Vater

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Rike
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Vater

Beitrag von Rike »

Guten Morgen Ihr Alle,
ich sitze im Moment zu Hause fest, weil mein Vater krank ist und ich richtig Angst habe, ihn auch noch zu verlieren. Ich weiß, dass Eltern in der Regel vor einem gehen müssen, aber der Tod meiner Mutter hat mich schon sehr mitgenommen und wenn mein Vater jetzt auch ...
Wobei ich nicht weiß, was schlimmer sein wird, dass er bald stirbt oder so pflegebedürftig wird, dass ich nicht mehr arbeiten kann. Ich möchte auch nicht, dass er leiden muss, wenn seine Zeit gekommen ist, muss ich ihn gehen lassen und ihn nicht unnötig quälen mit Klinik und so weiter.

Dabei ist mein Verhältnis zu ihm gar nicht so gut, eher distanziert, weil er sich eigentlich nie um meine Schwester und mich gekümmert hat und die Erziehung meiner Mutter überlassen hat. Meine Mutter hat mir erzählt, dass er geglaubt hat, ich sei nicht sein Kind, und dass bei meiner Mutter, die die Rechtschaffenheit in Person war. Jetzt pflege ich ihn seit dem Tod meiner Mutter und als meine Schwester vor zwei Jahren da war, sagte er ihr (die zwei bis drei Mal im Jahr kommt, weil sie in Bayern lebt), dass er jeden Tag für sie beten würde. Ich stand daneben und dachte: Muss ja nicht jeden Tag sein, aber ab und zu könntest du auch für mich beten.

Mit ihm über so etwas sprechen kann ich nicht, weil er selbst an einer schweren Depression leidet und sich nie mitteilt. Er sagt nur, dass er sich immer Sorgen macht. Aber in der Regel spricht er eher gar nicht, er hat früher schon wenig gesprochen und seit ca. 20 Jahren hat er es mehr oder weniger ganz eingestellt.
Ich weiß auch nicht, was ich machen soll, wenn er richtig bettlägerig wird, weil ich arbeiten muss. Ach, das ist alles so verdammt schwierig, ich muss doch sehen, dass ich selbst irgendwie über die Runden komme und dann noch die Verantwortung für jemanden anderes übernehmen...
In ein Heim möchte ich ihn auch nicht geben, das überlebt er sowieso nicht lange. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll?
Kräuterhexe
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Re: Vater

Beitrag von Kräuterhexe »

Liebe Ulrike,
habe grade deinen Text gelesen und er ging mir unter die Haut, du bist schon in einer verdammt belastenden Situation.
Da kann man vielleicht auch gar nicht viel raten, nur das eine ist mir so durch den Kopf gegangen. Versuch doch erstmal die Situation so zu nehmen wie sie ist. Du überlegst z.B. was wäre wenn du deinen Vater pflegen mußt und nicht mehr arbeiten kannst.
Die Situation gibt es aber noch nicht! Versuche immer nur den nächsten Schritt zu sehen und dich mit dem auseinander zu setzten, wie es im Moment ist! Die Grübeleien bringen dich nicht weiter und rauben nur Kraft und Energie, die du woanders nötiger brauchst!
Vielleicht kommt es gar nicht zu der Situation, die du befürchtest. Und wenn doch, dann kann man immer noch überlegen wie man damit umgeht. Du mußt ja auch an dich denken, und wenn deine Arbeit dir wichtig ist, kann niemand verlangen, dass du sie aufgibst, finde ich.
Wahrscheinlich denkst du, die kann schlau reden.... aber mir hilft es , wenn ich ein Problem nicht ständig in allen Facetten durchdenke, sondern nur das tue, was JETZT notwendig ist.
Vielleicht hilft es dir wenigstens ein bißchen,
LG UTE
Rike
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Re: Vater

Beitrag von Rike »

Hallo Ute, danke für Deine Antwort. Ich weiß, dass ich eine Lösung finden werde, wie immer die auch aussieht. Mir ist allerdings ziemlich jämmerlich zumute ...
Es gibt so Zeiten, da bricht es förmlich über einen herein und immer, wenn Du denkst, es kann eigentlich nicht mehr schlimmer kommen, gibt es noch eine Steigerung.
Jetzt sitze ich hier rum und warte auf die Laborbefunde und dann wird es sich entscheiden. Jede Stunde sehe ich nach ihm weiß nicht, was ich ihm wünschen soll, dass er's übersteht oder dass er in Frieden gehen kann. Ich fühle mich wie gelähmt und wünschte, ich hätte wenigstens jemanden, der meine Hand hält...
Dendrit
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Re: Vater

