Grenzenlose Verlorenheit, uralter Schmerz

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Tine
Beiträge: 214
Registriert: 11. Okt 2004, 19:57

Grenzenlose Verlorenheit, uralter Schmerz

Beitrag von Tine »

Hallo Zusammen,

viele von euch kennen mich und meine Geschichte aus der Rubrik der Angehörigen.
Heute schreibe ich hier in eigener Sache.

Die Beziehung zu meinem Liebsten scheint nun endgültig beendet, diejenigen, die mitgelesen haben, wissen, dass seine Depression eine entscheidende Rolle dabei spielt.
Das Ende hat mich total nach unten katapultiert und ich erinnere mich jetzt wieder daran, dass ich dieses Gefühl kenne. Mir wird bewusst, dass ich in diesem Menschen eine Medizin zu finden glaubte. Hat auch gut funktioniert, so lange er da war. In Zeiten der Abstinenz ging es mir furchtbar, jetzt am Ende fühle ich mich vernichtet. Es kommen uralte Erinnerungen hoch und eine unglaubliche Angst.

Ich erinnere mich daran, mit 16 Jahren zum ersten Mal das Messer in der Hand gehabt zu haben. Erinnere mich der vielen Stunden, in denen ich nur daliegen konnte mit dem Wunsch, der Schmerz solle endlich aufhören. Und als Lösung sah ich oft nur den Tod. Der Gedanke ist in den letzten Jahren stärker als je und nur die Verantwortung für meine beiden Kinder hält mich im Leben. Oft tue ich mir selbst weh, damit ich aufwache, mich spüre und der seelische Schmerz dem körperlichen weicht.
Diese tiefe Verzweiflung ist mir nicht fremd und doch ist sie so stark wie nie.
Ich dachte immer, ich sei alleine so 'verrückt' bis ich ihn kennen lernte. Zwillingsseele. Der erste Mensch, der wusste, wie sich das anfühlt. Unglaublich, wie schnell wir einander näher kamen. Doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Natürlich ist man am Ende einer Beziehung traurig, fühlt sich elend etc. habe ich alles schon zur Genüge erlebt. Doch hier kommt etwas hinzu.
Ich fühle mich in eine Verlassenheit hineingeworfen, die ich glaubte überwunden zu haben, durch das Band, das uns verknüpfte. Das wortlose Verstehen. Das sich selbst erkennen im anderen. Jetzt ist alles nur noch schlimmer. In den Zeiten meiner Ehe hatte ich Strategien, die mir über das Schlimmste hinweg halfen, ich hatte mir eine Art Paralleluniversum aufgebaut.
Als ich ihn kennen lernte hatte ich das nicht mehr nötig. Er war mein Universum. Das ist schon einmal grundsätzlich falsch. Aber ist nun einmal so.

Was so schlimm ist, ist einerseits der Verlust seiner Person, der mit unendlicher Trauer gepaart ist und andererseits die Erkenntnis, dass ich krank bin. Gestern habe ich es zum ersten Mal geschafft, das so zu sehen und zu äußern. Und irgendwie fühle ich mich lächerlich dabei.
Und nun weiß ich nicht, wie ich da wieder rauskomme. Ich habe Angst vor den Phasen, die ich seit der Jugend kenne, ich habe ihnen nichts entgegenzusetzen. Sie sind stärker als je zuvor und mir fällt keine andere Medizin ein als seine Anwesenheit. Und gleichzeitig weiß ich und habe ich immer iirgendwie geahnt, dass ich damit nur Symptome überdecke. Einen Hirntumor heilt man nicht mit einer Aspirin. Die tägliche Einnahme verhindert vielleicht sogar die frühe, lebensrettende Entdeckung.
Wie komme ich da raus? Wie schaffe ich es, mich nicht hinter der Beziehung zu verstecken und mein eigentliches Problem zu sehen? Wie schaffe ich es nicht nur zu wissen, sondern auch zu fühlen, dass er mich nicht retten kann? Wie rette ich mich selbst?

Tine
Ivory
Beiträge: 59
Registriert: 30. Aug 2005, 17:43

Re: Grenzenlose Verlorenheit, uralter Schmerz

Beitrag von Ivory »

Liebe Tine,
ich kann Dich so gut verstehen.
Die Zeit, in der es mir so schlecht ging, sind Gottseidank vorbei.

Glaub mir, Du kannst Dich heilen.

Du bist in einer Zwischenzeit!
- Es wird wieder weiter gehen und es wird auch wieder schön.

Begib Dich in eine Therapie und laß Dir beibringen, wie Du Deine beste Freundin werden kannst. Das geht - ich habe es selbst erlebt.

Wenn man Kraftlos ist, kann man nicht verstehen, wie man die Kraft aufbringen soll, sich selbst zu trösten, sich selbst zu genügen.
Aber wenn Du einmal dahinter blickst, wirst Du Dir mit der Hand vor den Kopf schlagen, wie 'nah' die Lösung doch lag.

