Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

cybolon
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von cybolon »

Hallo Maggy,

"Ich habe es geschafft und schaffe es immer wieder neu in solchen Situationen erstmal 3 mal tief Luft zu holen. Klappt wunderbar; denn danach kann ich mein Reptiliengehirn als solches erkennen und Herrin meiner Gedanken werden.
Es erfordert allerdings immer noch sehr viel Mut nicht gleich zu reagieren sondern mich darauf zu besinnen, dass das einzigste was ich wirklich in diesem Leben brauche die Luft zum Atmen ist; und der Rest kommt dann automatisch hinterher und so wie ich es brauche."

Danke für diese Sätze! Karftvoll, wunderbar!

Liebe Grüße
vom
cybolon
TearsforFears
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von TearsforFears »

"so ist das und solange LEIDEN (in den alten Mustern verharren)
einfacher ist als LÖSEN (ändern der eingefahrenen Gewohnheiten)
wird sich daran auch nix ändern."

Interessant, erinnert mich an das, was wir Sozialwissenschaftler "Pfadabhängigkeit" nennen. Dabei geht es um die Tendenz sozialer Systeme (z.B. politischer oder wirtschaftlicher Systeme) Institutionen beizubehalten, obwohl diese nicht mehr funktionieren oder durch funktionsfähigere ersetzt werden könnten. Die Gründe dafür liegen vor allem darin, dass institutionelle Wechsel zu unvorhersehbaren Veränderungen für das Gesamtsystem und seine Akteure führen können und außerdem in der Regel Kosten mit sich bringen. Ein suboptimales "Weiter so" wird dem vorgezogen.
Man wußte z.B. in der SU ja auch schon lange vor Gorbatschow um die Probleme der Planwirtschaft und noch nicht einmal er wollte eine völlige Abschffung, nur eine Reform...Aber dann kam es eben anders, weil Pfadabhängigkeit nicht alles ist

Vielleicht schleicht sich so was auch im individuellen menschlichen Verhalten ein. Wenn ich z.B. meine Agressionen nach Innen richte, führt dies oft zu Depressionen. Aber ich habe vielleicht Angst davor das zu ändern, weil ich mich vor den Folgen fürchte, wenn in Zukunft meine Agressionen offen zeige (wie reagietren die Mitmenschen etc.). Also ist ein "Weiter so" einfacher, selbst wenn es mich in die Depri treibt...
Dann würde man sich zwar nicht pauschal in die Depri "flüchten", aber man würde vor der Veränderung bestimmter Verhaltensweisen flüchten, die maßgeblich zur Depri beitragen...Wow, ist das interdisziplinär
Aber eigentlich hab ich keine Ahnung, das fällt mir nur gerade so ein.
cybolon
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von cybolon »

Hallo Tears,

was Dir gerade so einfällt, ist nicht nur sehr wohl Ahnung, es ist sogar überzeugend!

Nachdem ich das mit der "Weiter-so" -Tendenz aus einem (für mich) neuen Blickwinkel sehe, bekenne ich mich schuldig. Ja, ich habe verdammt viel Angst, vor Veränderungen meiner selbst, sowie der Beziehungen zuhause und am Arbeitsplatz.
Und ja, der "Weiter-so-Teufel" bringt mich manchmal noch in die Depression.

Lediglich den Schluss, dass er mich allein, ohne sonstige Einflüsse, wie z.B. Stoffwechselstörung im Hirn, überhaupt erst depressiv gemacht hat, das will ich immernoch nicht aufessen!

@all:
Bei manchen Postings hier bekomme ich das Gefühl, man würde uns unterstellen, uns hinter der Depression nicht nur zu verstecken, sondern auch noch in ihr zu baden.
Die Depression ist das mit intergalaktischem Abstand Ungemütlichste, was ich jemals empfunden habe.

Eine Platzwunde am Kopf hat mich bei einem Motorradunfall mal sehr gequält. Als mein Blinddarm fällig war, hatte ich hundsgemeine Schmerzen usw...
Aber in mancher dunklen Stunde der Depression hätte ich sie gerne gegen alles zusammen, was mir jemals weh tat, eingetauscht.