Beitrag von Dendrit »

Liebe Ulrike,

ich kann Dir eigentlich auch nichts raten. Du schreibst weiß nicht, was ich ihm wünschen soll, dass er's übersteht oder dass er in Frieden gehen kann. Ich fühle mich wie gelähmt und wünschte, ich hätte wenigstens jemanden, der meine Hand hält... Ich kann Dir dazu sagen, dass ich das Gefühl genau kenne, eine verdammte Situation, Zwiespalt, zum Schreien, Abhauen, in Luft auflösen: der Wunsch, dass das alles nur ein schrecklicher Alptraum ist, von dem man doch jeden Moment aufgeweckt werden möchte.

Lass Dich im Geiste in den Armen nehmen und fest drücken ...

Ganz lieber Gruß von Manuela
Wolke2
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Re: Vater

Beitrag von Wolke2 »

Hallo Rike,

hier sind haufenweise Leutchen, die Dir nun virtuell ganz doll beistehen werden und für die praktische Seite findest Du auf dieser Page auch Notfall-Telefonnummern, die Dir helfen auch bei so Sachen wie Pflegedienst und ähnliches, also darfst Du nun erst mal ganz tief durchatmen. Du bist hier genau richtig.

Ich kann Dir in der Situation mit Deinem Vater nur raten, nutze die Chance, die Du jetzt hast. Er ist ganz in Deiner Nähe und ihr könnt Euch jetzt austauschen. Und wenn Du Angst davor hast, was ich gut verstehen kann, dann mach Dir folgendes klar:

Stell Dir die Situation anders herum vor. Du bist Dein Vater und er ist Du. Würdest Du nicht wissen wollen, was in Deinem Kind vorgeht und währst Du nicht vielleicht direkt erleichtert, wenn die Wand zwischen Euch fallen würde und die ganzen Emotionen, die da sind, endlich aufbrechen? Und wer weiß, wie lange ihr nun noch die Chance habt, Euch zu sagen, was ihr immer sagen wolltet.

Und hinter Depressionen steckt immer viel ungelebte Liebe und Haufenweise Angst, also gib Euch die Chance und hab keine Angst davor. Das wird Euch beiden ganz sicher nur gut tun, ihm genauso wie Dir.

Oder lies Dich erst mal ein bißchen hier ein, bekomme selbst ein Gefühl dafür. Du wirst hier sicher viele Gedanken finden, die Dir das Verständnis für die Krankheit, für Dich und für die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, erklären können. Und dann kannst Du ja Passagen, die Dir besonders passend vorkommen (und Du wirst sie finden) einfach ausdrucken und Deinem Vater zu lesen geben, oder falls er das nicht mehr kann, liest Du ihm das vor. Versuch's einfach mal mit dem Thread "ich bin so wütend...", weil dort die Problematik Eltern/Kinder/Erziehung/Mangel an Liebe sehr gut hoch kommt.

Ich wünsch Dir ganz viel Kraft, ganz viel Liebe und ganz viel Vertrauen. Du bist nicht allein!

P.S. Und glaub nicht, dass ich Deine Situation nicht verstehen kann. Mein Vater kämpf seit 2 Jahren mit Lymphdrüsen- und Pankreaskrebs, lag schon 5 mal auf der Intensivstation, lebt aber immer noch, und es geht ihm gerade sehr gut, trotz dem Pankreas, der normalerweise eine Prognose von maximal 7 Monaten hat.

Und dass er immer noch lebt, liegt auch daran, dass mein Vater und ich unsere SEHR komplizierte und schwierige Beziehung aufgearbeitet haben, und dass ich nicht den Fehler gemacht habe, ihm meine Gedanken und Gefühle vorzuenthalten aus falscher Rücksichtnahme auf seine Krankheit.

Ich litt nämlich zur gleichen Zeit an einer sehr schweren Depression und habe ihm das nicht vorenthalten, auch weil ich das Gefühl hatte, dass mir viel zu oft die Kraft fehlte, um ihm wirklich beizustehen. Aber genau das hat sowohl ihm, als auch mir SEHR geholfen. Ich weiß daher wirklich, wovon ich rede. Also nutze die Chance! Denn wenn alles, was Du sagst und tust, aus Deinem Herzen kommt und aus Deinem Gefühl, ist absolut nichts davon falsch, auch wenn es Dir vielleicht so vorkommt.

