Was ist Individualität?

Antworten
tomroerich
Beiträge: 3102
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Was ist Individualität?

Beitrag von tomroerich »

Hallo Data und Maggy,

ich stell einen Teil von Maggys Posting hier noch mal rein:

Du fragst:
"Besteht unsere Aufgabe möglicherweise gar nicht darin, uns zu verändern, eben weil wir es ohnehin nicht aus eigener Kraft schaffen können, sondern einfach nur darin, uns und unsere Unzulänglichkeiten zu erkennen?"

Ja, ja, ja, so erlebe ich das seit Jahren und wenn dem Erkennen dann noch das Annehmen folgt, einfach so wie es ist, dann passiert die Veränderung von ganz allein, weil ich das, was ich angenommen habe auch ablegen kann. Einfach so mit meinem freien Willen. (Was ich nicht besitze, kann ich nicht hergeben)

Lieber Thomas,
ich bin sicher, dass mein individuelles Selbst vorhanden ist (und nicht nur meins ), und dass ich nicht darum kämpfen muß es zu erlangen. Ich glaube auch, dass ich diesen "Zustand" kenne und weil der mir manchmal verborgene Teil meiner Seele sehr wohl weiß wie glück-seelig dieser Zustand ist, habe ich lange probiert ihn zu erreichen. Er ist aber einfach da wo ich bin, mit allem was ich tue.

Das beinhaltet natürlich auch viele "Phönix aus der Asche" - Momente,

so frei nach Goethe:
"Und so lang du das nicht hast,
dieses Stirb' und Werde,
bist Du nur ein trüber Gast
hier auf dieser Erde."

Ich habe auf diese Weise schon vieles in mir sterben lassen, habe es aber immer als Befreung und nicht als Kampf erlebt.

Darin liegt sehr viel Wahres, besonders im ersten Abschnitt, der von Data stammt.
Etwas wurde missverstanden von dem, was ich meinte, als ich von Kampf sprach. Ich spreche nicht von einem Kampf gegen sich selbst, das wäre auch ein völlig sinnloser Kampf. Maggy sagte
weil ich das, was ich angenommen habe auch ablegen kann Das ist schon eher das, was ich mit Kampf meinte. Dann hast du darüber, was in dir ist, bereits ein gewisses Bewusstsein und dieses Bewusstsein über dich selbst hast du durch den Kampf erworben, den ich meine.
Ich mache einfach ein Beispiel:

