Hadern mit der Welt

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Madita
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Hadern mit der Welt

Beitrag von Madita »

Hallo!
Ich weiß nicht, ob ich eine Depression habe, der Selbsttest fordert mich auf, zum Arzt zu gehen .

Ich genieße den Frühling mit dem wiedererwachendem Leben, freue mich dienstags abends auf die TV-Serie Desperate Housewives, liebe meinen Sohn und bin stolz auf jeden neuen Schritt, den er macht. Einerseits.

Andererseits grübel ich über den Sinn des Lebens, der sich mir nicht offenbart. Es sind die verhungernden Kinder in der "dritten" Welt, Kriege und das alles, was mich verzweifeln lässt. Überhaupt, dieses Leben: Geboren werden, aufwachsen, konsumieren, sterben. Ich finde, das ist zu wenig. Da liegt mein Problem: Konsum macht mir keinen Spaß und an einen tieferen Sinn durch Religion kann ich nicht glauben (obwohl ich es tapfer versuche . Mir fehlt ein Anker.

Nun tauchen diese Situationen geballt auf, wenn in einem Bereich meines Lebens etwas nicht so läuft wie es könnte. Das ist z.Z. der Job. Aber irgendwelche Probleme tauchen ja immer auf, so ist halt der Lauf des Lebens. Davon kann ich mich ja nicht immer wieder so runterziehen lassen, dann bin ich ja Spielball der äußeren Umstände.

Mein Geist scheint meinem restlichen Ich ohnehin weit voraus zu sein: Ich beobachte mich selber (nicht visuell oder sonst irgendwie sinnlich), wie ich bestimmte Verhaltensmuster abspule, wie auf Knopfdruck und muss darüber lächeln.

Wenn ich ganz schlecht drauf bin, flüchte ich mich übrigens in beschämende Tagträume. In denen bin ich sowas von toll... Das kotzt mich natürlich auch an.

Ist das eine Depression? Kann man mir helfen?

LG von Madita
Dendrit
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Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von Dendrit »

Herzlich Willkommen, Madita!

Deine letzte Frage kann eigentlich nur ein Psychologe/Psychiater wirklich beantworten.

In einem kann ich Dich auf jeden Fall voll und ganz verstehen: wenn in der "großen weiten Welt" was bewegendes geschieht, bedrückt mich das oft sehr. Ich weiß, ich bin nicht schuld oder so, sondern einfach das Leid und das schreckliche mit-leiden. Je nachdem, was für Assoziationen kommen, kann mich das allein schon heftig aus der Bahn werfen. Und irgendwie können das die wenigsten nachvollziehen.

LG, Manuela
Simpl
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Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von Simpl »

Hallo Manuela und Madita,

was heisst, wenn in der Welt was weltbewegendes geschieht?

In unserer nähesten Umgebung geschehen unglaubliche Dinge täglich.

Fahrt mal an einem Schlachthof vorbei, wenn den Tieren das Leben genommen wird. Wenn Kälber den Kühen weggenommen werden, wenn Tiere gequält werden für Versuchslabore! Das findet alles in Eurem Umkreis, täglich statt.

Wer für Tiere nichts übrig hat, der kann sich sicherlich vorstellen, wie Menschen in Betrieben gemobbt und gedrückt werden, wie Höllen die sich dann oftmals Ehen nennen laufen, oder Kinder aufwachsen die irgendwann sagen werden sie hatten eine schlecht Kindheit.

All das findet statt ohne das wir den Fernseher anmachen müssen.

Aber war zu philosophisch - sorry, Moderatoren - wollte nur antworten, lass die Diskussion auch gleich sein.

Gruß Simpl (der manche Dinge auch nicht kapiert)
Madita
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Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von Madita »

Lieber Simpl,

lese ich da einen aggressiven Unterton raus oder ist das eine Projektion?

Weder Manuela noch ich haben behauptet, dass das Elend der Welt stets "woanders" ist oder exklusiv für Menschen stattfindet.

So weit, so gut,

Madita
Madita
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Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von Madita »

Liebe Manuela,

danke für das Willkommen, das bei mir auch irgendwie einen Kloß im Hals auslöst - bin ich wirklich reif für ein Depriforum?

Ich hab nochmal nachgedacht über das unverschuldete Leid auf der Welt. Kann es sein, dass mein Mit-Leid egoistisch ist? Ich weiß jetzt nicht, wie ich das erklären soll.
Ich meine: Ich verwerte diese Bilder, um selber zu leiden. Das hilft ja keinem, es geht nur einem mehr schlecht... (Muss ich nochmal drüber nachdenken, falls jemand was dazu sagen will: Immer her damit!)



@Simpl:
Fällt mir jetzt erst auf. Aber ich unterscheide schon zwischen selbstgewähltem Leid in einer schlechten Ehe und Leid von außen wie eine Hungersnot. Und ich denke, auch eine schlimme Kindheit muss nicht das ganze Erwachsenenleben dominieren. Das wäre dann Leid von außen, gegen dass von Innen angegangen werden kann.

