Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Anthony
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Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Anthony »

Hallo zusammen,

ich hatte mit 20 eine aus meiner Sicht recht starke Depression durchgemacht, die anfangs auch nicht erkannt und falsch behandelt wurde. Auf eigenes Drängen beim Hausarzt wurde ich zum Psychiater überwiesen der dann ein "depressives Syndrom" diagnostizierte und mich mit Antidepressiva auf Johannsikrautbasis behandelte.

Vielleicht noch kurz die Vorgeschichte (wer nicht viel lesen will, kann das auch überspringen): Mit 19 hatte ich, damals kerngesund, eine Art Anfall der sich in Sehstörungen, Sprachstörungen und Taubheitsgefühle in den Gliedmassen äusserte. Ich weiss bis heute nicht, ob es ein kleiner Schlaganfall war, oder eine Durchblutungsstörung im Gehirn oder sonstwas. Die Störungen gingen nach 1 Tag weg, das Taubheitsgefühl in den Gliedmassen blieb schwächer noch eine weile. Jedenfalls war das für mich ein harter Brocken und ich tendiere dazu Dinge mir erklären zu wollen und zu müssen. Das ging aber hier nicht und durch die schlechte ärztliche Behandlung (fühlte mich völlig unverstanden und dilletantisch behandelt, was es auch war...) und der Hilflosigkeit meiner Eltern und meiner eigenen dann auch, manifestierte sich bei mir der Glaube, ich habe einen Hirschaden, Tumor etc... Ich bin völlig aus dem Gleichgewicht geraten, Schlafstörungen und heftige, nicht zielgerichtete Angstzustände. Ich kann mich noch an den abend erinnern, an dem ich das Erlebnis hatte, als ob mein inneres ICH-Gefühl zerstört wird. Ich fühlte mich nicht mehr.

Ich schreibe heute hierher, 11 jahre später, weil ich das Gefühl habe, dass die Dperession nie ganz verschwunden ist. Ich habe das Gefühl etwa bei 80 oder 90% zu sein, aber nicht bei 100%.

Nach der Behandlung mit den Antidepressiva bin ich auf ca. 50-60% gegangen und dann ging es ganz langsam weiter besser, bis heute.

Eine Sache beschäftigt mich ganz besonders: Das Bewußtsein. Ich habe immernoch das Gefühl, nicht mit vollem Bewußtsein erleben zu können und das macht mich echt fertig. Nach der langen Zeit kommt hinzu, dass man irgendwann nicht mehr genau weiss: "ist das was ich spüre nun 100% oder 80?" Aber mein Gefühl sagt, es muss mehr drin sein.

Ein anderer Rückstand ist die Verkrampftheit in meinem Körper, insb. die Oberschenkel sind ständig unter Anspannung, auch in der Brust und den Schultern hemme ich mich, ohne noch bewusst darauf einfluss zu nehmen. Ausserdem ist meine Atmung flach und teilweise unrhythmisch. Da muss ich eigentlich ran, um meine Lebensqualität weiter zu steigern...

Ich überlege, was ich aktuell machen könnte. Und mich würde interessieren, ob insb. solche Bewusstseinstrübung bei euch auch stattgefunden hat, und ob und wie ihr wieder auf "Hundert Prozent" gekommen seid!?
Ebenso würde mich interessieren, ob jemand ähnliche körperliche Symtome (Angespannte Gliedmassen, schlechte Atmung) hat oder damit umgehen konnte.

Vielen Dank für eure Antworten und ich hoffe, ich kann dem einen oder anderen auch einige Anregungen geben bei seinem Umgang mit der Depression.
nina*tina

xxx

Beitrag von nina*tina »

Anthony
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Anthony »

Danke Nina, Yoga ist ein guter Tipp. Ich arbeite aktuell schon ein wenig daran mit Atemübungen.