Flucht? Nöö! Jetzt echt nicht! Nicht wirklich, jetzt!

Liebe Grüße
vom
cybolon
tomroerich
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Horst,

Bei manchen Postings hier bekomme ich das Gefühl, man würde uns unterstellen, uns hinter der Depression nicht nur zu verstecken, sondern auch noch in ihr zu baden.
Die Depression ist das mit intergalaktischem Abstand Ungemütlichste, was ich jemals empfunden habe.

Es geht bestimmt nicht darum zu unterstellen, dass jemand in seiner Depression badet. Es ist einfach ein Paradox, dass Menschen dazu in der Lage sind, in einer schmerzhaften Situation zu bleiben anstatt sie zu verlassen. Aber das ist ganz sicher eine Realität. Als ich in tiefen Depressionen steckte, ging es mir natürlich genau wie dir - ich wollte nur noch, dass es aufhört und zwar um jeden Preis. Aber wie ist es, wenn es nicht mehr ganz so schlimm ist? Die Überlegung z.B., ob ich nicht an meiner beruflichen Situation etwas dringend ändern müsste, weil sie mich vielleicht dahin gebracht hat, diese Überlegung war extrem ungemütlich. Denn, immer noch depressiv und verstört, darüber nachdenken zu sollen, sich eine neue Existenz zu suchen ist nicht gerade leicht. Und da kommt schon mal der Gedanke, es lieber so zu lassen. Also ist es auch das depressive Lebensgefühl selbst, was dem freudigen Aufbruch in ein verändertes leben im Wege steht. Der berühmte Teufelskreis.

Ich habe keine neue Existenz angestrebt sondern habe mich statt dessen dazu entschieden, meine inneren Einstellungen meiner beruflichen Selbständigkeit gegenüber radikal zu verändern. Und das hat geklappt und zwar sehr gut.

Grüße

Thomas
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rajo1
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von rajo1 »

Wenn man sein Verhalten ändert und fordernd seinem Umfeld gegenübersteht, so wird das nicht einfacher. Wenn diese irgendetwas ahnen, dass du mal "psychisch" was hattest, machen die dich klein.
Die schieben dann alles auf deinen "Schaden". Es ist unglaublich, was da passiert ist.



Ich musste mich gerichtlich deswegen durchsetzen.


Es gibt schon "harte" Sachen und ja man kann sich ja wehren. Die Gerichte sind überlastet, und dann wird alles so gedreht, wie es passt. Wer Geld hat, hat den längeren Atmem und bekommt Recht.
Alles erlebt. Die Gerichte sprechen kein Recht, sondern dort spielen sich die Rechtsanwälte gegenseitig aus.
TearsforFears
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von TearsforFears »

Echt ein spannendes Thema. Zu Beginn war ich mir sicher, ich könnte von mir behaupten, nie in diese Kiste, auf der Depression draufsteht, gewollt zu haben. Das behaupte ich immer noch, aber es ist wohl was dran an den Postings von Horst und Thomas: Es gibt da Verhaltensweisen, von denen man weiß, dass sie mit verantwortlich sind für die Depri, aber sie zu ändern fällt schwer.
Das heißt dann wohl einerseits: Man ist (teilweise) mitverantwortlich für seine Krankheit !ABER! auch: Man hat (teilweise) Einfluß, man kann durch die Änderung des eigenen Verhaltens zur Heilung beitragen.
Wie heißt es? Jede Krise ist auch eine Chance...Trotzdem: Depression ist ein besonders harter und brutaler Weg zur Selbsterkenntnis.
Grüße,
Tears
cybolon
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von cybolon »

Hallo Thomas,

einst hatte ich eine Freundin, die von meinem Vorgänger geschlagen wurde. Ich habe noch nie eine Frau geschlagen. Wie käme ich dazu...
Sie kehrte zu ihm zurück und ließ sich wieder schlagen. Jahre später hat sie mir gesagt, es sei doch normal, dass dem Mann mal die Hand ausrutscht... Sie hat es in ihrem Elternhaus halt nicht anders gelernt.

