustelle man zuerst anfangen soll und wie man alles beisammen halten soll. Und das alles hat dann auch noch Einfluss darauf wie es anderen geht, auf die man zusätzlich auch noch Rücksicht nehmen soll und deren Problem man teilweise am besten auch noch mitlösen soll.
Du bist da ja noch harmlos ;) Aber es gibt auch immer wieder Angehörige, die erwarten, dass sich ihre Probleme ganz einfach dann lösen, wenn der Betroffene eine Therapie macht, an sich arbeitet und wieder "normal" wird. Und wenn der sich dann nicht schnell genug ändert, stehen sie da mit ihrem Problem und kriegen die Krise, weil der Betroffene nicht so funktioniert, wie sie es gerne hätten.
Es gab hier auch mal eine Angehörige, die ernsthaft erwartet hat, dass ihr depressiver Mann sie unterstützt, indem er ihr Hoffnung gibt und sagt, dass schon alles wieder gut wird und wie lange das noch ungefähr dauert, damit sie nicht immer so eine Ungewissheit hat usw. Sowas kann ein Depressiver in der Depression aber nicht leisten, das ist utopisch. Aber es geht ja immer nur darum, dass es dem Anderen wieder besser geht...

Tja, und dann geht es halt nicht so wie man sich das vorstellt: Wenn es in der Therapie ans Eingemachte geht, ist es dann doch ganz schön verwirrend und man hat mehr dran zu knabbern als man denkt und heult vielleicht mehr als sonst. Und dann sind die Angehörigen wieder betroffen und es geht ihnen schlecht, weil es dem Betroffenen ja wieder so schlecht geht, weil er ja wieder mehr heult als sonst und nicht mehr so oft lacht. Dass es ihnen schlecht geht, liegt dann am Betroffenen. Selbst wenn der Betroffene einfach nur Pech hatte, weil er blöderweise bei einem Arzt war, der unfreundlich und inkompetent ist, was er aber vorher ja nicht wissen konnte, ist die Hoffnung wieder enttäuscht (von Angehörigen und Betroffenem) und das Problem wird nicht kleiner. Das Problem ist aber die Depression und die hat der Betroffene.

Kann man sich als Angehöriger das nicht vorstellen, dass es stresst, wenn immer jemand mit zappelnden Füßen neben einem hockt und hofft, dass man alles richtig macht und es endlich schneller geht?


Ich vergleiche einen Depressiven gerne mit jemandem, der am Ertrinken ist. In der Depression kämpft man nur noch um sein Leben. Da kann man nicht nach links und rechts schauen. Ich glaube nicht, dass man einem Ertrinkenden oder jemandem, der aus einem brennenden Haus flüchtet, vorwerfen würde, er wäre egoistisch.
Ich denke nicht, dass Depressive egoistischer sind als Nichtdepressive. Ich denke, die Intensität des Problems ist anders. Und die kann man sich als Nichtbetroffener scheinbar nicht vorstellen, was ich hier so mitbekomme. Das soll nicht heißen, dass euer Problem nicht schlimm ist. Aber bei Depressionen gehts nicht einfach "nur" um Trennungen, Beziehung, Kommunikationsprobleme oder was weiß ich. Bei Depressionen kämpft man innerlich um sein Leben! Jeden Tag. Völlig unabhängig davon, was man nach außen hin für Probleme hat.

Ihr steht vielleicht vor der vollen Badewanne und denkt euch, der Depressive, der da drin badet, soll sich nicht so aufführen und nicht ständig mit den Händen ins Wasser hauen, dass das halbe Bad überschwemmt wird. Hinterher seid ihr dann wieder diejenigen, die den Boden trocken wischen müssen. Aber auch in einer Badewanne kann man ersaufen. Und sobald man mal keine Luft mehr kriegt, fängt man an zu kämpfen. Und in dem Fall wäre es mir scheißgal, ob derjenige, der daneben steht, nass wird oder nicht und wie das Bad hinterher aussieht. Ich kämpfe da auch ums Überleben, auch wenn es nur die Badewanne und nicht das offene Meer ist.

