Re: Umgang mit depressiven Angehörigen
Verfasst: 28. Jan 2020, 20:07
Hallo Inchen,
Ich hab das geschrieben, weil ich hier in letzter Zeit immer wieder lese, dass Depressive sich so egoistisch verhalten.
Ich finde es allerdings unfair, so generell zu sagen, Depressive oder depressives Verhalten sei egoistisch.
Ich habe da viel drüber nachgedacht und mich selbst hinterfragt. Ich weiß, dass meine Familie und v.a. meine Eltern es sehr schwer mit mir hatten. Ich verstehe, dass das Verhalten eines Depressiven oft extrem egoistisch rüberkommt und vielleicht auch ist.
Für mich hört sich das hier im Angehörigenforum aber immer so an, als wären die Depressiven total egoistisch und die Angehörigen ja so selbstlos.
Ich finde es super, wenn sich Angehörige um die Betroffenen kümmern und sich hier austauschen. Das auf jeden Fall, versteht mich bitte nicht falsch. Und ich sehe auch, dass ihr was richtig macht und euer Bestes gebt.
Ich schreibe hier schon seit fast vier Jahren mit und ich könnte mir hier aber ehrlich gesagt auch immer wieder die Haare raufen, wenn ich lese, was manche von ihren Betroffenen wollen. Und im gleichen Atemzug sagen, sie hätten überhaupt keine Erwartungen, sie wollen ja "nur", dass es dem anderen besser geht.
Ich weiß nicht, wieso manche nicht verstehen, dass allein der Wunsch, dass es dem Anderen besser geht, dem Betroffenen schon Druck machen kann. Als Betroffener muss man ständig an sich arbeiten, man ist der einzige, der voll für sich und seine Entwicklung verantwortlich ist. Man ist derjenige, der mit dem Therapeuten zurechtkommen muss, der mit der Therapieart klarkommen muss, der sich nen Arzt suchen muss, der kompetent und zumindest einigermaßen menschlich ist, vielleicht x Therapeuten seine Geschichte erzählen muss, bis er den passenden gefunden hat, sich wildfremden Leuten öffnen muss, jeden Tag jede Minute auf seine Symptome achten muss, dass er sich nicht übernimmt, sich nicht überfordert, dass die Stimmung nicht kippt. Der ständig mit den Symptomen zu kämpfen hat, wo man manchmal nicht mehr weiß, an welcher Baustelle man zuerst anfangen soll und wie man alles beisammen halten soll. Und das alles hat dann auch noch Einfluss darauf wie es anderen geht, auf die man zusätzlich auch noch Rücksicht nehmen soll und deren Problem man teilweise am besten auch noch mitlösen soll.
Du bist da ja noch harmlos Aber es gibt auch immer wieder Angehörige, die erwarten, dass sich ihre Probleme ganz einfach dann lösen, wenn der Betroffene eine Therapie macht, an sich arbeitet und wieder "normal" wird. Und wenn der sich dann nicht schnell genug ändert, stehen sie da mit ihrem Problem und kriegen die Krise, weil der Betroffene nicht so funktioniert, wie sie es gerne hätten.
Es gab hier auch mal eine Angehörige, die ernsthaft erwartet hat, dass ihr depressiver Mann sie unterstützt, indem er ihr Hoffnung gibt und sagt, dass schon alles wieder gut wird und wie lange das noch ungefähr dauert, damit sie nicht immer so eine Ungewissheit hat usw. Sowas kann ein Depressiver in der Depression aber nicht leisten, das ist utopisch. Aber es geht ja immer nur darum, dass es dem Anderen wieder besser geht...
Tja, und dann geht es halt nicht so wie man sich das vorstellt: Wenn es in der Therapie ans Eingemachte geht, ist es dann doch ganz schön verwirrend und man hat mehr dran zu knabbern als man denkt und heult vielleicht mehr als sonst. Und dann sind die Angehörigen wieder betroffen und es geht ihnen schlecht, weil es dem Betroffenen ja wieder so schlecht geht, weil er ja wieder mehr heult als sonst und nicht mehr so oft lacht. Dass es ihnen schlecht geht, liegt dann am Betroffenen. Selbst wenn der Betroffene einfach nur Pech hatte, weil er blöderweise bei einem Arzt war, der unfreundlich und inkompetent ist, was er aber vorher ja nicht wissen konnte, ist die Hoffnung wieder enttäuscht (von Angehörigen und Betroffenem) und das Problem wird nicht kleiner. Das Problem ist aber die Depression und die hat der Betroffene.