Ich denke, dass meine Verkrampftheit eine Art Schutzreaktion oder Angst aus der Depression ist, die irgendwie chronisch geworden ist. Man wird ja verkrampft, wenn man sich unwohl fühlt. Vielleicht hängt auch alles zusammen, und mein Bewusstsein ist ebenfalls "verkrampft" D.h. ich könnte es lösen, in dem ich den inneren Krampf loswerde...
triste
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von triste »

Hallo Anthony,

mir fällt bei verkrampfter Muskulatur sofort der Zusammenhang zur inneren Angespanntheit auf. Die schlechte Atmung ist wahrscheinlich auch eine psychosomatische Folge.
Du schreibst zwar von medikamentöser Behandlung, aber nicht von Psychotherapie.
Bei mir wurde die innere Anspannung (die sehr hoch war) durch Psychotherapie langsam abgebaut. Ausserdem kann ich Entspannungstechniken wie Progressive Muskelrelaxation und Autogenes Training wärmstens empfehlen. "Körperarbeit" in jeder Hinsicht, also Bewegung ebenso wie manuelle Therapien (Massage, Shiatsu etc.), Wärmebehandlungen, geistige Entspannung (Meditation) usw. wären bei Dir sicher hilfreich. Deine Symptomatik bei dem Vorfall mit 19 deutet ja auf eine neurologische Geschichte hin. Du beschreibst, wie sehr Dich das verunsichert hat, was ich gut verstehen kann. Vielleicht wäre es nun an der Zeit, das Vertrauen in Deinen Körper zu unterstützen, indem Du "positive" Körperwahrnehmung wie Entspannung, Leistungsvermögen (beim Sport z.Bsp), Ruhephasen, etc. regelrecht trainierst. Atemübungen wären sicher auch gut bei Dir, da gibt es Seminare.
Die Ursache dieser Störungen liegt aber vermutlich tiefer, und da würde ich mit Therapie drangehen.

Viel Erfolg!
Virginia
Anthony
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Anthony »

Vielen Dank Virginia, ich überlege in der Tat seit einiger Zeit eine Psychotherapie zu beginnen. Ich denke fast, dass der richtige Zeitpunkt nun langsam gekommen ist, denn ich will diese "Rückstände" endlich los werden und mein Leben auf dem maximal-möglichen Level leben, das ist bei aller Anstrengung jetzt nicht möglich.
Ich mache ein Sportprogramm (hauptsächlich Schwimmen, gelegentlich Fittness und Wellness). Auch arbeite ich eben gerade schon an meinem Energielevel mit Atmung und Ernährung und mit einem Selbsthilfeprogramm. Ausserdem habe ich das Glück, dass ich sehr stark und gut selbst reflektieren kann, aber diese Sachen sitzen da, wo ich selbst nicht rankomme ... noch nicht. Insofern ist die Therapie absolut sinnvoll, weil sie sicherlich schneller zum Erfolg führt... Also sollte ichs tun!

Ich habe so ein bischen das Bauchgefühl, dass wenn ich die innere Anspannung lösen kann, auch mein Bewusstsein und meine Fähgkeit voll zu erleben auf 100% kommen kann...
tomroerich
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Anthony,

ich glaube zu verstehen, was du mit Bewusstsein zu nicht 100% meinst. Auch ich hatte noch viele Jahre nach Abklingen meiner Depressionen als Restsymptom, dass ich mich nicht richtig "da" fühlte. Es war da ein Gefühl, als ob ich die Dinge nur träumte.

Vermutlich liegst du richtig, wenn du einen Zusammenhang zwischen deinem verspannten Körper und diesem Phänomen siehst. Anspannung hat etwas mit Angst zu tun und diese Angst, so kenne ich es von mir, hat als Ursache, sich vor den Anforderungen der Welt zu fürchten und nicht selbstverständlich da sein zu wollen. Ich lernte im Laufe der Jahre, dass ich keine Angst haben muss, dass es an mir liegt, wie angstvoll meine Beziehung zur Welt ist. Ich glaube, dass deshalb im Laufe der Jahre sich meine beziehung zum Außen verändert hat. Ich lernte, gelassen zu bleiben auch in angespannten Situationen. Vielleicht müsstest du das, wie Virginia schon sagte, in einer Therapie mal herausfinden, worin deine Angst gründet.