Depressive sind meiner Meinung nach nicht egoistischer als andere. Sie sind einfach nur in einer ganz anderen Situation.

Liebe Grüße,
DieNeue


P.S. ... sorry für die drastischen Bilder, die Moderation kann den Text gern kürzen, falls es zu triggernd sein sollte.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 28. Jan 2020, 21:40
von Inchen517
„Depressive sind meiner Meinung nach nicht egoistischer als andere. Sie sind einfach nur in einer ganz anderen Situation.“

Genau das meine ich mit „anderer Blickwinkel“

Und weder angehöriger noch betroffener kann sich in die situation des anderen hineinversetzen. Zumindest geht es mir so. Und das ist niederschmetternd. Ich fühl mich fast schon schuldig, dass ich nicht helfen kann. Dass ich nicht nachvollziehen kann, wie er sich fühlt. Dass ich ihn zusätzlich unter druck setze. Da kann man stunden drüber philosophieren und kommt doch zu keinem nenner.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 29. Jan 2020, 01:07
von DieNeue
Hallo Inchen,

ah okay, jetzt verstehe ich.
Du brauchst kein schlechtes Gewissen haben, weil du nicht helfen und dich nicht ganz reinversetzen kannst.
Meine Eltern haben z.B. genügend "Fehler" gemacht im Umgang mit mir und trotzdem weiß ich, dass es nur gut gemeint war, sie auch nicht mehr wussten als ich und mittlerweile bin ich sehr dankbar, dass sie für mich da waren/sind, wir zusammenhalten und ich mich auf sie verlassen kann - auch wenn ich mich früher manchmal auch mal im Stich gelassen gefühlt habe oder sie mir nicht helfen konnten. Es ist die Gesamtmenge an Erlebnissen, die am Ende ein Gesamtbild ergeben.
Natürlich ist es ungünstig dem Betroffenen Druck zu machen, aber das ist ja auch schwer zu vermeiden. Es ist meiner Meinung nach kein Weltuntergang, wenn man einen "Fehler" gemacht hat - auch wenn es für den Betroffenen vielleicht so aussieht. Ihr dürft auch mal Fehler machen, so wie jeder andere auch. Ihr müsst nicht alles perfekt machen.

Die Antwort auf deine pn kommt noch.

Liebe Grüße,
DieNeue

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 29. Jan 2020, 07:02
von Lieblingsuli
DieNeue hat geschrieben:Meine Eltern haben z.B. genügend "Fehler" gemacht im Umgang mit mir und trotzdem weiß ich, dass es nur gut gemeint war, sie auch nicht mehr wussten als ich und mittlerweile bin ich sehr dankbar, dass sie für mich da waren/sind, wir zusammenhalten und ich mich auf sie verlassen kann - auch wenn ich mich früher manchmal auch mal im Stich gelassen gefühlt habe oder sie mir nicht helfen konnten.
Meine Eltern sind seit August 2014 nicht mehr auf dieser Welt. Dafür arbeite ich mich momentan an meinen Schwiegereltern ab.

Zu diesem Thema gibt es höchst erhellende Seiten im Internet, die ich teilweise auch schon an meine Frau kommuniziert habe.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 29. Jan 2020, 22:49
von Camille
Ich finde den Austausch für mich gerade sehr hilfreich.

Gesunder Egoismus?

Für mich persönlich etwas, was ganz ursächlich "meine Störung" ausmacht. Das Fehlen von GESUNDEN! Egoismus.
Das für mich beinhaltet, mich selbst als "wertvoll" zu erleben. Damit mir selbst einen "Platz" zugestehen zu können, egal ob innerhalb der Familie, "Freunde", der Arbeitswelt.... - und damit auch mich und diesen Platz verteidigen können, für mich einstehen können, mich selbst schützen können..... Das fehlte mir, seit ich denken und fühlen kann.