Insofern hast Du Recht, dass es Leute gibt, lieber in der Schmerzsituation bleiben.

Bloß nix ändern: Ich bin auch diese Leute!
Ich bin durch die Hölle gegangen, um mich nicht von meiner Frau zu trennen, um meinen Arbeitsplatz zu erhalten uvm. Ich wollte trotz Depression, trotz dieser unsäglichen Qual, der Trostlosigkeit, der Aussichtslosigkeit, mein Leben zurück haben.

"ob ich nicht an meiner beruflichen Situation etwas dringend ändern müsste, weil sie mich vielleicht dahin gebracht hat,"

Bin froh, dass du "vielleicht" geschrieben hast. Denn einzelne Auslöser sind durchaus auch bei mir am Arbeitsplatz gewesen. Auslöser - Ja! Das will ich aber immernoch getrennt von "Ursache" betrachten!

Liebe Grüße
vom
cybolon
tomroerich
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Horst,

einst hatte ich eine Freundin, die von meinem Vorgänger geschlagen wurde. Ich habe noch nie eine Frau geschlagen. Wie käme ich dazu...
Sie kehrte zu ihm zurück und ließ sich wieder schlagen. Jahre später hat sie mir gesagt, es sei doch normal, dass dem Mann mal die Hand ausrutscht... Sie hat es in ihrem Elternhaus halt nicht anders gelernt.

Ja genau diese Dinge meine ich. Es kann ja sogar der Eindruck entstehen, dass die Frau sich sogar hingezogen fühlt zur Misshandlung. Und dann haben wir auch wieder diese Frage, die so reizen kann: Die wills ja nicht anders. Natürlich, so ein Gewäsch wird immer Empörung hervorrufen genau wie das Baden in der Depression. Nur sollten wir das ganz in Ruhe und sehr sachlich betrachten, was denn da dran ist, denn für mich gibt es keinen Zweifel, dass da was dran ist. Mir ist klar, warum das Thema so reizt. Es kann in der Betrachtung mancher darauf hinauslaufen, dass man dann ja auch selbst Schuld an seinen Depressionen ist so wie man sagen könnte, dass die Frau ja selbt Schuld daran ist, wenn sie geschlagen wird. Aber hier macht man sehr leicht einen großen Fehler wenn man glaubt, dass etwas zu wollen immer ein freies Wollen ist. Das ist es durchaus nicht und damit ist die Schuldfrage sowieso hinfällig. Ich habe für mich erkannt, dass man genau an diesem Punkt vor einem ganz entscheidenden Phänomen steht. Dem Phänomen nämlich, dass man sich darin täuscht, dass die Dinge, die man will, in Freiheit gewollt werden. Ich sage dazu: Etwas will in mir. Womit ich ausdrücken will, dass ein innerer Impuls, als freier Wille getarnt, mich zu x-beliebigen Handlungen verleiten kann. Das kann eine Gewohnheit sein, ein zwingender Gedanke - woher wollen wir wissen, woher unsere Gedanken kommen?

- Eine Frau will zu einem Mann, der sie schlägt

- Ein Mann will immer wieder Frauen, die ihn demütigen

Es ließen sich praktisch unendlich viele Beispiele dafür finden, dass jemand etwas zu wollen scheint, was offensichtlicher Irrsinn ist. Woher kommt dieser Wille? Das ist für mich eine der wichtigsten Fragen überhaupt geworden weil sie den Schlüssel dafür liefert, was mein Leben steuert: es ist mein eigener Wille, der sich misbbrauchen lässt.

Die Erkenntnis, dass mein Wille nur scheinbar das ist, was ich wirklich will, befreit mich gleichzeitig vom "Dann bist du ja selbst schuldig" aber nicht vom "Dann bist du dafür verantwortlich". Selbsterkenntnis ist herauszufinden, was man wirklich will und unterscheiden zu lernen, wann etwas mich will und wann ich etwas will.