Bitte, bitte glaub mir das. Ich würde es bestimmt nicht sagen, wenn es nicht wirklich so wäre, weil die Verantwortung wäre viel zu groß.
Guitaranderl

Re: Vater

Beitrag von Guitaranderl »

Liebe Ulrike,
ich lasse mal den Wortwitz aus dem Schlampenthread dort, wo er hingehört:

Ich erlebe Deine Not als typisch ambivalent. Auf der einen Seite hast Du Angst, Deinen Vater -auch noch- zu verlieren, was aber unausweichlich sein wird und auf der anderen Seite, ich spreche mal Deutsch- möchtest Du es dem Alten doch jetzt heimzahlen, dass er Dich/Euch hängenließ. Deine Probleme, emotional authentisch zu leben, sind ja nun nicht zufällig entstanden.

Ich stelle zwei Fragen in den Raum:
Was ist für Dich so bedrohlich daran, dass er -auch noch- gehen wird? Könnte es sein, dass dann auch die Illusion stirbt, dass es am Ende doch noch "gut" wird, also jene Idee, die wir hier alle manchmal jahrzehntelang vehement verteidigen, weil wir nicht SEHEN wollen, dass es verloren ist!? Weil wir die Wahrheit/unsere Wahrheit so sehr fürchten?

Und hast Du überlegt, welche Personen in Dir, also welche Teilaspekte des Ganzen diese Ambivalenz aufbauen. Wer in Dir fürchtet? Die Erwachsene oder das hungrige Kind? Und wer möchte sich doch ein bißchen "rächen" ?

Ich finde Andrea´s Hinweise sehr klug. Wenn Du Dich nämlich in die Rolle der erwachsenen Frau begibst, dann ist der Weg doch recht klar. Die Situation hat sich um 180° gedreht. Der Alte ist jetzt vom Vater zum hilfebedürftigen Kind geworden; Du hingegen zur Erwachsenen (der möglicherweise noch der Mut fehlt, sich zu trauen, das auch zu leben ). Bei aller Scheiße, die er vielleicht verzapft hat, BIST Du seine Tochter. Ich bin ziemlich sicher, dass massive Schuldgefühle in ihm nagen und Du hast jetzt -und das mach Dir bitte absolut bewusst!!- eine CHANCE, die möglicherweise NIE wiederkommt. Und zwar für Euch beide.

Aus dem was ich von Dir weiß, noch eine abschließende Anmerkung: Achte immer auf Deine Ressourcen und pass auf, was Du Dir zumutest. Viele Menschen neigen in so einer Situation zu einer gewissen Selbstüberschätzung, bis hin zur Selbstaufgabe. Wenn Du ein depressives Fundament hast, DARFST Du das nicht zulassen! Du kannst nur geben, was Du definitiv ÜBERhast.

Mensch, ich wünsch Dir auch nen Sack voll Glück und Kraft !
Andreas
Wolke2
Beiträge: 306
Registriert: 19. Dez 2005, 11:44

Re: Vater

Beitrag von Wolke2 »

Klasse Andreas, Danke für Deine deutlichen Worte, die bei mir etwas fehlen!

Ich habe meinen Vater auch beschimpft, ihm Vorwürfe gemacht und ihm auch und zu Recht einen Teil der Schuld gegeben an meiner Situation, was ich meinte mit "ALLES sagen, was aus dem Herzen kommt", und wie gesagt er lebt noch, und vielleicht gerade deswegen, weil wir die Chance genutzt haben und uns verstehen und einander verzeihen konnten.

Und nun habe ich auch keine Angst mehr davor, dass er irgendwann gehen wird, weil nichts unerledigtes mehr zwischen uns ist, was uns beiden Frieden gibt.
Rike
Beiträge: 94
Registriert: 5. Dez 2005, 08:30

Re: Vater

Beitrag von Rike »

Vielen Dank an Euch alle für die lieben Worte, die virtuellen Umarmungen und auch die Hinweise, die von Euch kommen. Mir laufen wirklich dir Tränen runter, während ich schreibe, aber das ist gut so, weil ich ja dazu neige, meine Trauer zu unterdrücken.