Was daraus resultierte ist ein Verhalten, das egoistischer nicht mehr geht. Ständige Zweifel, Grübeln, Ängste, Sorgen - haben dazu geführt, dass ich gedanklich und gefühlsmäßig mich oft nur noch "um mich selbst gedreht" habe - mein Umfeld gar nicht mehr wahrgenommen habe ...

Ich habe das alles gesehen - das war und ist immer noch "der größte Schmerz" von dieser ganzen Störung - mir eingestehen zu müssen, wie sehr alle um mich herum "unter mir leiden". Ich sehe das, was du beschreibst Inchen.
Ich konnte es lange Jahre SELBST nicht ändern.
Und das nicht zu schaffen, hat verstärkt dazu geführt, mich selbst noch mehr als "Versager" zu fühlen, dem nicht zu helfen ist.

Ein Teufelskreis.

Ich versuche mit Hilfe eines Therapeuten und mit Medikamenten einen Weg raus zu finden. Es ist unendlich schwer - immer wieder bricht der mühsam erkämpfte dünne Boden unter mir weg und ich stürze wieder -

Liebe Inchen - ich verstehe, was du meinst, wenn du davon sprichst, dass Betroffene egal ob sie Hilfe einfordern oder sich zurückziehen egoistisch handeln. Und ich sehe, wie viel Kraft es euch Angehörigen kostet.
Das macht mich unendlich traurig - Ich weiß, so ist es auch für mein Umfeld.
Ich möchte es nicht - und doch bin ich so, trotz aller "Anstrengung".
Und in meinem Fall gibt es keine "Episoden" …

Ich habe den Faden verloren -
ich glaube, dass ich nur schreiben wollte, dass ich als Betroffene all das durchaus wahrnehme und leider trotzdem nicht "geändert" bekomme.

Liebe Grüße
Camille

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 00:49
von shivaladiva
Hallo Ihr Lieben,

habe gerade mal die letzten Beiträge hinsichtlich Egoismus durchgelesen. Meine Meinung: wären wir Depris egoistischer - so wie nicht von dieser Krankheit Betroffene - hätten wir diese Erkrankung vermutlich nicht und wären wie der Rest der 'Masse'. Deshalb möchte ich aber dennoch nicht egoistischer werden, möchte mir meine Sensitivität und Sensibilität, meine Spiritualität lieber bewahren und lernen, mit dieser Krankheit zu leben, als 'mit dem Strom der sogenannten Normalen zu schwimmen'!

Vielleicht kennen einige von Euch das - wie ich finde sehr gute Buch - von Dr. Manfred Lütz: Irre - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde. Darin ist die wirkliche Problematik sehr gut dargestellt und das ist endlich mal ein Arzt, der eine Lanze für die Psychiatrie und psychisch Erkrankte bricht und mit etlichen Tabus bricht.

Oder so wie es mal ein Thera sagte: Die Depressiven sind die im Grunde die wunderbarsten Menschen, die man sich nur an seiner Seite wünschen kann: voller Empathie und stets hilfsbereit - und genau das scheint mir zumindest eher das Problem zu sein: Wir sind lieber für andere da, als für uns selbst. So gesehen: uns fehlt anscheinend eher der gesunde Egoismus.

LG

Shiva :hello:

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 08:19
von soulivre
Moin @gesunder Egoismus ;-)
die Selbstaufgabe vor/in der Depression ist bei mir immer Thema gewesen.
Dabei war das Selbst wieder finden und zu gesunden u.a. die Aufgabe in stationären Aufenthalten.

Zuviel Emphatie in einer Beziehung, sich jeden Schuh anzuziehen, höhlt auf Dauer das eigene Selbst aus. Unbemerkt. Unachtsam.