Neben Yoga, das ich pers. nicht kenne, würde ich Meditation als das Mittel der Wahl sehen, um bewusster zu werden. Durch Meditation lernst du, dich zu konzentrieren und deine Aufmerksamkeit als Instrument zu gebrauchen. Durch zähes Üben kann man es dahin bringen, z.B. 15 Minuten lang nur einen einzigen Gegenstand zu imaginieren, ohne in Gedanken abzuschweifen. Diese Fähigkeit lässt sich für alles anwenden, was du wahrnehmen willst, vor allem auch für die eigenen inneren Vorgänge, die oft sehr fein und schwer wahrnehmbar sind. Man kann mit Recht sagen, dass das berühmte "Erkenne dich selbst" erst dadurch möglich wird. Aber auch, wenn du diesen Anspruch nicht hast, wird dir Meditation einen reichen Zuwachs an Innenleben und Bewusstsein bringen, wenn du sie ernsthaft und regelmäßig übst und mit viel Geduld. Denn schnelle Ergebnisse gibt es hier nicht. Aber nach 6 oder 12 Monaten wirst du sehr wahrscheinlich merken, dass sich etwas verändert hat, auch wenn du nicht beweisen kannst, dass es von der Med. kommt.

Viel Erfolg und strahlendes Bewusstsein wünscht dir


Thomas
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Schnarchi
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Schnarchi »

Hi Anthony,

hab' zwei Thesen dazu, warum Du glaubst, nicht auf 100% zu sein.

1. Du bist längst auf 100% und willst es nicht annehmen. ...Mit 30 fühlt man halt auch nicht "mehr" so wie mit 19.

oder

2. Du blockierst die letzten 10...20% mit dem Zwang, unbedingt noch über 10-20% mehr verfügen zu wollen.


@Nina

>>>Bewusstsein hat man im Grunde nur dann, wenn man nicht denkt.<<<

Da kann ich Dir nur zustimmen. Wer bewusst wird, der läuft Gefahr, dass ihm auch bewusst wird, was nicht so schön ist. Das macht "pures Erleben" eher unmöglich als möglich.

Es hat einfach 'nen Sinn, wenn wir uns beispielsweise NICHT permanent das Schlagen unseres Herzens bewusst machen. Sobald wir uns dessen bewusst werden und es zu spüren beginnen, ist das idR eher unangenehm. Im Extremfall bringt es uns den Gedanken nahe, dass jeder Schlag der Letzte sein könnte.
Es gibt kein selektives Bewusstsein wenn man's auf die Spitze treibt.

...Mit den Augen zu, sieht die Welt viel besser aus...

findet MICHL
nina*tina

Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von nina*tina »

Hallo Michael,

vielleicht siehst Du die Welt nur nicht in der richtigen Art und Weise, wenn Du sagst, dass sie mit geschlossenen Augen besser aussieht?

"Im Extremfall bringt es uns den Gedanken nahe, dass jeder Schlag der Letzte sein könnte."

Genau das meinte ich! Die Gedanken machen uns krank, wie Dein Beispiel so schön zeigt. Warum sollte man denken, dass der nächste Herzschlag der letzte sein könnte? Zu welchem Zweck? Man beschäftigt sich mit der Zukunft, die ohnehin nicht beeinflussbar ist, anstatt bewusst in der Gegenwart, im Hier und Jetzt zu leben. Das geht nur, wenn man nicht denkt. Gedanken sind entweder in der Vergangenheit, beschäftigen sich mit Unabänderlichem oder in der Zukunft, bei Dingen, die noch nicht da sind. Aber niemals im momentanen Augenblick. Nicht, dass ich dies könnte, aber ich wage zu behaupten, dass die Menschen viel glücklicher sein könnten, wenn sie nur im jetzt leben würden.

Viele Grüße
Nina
tomroerich
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Nina,

Gedanken sind entweder in der Vergangenheit, beschäftigen sich mit Unabänderlichem oder in der Zukunft, bei Dingen, die noch nicht da sind. Aber niemals im momentanen Augenblick.

Richtig! Aber es ist der Gedanke, der die Zukunft gestaltet. Wer richtig denken lernt, also bewusst denken, führt herbei, was er sich wünscht und überwindet, was er sich nicht wünscht.