Kann man sich als Angehöriger das nicht vorstellen, dass es stresst, wenn immer jemand mit zappelnden Füßen neben einem hockt und hofft, dass man alles richtig macht und es endlich schneller geht?
Ich vergleiche einen Depressiven gerne mit jemandem, der am Ertrinken ist. In der Depression kämpft man nur noch um sein Leben. Da kann man nicht nach links und rechts schauen. Ich glaube nicht, dass man einem Ertrinkenden oder jemandem, der aus einem brennenden Haus flüchtet, vorwerfen würde, er wäre egoistisch.
Ich denke nicht, dass Depressive egoistischer sind als Nichtdepressive. Ich denke, die Intensität des Problems ist anders. Und die kann man sich als Nichtbetroffener scheinbar nicht vorstellen, was ich hier so mitbekomme. Das soll nicht heißen, dass euer Problem nicht schlimm ist. Aber bei Depressionen gehts nicht einfach "nur" um Trennungen, Beziehung, Kommunikationsprobleme oder was weiß ich. Bei Depressionen kämpft man innerlich um sein Leben! Jeden Tag. Völlig unabhängig davon, was man nach außen hin für Probleme hat.
Ihr steht vielleicht vor der vollen Badewanne und denkt euch, der Depressive, der da drin badet, soll sich nicht so aufführen und nicht ständig mit den Händen ins Wasser hauen, dass das halbe Bad überschwemmt wird. Hinterher seid ihr dann wieder diejenigen, die den Boden trocken wischen müssen. Aber auch in einer Badewanne kann man ersaufen. Und sobald man mal keine Luft mehr kriegt, fängt man an zu kämpfen. Und in dem Fall wäre es mir scheißgal, ob derjenige, der daneben steht, nass wird oder nicht und wie das Bad hinterher aussieht. Ich kämpfe da auch ums Überleben, auch wenn es nur die Badewanne und nicht das offene Meer ist.
Depressive sind meiner Meinung nach nicht egoistischer als andere. Sie sind einfach nur in einer ganz anderen Situation.
Liebe Grüße,
DieNeue
P.S. ... sorry für die drastischen Bilder, die Moderation kann den Text gern kürzen, falls es zu triggernd sein sollte.
Welchen Blickwinkel meinst du?Inchen517 hat geschrieben: Betroffene haben ja diesen blickwinkel gar nicht.. oder doch?!
Ich hab das geschrieben, weil ich hier in letzter Zeit immer wieder lese, dass Depressive sich so egoistisch verhalten.
Ich finde es allerdings unfair, so generell zu sagen, Depressive oder depressives Verhalten sei egoistisch.
Ich habe da viel drüber nachgedacht und mich selbst hinterfragt. Ich weiß, dass meine Familie und v.a. meine Eltern es sehr schwer mit mir hatten. Ich verstehe, dass das Verhalten eines Depressiven oft extrem egoistisch rüberkommt und vielleicht auch ist.
Für mich hört sich das hier im Angehörigenforum aber immer so an, als wären die Depressiven total egoistisch und die Angehörigen ja so selbstlos.
Ich finde es super, wenn sich Angehörige um die Betroffenen kümmern und sich hier austauschen. Das auf jeden Fall, versteht mich bitte nicht falsch. Und ich sehe auch, dass ihr was richtig macht und euer Bestes gebt.
Ich schreibe hier schon seit fast vier Jahren mit und ich könnte mir hier aber ehrlich gesagt auch immer wieder die Haare raufen, wenn ich lese, was manche von ihren Betroffenen wollen. Und im gleichen Atemzug sagen, sie hätten überhaupt keine Erwartungen, sie wollen ja "nur", dass es dem anderen besser geht.
Ich weiß nicht, wieso manche nicht verstehen, dass allein der Wunsch, dass es dem Anderen besser geht, dem Betroffenen schon Druck machen kann. Als Betroffener muss man ständig an sich arbeiten, man ist der einzige, der voll für sich und seine Entwicklung verantwortlich ist. Man ist derjenige, der mit dem Therapeuten zurechtkommen muss, der mit der Therapieart klarkommen muss, der sich nen Arzt suchen muss, der kompetent und zumindest einigermaßen menschlich ist, vielleicht x Therapeuten seine Geschichte erzählen muss, bis er den passenden gefunden hat, sich wildfremden Leuten öffnen muss, jeden Tag jede Minute auf seine Symptome achten muss, dass er sich nicht übernimmt, sich nicht überfordert, dass die Stimmung nicht kippt. Der ständig mit den Symptomen zu kämpfen hat, wo man manchmal nicht mehr weiß, an welcher Baustelle man zuerst anfangen soll und wie man alles beisammen halten soll. Und das alles hat dann auch noch Einfluss darauf wie es anderen geht, auf die man zusätzlich auch noch Rücksicht nehmen soll und deren Problem man teilweise am besten auch noch mitlösen soll.
