Depression in den Medien

tomroerich
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Re: Depression in den Medien

Beitrag von tomroerich »

Hallo Virginia,

Überforderung: Ich halte es für einen wesentlichen Aspekt der Depressionsproblematik, dass die Betroffenen (aus was für Gründen auch immer) zu keiner vernünftigen Balance zwischen Innen und Außen finden. Als Folge entsteht ein Energieproblem, eine Art inneres Ausbluten, das praktisch unbemerkt geschieht, weil die Außenorientierung als normal erlebt wird. Die Überforderung besteht dann darin, dass keine ausreichende Abgrenzung gegen die Einflüsse von außen mehr stattfindet, die Bewertung stimmt nicht. Man kann extrem stressige Dinge tun, solange man dabei keine persönlichen Grenzen überschreitet aber genau das tun Depr. oft und regelmäßig. Sie nehmen Erlebnisse in einer Weise ernst, die sie viel zu sehr involviert und sie lassen Energien abfließen, wo sie sich besser auf sich selbst besinnen sollten. Aber diesen Punkt finden sie meist nicht rechtzeitig, sie verpassen den Augenblick, wo man sich aus dem Scharmützel zurückziehen sollte.
Dadurch entsteht die Überforderung aber nicht eigentlich dadurch, was man tut sondern wie man es tut.
Andererseits ist diese Ernsthaftigkeit und das tiefe Engagement, das solche Menschen zeigen können, auch etwas sehr Wertvolles aber darin besteht wohl die Aufgabe der Depressionsbewältigung zu einem großen Teil: Die Balance zu finden und die inneren Energien nicht überzustrapazieren.

Gruß von

Thomas
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Captain Kirk
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Re: Depression in den Medien

Beitrag von Captain Kirk »

Hallo Thomas, danke für Deinen Text. Wieder mal treffsicher

gestern kam auf ARTE eine Reihe über Schizophrenie (die -also die Reihe- ich ganz gut und interessant fand). Da ging es unter anderem eben auch um die Wahrnehmung von Welt.

Sogenannte Gesunde gehen durch die Welt und filtern alles Widersprüchliche, Schmerzhafte, Wahnsinnige tatgtäglich ganz einfach ohne Probleme aus. Das erleichtert das Leben enorm.
Der (in diesem Falle) für Schizophrenie disponierte Mensch kann das nicht. Er nimmt diese belastenden Dinge stärker wahr und kann sie nicht einfach wegfiltern. Bis es dann irgendwann zum Supergau im Gehirn kommt.


Gruß
c.
triste
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Re: Depression in den Medien

Beitrag von triste »

Hallo Thomas,

das hiesse also, daß vor dem Gesundwerden immer das Erkennen des falschen Verhaltens und die Abänderung desselben stehen muß. Auf meinen Fall passt Deine Beschreibung sehr gut...meine erste (vermutl. falsche) Diagnose war Burn out und so war auch das Erleben meiner beruflichen Situation vor der Krankschreibung: alles hatte sich völlig verschoben, ich arbeitete nur noch oder ruhte mich aus, doch auch keine 100 Tage Ruhe hätten mir Erholung gebacht: so sehr war die Balance bereits ins Ungleichgewicht gerutscht.
Die 2 Jahre danach waren Schmerz und Lernen und heute stehe ich an dem Punkt, wo ich vorsichtig austesten muß, mein Erlerntes umzusetzen und wieder arbeiten zu gehen.
Ich habe Angst, aber auch ein bißchen das Gefühl, daß ich diesmal vielleicht imstande bin, es anders zu machen und meine Grenzen zu sehen, bevor ich sie blind überschreite.
Wie war das bei Dir? Ich kenne ein bißchen Deine Geschichte...bist Du nach und nach wieder in den Job zurück, oder spielte der zeitliche Umfang keine Rolle, sondern nur die innere Einstellung? Und hattest Du Rückfälle in alte Verhaltensmuster?

Gruß,
Virginia
tomroerich
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Re: Depression in den Medien

Beitrag von tomroerich »

Hallo Captain,

mir kommt da ein Gedanke, nur kann ich ihn schwer formulieren. Er geht in die Richtung, dass Probleme mit der Psyche vielleicht der Preis für einen allzu intensiven Kontakt mit dem Außen sind. Bzw. mit den Aspekten vom Außen, die uns erkennen lassen, dass es das Außen vielleicht gar nicht gibt. Zu verdreht? Macht nichts. War ins Unreine fabuliert...