Ja, es gibt einiges Unerledigtes zwischen uns, aber ich habe ihm auch verziehen, denn ich bin ja ein Teil von ihm (chromosomenmäßig) und weiß, dass es ihm sehr schwer fällt, Gefühle zu zeigen. Das hat er uns Kindern gegenüber nie getan, er kann sich auch absolut nicht öffnen. Nach seinem Suizidversuch vor über 20 Jahren hatte seine Ärztin schon gesagt, dass er nicht bereit ist, zu sprechen und damit eine Therapie unmöglich ist.
Ich denke manchmal, dass vielleicht im Krieg etwas passiert ist, was ihn quält, denn er hat nie über den Krieg geredet, wie so viele andere heute noch darüber reden. Vielleicht ist es aber auch etwas anderes, was ihn belastet. Ich weiß so verdammt wenig über meinen Vater, alles was ich von ihm weiß, habe ich von meiner Mutter.
Andreas, es stimmt, dass sich die Rollen umgekehrt haben, er ist total abhängig von mir, dass ist einerseits eine Belastung, andererseits auch Macht, die ich über ihn habe. Aber auf keinen Fall möchte ich ihn quälen, denn ich habe zwar wenig von ihm gehabt, aber er hat uns nie geschlagen oder uns sonst irgendetwas getan. Er war halt immer nur ein Fremder, der mit uns im selben Haus lebte. Warum er so geworden ist, wie er ist, das werde ich nie erfahren. Ich war schon mal drauf und dran, zu einer Familienaufstellung zu gehen, aber dann habe ich so viel Negatives darüber gelesen, dass ich es gelassen habe. Hat das jemand von Euch schon mal gemacht?
Ich werde versuchen, ihm noch einmal näher zu kommen, wenn er es zulässt. Morgen kommt auch meine Schwester, zu zweit ist vieles leichter zu ertragen.
Nochmals Danke, es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass Menschen, die ich ja nicht einmal persönlich kenne, mitfühlen!
Guitaranderl

Re: Vater

Beitrag von Guitaranderl »

Liebe traurige (wie schön, dass es läuft!) Ulrike,

ohne Dich in irgendeiner Form alterstechnisch mit mir vergleichen zu wollen, komme ich doch langsam zu dem Schluss, dass wir beide bei der Geburt getrennt wurden, so sehr ähneln sich die Geschichten.
Die beiden Weltkrieg haben unendlich viele emotional verstümmelte Männer (und natürlich auch Frauen) zurückgelassen. Diese Menschen waren Täter und Opfer, die ihr gruseliges Erbe - ohne sich dessen bewusst zu sein - oft weitergereicht haben.
Wir als die zweite oder dritte oder vierte Generation haben die Chance, diese Kettenreaktion zu unterbrechen und nicht mehr den ohnmächtigen Übergang auf unsere Kinder zuzulassen. Das war für mich immer ein ganz wichtiger Antrieb für meine Therapien. Oder von mir aus -hochtrabender ausgedrückt - der Sinn meines Lebens. Welchen Sinn sollte mein Leben sonst haben, als mich selbst zu leben. Aber dafür müssen wir uns alle erst einmal "finden und behalten". Und wie schwer das ist, beweisen 1000e von Berichten in diesem Forum.

Eine Familienaufstellung hat den unschätzbaren Vorteil, dass die betroffenen, oder auch aufzustellenden Personen nicht persönlich befragt werden müssen. Im Dialog mit den eigenen Eltern weiterzukommen, ist ein ungeheures und seltenes Glück.
Dadurch, dass die betroffenen Personen durch fremde Menschen stellvertretend dargestellt werden, sind etwaige Gefühlsblockaden (z.B. bei Dir und Deinem alten Dad) nicht so von Bedeutung. Es ist möglich, auf diesem Wehe zu Erkenntnissen und Einsichten zu kommen, die auf anderem Wege gar nicht oder erst viel später klar geworden wären. Ich habe das selbst erfahren (und glaube mir Ich bin ziemlich wach und kritisch).
Es ist mir klar, dass Hellingers Thesen sehr umstritten sind und ich würde schon sehr darauf achten, bei WEM ich so etwas mache. Wie in allen Psychoecken gibt es auch hier ziemliche Scharlatanerie und Unfähigkeit. Der Moderator hat eine ganz wichtige Funktion bei der Aufstellung; das setzt ne Menge Empathie und Erfahrung voraus.
Ich würde also z.B. nach einem zugelassenen Therapeuten oder auch Arzt schauen, der so etwas anbietet.
Im übrigen, my Dear, gibt es auch sehr preiswerte oder gar kostenlose Schnupperseminare, wo Du gar nicht selbst aufstellen brauchst, sondern allenfalls - aber nicht gegen Deinen Willen!- von anderen Leute gebeten wirst, z.B. (verzeih) eine schlampige Mutter darzustellen.

