Das Leben zerrinnt mir zwischen den Fingern

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Sichel
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Registriert: 1. Jun 2005, 20:20

Das Leben zerrinnt mir zwischen den Fingern

Beitrag von Sichel »

Ich lese hier ab und zu mal mit. Im Grunde habe ich mich nur angemeldet um mich "auszukotzen".

Mein Leben verrinnt mir zwischen den Finger, ich kann anscheinend nichts dagegen tun und von außen kommt niemand, der mir so hilft, daß ich aus meiner Situation wieder rauskomme.

Schon als Kind war ich eher depressiv, das steigerte sich in der Pubertät, wurde dann besser, dann wieder schlechter und hat jetzt zu einem Zustand der Lähmung geführt.

Ich denke mal, daß meine schreckliche Kindheit mit den Zurückweisungen, Klarmachen, das ich nicht genüge, Streitigkeiten mit den Eltern und Streitigkeiten der Eltern untereinander zu meinem jetzigen Zustand geführt hat. Ich bin meiner selbst sehr bewußt, habe aber kein Vertrauen in mir selbst. Dieses Urvertrauen hatte ich nicht. Ich habe nur dann Selbstvertrauen, sobald ich "GUT" bin.

Ich denke, daß ich mich hervorragend analysieren kann. Meinen Zustand verbessern tut dies auch nicht.

Seit einigen Jahren bin ich solo, was meinen Zustand sehr verschlimmert. Männer sind im Allgemeinen und ich im Besonderen nun mal die unglücklicher lebenden Singles.

Wenn ich nicht gerade in meinem 0815-Job verwahrt werde, kriege ich nichts auf die Reihe.

Briefe öffne ich manchmal wochenlang nicht, Freundschaften pflege ich zu wenig, ich gehe selten weg, rede dann niemanden an. Meine depressive Ausstrahlung hindert all die anderen mich anzusprechen.

Jahrelang war ich medikamentös in Behandlung. Ich habe alle möglichen Tabletten ausprobiert. Irgendwann habe ich abgesetzt. Als Resultat geht es mir genauso gut oder schlecht wie wärend der Antidepressivamedikation.

Zur Zeit bin ich gar nicht in Behandlung. Als ich vor Jahren mal bei meiner damaligen Psychiaterin war, begleitete mich eine Bekannte. Gerade an diesem Tag war ich sehr gut drauf. Meine Bekannte meinte danach zu mir: "Die ist verknallt in dich so wie die auf dich reagiert." Ist irgendwie typisch! Wenn ich gut drauf bin, auf Leute zugehen kann, dann kreige ich auch positive Rückmeldungen. Meistens bin ich aber schlecht drauf, da kommt kein Schwein und reagiert positiv auf einen. Was ich auch verstehe und auch absolut normal ist. Frau steht eben auf den optimistischen, erfolgreichen Macher.

Gesprächstherapien hatte ich mal vor Jahren. Dies hat mir gar nichts gebracht.

Wie hoch ist eigentlich der Prozentsatz der Psychologen/Psychiater, die dieses Fach ursprünglich studieren, weil sie sich selbst therapieren möchten?

Ich weiß, daß ich als psychisch Dysfunktionaler andere nicht therapieren kann. Diese Psychologen anscheinend nicht... .

Ich glaube allerdings auch nicht, daß mich ein perfekter Gesprächstherapeut helfen könnte. Eher eine "Motivationstrainerin", die ich liebe und die mich liebt. Bloß die wird nie an meiner Wohnungstür klingeln und nach mir fragen, weil sie gar nicht weiß, daß es mich gibt... .

Was mich besonders ankotzt ist das Wissen, was ich machen müßte, um wieder glücklich zu werden.

Wieder in den Beruf arbeiten, den ich gelernt habe. Eine Partnerin finden, die mich stabilisiert. Unerledigte Sachen einfach mal anzupacken.

Kriege ich nur alles leider seit Jahren nicht hin.

Irgendwie verachte ich mich noch mehr für mein Versagen, weil ich doch einiges mitbringe, was mir das Leben erleichtern sollte: Gutes Aussehen, sehr hohe Intelligenz, sehr gute Ausbildung.