Nichts anderes als unser eigenes Bemühen ist es, das uns Gutes bringt! Kein anderes Wesen ist für das verantwortlich, was wir erlangen, denn alles ist die Folge des menschlichen Gedankens. Es existiert nichts unter der Sonne, das nicht von jedem Menschen mittels rechter Bemühung erreicht werden könnte

(Zitat von Vasistha)

@Michael

Bewusst zu sein heißt ja nicht, immer mehr wahrnehmen zu müssen und keine Wahl zu haben. Im Gegenteil zeichnet sich Bewusstheit dadurch aus, dass man die Wahl hat und wahrnehmen kann, aber nicht muss. Im Bewusstsein liegt mehr Freiheit und weniger Zwang.


Viele Grüße

Thomas
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Schnarchi
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Schnarchi »

Moin Thomas,

"......Im Gegenteil zeichnet sich Bewusstheit dadurch aus, dass man die Wahl hat und wahrnehmen kann, aber nicht muss........."

Wie machste das denn ? ...Wenn ich 'ne Wahl habe, dann doch immer zwischen Dingen, die mir bereits bewusst geworden sind.

"...Wer richtig denken lernt, also bewusst denken, führt herbei, was er sich wünscht und überwindet, was er sich nicht wünscht......"

Das klappt ja nichma bein Schach, denn da denkt, wie so oft im Leben, ausser mir ja noch jemand anners und lenkt mein "Schicksal" mit.
Meiner Meinung nach kannste nur bewusst nachdenken (heisst nicht umsonst NACHdenken). Bestenfalls bewusste Entscheidungen treffen. ...Oder besser, daran glauben, dass man bewusste Entscheidungen trifft ...Wobei immer noch dahingestellt ist, wer in uns sich seiner gerade so bewusst is' . ...Der Gelobte, der Entwertete, der Gönner, der Neider, der Ehrliche oder der "Betrüger", oder oder oder. Dieses können wir uns wohl bewusst MACHEN. Da könnte ich Dir zustimmen.

Wobei ich das Zitat nu schon wieder als eines aus dem Reich der schönen Worte stammendes bezeichnen würde. Nicht, dass es nicht eine Grundvoraussetzung wäre, um etwas zu erreichen was man erreichen möchte, aber erzähl das mal 'nen Obdachlosen unter der Brücke, dat der nur positiv denken muss, und schon tut'n Rolls Royce vorfahren, oder 'nen Verhungernden in Afrika oder sonstwo.
Positiv denken bringt uns nur weiter, wenn auch das Glück mitspielt.

@Nina

Nee, glaub' nicht, dass ich MEINE Welt falsch sehe. ...Mit den Augen auf, da sehe ich schnell Sachen, die ich nicht sehen will, weil ich sie schon gesehen hab'. Da sehe ich schnell ziemlich grausame Wahrheiten. Z.B., dassde dich um 7 Uhr nochmal genüsslich im Bett umdrehst, und um 9:30 biste fast tot und'n ehemaliger Schlachter biegt dir die Rippen auseinander und stochert dir dilletantisch mit 'nen 10mm dicken Schlauch 'ne halbe Stunde ohne Narkose im Brustraum herum.

Uiii, grad' wird mir bewusst, dat meine Tochter gleich hungrig vonnr Schule kommt. ....Und mir wird bewusst, dass die Küche aussieht wie sau.
Mussma abbrechen.....

....Mit den Augen zu, sieht die Küche viel besser aus .....

Schöndienstach in die Runde
chimera

x

Beitrag von chimera »

Franzi
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Franzi »

Hi Chimera,

sorry für die Unterbrechung, hat jetzt gar nichts inhaltlich mit Deiner mail und dem Thema zu tun. War nur erstaunt mal wieder etwas von Dir zu hören. Wie geht es Dir denn?

Grüße von

Franzi
tomroerich
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von tomroerich »

Lieber Chimera,

der Gedanke als Ursache für das eigene Schicksal, das finde ich schon sehr faszinierend und es gibt durchaus Anhaltspunkte dafür, dass es so sein könnte. Aber gleich vorweg: Das Zitat bezieht sich auf einen Menschen, der wirklich frei ist, auch frei von den Kräften des eigenen Schicksals. So etwas kann nur von einem Menschen gesagt werden, der eine ganz und gar andere Entwicklungsstufe erreicht hat, insofern hat Michl natürlich Recht, dass es ein Spruch aus einer fernen Welt ist, die nicht unsere ist. Trotzdem kann das Extrembeispiel aber zeigen, dass der Gedanke eine Macht darstellt, die unser Leben verändern kann und es auch bestimmt. Man denke auch an die Aussage von Jesus, dass alles, was man will, sofort geschehen kann (Berg versetzen). Und die Bibel beginnt mit "Am Anfang war der Gedanke" (Gedanke statt Wort ist laut einigen Theologen die richtigere Übersetzung)