Grüße von

Thomas
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Clown
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von Clown »

Hallo Tears und alle,

ich finde es wirklich hilfreich, eine Unterscheidung wahrzunehmen zwischen:

- dem, was Reinhart 'Kiste' nannte und unter dem ich die neurotischen, selbstschädigenden, aus fehlender Liebe zu sich selbst herrührenden Verhaltensweisen verstehe

und:

- den Folgen dieser Verhaltensweisen, nämlich Depression und andere Formen des Leids.

Tears, du hast diese Unterscheidung in deinem Beitrag von heute, 14.17 Uhr sehr anschaulich gemacht:

«Wenn ich z.B. meine Agressionen nach Innen richte, führt dies oft zu Depressionen. Aber ich habe vielleicht Angst davor das zu ändern, weil ich mich vor den Folgen fürchte, wenn ich in Zukunft meine Agressionen offen zeige (wie reagieren die Mitmenschen etc.). Also ist ein "Weiter so" einfacher, selbst wenn es mich in die Depri treibt...
Dann würde man sich zwar nicht pauschal in die Depri "flüchten", aber man würde vor der Veränderung bestimmter Verhaltensweisen flüchten, die maßgeblich zur Depri beitragen...»

Lieben Gruß,
Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

ach ja,

Bin froh, dass du "vielleicht" geschrieben hast. Denn einzelne Auslöser sind durchaus auch bei mir am Arbeitsplatz gewesen. Auslöser - Ja! Das will ich aber immernoch getrennt von "Ursache" betrachten!

Na darüber kann man nun auch wieder grübeln, bis man depressiv wird Zu guter Letzt lag bei mir die Ursache in einer tiefen Angst, schuldig zu sein, wenn ich Fehler mache. Und schuldig ist nichts anderes als "schlecht". Diese Einstellung bezog sich nicht nur auf das, was ich bei der Arbeit tat sondern überhaupt auf alles, was ich tat. Bei mir wurde alles unter der Beobachtung getan, ob es "richtig" ist. Auch Beziehungen führte ich unter diesem Aspekt. Es war ein permanentes Werten meiner selbst, das in jeder meiner Handlungen Ausdruck fand.


Thomas
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tallgirl
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tallgirl »

Hallo zusammen,

ich möchte zu diesem Thema nur noch ein kurzes Statement geben, denn irgendwie reißt mich allein das lesen immer weiter runter.

Wenn es einem nicht so gut geht und man liest die Postings zu diesem Thema, dann fühle ich mich noch schlechter, denn scheinbar habe ich es ja selber in der Hand und ich fühle mich in meiner Depression wohl. (wie ich oben schon mal erwähnt habe….ich habe Probleme also muss ich jetzt schnell wieder ein Depression entwickeln damit ich mich diesen Problemen nicht stellen muss…..) Es belastet mich sehr, dass ich es nicht schaffe, aus diesem Denkmuster auszubrechen. Bin ich alles selber schuld? Will ich nur, dass andere Leute sehen dass es mir schlecht geht, damit ich einen Grund habe etwas nicht zu tun, oder etwas aufzugeben dass ich nicht schaffe?

Vielleicht interpretiere ich auch einige Aussagen fehl. Ich möchte hier wirklich niemanden angreifen und ich hoffe, es versteht jetzt auch keiner falsch.
Liebe Grüße



Angie



Du kannst die Wellen nicht stoppen. Du kannst nur lernen, auf ihnen zu reiten.
maggy
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von maggy »

Hallo Angie,

>Du kannst die Wellen nicht stoppen. Du kannst nur lernen, auf ihnen zu reiten.<

Genau das ist es!
Du kannst auch den Wind nicht anhalten,
der übers Meer weht und wenn ein Orkan daraus wird,
kannst Du lernen Deine Segel so zu setzen,
dass Du sicher ans andere Ufer kommst.