Meine Erfahrung bei syst. Familienaufstellungen reicht von esoterisch durchgeknattert bis hin zu nachhaltig beeindruckend und befriedigend.

Also, alles mal ausprobieren... und für sich einstehen!
Um den alten Vater*) wirst Du Dich schon angemessen kümmern.

brüderliche Grüße (obewohl mich das im Kontext Schlampe-Vulkan fast annervt!... hahaha)
Andreas

*) mein Vater hatte auch jene bösen, unaussprechlichen Ideen, als er meinte, mit 45 Inventur seines Lebens machen zu müssen. Da bin ich jetzt. Aber ich mache keine, oder kaum Inventur...
Trulla
Beiträge: 80
Registriert: 31. Okt 2005, 12:39

Re: Vater

Beitrag von Trulla »

Hallo Ulrike,
es ist schon sehr viel hilfreiches gesagt worden. Aber bei Deiner letzten Antwort hatte ich wieder das Gefühl, dass Du Dich zu leicht unterbuttern läßt.
Du hat auch ein Recht auf Dasein und mußt Dich nicht immer abhängig machen von den Stimmungen der anderen.
Schreib Dir mal alles auf, was Du Deinem Vater schon lange sagen willst, vielleicht hilft das. Wenn Du hinterher dann nur einen Satz sagst, vielleicht reicht das ja für Dich. Nicht immer nur denken, was Du ihm zumuten kannst, denk auch an Dein eigenes Wohl.
Trulla
Birgit49
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Registriert: 22. Jun 2005, 17:19

Re: Vater

Beitrag von Birgit49 »

Hallo Ulrike,

ich kann sehr gut nachvollziehen, wie es Dir geht und welche Gedanken Dich beschäftigen, da ich Ähnliches erlebt habe.

Meine Lebensumstände, Single mit erwachsenem Sohn, voll arbeitend.

Im Januar 2000 erlitt unser Vater einen Schlaganfall, der uns noch nicht einmal erschreckte, da er schon mehrere kleinere Schlaganfälle gut überstanden hatte. Doch dieses Mal war alles anders; durch die schlechte Blutgerinnung kam es zu einer Hirnblutung, das hieß, auf der einen Seite völlige Lähmung der rechten Körperseite und dann noch, der Verlust der Sprechfähigkeit.

Nachdem der Klinkaufenthalt keine Besserung brachte, ich die Betreuung übernommen hatte, setzten wir alles daran, dass unser Vater zur REHA nach Berlin kam, denn eines war uns klar, nun sind wir Kinder (ich habe noch einen Bruder und eine Schwester) dran, uns um unseren Vater zu kümmern. Abwechselnd haben wir jeden Tag unseren Vater besucht und in manchen Situationen habe ich mir gewünscht, dass er einschlafen dürfte, denn ein qualvolles Leben hatte er nicht „verdient“, aber er erholte sich immer wieder.

Ich kann mich heute noch an ein Gespräch mit meinem Bruder erinnern, in dem wir beide feststellten, dass es uns, sollte unser Vater sterben, lange nicht so „an die Nieren gehen würde“, wie der Tod unserer Mutter. Er war uns einfach emotional nicht so nahe wie unsere Mutter es gewesen war.

In der REHA-Zeit, die gesundheitlich leider nicht viel brachte, auch meine Überlegung, hole ich den Vater zu mir, was machbar gewesen wäre, oder soll er in ein Pflegeheim, was er für sich immer abgelehnt hätte. Nach vielen Gesprächen, unter anderem auch mit meiner Cousine, die im Bereich Alterspflege tätig war und mir klar vor Augen hielt, dass eine häusliche Pflege eine Überlastung mit sich bringen würde, die im Endeffekt weder für unseren Vater noch für mich „gut“ wäre, kamen wir zu dem Entschluss, für unseren Vater ein Pflegeheim zu suchen. Und dies musste plötzlich auch noch schnell geschehen, ich war froh innerhalb von 5 Tagen einen Platz für unseren Vater gefunden zu haben (Männerplätze sind viel schwerer zu finden als Frauenplätze).