Ich las heute einen sehr interessanten Gedanken, der verdeutlicht, warum wir nicht wirklich nach Belieben mit unseren Gedanken uns ganz neu bestimmen können.
Unser Plan (unser Wollen) wurde da mit einem Schachspiel verglichen und wir mögen einen sehr guten Plan haben, das Spiel zu spielen. Aber uns gegenüber sitzt als Gegner unser eigenes Schicksal, das wir uns selbst aus unseren Gedanken (und Taten als Ausdruck der Gedanken) geschaffen haben. Jeder Zug von uns wird eine Antwort bekommen. Aber die Antwort wird unseren Plan beeinflussen. Wir müssen anders, als wir wollten. Und vielleicht ist sogar letzten Endes nichts mehr von unserer Strategie zu erkennen, wenn das Schicksal zu stark ist und wir zu wenig wissen, was unser Schicksal ist.

Aber wir können unser Schicksal kennen lernen, indem wir uns selbst kennen lernen, denn wir sind ja unser Schicksal. Und so kann man die Macht des Schicksals schwächen und das Schachspiel immer mehr in die gewünschte Richtung bringen.

Was gibt es für Anhaltspunkte dafür, dass wir mit unseren Gedanken selbst unser Leben gestalten? Du sagst:

Und so erschaffen wir aus dieser Energie des Leids wieder neues Leid – bis wir den Prozeß umkehren, uns aus der magnetischen Anziehungskraft des Bestehenden befreien. Das kann ich unterschreiben! Kann der Gedanke ein Mittel zur Befreiung sein? Ich glaube schon. Anders als unsere Gefühle können wir den Gedanken bewusst gestalten, wenn wir uns darum bemühen. Ich kann z.B denken: "Ich fühle mich zwar durch diesen Menschen da verletzt, aber ich will trotzdem nicht darauf eingehen". Das erfordert Energie, das zu denken, besonders wenn man schlechte Gefühle dabei hat. Aber es wird auf die Dauer bewirken, dass ich mich den Verletzungen durch andere besser entziehen kann und schließlich auch keine schlechten Gefühle haben muss. Das ist auf jeden Fall erreichbar- bloß muss man es eben auch wirklich wollen.

Nicht angstvolles verdrängen ist hiermit gemeint, sondern die bewußte Reduktion von Aufmerksamkeit.

Ich nehme an, du meinst das damit, was ich gerade schrieb. Wenn ich etwas Unangenehmes erlebe und ich will es nicht mehr erleben, muss ich anstreben, die Aufmerksamkeit davon abzuziehen. Aber unangenehme Dinge verschaffen sich gerade dadurch Aufmerksamkeit, dass sie unangenehm sind und sich uns aufdrängen- viel mehr als angenehme Dinge, für die wir uns eher öffnen müssen. Um die unangenehmen Gefühle zu reduzieren und ihnen Aufmerksamkeit zu entziehen, muss ich etwas leisten, ich muss mich verschließen. So wie wenn ich sage "ich höre da gar nicht hin" wenn mir jemand immer wieder was Belastendes sagen muss. Auch das geht m.E. nur mit dem richtigen Gedanken, dem richtigen Entschluss.

Schluss jetzt. Ist eh schon wieder son Aufsatz, wie der Anderl immer sagt. Hello Anderl.


Lieben Gruß von

Thomas
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tomroerich
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von tomroerich »

Moin Michael,

ich musste jetzt staunen. Las eben noch einmal dein Posting und die Stelle mit dem Schach und heute Nachmittag lese ich da was in einem Buch, was ich an Chimera schrieb, auch mit Schach und es ist auch noch der gleiche Gedanke dahinter. Seltsam.

Wie machste das denn ? ...Wenn ich 'ne Wahl habe, dann doch immer zwischen Dingen, die mir bereits bewusst geworden sind.

