Habe ich die Depression unterschätzt??

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ICE
Beiträge: 10
Registriert: 8. Aug 2005, 22:06

Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von ICE »

Hallo ihr alle,

ich muß mich heute mal an Euch wenden, wo ich bislang meist nur still mitgelesen habe, aber ich bin gerade ziemlich ratlos.

Mein Problem ist folgendes: ich hatte vor einigen Jahren eine schwere Depression aufgrund akuter Lebenskrisen.

Mit Hilfe eines guten Therapeuten und Antidepressiva habe ich es in den Griff bekommen (vor 2 Jahren Medis abgesetzt und vor einem Jahr Therapie abgeschlossen.)

Es ging mir sehr gut, ich hatte mir ein neues Leben aufgebaut und alles fühlte sich "normal" an.
Zeitweise konnte ich mich gar nicht mehr erinnern, wie schlecht es mir ging und habe mich manchmal tatsächlich gefragt, ob ich überhaupt krank gewesen bin.(!!!)

Jedenfalls habe ich mir auf der Basis einen Wunsch erfüllt und für mich und meinem 6 jährigen Sohn einen Urlaub gebucht (und das wo ich in meinen schlechten Tagen mit ihm nicht mal zum Kinderturnen gehen konnte).
Ich habe mir dabei wirklich nichts gedacht, von wegen Ängste oder Depri.
Dummerweise hat sich dann kurzfristig zur gleichen Zeit eine neue Wohnung ergeben, das bedeutete, dass ich genau einen Tag nach meiner Rückkunft aus dem Urlaub umziehen mußte.(Das war alles im Juni)

Ja, was soll ich sagen, das Chaos war vorprogrammiert. Ich hab wieder in den Abgrund gesehen (!!) und konnte mich plötzlich nur zu gut erinnern, wie sich krank sein anfühlt.

ADs wollte ich damals wegen der Nebenwirkungen nicht mehr nehmen und habe mit Bachblüten angefangen, was mir wirklich gut geholfen hat.
Also ich konnte mich weitgehend stabilisieren, in der Wohnung trotz Anfangsschwirigkeiten einleben und dachte (mal wieder), na, es geht doch....!

Dann kam eine Krisensituation in meiner Arbeit, wo ich durch Ausfälle den ganzen August drei(!) Kollegen ersetzen mußte.

Das hat mich an den Rand meiner Belastbarkeit gebracht, ich habe mich nur noch gequält, wachte nachts mit Herzrasen und Schweißausbrüchen auf, vom Morgentief und den Kontaktängsten gar nicht zu sprechen....
und die Bachblüten halfen auch nichts mehr...

Ich "rettete" mich in meinen nächsten Urlaub.
So. nun habe ich schon fast zwei Wochen frei und es geht mir nicht besser. Obwohl ich jeden Tag das schöne Wetter ausnütze, im Schwimmbad bin, Freunde treffe...ich kann nichts genießen, fühle mich elend.

Ich habe plötzlich vor allem wieder Angst, fühle mich ausgebrannt, glaube mein Leben alleinerziehend und berufstätig nicht mehr zu schaffen...
Mein Sohn wird am Dienstag eingeschult, ich hab richtig Panik davor, die vielen anderen (tollen, nicht kranken) Eltern zu sehen und mich dazwischen wie ein "Alien" zu fühlen.

Ich begreif meine Krankheit einfach nicht. Ich habe doch alles hinter mir, mein Leben ist wieder geordnet...
Wieso kann ich mich nicht mehr langfristig stabilisieren, warum haut mich die kleinste Anforderung um????
Soll das so mein ganzes Leben weitergehen? Ich war immer eine Powerfrau und hab immer alle Probleme angepackt.
Meine Depression war reaktiv, ich bin stets ein psychisch stabiler und im Grunde genommen fröhlicher Mensch gewesen.
Wo ist das denn jetzt, was habe ich falsch gemacht???
Ich schleich ich wieder rum wie ein geprügelter Hund, bring nicht wirklich was auf die Reihe


Tut mir leid wenns ein bischen länger geworden ist...danke fürs lesen...ich hoffe auf Eure Ratschläge..

Eva (ziemlich fassungslos und ärgerlich auf sich und die Krankheit)
Jeanne
Beiträge: 142
Registriert: 13. Jul 2004, 14:20

Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von Jeanne »

Liebe Eva
Willkommen bei den "Aliens"
Ja so eine Einschulung hab ich ja auch grad hinter mich gebracht! Ich hatte auch einen mords Horror davor (kannst du nachlesen in meinem Thread über Aliens) aber ich habe es geschafft und du wirst es auch schaffen. Du hast schon so viel geschafft! Hut ab!!Ehrlich, Umzug alleine schon und dann noch im August drei(!!!!) KOllegen ersetzen, klar, dass da die Kraft fehlt! Und andere "normale"Eltern die nicht Alleine etc. sind,sind vielleicht genauso Aliens und du weißt es gar nicht, man sieht es den Menschen nicht an, genausowenig wie man es uns ansieht!!
Und wenn dir die Bachblüten nichts mehr helfen, vielleicht brauchst, zumindest kurzzeitig wieder eine Thera? Vielleicht nur um herauszufinden, wo der Hase im Pfeffer liegt? Und wenn du keine Ads wills(kann ich sehr sehr gut verstehen- nehme auch keine) dann findet sich vielleicht ein anderer mediz. Weg Homöop. oder Anthro. oder eben auf naturheilkundl. Basis. Schon mit Johanniskraut probiert?
Ich wünsche dir jedenfalls viel Kraft am Dienstag! Es ist ein großer Moment im Leben deines Kindes, versuche es auch ein bissel zu genießen. Wie schwer das ist weiß ich!
LG, Jeanne
ICE
Beiträge: 10
Registriert: 8. Aug 2005, 22:06

Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von ICE »

Hallo Jeanne,

erstmal lieben Dank für Deine schnelle Antwort. Dein tread über die Aliens spricht mir auch aus der Seele.

Ja die Einschulung liegt mir doch sehr im Magen. Vor allem weil mein getrennt lebender Mann mit dabei sein wird.

Wir verstehen uns an sich gut, nach der Trennung ist die Freundschaft geblieben (Er hat mir auch beim Umzug geholfen )

So richtig bewußt ist es mir noch nicht, aber ich scheine wohl etwas Angst davor zu haben, was in mir hochkommt, wenn ich Seite an Seite (so als wären wir noch ein Paar) diesen ersten Schultag unseres Sohnes erlebe.

Immerhin waren wir 16 Jahre zusammen und ich war die, die gegangen ist. Mit Hilfe eines anderen Mannes, der aber nicht ursächlich für das Scheitern unserer Ehe verantwortlich war.

Wie dem auch sei, mir graut ein wenig davor, weil wir dann noch gemeinsam Essen gehen wollen, so als "Pseudofamilie".
Und ich glaube zu spüren, dass mein Ex trotz seiner neuen Familie (hat Freundin und Kind) noch Gefühle für mich hat.

Ich dachte eigentlich, meine Schuldgefühle von damals überwunden zu haben, was passiert aber wenn nicht???
Wenn das wieder hochkocht und ich mich schlecht fühle, weil ich die Familie auseinandergerissen habe?
Und dann mit Tränen kämpfen muß, mitten in der Schule, mitten unter anderen Eltern??

Ich habe mir vorhin einen Termin beim Psychiater geholt, möchte mich doch nochmal beraten lassen wegen Medikamenten.
Aber das ist leider erst einen Tag nach der Einschulung ....

Grüße,
Eva
BeAk

Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von BeAk »

Liebe Eva,

ja ich denke auch das Du Dir in letzter Zeit zuviel zugemutest hast. Als Depri muß man mit seinen Kräften haushalten, Grenzen setzen.
Ich muß das auch noch lernen. Mein Göttergatte fordert auch manches mal was von mir, ich würde gerne nein sagen und tu es dann doch.
ICE
Beiträge: 10
Registriert: 8. Aug 2005, 22:06

Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von ICE »

Hallo Bea,

ja ich glaube, sich zuviel zuzumuten ist mit ein Grundproblem von mir.
In meiner Ehe war es ebenso, mein Mann hat sich immer darauf verlassen, dass ich alles regle. Was ich auch immer brav getan habe, solange bis es nicht mehr ging und ich mitunter deswegen krank wurde.

Bloss wie kann man sich da schützen???
Ich merke meine Überforderung erst immer, wenns zu spät ist und ich mitten drin hänge.

Gibts da ein Frühwarnsystem??? Das wäre gut!!!!

Liebe Grüße
Eva
tomroerich
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Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von tomroerich »

Hallo Eva,

wenn man nur allzu bereit ist, sich zu überlasten, anderen ständig die Arbeit abzunehmen und sozusagen "dauerverfügbar" zu sein, ist die entscheidende Frage, was man damit denn erreichen möchte bzw. wovor man Angst hat, falls man es nicht tut.

Meist ist es so, dass man genau diese Angst, z.B. nicht akzeptiert bzw. geliebt zu werden, durch willfähriges Verhalten kaschiert und sie deshalb auch nicht mehr spürt. So kenne ich das von mir. Schlimmstenfalls wird man völlig davon abhängig, was andere von einem erwarten und verlernt darüber, eigene Wünsche und Bedürfnisse überhaupt noch zu spüren. Dadurch versiegen deine Energiequellen und die Depression klopft an.

Kann das so gewesen sein, als du dir diesen Stress mit Urlaub und Umzug programmiert hast?