Die "Lernzeit" hört wohl nie auf. Die Depri schon ;-)

Grüße

Soul

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 09:17
von Inchen517
[quote="Camille"]

Liebe Inchen - ich verstehe, was du meinst, wenn du davon sprichst, dass Betroffene egal ob sie Hilfe einfordern oder sich zurückziehen egoistisch handeln. Und ich sehe, wie viel Kraft es euch Angehörigen kostet.
Das macht mich unendlich traurig - Ich weiß, so ist es auch für mein Umfeld.
Ich möchte es nicht - und doch bin ich so, trotz aller "Anstrengung"[/quote]

Liebe Camille,

danke für deine Gedanken. Ich lese daraus etwas vorwurfsvolles dir gegenüber. das ist quatsch. ja, es ist ein sehr schweres und anstrengendes miteinander und es kostet viel kraft mit einem betroffenen eine Beziehung zu führen. aber, jeder mensch hat für sein leben die Regie. nur er alleine bestimmt wie sein leben aussehen soll und wenn ich mich entscheide, mit ihm zusammen zu sein, dann auch ohne wenn und aber.. die meiste zeit sehe ich es genau so. es gibt im Monat so 1-3 tage, an denen bin ich sehr wütend und sauer auf meinen freund. weil es nicht voran geht (aus meiner sicht), weil er sich keine hilfe holt, usw.. aber nichtsdestotrotz, ich habe zu jeder zeit die Möglichkeit zu sagen, so mache ich das nicht mit. und solange ich das nicht tue, darf ich auch nicht sauer sein. also grummel ich die paar tage in meinen nicht vorhandenen bart und dann ist wieder gut.. Camille, du tust doch etwas!!! das ist großartig!! sei stolz auf dich, dass du den mut hast, deine Probleme anzupacken!! Viel erfolg weiterhin!

@ Kolibri: Danke dir!!! :) Auch eine völlig fremde Person kann gute Worte zusprechen :)

@ shiva: den letzten absatz deines Posts würde ich sogar unterschreiben. aber, auch "nur" angehörige sind durchaus in der lage empathisch zu sein. sonst wären wir nämlich keine angehörigen. und abgesehen davon ist doch jeder mensch einzigartig.. es gibt keine normale schwimmende masse.

Grüße, Inchen

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 09:30
von Lieblingsuli
Inchen517 hat geschrieben:aber, jeder mensch hat für sein leben die Regie. nur er alleine bestimmt wie sein leben aussehen soll und wenn ich mich entscheide, mit ihm zusammen zu sein, dann auch ohne wenn und aber..
Ich beschäftige mich aus eigenem Interesse schon länger mit der Institution der Ehe und muss hier etwas dazu schreiben.

In der Ehe gibt der Mensch ein Stück seiner Selbstständigkeit auf, um etwas Größeres zu erreichen. Damit geht aber auch die Übernahme von Verantwortung für den Ehepartner einher. Dann darf er eben nicht mehr alleine entscheiden, sondern muss nach einem Weg suchen, der die Interessen beider Ehepartner berücksichtigt. Kompromisse müssen geschlossen werden. Das ist in der heutigen Zeit immer weniger möglich und setzt auch den freien Willen von Mann und Frau voraus.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 09:34
von Inchen517
Lieblingsuli, dem ist nichts hinzuzufügen.. Das sehe ich genauso!

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 10:18
von DieNeue
@ Kolibri2: Nein, warum?

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 13:16
von Inchen517
Hallo Kolibri2,