Diese Entscheidung haben wir nie bereut und wir würden sicher heute genau die gleiche Entscheidung treffen. Unser Pflegeheim hieß „Klinik am .....“, ich weiß bis heute nicht, ob mein Vater diese „Klinik“ jemals als das empfunden hat, was es wirklich war, ein Pflegeheim. Und wir hatten Glück mit dem Pflegeheim, innerhalb kürzester Zeit, konnten wir mit unserem Vater im Rollstuhl spazieren fahren, mit ihm in einer Kneipe in der Sonne sitzen und über die Passanten lästern, konnte er im Rollstuhl zu uns nach Hause kommen, nahm er wieder am Leben, auch an unserem, teil. Mit der Unterbringung im Pflegeheim wollten wir unseren Vater nie abschieben, wir waren abwechselnd jeden Tag bei ihm oder er bei uns. Mit der Zeit und Training durch eine Logopädin kehrte seine Sprache etwas zurück, wir Kinder konnten ihn verstehen und später konnte er sogar wieder verständlich telefonieren. Ich weiß, dass mein Vater auch diese Zeit nie als Qual empfunden hat und gerne lebte, man sah es ihm an.

Ich bin dankbar für diese Zeit, für jede Minute, die ich mit meinem Vater verbringen durfte, die mir meinen Vater näher brachte als die vielen Jahre davor und, als er dann aufgrund einer Lungenembolie starb, konnte ich von Herzen um ihn trauern.

Fast ohne Psychologie, rein sachlich und praktisch, mein Bericht über die letzten 11 Monate im Leben unseres Vaters und unser Umgehen damit.

Ich hoffe, Du kannst etwas für Dich aus diesem posting „herausziehen“.

Liebe Grüße

Birgit
Die Fähigkeit das Wort “Nein“ auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit.
(Nicolas Sebastién Chamfort)
Rike
Beiträge: 94
Registriert: 5. Dez 2005, 08:30

Re: Vater

Beitrag von Rike »

Nochmals herzlichen Dank für Eure Beiträge. Ich kann jetzt im Einzelnen nicht so darauf eingehen, dazu kann ich mich nach zwei Nächten mit wenig Schlaf nicht so konzentrieren, aber ích habe sie aufmerksam gelesen und konnte auch mit jedem Beitrag etwas anfangen.
@Andreas, mein lange verschollener Zwillingsbruder, wie schön, Dich endlich gefunden zu haben! Ob das altersmäßig passt, lassen wir mal dahingestellt.
Im Moment bewegt mich die Frage, und ich habe eben auch lange mit meiner Schwester telefoniert, ob ich ihn ins Krankenhaus bringen lasse oder nicht. Ich weiß, dass er das auf keinen Fall will. Ich weiß auch, dass er an seinem Leben absolut nicht hängt. Als meine Mutter vor fast sieben Jahren ins Krankenhaus musste, sagte er, dass er zuerst sterben wolle. Leider war sie vier Tage später tot und erst dachte ich, er geht gleich hinterher, so elend war er. Er sagte mehrmals, dass er gern sterben möchte und ich weiß einfach nicht, ob ich ihm einen Gefallen tue, wenn ich ihn einweisen lasse. Eine OP würde er ohnehin nicht überleben.

Ich arbeite an einer Klinik und halte nichts davon, einen Menschen am Leben zu erhalten, wenn er das selbst nicht mehr will. Mir gehen Berichte über Sterbehilfe immer sehr unter die Haut und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht künstlich am Leben gehalten werden will. Aber kann ich das für meinen Vater entscheiden??? Meine Schwester und ich sind uns einig, dass wir einer OP nicht zustimmen würden. Mein Vater ist 82, ist es nicht humaner, ihn gehen zu lassen, auch wenn es uns weh tut?
Als meine Mutter starb, war das für mich der schlimmste Tag meines ganzen Lebens, aber ich habe mich damit getröstet, dass sie kein Pflegefall werden wollte und so ist es dann auch gekommen. Auch wenn sie letztlich durch einen Kunstfehler gestorben ist, nach der OP wäre sie wahrscheinlich auch nicht mehr auf die Beine gekommen.
Leider ist mir die Entscheidung überlassen, was ich tun soll. So lange er noch ansprechbar ist und ich das Gefühl habe, dass er keine schlimmen Schmerzen hat, werde ich ihn wohl zu Hause behalten. Ich habe Gott sei Dank noch 10 Tage alten Urlaub, bis dahin wird es sich hoffentlich entscheiden. Und wenn er es überlebt, bin ich dankbar für die Zeit, die noch bleibt, so lange es keine Qual für ihn ist.
Der Schlingel wollte mich doch eben austricksen und seine Medikamente verschwinden lassen!
Liebe Grüße, Mutter Theresa geht mal eben nach dem Rechten sehen!
Guitaranderl