Es gibt aber auch Situationen in denen es sinnvoll ist
(z.B. wenn der Mast gebrochen ist) auch noch die Ruder über Bord
zu werfen und sich treiben zu lassen,
weil jeder Aktionismus fehl am Platz wäre.

Es gibt nicht nur schwarz und weiß, es gibt viele Grautöne und irgendwann auch wieder bunt.
Alles zu seiner Zeit.

Alles Liebe
von
Maggy
-------------------------------------------

Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
rm
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von rm »

"Wenn es einem nicht so gut geht und man liest die Postings zu diesem Thema, dann fühle ich mich noch schlechter..."

Hallo Angie,

geht mir genauso wie Dir. Und wenn wir uns einfach, solange es uns schlecht geht, sagen: SO WIE ICH BIN, BIN ICH IM MOMENT OK? Und damit wieder ein Stück zur Ruhe kommen...uns treiben lassen, wie es Maggy eben sagte?

Wünsche Dir ganz viel Ruhe und baldige Gelassenheit.

Liebe Grüße,
Reinhart
TearsforFears
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von TearsforFears »

@Angie, nein selbst schuld bist Du nicht, eingefahrene Denkmuster zu ändern ist unheimlich schwer. Abgesehen davon denke ich, dass diese zwar ein wichtiger Teil der Ursache für eine Depri sein können (muss ja auch nicht bei jedem so sein), aber eben auch nur ein Teil. Es gibt da sicher auch noch andere Faktoren (Gene, Hirnstoffwechsel), aus denen man nicht so einfach "rauskommt".
Ich finde es faszinierend, dass die Forschung auch darufhinweist, dass viele Faktoren zu einer Depression beitragen. Aber nix genaues wieß man ja nicht, daher können wir eh nur spekulieren. Aber es ist sicher nicht so monokausal: Depression weil unfähig aus Denkmuster rauszukommen. Das ist nur ein Teil des großen, schwarzen Puzzles...
Ich hoffe auf jeden Fall, Dir gehts bald wieder besser,
Tears
tallgirl
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tallgirl »

Hallo Reinhard,
Hallo Maggy,
Hallo Tears,

ich weiß, dass es mehr zu diesem Thema gibt als nur schwarz und weiß. Ich wollte auch nicht wieder über mich reden.
Was ich wollte war einfach nur mal zu sagen, dass diese Denkmuster, wie schon gesagt, sehr schwer zu durchbrechen sind und es ist so wahnsinnig frustrieren wenn man liest oder zumindest meint zu lesen, dass alles was man tun muss eine Umstellung eben dieser Denkweise ist und man im Grunde genommen selbst an seinem Leid Schuld hat.

Ohne Therapie ist dass nicht machbar und man fühlt sich sehr schnell als Versager, auch wenn man das nicht ist.

Es ist so schwer zu erklären. Habe mich einfach nur verletzt gefühlt. Sorry
Liebe Grüße



Angie



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tomroerich
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Angie,

Was ich wollte war einfach nur mal zu sagen, dass diese Denkmuster, wie schon gesagt, sehr schwer zu durchbrechen sind und es ist so wahnsinnig frustrieren wenn man liest oder zumindest meint zu lesen, dass alles was man tun muss eine Umstellung eben dieser Denkweise ist und man im Grunde genommen selbst an seinem Leid Schuld hat.


Also ich wenigstens habe ja immer wieder betont, dass es keinesfalls mit Schuld zu tun hat, denn ich bin mir darüber völlig im Klaren, dass man Denkmuster nicht einfach ändern kann. Und noch klarer ist es, dass man dem zwanghaften Denken in der Depression sehr ausgeliefert ist und man hat keine Macht darüber, es abzustellen. Ich verstehe schon, was dich stört und dass es frustrierend sein kann, so etwas zu lesen. Ich glaube, du kannst damit vielleicht im Moment nichts anfangen und als es mir so schlecht ging, hätte ich wohl auch nichts damit anfangen können. Es kommt wohl darauf an, wie sehr einen die Krankheit gerade im Griff hat. Bestimmte Gedanken lösen sehr schnell das Gefühl aus, man sei besonders "blöd", weil man das nicht kann, was da vorgeschlagen und diskutiert wird und das zieht runter.