Wichtig bei der Lösung des Problems war für mich, wieder das Nein zu lernen. Das muss ja nicht einfach mechanisch geschehen. Ich habe oft erst einmal bei einer Anforderung den Entscheidungszeitpunkt von jetzt auf nachher verschoben um überhaupt Zeit zu haben, meine eigenen Motive zu checken. Will ich lieb Kind sein oder gibt es noch andere Gründe für ein Ja? Was wird es wirklich bedeuten, wenn ich ja sage, wieviel Zeit und Energie muss ich da einsetzen, steht das in einem vernünftigen Verhältnis zu meinen Reserven? Und da habe ich sehr oft gemerkt, wie schnell ich ja zu einer Sache sage ohne überhaupt ein Gefühl dafür zu haben, zu was ich ja sage.
Dann gibt es noch die Hürde, das Nein auch auszudrücken (jetzt kommen die Ängste!) und ggfs. zu verteidigen aber da habe ich klar die Erfahrung gemacht, wie selten die Befürchtung, dafür abgelehnt zu werden, überhaupt gerechtfertigt ist. Und noch seltener erfüllt sich die Erwartung, für das Ja ein gutes Gefühl zu bekommen. Meist erfüllt man dadurch nur ein eigenes Programm, was ganz selbstverständlich ein Ja von einem selbst verlangt. Dafür gibt es nichts zurück, man spürt nicht einmal Stolz oder Zufriedenheit. Energieausgabe just for nothing. Ich will nicht dem prinzipiellen Egoismus das Wort reden sondern nur zu bedenken geben, dass man den Wert der eigenen Energie auch schätzen und einteilen muss.

Gruß von

Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
BeAk

Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von BeAk »

Liebe Eva,

ja bei mir scheint das Warnsystem noch zu funktionieren, nur handle ich nicht immer da nach. Die ganze Situation zu reflektieren wie Thoman das kann, habe ich noch nicht gelernt, beginne meine Psychotherapie erst noch.

Eva, wenn Dich die Depris jetzt wieder voll erwischt haben, mußt Du Dich auch wieder in ärztliche Behandlung begeben, je eher des do besser. In einer Psychotherapie könntst Du genau da Thema "mit den Kräften haushalten" arbeiten.

Ich werde es jedenfalls tun, um für die Zukunft gestärkt zu sein.
Kräuterhexe
Beiträge: 25
Registriert: 4. Jun 2005, 17:04

Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von Kräuterhexe »

Liebe Eva, wenn ich lese was du in der letzten Zeit dir alles zugemutet hast... das hätte auch so manchen gesunden umgehauen. Leider ist es oft so, dass wir Menschen mit Depris nicht so belastbar sind, beziehungsweise wir schaffen es irgendwie und bekommen aber hinterher die Quittung dafür. Es ist wichtig das zu akzeptieren, du mußt mit deinen Kräften haushalten, auch für deinen Sohn. Ich kenne das alles nur zu gut und wünsche dir viel Kraft! Ute
ICE
Beiträge: 10
Registriert: 8. Aug 2005, 22:06

Re: Habe ich die Depression unterschätzt??

Beitrag von ICE »

Hallo Ihr alle,

vielen Dank für Eure Antworten.
Vor allem über das was Du mir geschrieben hast, Thomas, mußte ich echt nachdenken.

Das mit dem nein sagen,...hmmm, stimmt teilweise. In meinem Beruf muß ich viel "nein" sagen und unpopuläre Entscheidungen treffen, weshalb ich da oft nicht so lieb gehabt werde .
Der Überlastungssituation im August bin ich leider nicht ausgekommen, aber prinzipiell kann ich mich beruflich gut abgrenzen.

Im Privatbereich schaut es anders aus. Da mach ich für andere viel und mehr als eigentlich gut ist. Ich mußte wirklich lange überlegen, warum das so ist....Angst vor Ablehnung???

Vielleicht indirekt.
Zeit meines Lebens war es ein "Markenzeichen" von mir, alles zu schaffen und die starke Eva zu sein. Und so war es auch immer, d.h. das war nicht mal aufgesetzt. Ich war ein positiver, zuversichtlicher Powermensch, den nichts umgehauen hat und für den es für jedes Problem eine Lösung gab.
Und das fühlte sich auch gut an...zumindest bis mir durch eine Anhäufung von Ausnahmesituationen schleichend alles zuviel wurde.

Ich glaube, ich habe wohl noch nicht begriffen, daß ich nach der Depression eben nicht mehr "die alte" bin mit dem unerschöpflichen Energiepotential.

Mein "Akku" ist wohl beschädigt, hält nicht mehr so lange wie früher und muß öfters aufgeladen werden.

Daran knabbere ich schon sehr. Ich dachte mit Überwindung der Krankheit geht es so weiter wie früher. Was ich da locker weggesteckt hätte (und wahrscheinlich noch mehr) wird nun zur "Überlastung", und das checke ich erst so spät.

Das trifft genau den Punkt, den du angesprochen hast, Ute. Ich muß akzeptieren, das ich meine Kräfte gezielt einsetze. Um eben nicht mehr in den Abgrund zu rutschen.

Und kann man das tatsächlich in einer Therapie lernen, wie Du gemeint hast, Bea? Das war bei meinem Therapeuten eigentlich nicht Thema, wahrscheinlich weil meine damalige Situation eine andere war.

Auf jedenfall Euch allen lieben Dank für die Denkanregungen, ich fühl mich wieder besser.
(überlege ob ich meinen Psychiatertermin nicht doch wieder absagen sollte, wird doch alles wieder... , aber nein nein, geh schon hin...)

Liebe Grüße
Eva
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