Ich bin sehr böse auf jemanden und sage etwas Verletzendes aus dem momentanen Gefühl des Verletztseins heraus. Am nächsten Tag erkenne ich, dass ich jetzt anders darüber denke und dass meine Worte jetzt nicht mehr stimmen so wie ich sie gestern sagte. Ich erkennne, dass die Emotion von gestern nicht mehr da ist und dass sich nun die Dinge anders darstellen. Man kann ebenso gut sagen, dass ich in dieser Sache heute ein anderer bin als gestern. Ich habe jetzt aber 2 Möglichkeiten: Ich kann diese Tatsache einfach ignorieren und nicht weiter darüber nachdenken und dem ganzen Konflikt dadurch einfach ausweichen. Das ist für mich wesentlich bequemer. Oder ich denke darüber nach und entscheide dann, dass ich mich entschuldigen sollte. Das meine ich mit Kampf. Und durch den Kampf habe ich mich ein Stück weit kennengelernt und habe erlebt, dass in ein und derselben Haut in diesem Beispiel zwei verschiedene Ichs stecken mit 2 verschiedenen Ansichten und dass beide im Moment ihres Daseins 2 verschiedene Ansichten vertreten haben. Das zu wissen, ist schon sehr viel und ein Schritt in Richtung Individualität. Es fängt alles damit an, dass man sich in seiner Widersprüchlichkeit sieht und erlebt und dass man, wie Data sagt, nichts daran ändern kann.
Aber jetzt kommt das wirklich merkwürdige Ergebnis, dass man genau durch dieses Bewusstwerden der eigenen Widersprüchlichkeit tatsächlich eine Änderung bewirken kann. Man ändert sich nicht dadurch, dass man etwas in sich "anders macht" (das geht nicht) sondern nur daurch, dass man sich selbst sieht und sich bewusst wird, wie man ist. Das geht aber nur, wenn man diese Widersprüchlichkeiten auch im "Kampf" mit sich selbst tatsächlich erlebt. Solange man ihnen ausweicht oder sie einfach leugnet, passiert nichts und man wird immer wieder in diese Widersprüchlichkeiten verstrickt, ohne jemals auch nur ein Stück voranzukommen. Es geht wirklich nicht darum, sich für das eine oder andere zu enstscheiden sondern der Kampf besteht darin, sich die Widersprüchlichkeit einzugestehen. Das ist doch ein Kampf, oder nicht?
Noch mal kurz zurück zum Beispiel. Wenn ich mich für die Entschuldigung entschieden habe, dann habe ich damit automatisch dem ärgerlichen Ich von gestern einen Widerstand entgegengesetzt und ich habe bewusst erlebt- heute bin ich so und gestern warich so. Wenn ich das nächste Mal ärgerlich werde, werde ich dieses Gegengewicht spüren können oder doch nach einer Zeit schließlich spüren können, wenn ich immer wieder so handele. Und daraus erwächst mir eine Freiheit des Handelns und ich kann irgendwann besser darüber entscheiden, ob ich wirklich ärgerlich sein will. Das ist ein Schritt in Richtung Individualität. Und Maggy- ich weiß, dass du gekämpft hast

Viele Grüße von Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
Simpl
Beiträge: 219
Registriert: 12. Feb 2006, 21:40

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von Simpl »

Hallo Thomas,

rein theoretisch ist das so, aber wie sieht denn die Praxis aus?

Wer ist denn noch in der Lage sich ein schlechtes Verhalten einzugestehen? Bei vielen, ist es doch so, dass wenn Fehlverhalten sogar offensichtlich sind, Fehlverhalten die aus einer Wut, Verletztheit oder sonst was entstanden ist, man geht nicht zurück sondern sucht Gründe warum das richtig und geboten war.

Entweder war derjenige der mein Fehlverhalten verursacht hat aggressiv, provokativ oder, oder.

Also in knappen Worten, es fehlt die Reflektionsfähigkeit.

Dann lass mich noch einen Schritt weiter gehen, was ist wenn einer schreibt, das war ein Fehler? Kann er das überhaupt? Wird demjenigen das dann nicht immer und immer wieder Vorgehalten?

Ich habe in den wenigen Monaten Forumszugehörigkeit viel über das Verhalten von Menschen gelernt. Leider fällt mein Urteil deprimierend aus.

Wie sollte jemand sich selbst Fehler eingestehen können, der sich nicht mal an einfachste, klar definierbare Regeln und Gepflogenheiten im Umgang mit anderen Menschen halten kann.

Gruß Simpl
deep
Beiträge: 207
Registriert: 27. Sep 2004, 12:13

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von deep »

Hallo Thomas,

ich hoffe, ich darf auch etwas beitragen, auch wenn ich nicht angesprochen bin?
Beim Geburtstagsthread sind mir dazu schon ein paar Gedanken durch den Kopf geschossen und Dein Post animiert mich noch mehr.

Mir stellt sich bei der Frage nach der Identität, der Frage nach dem "Ich" immer wieder die Frage, ob wir wirklich ein fixierbares "Ich" haben - entwickelt sich das, was wir "Ich" nennen nicht in jeder Minute unseres Lebens weiter, weil wir ständig neue Erfahrungen machen, die unser Ich prägen und bilden?
Um an Deinem Beispiel zu bleiben, ist nicht das heutige Ich einfach nur eine Weiterentwicklung des gestrigen Ichs, dass aufgrund in der Zwischenzeit gewonnener Erkenntnisse zu der Entscheidung gekommen ist, dass die gestrige Entscheidung möglicherweise nicht angemessen war und daurch in der Lage ist, sich zu entschuldigen?