Du bist da ja noch harmlos Aber es gibt auch immer wieder Angehörige, die erwarten, dass sich ihre Probleme ganz einfach dann lösen, wenn der Betroffene eine Therapie macht, an sich arbeitet und wieder "normal" wird. Und wenn der sich dann nicht schnell genug ändert, stehen sie da mit ihrem Problem und kriegen die Krise, weil der Betroffene nicht so funktioniert, wie sie es gerne hätten.
Es gab hier auch mal eine Angehörige, die ernsthaft erwartet hat, dass ihr depressiver Mann sie unterstützt, indem er ihr Hoffnung gibt und sagt, dass schon alles wieder gut wird und wie lange das noch ungefähr dauert, damit sie nicht immer so eine Ungewissheit hat usw. Sowas kann ein Depressiver in der Depression aber nicht leisten, das ist utopisch. Aber es geht ja immer nur darum, dass es dem Anderen wieder besser geht...
Tja, und dann geht es halt nicht so wie man sich das vorstellt: Wenn es in der Therapie ans Eingemachte geht, ist es dann doch ganz schön verwirrend und man hat mehr dran zu knabbern als man denkt und heult vielleicht mehr als sonst. Und dann sind die Angehörigen wieder betroffen und es geht ihnen schlecht, weil es dem Betroffenen ja wieder so schlecht geht, weil er ja wieder mehr heult als sonst und nicht mehr so oft lacht. Dass es ihnen schlecht geht, liegt dann am Betroffenen. Selbst wenn der Betroffene einfach nur Pech hatte, weil er blöderweise bei einem Arzt war, der unfreundlich und inkompetent ist, was er aber vorher ja nicht wissen konnte, ist die Hoffnung wieder enttäuscht (von Angehörigen und Betroffenem) und das Problem wird nicht kleiner. Das Problem ist aber die Depression und die hat der Betroffene.
Kann man sich als Angehöriger das nicht vorstellen, dass es stresst, wenn immer jemand mit zappelnden Füßen neben einem hockt und hofft, dass man alles richtig macht und es endlich schneller geht?
Ich vergleiche einen Depressiven gerne mit jemandem, der am Ertrinken ist. In der Depression kämpft man nur noch um sein Leben. Da kann man nicht nach links und rechts schauen. Ich glaube nicht, dass man einem Ertrinkenden oder jemandem, der aus einem brennenden Haus flüchtet, vorwerfen würde, er wäre egoistisch.
Ich denke nicht, dass Depressive egoistischer sind als Nichtdepressive. Ich denke, die Intensität des Problems ist anders. Und die kann man sich als Nichtbetroffener scheinbar nicht vorstellen, was ich hier so mitbekomme. Das soll nicht heißen, dass euer Problem nicht schlimm ist. Aber bei Depressionen gehts nicht einfach "nur" um Trennungen, Beziehung, Kommunikationsprobleme oder was weiß ich. Bei Depressionen kämpft man innerlich um sein Leben! Jeden Tag. Völlig unabhängig davon, was man nach außen hin für Probleme hat.
Ihr steht vielleicht vor der vollen Badewanne und denkt euch, der Depressive, der da drin badet, soll sich nicht so aufführen und nicht ständig mit den Händen ins Wasser hauen, dass das halbe Bad überschwemmt wird. Hinterher seid ihr dann wieder diejenigen, die den Boden trocken wischen müssen. Aber auch in einer Badewanne kann man ersaufen. Und sobald man mal keine Luft mehr kriegt, fängt man an zu kämpfen. Und in dem Fall wäre es mir scheißgal, ob derjenige, der daneben steht, nass wird oder nicht und wie das Bad hinterher aussieht. Ich kämpfe da auch ums Überleben, auch wenn es nur die Badewanne und nicht das offene Meer ist.
Depressive sind meiner Meinung nach nicht egoistischer als andere. Sie sind einfach nur in einer ganz anderen Situation.
Liebe Grüße,
DieNeue
P.S. ... sorry für die drastischen Bilder, die Moderation kann den Text gern kürzen, falls es zu triggernd sein sollte.