Also das sehe ich so und wills mal an einem Bsp. erklären. Wenn dir jemand blöd kommt, dann wirst du dich nicht auf den stürzen, um ihn zu verkloppen, oder? So schätze ich dich persönlich jetzt mal ein. Aber musst du dazu nachdenken und einen denkende Entscheidung treffen? Glaube ich eher nicht. Du weißt das einfach und zwar deshalb, weil es deinem eigenen Sein entspricht.
Ich glaube, nachdenken müssen wir nur über die Dinge, die uns nicht bewusst sind. Da fehlt was, ist nicht bewusst. Du merkst schon, ich verstehe wahrsscheinlich nicht dasselbe unter B. wie du. B. heißt für mich nicht einfach, etwas wahrzunehmen, nicht nur, sondern es bedeutet, etwas zu wissen, ohne darüber nachdenken zu müssen.

Ich glaube auch, jeder Mensch hat zum Teil diese Form des Wissens. Er nimmt in diesen Teilen an der Wahrheit teil und welche Teile das sind, das ist durch sein Sein bestimmt, das sind seine persönlichen Filter. Manche Dinge weiß man, ohne sagen zu können, woher man sie weiß. Ich habe die Vorstellung, dass wir gar nicht unsere Gedanken selbst produzieren, sondern sie nur empfangen. Und welche das sind, also auf welche Wellenlänge wir abgestimmt sind, das bestimmen wir mit unserem Bewusstsein oder anders gesagt damit, auf was wir unsere Aufmerksamkeit richten. Das erklärt, warum wir durch eine Neuabstimmung die ganze Welt verändern können. Wir leben immer genau in der Welt, auf die wir abgestimmt sind. Und erst dann, wenn wir jede persönliche Vorliebe und jeden Filter aus uns entfernt haben, leben wir in allen Welten und können alles empfangen.

Klingt abstrus, ich weiß.

Gehe jetzt mal heimwärts. Ein langer Arbeitstag im Forum geht mal wieder zu Ende Was macht die Küche? Ich hoffe doch, da herrscht Hochglanz?

Schönen Abend wünscht

der Thomas
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Anthony
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Anthony »

Hallo Thomas, toll, ich glaube du verstehst mich hier ganz gut. Was hast du denn konkret gegen dieses „nicht da sein“ getan? Die Meditation? Oder hat dir weiteres geholfen, z.B. weitere Therapie oder Medikamente?

Michael: Also ich fühle mich jedenfalls nicht wie ichs gern hätte und wie es war, ich bin nicht voll im Leben und "sauge das Mark des Lebens nicht in mich auf". Das ist zwar ohnehin nicht immer so, aber das ist trotzdem nicht "normal" im Gegensatz zu vor der Depression, oder sagen wir: verbesserungswürdig.

Das Argument mit 30 contra 19 lasse ich nicht gelten, daran glaube ich auch nicht.

Übrigens glaube ich meine Angst identifiziert zu haben. Als mich die Depression voll erwischt hatte, habe ich um noch am Leben halbwegs teilzunehmen auf mechanische Reaktionen umgestellt. D.h. ich habe nicht mehr gelacht, weil ich mich so fühlte, sondern weil es gerade gesellschaftlich passte, kopfgesteuert. Sozusagen als Selbstschutz. Und warum? Weil ich Angst hatte, dass meine Depression mich sonst noch mehr gesellschaftlich runterzieht. Wie du sagst Thomas, um selbst nicht da sein zu müssen (zu können) und weil ich die Anforderung an die Welt (im Kopf da zu sein) nicht erfüllen konnte. Nun ist die Aufgabe wohl, zu erkennen, dass die Angst nicht mehr berechtigt ist. Das aber umzusetzen ist der Weg... blo sden richtigen Weg hier zu finden, der wirklich etwas merklich verbessern kann, das ist die Schwierigkeit.
Clown
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Clown »

Da wo mein Herz ist
sind meine Gedanken
und wo meine Gedanken sind
ist meine Kraft
und da kann das Leben sich entfalten.

(VerfasserIn mir unbekannt)

Ist das etwas anderes als Thomas/Chimera meinen?