Irgendwie bin ich immer wieder geneigt, dem Buddhismus auch in dieser Hinsicht näher zu rücken, der die Existenz eines Ichs verneint unter Hinweis auf die ständige Bedingtheit...

Liebe Grüße
Karin
deep
Beiträge: 207
Registriert: 27. Sep 2004, 12:13

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von deep »

Hallo Simpl,

es ist für mich jetzt ein Bisschen schwierig, aber ich möchte Dir trotzdem antworten. Und ich bitte Dich inständig, es nicht als Angriff sondern als Anstoß für eigene Reflexionen zu verstehen. Ich will Dich auch nicht analysieren, ich will Dir nur schildern, was Dein Post, der aus Deiner Sicht wahrscheinlich gerechtfertigt ist, bei mir an Gedanken ausgelöst hat.

Du klagst, dass hier manchmal heftige Schuldzuweisungen kommen. Das ist sicher richtig, aber es hängt nach meiner Einschätzung vor Allem davon ab, dass im WWW nur eine eingeschränkte Kommunikation möglich ist, weil eben wichtige Dinge in einem Gespräch nicht in den Worten stecken, sondern in dem ganzen Drumherum wie Stimmung, Tonfall etc. - dieser Teil fehlt einfach. Es kommen nur Worte an und die können dann in ihrer Nacktheit sehr verletzend sein und führen zu den von Dir genannten heftigen Reaktionen. Sie sind nicht böse gemeint, aber sie kommen beim Empfänger böse an, eben weil das das ganze Drumherum fehlt.

Mir geht das selbst genauso, auch ich habe vielleicht manchmal zu heftig reagiert, eben weil ich mich durch nackte Worte oder Icons "abgewatscht" gefühlt habe. Für mich habe ich dabei gelernt, dass es gerade im Netz eben nicht reicht, nur seine Meinung zu sagen und sie mehr oder weniger stur zu vertreten, sondern dass hier noch mehr als im RL Empathie gefordert ist, also der Versuch, sich in den Partner wenigstens ein wenig einzufühlen. Das ist schwierig, aber machbar. Nicht perfekt, aber in Ansätzen.
Und ich habe das Gefühl, dass das bei "Kopfgesteuerten" oft fehlt(e) (mich ausdrücklich eingeschlossen!) und das wir daran arbeiten sollten - und nicht nach einem Forum, in dem alle so drauf sind wie wir. Das kann nicht funktionieren, weil das Forum eine Welt im Kleinen ist.

Liebe Grüße
Karin
Simpl
Beiträge: 219
Registriert: 12. Feb 2006, 21:40

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von Simpl »

Hallo Karin,

da mag was dran sein an der Gesprächskultur in Foren, dass man hier vielleicht komplett neue Formen erstellen muss, weil Mimik, Betonung etc. fehlt.

Zu dem Post an Thomas bringst Du den Buddhismus ins Gespräch.

Finde ich absolut zutreffend und bei dem Thema Reflektion, Integrität etc. hat der Buddhismus keine Vorgaben oder strikte Dogmen.

Die Lehre besagt einfach auf den Weg gehen. Und man sollte sich dem Ziel nähern.

Was dabei gemeint ist kann jeder mehr oder weniger (auch nach Abspaltung) für sich ausmachen - aber bestimmt nicht Gier, Macht oder Gemeinheiten.

Gruß Simpl
chrissy
Beiträge: 309
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von chrissy »

Lieber Thomas,

ich bin angeregt durch diesen thread etwas dazu beizusteuern.

Ich erlebe es ähnlich wie Du und viele andere Menschen, genau das auszudrücken, doch beschränke ich mich aus persönlichen Gründen auf allgemeine Aussagen, weil ich noch nicht davon überzeugt bin auch so zu leben. Doch weiss ich das, was nicht heisst, das alles auch selber zu leben oder leben zu können.