Re: Vater

Beitrag von Guitaranderl »

Ulrike, Schwesterlein,
ich glaube, Du bist auf einem guten Weg, denn Deine Einstellung erscheint mir doch menschlich (im guten Sinne) respekt- und liebevoll.
Wahrscheinlich werden die nächsten Tage und Wochen sehr schwer für Dich werden. Ich wünsche Dir den Mut, die Kraft und die Liebe, da durchzugehen, um schließlich zu wachsen und zu reifen. Wenn der alte Vater sein Leben gelebt hat (so gut er es eben konnte) wirst Du mit Deiner Schwestern ganz vorn stehen, neue Perspektiven sehen und vielleicht Mut spüren, wo jetzt Verzweiflung steht. (lebens)Mut, denn Du dann Deinem Kind geben kannst.
Das wünsche ich Dir!
Andreas

NS. Und weil es mir gerade einfällt, wünsche ich Dir eine gute, heilende Trauer über all das, was nicht sein konnte oder durfte...
Rike
Beiträge: 94
Registriert: 5. Dez 2005, 08:30

Re: Vater

Beitrag von Rike »

Guten Morgen, die Nacht haben wir überstanden und heute morgen hat er zum ersten Mal wieder ein wenig gegessen, wenn auch nur, weil ich ihm immer mit dem Krankenhaus drohen muss. Nach den ersten drei Löffeln hat er aber freiwillig weiter gegessen und das ist ja vielleicht ein gutes Zeichen. Puuuhhh!
Habe natürlich kaum geschlafen, rauche 20 bis 30 Zigaretten und ernähre mich hauptsächlich von Kaffee, dauert bestimmt nicht lange, dann kriege ich die Quittung dafür. Wie kommt es eigentlich, dass die Depression weg ist, wenn es hart auf hart geht? Kaum gibt es so richtig Stress (nicht der normale, sondern richtiger), dann funktioniere ich tadellos. Wird dann so viel Adrenalin ausgeschüttet, dass die letzten Reserven mobilisiert werden? Eigentlich habe ich ja Depressionen gekriegt, weil ich über zu lange Zeit viel zu viel Stress hatte.
Erst mal viele Grüße an alle!
heike56
Beiträge: 1126
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Vater

Beitrag von heike56 »

Hallo Ulrike,

ich habe es auch beobachtet, wenn es richtige Probleme gibt, scheint die Depression zu verschwinden, genauso wie man in solchen Phasen kaum krank wird. Einen Grund weiß ich auch nicht.

Als meine Mutter vor 3 Jahren Krebs im Endstadium hatte, wurde sie die letzten 6 Wochen im Hospiz versorgt. Und als es absehbar war, dass ihre letzten Tage gekommen waren, konnte ich die Zeit im Hospiz wohnen und jederzeit nach ihr sehen.
Die medizinische und menschliche Betreuung waren super.
Vielleicht eine Anregung für dich.

Ich wünsche dir Kraft in dieser schwierigen Zeit.

Mitfühlende Grüße

Heike 47
Guitaranderl

Re: Vater

Beitrag von Guitaranderl »

>Wie kommt es eigentlich, dass die Depression weg ist, wenn es hart auf hart geht?