ich finde du hast recht mit dem Argument, dass dies ein Angehörigen- Austausch ist und die Betroffenen sich, sagen wir mal "etwas zurückhalten müssen". Aber, nichtsdestotrotz finde ich die Beiträge von Betroffenen hier in "unserem" Forum Gold wert. Ich glaube, es gibt viele Angehörige unter uns, die oftmals überfordert sind, sich nicht zu helfen wissen, im Umgang mit ihren doch eigentlich nahestehenden Angehörigen. Dann einen Beitrag von einem Betroffenen zu lesen, der es schafft, sich so zu öffnen, finde ich bemerkenswert und hilfreich zugleich. Ich für mich muss sagen, das ist genau das, was mir mit meinem Freund fehlt und es hilft mir ungemein, deren Ansichten zu lesen. Aber es kann halt jeder nur so wie er eben kann. DieNeue kann, mein Freund nicht. Ich finde, das sollte auf jeden Fall positiv erwähnt sein. Außerdem kann ich von mir behaupten, dass ich mich nicht eingeschränkt sehe, zu schreiben, was mir auf der Seele liegt, obwohl ich weiß, dass auch Betroffene mitlesen. Ich denke bzw. ich hoffe, dass sie sich mit dem hier gelesenen nicht überfordern. Es geht nicht darum, dass die Betroffenen hier den Zeigefinger heben und schimpfen, was wir Angehörigen nur für böse Meinungen haben. So ist es, denke ich, nicht gemeint.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 14:23
von DieNeue
@ Kolibri2:
Meine Eltern hatten beide einen Burnout/Depressionen. Ihnen ging es nicht ganz so beschissen wie mir, aber ganz unbekannt ist mir die andere Seite auch nicht. Ich weiß auch, wie es ist, wenn man vor der Schlafzimmertür steht und sich nicht reingehen traut, weil man nicht weiß, warum es da drin so ruhig ist... ob der andere noch lebt oder nicht. Nur so viel dazu.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 30. Jan 2020, 16:19
von Succubus
Kolibri2 hat geschrieben:DieNeue

Wegen deinen Beiträgen hier. Ich finde sie deplaziert, weil du nicht nachvollziehen kannst, wie kräftezehrend es ist, tagtäglich mit einem depressiven Menschen unter einem Dach zu leben.
Die Rubrik sollte überwiegend dem Austausch Angehöriger vorbehalten sein.

Deine Erwartungen auf Rücksichtsnahme sind zu hoch gesteckt.

Mehr sage ich dazu nicht, weniger wollte ich aber auch nicht
Hallo Kolibri,

ich möchte Dir jetzt einfach mal eine andere Seite der gleichen Medaille nennen:
Auch für uns Betroffene kann es furchtbar kräftezehrend sein mit einem nicht-depressiven und vielleicht sogar verständnislosen Partner/Familienmitglied unter einem Dach zu leben. Fortschritte werden nicht wahrgenommen, manchmal einfach abgetan. Es taucht regelmäßig die Forderung auf dass man doch bitte wieder funktionieren soll ("Ich will dass es so ist wie früher"), man solle sich doch mehr anstrengen und sich mal zusammenreißen, etc. Und wenn man sich dann auch noch erdreistet aus einem krankmachenden System auszusteigen (z.B.: Wechselwirkung der Charaktere in einer Beziehung, Abnabelung von egozentrischen Familienmitgliedern) um gesund zu werden, sind Angehörige ganz schockiert und sehen ihren Anteil an dem großen Ganzen nicht.


Es ist anmaßend zu unterstellen, dass das Gegenüber nicht nachvollziehen kann wie etwas ist, ohne zu wissen ob ähnliche Erfahrungen gemacht wurden.

Diese Rubrik dient nach wie vor überwiegend dem Austausch von Angehörigen, egal ob nun einige wenige Betroffene hier mal reinschauen und schreiben(was im Übrigen nicht untersagt ist). Es gab bereits schon viel positive Rückmeldung wenn ein Betroffener versucht hat, Dinge zu erklären.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 31. Jan 2020, 03:15
von FrequentFlyer
Hallo ihr Lieben!

Vorab: Ich finde nicht das sich hier irgendjemand zurück halten muss. Wir wollen hier einen offenen und ehrlichen Austausch. Alles andere würde dem Sinn eines anonymen Forums widersinnig erscheinen lassen. Das heißt aber auch, dass wer hier ein Statement abgibt, auch mit Gegenwind rechnen muss – und das meine ich nicht negativ. Streit kann sehr produktiv sein auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sieht. Also bitte, immer raus damit was euch beschäftigt und stört. Nicht lange nachdenken, sonder raus damit – ehrlich und offen.

Ich habe diese „Egoismusdiskussion“ gelesen und habe ein paar Anmerkungen dazu, denn das Thema Egoismus bzw. fehlender Egoismus in Bezug auf Empathie war öfters Thema zwischen mir und meiner Freundin.