Ich weiß da auch keine Lösung, denn für andere sind solche Themen dann wieder wichtig.

Gruß von

Thomas
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Man ist (teilweise) mitverantwortlich für seine Krankheit !ABER! auch: Man hat (teilweise) Einfluß, man kann durch die Änderung des eigenen Verhaltens zur Heilung beitragen.

...sagte tears. Und das stimmt auch, ist aber sehr vom Zeitpunkt abhängig. Mitten im tiefsten Elend stimmt es so gut wie nicht, weil die Krankheit jeden Spielraum weggeblasen hat. Da kann man durch die Veränderung des eigenen Verhaltens so gut wie keinen Einfluss nehmen, das weiß ich aus meinen Erfahrungen auch. Ja schon der Gedanke, man müsste es oder sollte es können, wirkt kränkend und verletzend. Aber, Angie und Reinhart, es wird ja auch für euch der Zeitpunkt kommen, wo ihr wieder handlungsfähiger seid, wo eure Gedanken und Gefühle wieder freier werden.

Grüße,

Thomas
Betroffene für Betroffene

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maggy
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von maggy »

Lieber Reinhart,

dieses übliche "Ich bin o.k" hat mir
damals nicht viel geholfen;
denn ich spürte ja, so wie ich zum dem Zeitpunkt war,
wollte ich eigentlich nicht sein.

Dann habe ich eine für mich anwendbare Variante
von Elisabeth Kübler-Ross gelesen,
die konnte da nämlich auch nichts mit anfangen:

"Ich bin nicht o.k., aber das ist o.k."


Alles Liebe
von
Maggy
-------------------------------------------

Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Gefühlsbereitschaft auf Konflikte zu reagieren
chimera

Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von chimera »

»Die Tiefenpsychologie zielt darauf, die Motive eines Menschen unterhalb des bewussten Denkens, Erlebens, Fühlens und Verhaltens aufzuspüren und zu verstehen. Zu diesen Motiven, die in der 'Tiefe' der menschlichen Seele verborgen sind, zählen beispielsweise konfliktbeladene Kindheitserinnerungen, die aus dem bewussten Erleben 'verdrängt' wurden. Trotz ihres vermeintlichen Verschwindens beeinflussen solche vergangenen Erlebnisse auch die Gegenwart. Aktuelle Situationen werden als Wiederholungen alter Ereignisse erlebt und beeinflussen das Selbstverständnis, die Beziehung zu anderen Menschen und den Umgang mit der Welt. Der entwicklungsgeschichtliche Hintergrund eines Menschen ist für fast alle tiefenpsychologischen Schulen bedeutend.

Eine Depression, lautet die Erklärung, hat ihre Wurzeln in der Kindheit. Sie entwickelt sich auf der Basis einer gestörten kindlichen Entwicklung: Frühe negative Erfahrungen bestimmen das grundsätzliche Erleben, die Gefühle und Gedanken. Dies muss nicht zwangsläufig zu einer Depression führen; treten jedoch während des Lebens aktuelle Ereignisse auf, die in der Tiefe 'abgelegte' Erfahrungsspuren berühren – beispielsweise der Verlust eines geliebten Menschen, Kränkungen, Verletzungen des Selbstwertgefühls, Angst vor Veränderungen – können sie eine Depression auslösen.

Zur tiefenpsychologischen Betrachtungsweise zählt auch, danach zu fragen, wozu die Depression dem erkrankten Menschen eigentlich dient. Eine Funktion könnte sein, dass sie es dem Betroffenen erlaubt, sich einer Situation zu entziehen, die er auf Grund kindlicher Erfahrungen als sehr bedrohlich erlebt. Die Depression fungiert dann als eine Art 'Notbremse', als Schutz vor einem aktuellen Ereignis, das als übergroße Gefahr oder als nicht zu bewältigen empfunden wird. Der depressive Rückzug aus der Welt hat also einen Sinn: Er dient als 'biosozialer Schutzmechanismus'.«