Stattdessen jobe ich in einen Pipifaxjob, wichse mir die Sexualität raus.

Ständig freue ich mich aufs Wochende, will dann was unternehmen, erledigen usw.. Am Sonntag bin ich dann immer am depressivsten. Manchmal war ich dann zwei Tage lang kein Wort gesprochen und war nicht mal vor der Haustür.

Dieser Zustand geht jetzt schon einige Jahre. Irgendwann werde ich aufwachen, dann
ist der Rest des Lebens durch die Finger geronnen.

Irgendwie lasse ich mir eh das Meiste gefallen, egal ob von aussen zugefügt oder selbst durch mich verursacht. Ich habe weder die Kraft und das Selbstvertrauen mich aus meiner Depression zu befreien, noch mein Leben zu beenden.

Dies ist das erste Mal, daß ich mich im Internet so ausgekotzt habe. Selbst dies finde ich irgendwie ungehörig, anderen Zeit stehlend.

Passt irgendwie zu meiner ganzen Art. Wenn irgendwo was falsch läuft, dann fühle ich mich reflexhaft erst einmal schuldig.

An Bescheidenheit kann man auch zugrunde gehen... . Womit ich nicht sagen will, daß ich mich in Selbstvergessenheit für andere aufopfere.

All Jenen, die bis jetzt mit Lesen durchgehalten haben, sage ich: "Danke und viel Glück!"
Lisa23

Re: Das Leben zerrinnt mir zwischen den Fingern

Beitrag von Lisa23 »

Hallo Hamster, einen schönen Abend und willkommen. Es war bestimmt nicht gerade leicht für Dich und trotzdem hast Du Dich geöffnet und Dir so einiges von der Seele geschrieben. Das ist doch ein guter Anfang.

Ja, ich habe durchgehalten und Deinen Text zu Ende gelesen. Vor meinen Augen spiegelten sich 2 mir sehr gut bekannte Männer. Ein sehr junger und ein etwas älterer. Dein Text hätte ähnlich auch von den beiden sein können. Vieles auch von mir obwohl ich eine Frau bin.

Die Sanduhr läuft, gnadenlos. Sie fragt nicht danach, was wir mit unserer Zeit anfangen. Wir können den Tag so oder so gestalten. Jeder Tag ist ein neuer Anfang. Eine neue Hoffnung.

Ich wünsche Dir, dass Dir noch viele schreiben. Dass Du hier neuen Mut und neue Hoffnung findest. Du bist nicht alleine. Es gibt noch ein Leben nach Deinem 0815-Job. Du hast Dich ja schon ein kleines Stück auf die Suche begeben. Geh´weiter.

Liebe Grüße, Lisa
atetobi
Beiträge: 274
Registriert: 12. Feb 2004, 14:02

Re: Das Leben zerrinnt mir zwischen den Fingern

Beitrag von atetobi »

Hallo Hamster,

auch ich habe durchgehalten und heiße dich herzlich willkommen.

Gut, dass du begonnen hast, dich auszukotzen. Vielleicht bringt dich das, verbunden mit dem Bewusstsein, dass es hier ganz viele Menschen gibt, denen es ähnlich geht wie dir, für dich selbst ein wenig weiter.

Ja, das Leben verrinnt, aber sollte das "Leben" an sich unbedingt immer mit den Maßstäben Leistung und Umwelt, funktionieren in einer Gesellschaft mit bestimmten Vorstellungen in Verbindung gebracht werden? Auch die Zeit der Zurückgezogenheit ist sicherlich eine Zeit, die für viele Menschen nötig ist, um sich weiter zu entwickeln.

Abstriche muss man immer machen, nicht alles kann perfekt sein (weißt du wahrscheinlich selbst), aber dadurch, dass du dir Gedanken darüber machst und auch hier geschrieben hast, bist du sicher auf einem Weg für deine persönliche Weiterentwicklung und hast eine weitere Chance, dem Dilemma Stück für Stück zu entrinnen.

Gruß
Beate
Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.
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