Ich mag es nicht Egoismus zu nennen – mir fällt aber auch kein besseres Wort ein.
Ich mag nicht dieses Konzept der sich ausgleichenden Egoismen – letztlich die moralische Grundlage des Kapitalismus – wenn alle sich egoistisch verhalten, dann profitieren alle. Dabei wird aber davon ausgegangen, dass alle gleichstark sind und es damit keine Übervorteilung gibt. So ist aber das Leben nicht.
Aber was mich viel mehr an dem Begriff Egoismus stört, ist das da immer ein „auf Kosten eines anderen“ und „rücksichtslos“ mitschwingt. Aber genau das wollen wir ja nicht. Umgangssprachlich ist ja auch Egoismus negativ besetzt. Und so kann es auch kein positiver Egoismus geben, denn er würde immer aus einem Übervorteilen eines anderen bedeuten.
Mir ist schon klar das hier der Begriff Egoismus nicht so verwendet wird. Ist es nicht eher Eigenliebe, sich selbst wertschätzen, oder einfach nur Selbsterhaltung? Was meint ihr?

Ich mag auch nicht das „Gerede“ über Empathie – wenn sich Menschen als total empathisch bezeichnen. Warum? Es ist nun mal ein Unterschied ob man glaubt sich in die Einstellungen anderer einzufühlen zu können, oder ob man es tatsächlich kann. Weiter oben in diesem Thread war es schon einmal Thema: Wenn meine Freundin sagt, sie würde mir viel Schmerzen ersparen wenn sie die Beziehung mit mir beendet, dann hat sie einen wichtigen Punkt außer Acht gelassen: Dies kann einzig und alleine ich selbst entscheiden, was ich als Schmerz bereit bin zu ertragen. In dem Fall ist es keine Empathie, sondern einfach nur Projektion: Sie glaubt (hier aus ihrer depressiven Sichtweise heraus) das ich dies nicht ertragen kann. Ich kann es aber. Es ist einzig und alleine meine Entscheidung was ich bereit bin mitzumachen. Ich weiß aus diesem Forum hier, dass sich viele Betroffene als zu sehr empathisch sehen und dies unter anderem ihr Problem sei. Seid ihr euch sicher oder ist es nur eine Legende? Wie gesagt, zu glauben man könne sich in jemanden anderen hineinzuversetzen heißt noch lange nicht das man dies kann. Dazu bedarf es Rückkoppelungen, wie etwa den Diskurs, die Auseinandersetzung, die Konversation, den Streit. Und letztlich das Vertrauen, das wenn der Angehörige, der Partner sagt das alles okay ist. Hey, dann ist alles okay. Manchmal ist es ganz einfach.

Und noch etwas was ich nicht mag und hier gelesen habe: Die Idealisierung von Ehe oder einer Partnerschaft. Wenn man in solch einer Partnerschaf ein Stück weit seine Selbständigkeit aufgibt und Verantwortung für den Partner übernimmt um etwas größeres zu erreichen.... ey, das meint ihr jetzt nicht wirklich ernst, oder? Verantwortung haben wir immer und zu jeder Zeit nur für uns selbst. Und nur wenn wir dies angenommen haben, können wir Verantwortung für jemand anders übernehmen, wie etwa Kinder. Aber doch niemals für einen Partner. Jetzt eher humoristisch gemeint und schon mal gar nicht unter dem Aspekt von Depressionen: Ich weiß das Frauen immer meinen sie könnten Männer ändern. Vergisst es, ein für allemal. Man kann aus einem alten Esel nie ein Rennpferd machen.

So, und bei alldem was ich geschrieben habe, geht es vor allen Dingen meiner Meinung nach um Grenzen. Setzt einfach mal Grenzen – so konsequent wir ihr halt könnt.
Was für Hilfe könnt ihr als Angehörige tatsächlich leisten? Ist es auch tatsächlich eine Hilfe oder dient es nur euren Interessen? Ich für mich habe all diese Fragen beantwortet, die sich für Partner bzw. Angehörige stellen: Ist mir gerade mal egal. Ist nicht meine Krankheit. Ist nicht meine Depression. Ist trotzdem die Frau die ich liebe, die ich mag.