[Quellenangabe]

Ich stelle diese Passage hier ein, weil ich sie als absolut stimmig empfinde – und weil ich zu faul bin, selbst was zu schreiben . Nach meinem Erleben spielen tiefe Ängste als Unterbau einer Depression eine große Rolle – in meinem Falle war es so, daß es mir diese Ängste unmöglich machten, mein Leben zu verändern und mich aus meinem inneren Gefängnis zu befreien. Zwar wußte ich um die Notwendigkeit einer Veränderung; die Ängste lähmten mich jedoch und ließen mich erstarren, ich konnte mich nicht einmal mit ihnen auseinandersetzen, mußte sie verdrängen. Erst seitdem ich mit meinen Ängsten besser umgehen kann, mich bezüglich ihrer ein wenig desensibilisierte, gewinne ich an Beweglichkeit, kann mein Leben weitreichender gestalten und werde auch seelisch freier. Bis dahin war es allerdings ein verdammt harter und steiniger Weg; diverse Hindernisse auf selbigem beamen mich auch immer wieder um.


Chimera
Bernd2

Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von Bernd2 »

Danke, Chimera, für den eingestellten Text.

Die dort vertretene Auffassung trifft meiner Meinung nach ziemlich exakt den Kern der Sache.

Gruß
Bernd
rm
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von rm »

"Ich bin nicht o.k., aber das ist o.k."

Liebe Maggy,

danke für den Hinweis, er ist für mich auch hilfreicher: "Ich bin in 'Unordnung', aber das ist im Moment ok. Und ich mache mich auf den Weg, wenn ich wieder genug Kraft habe."

Kannst Du mir den Titel des Buchs nennen?

Liebe Grüße,
Reinhart
rm
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von rm »

"..Eine Funktion könnte sein, dass sie es dem Betroffenen erlaubt, sich einer Situation zu entziehen, die er auf Grund kindlicher Erfahrungen als sehr bedrohlich erlebt. Die Depression fungiert dann als eine Art 'Notbremse'...."

Danke auch von mir, Chimera... das ist ein wertvoller Ansatzpunkt!

LG, Reinhart
912318798
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von 912318798 »

Grüß Euch , liebe Leute!


Ich kann trotz dieser vielen kompetenten Einschätzungen nicht akzeptieren, dass ich meinen Zusammenbruch und die Depressionen als Igelfunktion interpretieren soll.

Wird uns dadurch nicht unterstellt, unsere Unfähigkeit, die Aufgaben des Lebens zu meistern, nach langem Ringen zu erkennen und einzusehen und uns deshalb keinen weiteren mehr stellen zu wollen?

Degradiert uns das nicht erstmal zu Versagern, die dann erst in Folge durch eine Diagnose Legitimität zum Kranksein erwerben?

Das muntert mich nicht gerade auf!

Mit Sorgen grüßt

Jojo


P.S. an Thomas: Ich hätte eine persönliche Frage an Dich im Zusammenhang mit Literatur über Depression.
Habe ich die Möglichkeit eines Mailkontaktes direkt an Dich?
Wäre sehr nett!
Danke
Jojo
tomroerich
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Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Jojo,

ja, schreib an forum@indignita.de
Betroffene für Betroffene

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steppenwolf1

Re: Krankheitsgewinn Depression: Flucht aus der Realität?

Beitrag von steppenwolf1 »

Hi zusammen,

ich habe etwas den Anschluss verloren an die Diskussion, aber das was ich von chimera und Thomas gelesen habe, finde ich gut und versuche sie auch für mich anzunehmen.
Auch wenn es erstmal runterzieht. Aber meiner Erfahrung nach ist die Selbsterkenntnis nicht leicht zu akzeptieren und dann sien Verhalten zu ändern sehr schwer.
Ich bin froh, dass es zu so einer Diskussion gekommen ist, und man sich hier sinnvoll darüber austauschen kann.
Ich danke euch dafür.

Gruss, s.wölfin
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