Janwillem van de Wetering schreibt in 'Der leere Spiegel' auch etwas von der Macht der Gedanken. Er schildert dazu ein selbst erlebtes Ereignis, ich suche aber jetzt nicht im Buch...es ist länger her, dass ich es las.

Ganz profan: Beim Tischkicker spielen hatte ich letzthin das Gefühl, mein Gedanke, 'ich will gewinnen', der aber eher so ein Gefühl im Solar Plexus war, verhalf mir zu Toren.
(Das Spiel verlor ich mit 9:10, ich wollte wirklich nicht mehr gewinnen, gegen den kleinen Fünftklässler )

HochleistungssportlerInnen machen das doch auch, dieses mentale Focussieren, oder ist das auch etwas anderes?

Grüße von Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
chimera

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Beitrag von chimera »

tomroerich
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von tomroerich »

Hi Anthony,

Hallo Thomas, toll, ich glaube du verstehst mich hier ganz gut. Was hast du denn konkret gegen dieses „nicht da sein“ getan? Die Meditation? Oder hat dir weiteres geholfen, z.B. weitere Therapie oder Medikamente?

Da muss ich dir ehrlich antworten. Ich weiß es nicht wirklich. Viele Dinge kommen in Betracht, auch das Medikament. Ich nahm früher über Jahre Fluctin, mit einem höchstens 70%igen Erfolg und in dieser Zeit machte ich auch meine Analyse, die 3,5 Jahre dauerte. Aber in dieser Zeit verschwand das fragliche Problem der verminderten Bewusstheit jedenfalls nicht. Aber ich kann mich sehr gut erinnern, dass es einen sehr plötzlichen Durchbruch gab, der ca. 4 Jahre zurück liegt. Bis zu diesem Zeitpunkt lebte ich wie hinter einem Vorhang, manche beschreiben das Problem als "gläserne Wand". Ich dachte immer "Wie merkwürdig, das ist die Welt, wie ich sie kenne. Aber sie ist doch anders als früher, sie ist so entrückt, so undeutlich". Und das hörte ganz plötzlich auf. Ich saß beim Fernsehen und schaute von der Mattscheibe weg auf mein Bücherregal und bemerkte, dass etwas sich verändert hatte. Die (innere ) Wand war weg!
Irgendwie ist das qualitativ anders gewesen als das eingeschränkte B. und hat doch damit zu tun. Hmmm, schwierig. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich damals schon Trevilor nahm.

Die Veränderungen der letzten 4 Jahre dann können ja durchaus vom Trevilor beeinflusst sein. Mein Gefühl sagt mir aber, dass es die mehr und mehr nachlassende Existenzverunsicherung ist, die mich wieder hervorkriechen ließ. Wenn ich mal etwas pathetisch sage, Bewusstsein ist ja auch, sich der Welt zu stellen, sie zu WOLLEN, ja sie geradezu aufzusaugen und zu lieben (daran arbeite ich noch heftig), dann begründet sich mein Gefühl eben dadurch, dass ich eine solche Entwicklung machen durfte. Aber warum durfte ich das? War es die Analyse? Die Meditation? Musste die Depr. sein, um mich in die finstersten Winkel meiner selbst zu stoßen, damit ich befreit wieder hervorkriechen konnte und erst dann zu wissen, was Dunkelheit ist und ab da mich nach Licht zu sehnen? Wie gesagt, das bleibt vorläufig das Geheimnis meiner verborgenen Seele.

Jedenfalls finde ich es vollkommen richtig, dass du suchst und diesen Teil auch noch überwinden willst. Ich ahne, dass er dir erheblich mehr Einschränkungen verschafft, als man zunächst glauben mag.

Herzliche Grüße

Thomas
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tomroerich
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von tomroerich »

Der Unterschied zwischen Thomas' und meiner Auffassung liegt traditionell darin, daß der liebe Thomas eher bei den Gedanken ansetzt und ich eher beim Gefühl,

Ganz recht, so muss das auch gemacht werden, Schimärus Maximus! Ich verrat dir auch, warum. Das Gefühl ist, so wie wir jetzt gestrickt sind, ein reagierender Anteil in dir. Mit dem kannst nix machen. Und wenn doch, dann musst dazu erst den Gedanken fassen und zu dir sagen "ich will da mal was ändern jetzt". Und dann ist es doch wieder der Gedanke, der dein Instrument ist. Nä, es bleibt dabei, nur der Gedanke gehört uns und kann uns gehorchen. Aber das Jefüüüüühl, das fühlt da vor sich hin, wie es ihm beliebt.
Bitte sääähr, die Gegenargumente nun?