LG

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 2. Feb 2020, 12:11
von Mariebell55
...also ich denke es kommt immer darauf an in welcher Phase der Depressive gerade ist. Wenn du in deinem Loch, deiner Abwärtsspirale steckst, kannst du keinen klaren Gedanken fassen. Dann bist du innerlich wie tot, fühlst eigentlich nichts.. Das Angehörige oder allgemein andere Menschen auch ihre Probleme haben dringt dann garnicht zu einem durch. Ich hab das auch ganz oft zu hören bekommen, wenn's mir wieder etwas besser ging und ich aufnahmefähig war. Dann kamen Sätze wie:" Denkst du, ich hab keine Probleme? Glaubst du, nur dir geht es schlecht? " Aber auch das ist so ne Gratwanderung.. ein Teil von mir kapiert dann schon " aha, auch andere Leute haben Probleme" ...dann kommt das Schuldbewußtsein.. " und du machst dieser Person noch zusätzlich das Leben schwer"...und schon dreht sich die Spirale wieder...
War ein langes und hartes Stück Arbeit und erfordert einen guten Therapeuten das alles ins richtige Maß zu setzen. Was nicht heißt, das die alte Denkweise komplett der Vergangenheit angehört. Ist eher ein lebenslanges und ständiges Arbeiten an sich!
LG an alle und einen erholsamen Sonntag wünscht euch Petra.

Re: Umgang mit depressiven Angehörigen

Verfasst: 8. Feb 2020, 01:25
von DieNeue
Hallo zusammen,

ich wollte auch nochmal was zu dem Thema sagen, dass sich Betroffene oft so schwertun eine Beziehung einzugehen oder sich lieber trennen mit der Aussage, man wolle das dem Anderen nicht antun:
Ich als Betroffene kenne mein Innenleben, ich weiß, was da den ganzen Tag an negativen Gedanken, Gefühlen usw. rumschwirrt und wie mir das das Leben schwer macht. Ich weiß, wie furchtbar das ist und ich würde mir diese Krankheit niemals aussuchen. Da kann ich mir schwer vorstellen, dass sich das jemand freiwillig antut - auch wenn er das nur indirekt mitbekommt, weil er die Krankheit nicht selbst hat, sondern sie nur von außen erlebt.

Ich habe auch immer die Befürchtung, dass der Andere die Krankheit komplett unterschätzt. Das ist nämlich auch tatsächlich das, was ich immer wieder bei anderen Leuten als Reaktion erlebe, wenn ich mal etwas detaillierter beschreibe, wie mein Alltag, meine Probleme, meine Einschränkungen und mein Innenleben aussehen.
Man muss schon sehr nah an meinem Leben dran sein, dass man das richtig einschätzen kann.

Meine frühere beste Freundin sagte auch immer, sie versteht mich... sie versteht ja, dass ich das und das nicht mehr kann. Fakt ist aber, dass sie nicht viel verstanden hat, das wurde an ihrem Verhalten deutlich, und schlussendlich ist die Freundschaft auch daran zerbrochen, weil sie mit meinen Einschränkungen überhaupt nicht zurecht kam. Sie ist Sozialarbeiterin, von daher auch nicht ganz unvertraut mit dem Thema.
Deshalb wäre ich skeptisch, wenn jemand z.B. sagt, er hält das aus, obwohl er mich noch gar nicht gut kennt. Von jemandem, der mich gut kennt, könnte ich das besser annehmen. Und das Verständnis muss sich auch durch das Handeln "beweisen", viel reden kann man ja immer.

Vielleicht könnt ihr was damit anfangen.

Camille, du schreibst, dass dein Verhalten so egoistisch ist, wie es schlimmer nicht geht. Ich denke, es geht schon noch schlimmer, z.B. wenn es jemandem egal ist, ob er egoistisch ist oder nicht, wenn er mit Absicht andere übervorteilt. Aber das machst du ja nicht.

Liebe Grüße,
DieNeue