Du täuschst Dich, Schwesterlein, wenn Du glaubst, sie sei "weg". Sie ist nur überlagert. Genauso, als wenn Du mit jeglicher Sucht versuchst, sie wegzudrücken. Sie wartet nur. Und die Schlange ist geduldig. Es hat lediglich ein noch intensiverer Stressor für einen Moment das Regime übernommen...
Lass Dich nicht täuschen.
Dein virtuelles Brüderlein aus HH
A.
Rike
Beiträge: 94
Registriert: 5. Dez 2005, 08:30

Re: Vater

Beitrag von Rike »

Guten Morgen zusammen,
Dank an Heike, ich habe im Internet nachgesehen und bei uns gibt es ein Hospiz, falls es soweit sein sollte. Er hat auch heute morgen ein wenig gegessen und war gestern fast den ganzen Tag über wach. Meine Schwester war hier und wir sind uns darüber einig geworden, dass wir nichts unternehmen werden, was sein Leiden unnötig verlängert. Wenn er jetzt nochmal über'n Berg kommt, ist es gut, wenn nicht, dann können wir auch damit umgehen.
Andreas, das stimmt wohl, dass ein stärkerer Stressor im Moment das Kommando hat. Nachdem gestern die stärkste Anspannung weg war, aheb ich gemerkt, dass die Depri wieder auf der Lauer liegt. Sie versteckt sich manchmal eben, aber weg ist sie nie. Aber ich merke wenigstens, dass ich immer noch Kräfte mobilisieren kann, wenn's drauf an kommt und das ist gut zu wissen.
Werde heute trotz der Schweinekälte mal wieder rausgehen und die Sonne genießen.
Sonntägliche Grüße!
Guitaranderl

Re: Vater

Beitrag von Guitaranderl »

>Aber ich merke wenigstens, dass ich immer noch Kräfte mobilisieren kann, wenn's drauf an kommt und das ist gut zu wissen.

DAS ist eine ganz wichtige Feststellung. Einer der schlimmsten Depressionsverstärker ist zweifelsohne das Gefühl der Entmächtigung. Wenn Du um diese Ressourcen weißt, gibt das immer ein Stück mehr Sicherheit und Vertrauen, wenn sowieso der Boden schwankt....

>Werde heute trotz der Schweinekälte mal wieder rausgehen und die Sonne genießen.

pööö.. demnach wohnst Du sicherlich nicht in Hamburg, denn hier ist nur grau zu sehen...

alles Gute für Dich
Andreas
Rike
Beiträge: 94
Registriert: 5. Dez 2005, 08:30

Re: Vater

Beitrag von Rike »

Nein Andreas, ich wohne nicht in Hamburg, aber ca. 150 km südlich davon. Ich habe allerdings vor ca. 20 Jahren mal in Hamburg gelebt, wenn auch nicht sehr lange. Bin in Hamburg nie so richtig warm geworden, da eher eine geborene Landpmeranze. Entschuldige, ich will Dir nicht zu nahe treten, aber der Hamburger an sich ist ja etwas arrogant, während der Heidjer ziemlich stur und "spökenkiekerisch" veranlagt ist. Finde Hamburg als Stadt aber schon schön (wenn man sich die Hamburger wechdenkt)!
Liebe Grüße aus dem sonnigen Süden an mein Brüderlein!
Guitaranderl

Re: Vater

Beitrag von Guitaranderl »

Schön, Ulrike, dass Du nicht in Schubladen oder Kategorien denkst.. das wäre doch sehr einengend .. .

Und ich bin vor 17 Jahren von Hannover hierher gezogen. Ich bin und werde immer mit Leib und Seele Hannoveraner bleiben; arbeite und lebe halt nur in einem anderen Land...hihi

aus dem schrecklich arroganten Hamburg
Andreas
Rike
Beiträge: 94
Registriert: 5. Dez 2005, 08:30

Re: Vater

Beitrag von Rike »

Bingo! Grübel: doch nach der Geburt getrennt? Oder an eine fremde Famiie weggeben? Ist einer von uns beiden das Produkt einer außerehelichen Affäre?
Nein, natürlich habe ich überhaupt keine Vorurteile, außer, dass Schwaben spießig und geizig, Berliner großmäulig, Hessen äppelwoisüchtig und alle Männer Schweine sind, bin ich die toleranteste und weltoffenste Frau von allen.
Du kannst ja auch nichts dafür, dass Du nach Hamburg musstest, Du bist ja nicht freiwillig ausgewandert!
Und kommst Du noch manchmal nach Hannover? Den guten alten Maschsee umrunden, die Lister Meile runterlatschen oder alle Sehenswürdigkeiten abklappern? Andächtig die großen Bauwerke wie das Ihme-Zentrum und das Expo-Gelände im schönen Laatzen bestaunen?
Gruß aus der Expo- und Messestadt!
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