Jefühlfulle Grüße

Thomas
Betroffene für Betroffene

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chimera

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Beitrag von chimera »

Clown
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Clown »

Ich bin derselben Meinung wie Chimera:

Da wo mein Herz ist, sind meine Gedanken...

Der Begriff Energiefelder gefällt mir gut im Zusammenhang mit Gefühlen. Woher hast du ihn, Chimera?

>>>Und ich meinte, daß ich in meiner Realität nichts werde manifestieren können, was ich nicht fühlen kann. Wenn ich es nur denke, fehlen die zur Manifestation erforderliche Energie und Schwingung.<<<
Das nennt man doch auch Motivation.

Allerdings, Thomas meint vielleicht eine andere Ebene der Gefühle:
>>>Das Gefühl ist, so wie wir jetzt gestrickt sind, ...<<<
Und das, was Ch. möglicherweise meint, kann erst auf einer sozusagen höheren Ebene stattfinden. Ch. würde dann von einer anderen Art und Qualität von Gefühlen reden (so ich denn Recht hätte mit diesen Gedanken).

Grüße von Clown
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Franzi
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Franzi »

Hallo Thomas, Hallo Chimera,

nun möchte ich doch meinen Senf auch zum Thema beitragen. Sehe das mit den Gedanken etwas anders... Natürlich spielen negative Gedanken dabei eine Rolle, dass wir an einer Depression erkranken, aber auch Überforderung und Stress und was weiß ich noch....

Bei mir ist es so, dass ich während einer depressiven Episode immer wieder versucht habe meine positiven Gedanken zu aktivieren, wieder hervorzuholen. Genau das ist eben das Problem. Ebenso habe ich versucht mich an positive Erlebnisse zu erinnern, um wieder was Positives zu fühlen. Es gelang mir nicht! Das ist ja eben das Problem. Es besteht eine totale Eindimensionalität. Alles war in dieser Zeit total verschüttet, ich litt unglaublich darüber. Das Jetzt war furchtbar (Depression), aus der Vergangenheit traten die negativen Erlebnisse und Gefühle in den Vordergrund und an die Zukunft war gar nicht zu denken. Sie erschien wie ein Nichts...

Außerdem frage ich mich bei diesem Ansatz wie es dabei mit anderen Erkrankungen ausschaut, wie z.B. Krebs oder auch andere schwere Krankheiten. Erkrankt man,weil man/frau negative Gedanken hat? Das kann es ja wohl nicht sein!

Inzwischen geht es mir wieder besser, fühle mich aber immer noch nicht gesund und ich habe wieder positive Gedanken und Gefühle, obwohl von außen betrachtet meine Lebenssituation nachwievor sehr schwierig ist.

@ Chimera: Dann bist nun also nicht mehr Freiberuflicher, sondern wieder angestellt und krankenversichtert? Da hast Du doch einiges geschafft. Ich trage mich momentan manches Mal mit dem Gedanken an Freiberuflichkeit, da in meinem Bereich da größere Möglichkeiten und Chancen liegen, scheue jedoch wegen der Erkrankung zurück. Bin unsicher, was ist, wenn ich einen Rückfall bekommen und und...
Das letzte Jahr war hart und schwer, es ist sehr viel passiert. Trotzdem habe ich es geschafft, damit umzugehen. Darauf bin ich stolz.

LG Franzi
chimera

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Beitrag von chimera »

chimera

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Beitrag von chimera »

Clown
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Re: Nach der Depression wieder 100% bewußt sein?

Beitrag von Clown »

>>>Hmmm... Ich nenne das: Über das Geistige hinausgehendes Mobilisieren/Miteinbeziehen anderer Teile unseres Wesens.<<<

Das klingt natürlich viel schöner, Chimera. Na, dann mach mal....

ein Clownsgruß
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