LG von Madita
Dendrit
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Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von Dendrit »

Hallo Madita,

"reif" für ein Depriforum - hört sich lustig an, ich kenn nur "reif" für die Insel. Aber wenn's der Seele genauso gut tut, why not?

Ja, jetzt muss ich doch nachfragen: geht's Dir beim Ansehen schlecht oder siehst Du die an, damit das bei Dir ausgelöst wird? Sorry, vielleicht ist es doch noch zu früh am Tag, um das zu verstehen. War gerade auch bei der Blutentnahme, vielleicht zu viel? Nee, ist nur 'n Scherz?

Also für mein Empfinden das als "egoistisch" einzuordnen, denk ich nicht. Wer mag schon gern das mit-leiden? Die "großen" Unglücke, wie Zerstörung des WTC, Tsunami etc. kann ich mir in den ersten Tagen gar nicht ansehen, da reicht mir schon das hören. Aber irgendwann ist der Zeitpunkt da, an dem alles Wehren nichts nutzt, weil scheinbar überall diese Bilder zu sehen sind. Und bei manchen unmittelbaren Erlebnisse/Probleme innerhalb des persönlichen Umkreis kann man nicht einfach entfliehen. Dann würde ich zwar gern helfen, aber es kann sein, dass sich sowas wie eine Lähmung einstellt, dass ich einfach nicht dazu fähig bin. Ich vermute, dass der Körper da so seine Sperre vornimmt.

Andererseits mag es auch wiederum eine Gabe sein, mit-zu-leiden, denn es fällt einem leichter, sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen und verstehen, was derjenige durchmacht. Und nimmt auch eher wahr, ob ein in-Arm-nehmen besser ist, als mal zusammen schweigend 'rumsitzen. Meine Schwierigkeiten liegen bei Leid bei Kindern und Tod - ob ungeboren oder uralt.

Aber die Grenze erkennen, wo's nützlich ist und nicht vollständig mit-leidet, ist für mich sehr schwer. Und dann beginnt ein weiterer Kreislauf der Depri und merk es anfangs nicht. Mit Rückzug, bis ich mehr oder weniger ganz allein bin - entweder es dient zur Erholung oder wenn ich da wiederum zu lange bin, falle ich ganz ab.

Ist das bei Dir so bzw. so ähnlich?

LG, Manuela


PS: Tipp: solche Äußerungen wie hier von Simpl ignorieren, auch wenn einem die Galle hochkommt. Entweder hat jemand mal einen schlechten Tag und ist so, dann klar, verständlich, ansonsten schreiten unsere Moderatoren schon rechtzeitig ein. Bei keiner Antwort kann sich auch kein negatives Gespräch entwickeln. Ich weiß, ist schwer und mir ist auch schon mal der Kragen geplatzt.
Madita
Beiträge: 7
Registriert: 9. Jun 2005, 14:02

Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von Madita »

Liebe Manuela,

ja, reif für ein Depriforum - das ist 1. ein Eingeständnis und 2. streng ich mich an, nicht den Humor zu verlieren .


Also, Mit-leiden als Ego-trip:
Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, ich hoffte auf Anstöße dazu! Hast Du mir ja auch geliefert .

Zuerst mal ist mir noch eingefallen, dass egoistisch in diesem Fall nicht dazu dient, das eigene Ego aufzuplustern, sondern es runterzuziehen...

> Ja, jetzt muss ich doch nachfragen: geht's Dir beim Ansehen schlecht oder siehst Du die an, damit das bei Dir ausgelöst wird?

Hmm, zunächst mal: Wegschauen geht ja gar nicht... Aber das ist eine interessante Idee - ich weiß es nicht. Um das mal "persönlicher" zu machen: Ich hab von einer Frau gelesen, die ihre Kinder bei einem schrecklichen Unfall verloren hat. Das ging/geht mir sehr nahe. Ich versuche das zu analysieren: Zum einen übertrage ich das auf mich, fühle mich in die Situation rein und empfinde den Schmerz (etwas) mit. Zum anderen habe ich sogar negative Gefühle gegenüber der Frau (Distanzierungsmechanismus?). Auf jeden Fall sind es diese ganzen Horrorgeschichten, die mir den Sinn des Lebens vorenthalten. (Sowas wie Mobbing dagegen, wie Simpel schrieb, da könnte man ja was draus lernen). Wenn jemand mit 80 stirbt und mit sich im Reinen ist, dann finde ich das gar nicht (auf diese Art) schlimm. Aber so ein grausamer Tod, das ist einfach furchtbar. (Die Frau ist übrigens religiös und das scheint echt zu helfen.) Davon abgesehen, hab ich auch noch das allgemeine Problem, dass ich nicht weiß,ob dieses Leben - egal wie (un)erfüllt - Sinn macht. Ich denke, das Problem hat fast jeder, aber mich zieht es regelmäßig sehr runter. Vielleicht liegt es daran, dass ich dem Konsum nicht als Ersatzreligion frönen kann? Und auch keinem anderen Glauben (wobei das nicht ganz stimmt. Wenn es mir gut geht, hab ich schon das Gefühl, dass alles einen tieferen Sinn macht).