Als 'Strohalmtipp' für die nächsten Stunden:
Denke Dich in 'Mutter und Tochter' und versuche Dich mal in der Mutterrolle ... .
Was macht eine Mutter, wenn es der Tochter schlecht geht?
Und in der Tochterrolle - wie fühlt man sich auf Mamas Schoß?
Kann das vielleicht ein bißchen helfen??

Ich mag das ja nicht so virtuell, aber fühl Dich von mir umarmt.

Es wird wieder schön - ganz bestimmt.



... Und nochwas - selbstverletzendes Verhalten hat biologisch gesehen die Wirkung von Drogen - man schüttet nämlich Hormone aus .. frag mich nicht, welche - die einen 'betäuben und Glücksgefühle auslösen. Wenn Du das weiter machst 'konditionierst'(antrainieren) und verstärkst Du Dir die falschen Gefühle!

Versuche doch lieber 'Feuer' mit 'Wasser' zu bekämpfen und nicht mit noch mehr 'Feuer'.


Ganz lieber Gruß,
Ivory
Tine
Beiträge: 214
Registriert: 11. Okt 2004, 19:57

Re: Grenzenlose Verlorenheit, uralter Schmerz

Beitrag von Tine »

Hallo Ivory,

danke für den Zuspruch.
Aber: 'Die Worte seh ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.'

Nach meiner Erfahrung sehe ich es so, dass es besser wird, um noch stärker wieder zu kommen. Es ist so, als würde einem immer wieder Kraft gegeben, um das nächste, noch schlimmere auch zu überstehen. Wie bei einer geschickten Folter. Das Opfer muss lange genug am Leben bleiben, damit der Quälende mehr davon hat.
Ganz schlimm ist diese Müdigkeit, die gleichzeitig eine Unruhe ist. Selbst den Fingern fällt es schwer, die Tasten zu bedienen. Wieder ein Tag im Krankenstand, wieder ein Tag im Bett.

Mir selbst Mutter sein, finde ich ungeheuer schwer. Meine Mutter durfte mich nie anfassen, noch heute ertrage ich die Berührung einer Frau kaum. Wenn ein Trost, dann müsste es mein Vater sein, er war der Arm meiner Kindheit. Denke ich an meinen Vater, denke ich an meinen Liebsten. Mutterschoß = des Liebsten Arm.

Meinst du wirklich es wird besser? Und wenn es danach wieder schlimm wird? Warum sollte es dann jetzt besser werden?

Tine Ratlos
Ivory
Beiträge: 59
Registriert: 30. Aug 2005, 17:43

Re: Grenzenlose Verlorenheit, uralter Schmerz

Beitrag von Ivory »

Klar, kann es auch wieder schlimm werden - leider.
Aber Du kannst bessere 'Waffen' besitzen, beim nächsten Mal und Dich besser schützen.
Du kannst Aktiv werden und nicht hilflos bleiben!

Was das bemuttern angeht, - DU bist die Mutter! - Damit kannst Du Dir beibringen, für Dich selbst zu sorgen.
Was macht eine Mutter für ihre Kinder?
tommi
Beiträge: 1008
Registriert: 22. Sep 2004, 17:38

Re: Grenzenlose Verlorenheit, uralter Schmerz

Beitrag von tommi »

Liebe Tine,

ich finde es ungeheuer wichtig, dass du erkannt hast, krank zu sein. Es tut mir leid, dass ich es nicht gesehen habe.

Es wird mir dadurch doch einiges klarer, warum du so an der Beziehung festhälst. Du glaubtest, deine Probleme durch seine überlagern zu lassen, das ging nicht gut. Du nahmst dich seiner Probleme an und bearbeitest deine dadurch nicht.

Es wird Zeit, dass du dir für dich Zeit nimmst. Wage den Schritt, dir helfen zu lassen. Wage den Schritt, dich zu lieben.
Besprich das alles mit deiner Thrapeutin und sie wird dir einen Weg aufzeigen, da wieder herauszukommen.

Wie oft steht man im Leben da und spürt die Hoffnungslosigkeit und man findet keinen Ausweg. Doch glaube mir, es gibt einen, auch wenn du ihn im Moment nicht siehst. Dabei kannst nur du dir helfen, indem du dir helfen lässt.

Die ausgesprochene Erkenntnis, dass du krank bist, lässt dich lächerlich erscheinen? Vor wem? Ich finde es nicht lächerlich und ich denke, alle die dich hier kennengelernt haben, finden das auch nicht. Nimm dich ernst, stelle dich in den Vordergrund.

Du hast schon während der Beziehung sehr gelitten, jetzt ist es raus. Es muss auch für dich etwas befreiendes haben, zu dieser Erkenntnis gelangt zu sein?

Ich hoffe, dass dir deine Thrapeutin den Weg zeigt, aus deiner Verzweifelung herauszukommen.

Ich umarme dich ganz doll, du bist eine liebenswerte Frau, die das Glücklichwerden verdient hat.
Liebe Grüße
Tom
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