Individualtiät, das ist ein Zustand, den wir bereits haben wegen unserer Fähigkeit als Mensch zu denken und daraus Schlüsse zu ziehen. Oft tun wir für uns das seltsam Falsche. Obwohl wir bewusst sind.
Es, das Bewusstsein, hat eine Verheissung in sich, die einfach lockt und unser Leben, das endliche Leben, wahrhaftig macht mit dieser ungeheuren Hoffung einzigartig zu sein und genauso wahrgenommen zu werden.
Der Schmerz ist, dass wir Menschen nur begrenzt so gegenseitig wahrgenommen werden können und unsere Anzahl auf der Erde so gross ist, dass einem Individualismus fast unmöglich erscheint. Und, wir haben wenig Zeit.

Was also macht man mit dieser Zeit, die einem zur Verfügung steht.
Ich weiss es nicht.
Ich bin wie alle anderen Menschen individuell und muss dauernd meinen Kampf leben das auch sein zu dürfen mit meinem Herzen und meiner Seele.
Weil ich es ja einfach bin.

Ich bin ähnlich wie so viele, kenne vieles, was andere Menschen erleben, doch stecke ich in einer Haut, die ausser mir keiner hat.
Individualität, so glaube ich, bedeutet eine riesige Einsamkeit, welche wir daduch überwinden und lindern, indem wir uns anderen Einsamen nähern.

Diese Arbeit ist eine enorme Kraftanstrengung, doch habe ich als Individuum auch die Wahl zu entscheiden.
Und das macht für mich alles aus. Die bewusste Entscheidungsmöglichkeit, die man als Mensch hat.
Allerdings nur verstandesmässig.
Gefühlsmässig massen wir uns wohl einiges an, was nicht zutrifft für uns Wesen.
Wir wollen verstehen, werden verletzt, missbraucht, sogar getötet von denjenigen, die uns am ähnlichsten sind.

An jedem Tag, also Alltag, begegnen wir uns, müssen permanent entscheiden, wie Du es beschrieben hast, und wir verändern es auch täglich.
Das finde ich das Spannendste und auch manchmal qualvoll. Einfach zu wissen, dass ich zwar Entscheidungen treffen kann und auch oft muss, aber auch kräftezehrend erkennen muss, dass mein Idividuum das aushalten muss um zu überleben. Irgendwie wie der Nahkampf in der afrikanischen Steppe.
Wir messen uns gegenseitig an Dingen, die, was die Evolution betrifft, nachvollziehbar sind, aber irgendwie heute nicht mehr stimmen, weil wir uns verändert haben, also wir Menschen.
Ich finde es ganz schön schwierig zu überleben, der Dschungel ist nur ein anderer mit einem anderen Gesicht, ansonsten empfinde ich das Leben als Individuum nach wie vor als Kampf. Futter haben wollen.

Gedanklich sicher immer, aber aus Gründen der eigenen Kraft, Wissen, Selbstvertrauen und vieles mehr ist man leider nicht mehr so individuell. Aus Sicht der anderen.
Aber wir sind es. Dagegen ist nichts zu machen, was ein Glück.


Herzliche Grüsse

Chris
dasBöse

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von dasBöse »

hallo thommy,

ok, gestern habe ich diese meinung gehabt, heute habe ich jene. typisch für mich. aber auch meine heutige meinung kann sich morgen wieder ändern, meine vernunft sagt mir, daß das möglich ist. ich finde, es geht vor allem darum, daß man sich annimmt mit all den meinungen und ansichten und einstellungen, die man im moment hat.

was du beschreibst, ist ein wachstumsvorgang. genauso wie eine blume, die es sich nicht aussuchen kann ob sie wachsen will oder nicht - sie wächst einfach - so wachsen wir menschen. das ist das leben: wir wachsen an unserer eigenen veränderung. ich komme viel besser mit mir zurecht, seitdem ich das akzeptieren kann.

grüße

sewi
chimera

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von chimera »

Hallo T.!