Thomas
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tomroerich
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Re: Depression in den Medien

Beitrag von tomroerich »

Hallo Virginia,

ich würde sagen, das Problem muss noch viel weiter gefasst werden als "Zu viel Engagament im Job" Das ist eigentlich nur EIN Beispiel von vielen möglichen. Denn wenn du gelernt hast, die Distanz im Job zu finden, kannst du immer noch in deinen Beziehungen verbluten. Oder in anderen Zusammenhängen. Die Grenzziehung zwischen dir und der Welt ist ein sehr grundlegendes Problem und wenn sie dir gelingt, kannst du dich in jeder Situation schützen und abgrenzen. Es ist einfach sehr schwer zu beschreiben- es hat etwas damit zu tun, ein NEIN zu spüren und danach zu handeln. Es muss ein energiegeladenes NEIN sein, das auch Kraft hat, kein intellektuelles, überlegtes und eingeübtes. Man muss fühlen können, dass man nicht will und nicht kann und darauf vertrauen, dass man sich diese Reaktion erlauben darf und dass sie legitim ist. Man muss Wut spüren, wenn das nicht akzeptiert wird.
Und ich weiß heute, dass da immer ein bisschen NEIN war, ein klitzekleines nur- zu schwach, um mir Selbstbestimmung über mein Leben zu erlauben. Der Willes des Außen war meist stärker. Ich musste lernen, das NEIN als fundamantalen Impuls des Selbstschutzes ernst zu nehmen, so wie ich auch meine Hautoberfläche als körperliche Grenze für äußere Einflüsse ernst nehmen muss (Borderliner tun das nicht, sie verletzen selbst diese Grenze wie als Symbol für ihre Grenzenlosigkeit).

Ja, mein Job... Natürlich konnte ich es mir, wie du wohl auch, nicht erlauben, mit einer gefestigten inneren Einstellung neu anzufangen. Und eigentlich geht das auch gar nicht. Man braucht dieses vertraute Lebenssegment in genau dieser bekannten Form, um Veränderungen überhaupt fassbar zu machen. Man geht mit Vorsätzen hinein, versagt, macht alles falsch wie früher. Man verzweifelt daran und glaubt, dass Änderungen nicht möglich sind. Was da in einem wächst und dennoch nach langer Zeit eine echte Veränderung bedeutet, ist wie die griechische Sage von Sysiphos, der dazu verdammt war, immer den gleiche Felsen den Berg hinaufzurollen, der dann doch wieder hinabrollte. Eines Tages bleibt der Felsen doch oben liegen.

Im Moment steht es nicht gut mit meiner Firma (ich bin selbständig). Ich kämpfe seit 3 Jahren mit der Flaute und es sieht im Moment so aus, als würde ich den Kampf verlieren. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da hätte ich kein Auge mehr zu tun können. Ich sorge mich natürlich und frage mich auch, wie es dann weitergehen soll aber trotzdem steht mein Leben deshalb nicht in Frage, nicht ICH werde untergehen sondern ein Teil meines Lebens. Wer weiß, wofür dieser Platz geschaffen werden muss?

Gruß von

Thomas
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triste
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Re: Depression in den Medien

Beitrag von triste »

Hallo Thomas,
danke für die offene Antwort.
So, wie Du es beschreibst, sehe ich es auch.
"Ich musste lernen, das NEIN als fundamentalen Impuls des Selbstschutzes ernst zu nehmen"

Ich glaube, das ist ein ganz zentraler Punkt bei Depressiven, oder zumindest bei mir.
Ich werde sehen, ob mein Nein schon stark genug ist, im Berufsalltag zu bestehen...ich kann das überhaupt nicht einschätzen....aber ganz ohne Rückschritte und Blessuren wird es wohl nicht gehen...so ist das eben mit dem Lernen.
Tut mir leid, daß es Deiner Firma schlecht geht. Unserer Firma geht es auch schlecht. Ich werde demnächst zwar wieder dort arbeiten, aber wir werden alle 2005 entlassen, das steht schon fest.
Und dann werde ich in meiner Branche keinen Job mehr finden...zu alt, zu wenig belastbar, zu wenig bereit, sich aufzuopfern.
Aber ich kann es im Moment auch so sehen: Wer weiss, wofür es gut ist? Und was das Leben noch für mich bereit hält?

Ich finde Dein Fazit gut:
Nicht ICH werde untergehen, sondern nur ein Teil meines Lebens.

(Ich hoffe, Du bist inzwischen stark genug, nicht daran zu verzweifeln, eine Firma zu verlieren ist nochmal `ne andere Liga als nur den Job).

Ich habe einen Freund, der hat seit 13 Jahren eine Bar. Die wird er unter Umständen dicht machen müssen...die Leute gehen einfach schon zu lange nicht mehr saufen. Er nimmt es mit einem Schulterzucken und sagte mir: Dann fahr ich eben wieder Taxi...

Ich finde dieses Urvertrauen schön, daß man daran glauben kann, daß man es doch irgendwie schon schaffen wird.

Gruß,
Virginia
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