>Also für mein Empfinden das als "egoistisch" einzuordnen, denk ich nicht. Wer mag schon gern das mit-leiden?

Vielleicht ist das Wort egoistisch falsch. Ich meine so eine destruktive Sucht... Vielleicht bin ich auch zu hart und mir (uns) fehlen einfach ein paar Filter (wobei das ja andererseits auch wieder eine Gabe ist, wenn man damit umgehen kann ).


>Meine Schwierigkeiten liegen bei Leid bei Kindern und Tod - ob ungeboren oder uralt.

DITO! Hast Du denn einen Glauben?

>Aber die Grenze erkennen, wo's nützlich ist und nicht vollständig mit-leidet, ist für mich sehr schwer. Und dann beginnt ein weiterer Kreislauf der Depri und merk es anfangs nicht.
Ist das bei Dir so bzw. so ähnlich?

Wieder dito. Allerdings muss ich ehrlicherweise zugeben, dass ich mich in Kombination mit persönlichen Problemen eher in sowas reinziehen lasse...

Übrigens hab ich gestern nachmittag 'ne schlimme Migräne bekommen und heute geht's mir besser...

Wegen Simpl: Das ist irgendwie auch ein guter Indikator dafür, wie leicht man auf etwas anspringt.

LG von Madita
deer
Beiträge: 16
Registriert: 20. Apr 2005, 15:11

Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von deer »

Hallo Madita,

ich würde sagen, dass du keine Depression hast, sondern einen gesunden und klaren Kopf. Dein Beitrag hat mir sehr gefallen.

Die Frage, die du dir stellst ist für mich nachvollziehbar. Sinnfragen stellt man sich nicht im täglichen Stress, sondern wenn man Zeit hat zur inneren Einkehr. Ich behaupte mal, das eine Depression auch die Funktion hat, jemanden aus dem "Verkehr" zu ziehen und zum Nachdenken zu zwingen. Da ist also eine Parallele. Das heißt aber nicht, dass man depressiv sein muss, um philosophieren zu können.
Ich kann bis heute nicht die Sinnfrage für mich beantworten. Mein Hilfsanker ist seit einigen Jahren, dass das irdische Leben so eine Art Bewährungsprobe für das ist, was danach kommt. Für mich ist das Leben und das Sein also viel mehr, als das, was wir hier täglich veranstalten.

Wie kann man dem Elend und Leid - dem ganzen Mist, der um uns herum täglich stattfindet, begegnen?
Eigentlich nur mit Liebe und "vorbildlichem" Verhalten. Der mürrischen Verkäuferin ein Lächeln schenken; Menschen, die Hilfe brauchen, Hilfe anbieten; immer schön im Bioladen einkaufen; sich selbst nicht immer so ernst nehmen; Verantwortung für sich und andere übernehmen...usw.

Oh je, da hab ich mir aber was vorgenommen

Liebe Grüße
deer
Madita
Beiträge: 7
Registriert: 9. Jun 2005, 14:02

Re: Hadern mit der Welt

Beitrag von Madita »

Liebe(r) deer,

>ich würde sagen, dass du keine Depression hast, sondern einen gesunden und klaren Kopf. Dein Beitrag hat mir sehr gefallen.

Danke! Das geht ja runter wie Butter!

Nur ist das schon manchmal grenzwertig bei mir... Und persönliche Tiefschläge ziehen mich auch sehr runter... Trotzdem, die beschriebenen Symptome (Selbstmordgedanken, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen) treffen auf mich größtenteils nicht zu - trotzdem war es genug, dass dieser Test mich zum Arzt schicken wollte. Und bei mir wurde auch schon mal eine reaktive Depression diagnostiziert (ich hatte eine etwas unglückliche Kindheit, die ich aber mittlerweile so annehmen kann...), wegen der ich eine mehrjährige Gesprächstherapie gemacht habe (die aber nur teilweise geholfen hat, den größten Teil der Arbeit musste ich selber machen). Gerade deshalb hab ich auch Angst vor einem langwierigen Rückfall...

Wegen Deinem Satz, wir sind hier um uns auf das vorzubereiten, was danach kommt: Ich beschäftige mich ein bisschen mit Buddhismus und war mal bei einem Meditationsseminar. Der Mönch sagte, die Erde sei ein riesiges Schulhaus und wir die Schüler. Das hat mir sehr gefallen. Er sagte auch, er hätte diese Zweifel gehabt, aber in der Meditation hätte er irgendwann erkannt, dass es einen Sinn gibt. Bei mir überwiegen leider diese Zweifel... Aber ich glaube, ich muss sie analysieren, um weiterzukommen...

LG von Madita mit dem klaren Kopf

PS: Bioladen - Bananen, Kaffee und Schokolade bitte immer fair trade kaufen! Die Arbeiter werden nämlich echt gequält, ich nerv alle Leute mit diesem Anliegen seit ich mal was darüber gelesen habe!
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