Ich finde G.'s Modell 'der wechselnden Ichs' auch recht hilfreich, allerdings paßt mir nach wie vor die Terminologie nicht. 'Wechselnde Ichs', das hört sich so nach Vorstufe einer Multiplen Persönlichkeitsstörung an... Ich möchte die 'wechselnden Ichs' eher als verschiedene Strömungen in uns betrachten. Strömungen, die sich allerdings in rascher Folge abwechseln können und - das größte Problem - uns im Moment Ihrer Einwirkung die Existenz der anderen Strömungen vergessen lassen. Wenn ich unter dem Einfluß von Strömung A stehe, kann es mir rein kognitiv schon klar sein, daß es auch die Strömungen B, C, D, und so weiter gibt, aber emotional hat mich eben doch Strömung A im Griff. Wenn ich in meiner Bewußtwerdung schon ein Stück fortgeschrittener bin, ich mich als nicht von Strömung A 'vereinnahmen' lasse und der 'Herr' mich auf die Existenz von Strömung B hinweist, löst das allerdings noch nicht das Problem der Entscheidung. Wenn also Strömung A 'versöhnen' sagt, Strömung B 'Ich will Gerechtigkeit!' sagt, welches sind dann die Entscheidungsressourcen, aus denen der 'Herr' schöpfen kann?

Ich empfinde es übrigens nicht so, daß Menschen 'heute so und morgen so' sind. Ich sehe die sinnhafte Geschichte des Menschen, aus der eben Konflikte resultieren. Die Geschichte ist die des zu Beginn unseres Lebens verschütteten, vergessenen Selbstes. Das Selbst, das durch die dicken Mauern der fremden Stimmen in unserem Bewußtsein erhört werden muß. Viele Entscheidungen, Meinungen, Ängste und Urteile sind nicht die unseren, es sind Implantate unserer Eltern, Freunde, Partner. Botschaften der Vergangenheit, die uns ein Selbstkonzept vorgeben, dem wir - da entsprechend mit Emotionen, Gefühlen und Erinnerungen angereichert – folgen. Und wir benötigen Bewußtheit, um zu erkennen, daß die Vergangenheit nicht das Jetzt ist, daß Meinung nicht Faktum ist, daß Erfahrung nicht Gesetz ist.

Um noch einmal auf G. zurückzukommen: Der 'Herr' weiß also, daß die 'Ich höre morgen das Rauchen auf'-Strömung A im Widerspruch zur 'Ich will meine Kippen!'-Strömung B steht. Sich an beide Strömungen zu erinnern, ist somit der erste Schritt. Um Strömung A so zu stärken, damit sie sich gegen Strömung B durchsetzen kann, müssen wir sie also kontinuierlich nähren. Und wir müssen uns über das Wesen von Strömung B im Klaren sein: Sie ist eine Strömung, die ihrerseits von vielen kleinen Erlebnissen genährt wurde. Erinnerungen an Situationen, in denen wir uns durch die Zigarette beschützt gefühlt haben oder Genuß empfanden. Aber ohne das Wissen um das Wesen von Strömung B kennen wir unseren Feind nicht. Die Kunst ist also, das Wesen der Strömungen und natürlich unser Gesamtwesen kennenzulernen.

Wichtig finde ich hierbei noch die Unterscheidung zwischen den veränderbaren Bereichen und den nicht veränderbaren Bereichen. Nicht veränderbar ist das Funktionsprinzip der Menschine; veränderbar ist das Selbstkonzept, also das, was wir – bewußt oder unterbewußt – 'glauben zu sein' oder 'glauben sein zu müssen'.

Was mir am Modell der 'verschiedenen Ichs' auch nicht gefällt, ist der entstehende Eindruck, der Mensch sei ein willkürlich zusammengewürfeltes System. Wenn ich in verschiedenen Ichs/Strömungen/Stimmen jedoch individuelle, sinnvolle Funktionen erkennen kann, vermittelt dies nach meinem Empfinden ein wesentlich freundlicheres Menschenbild. Es gibt also den 'inneren Kritiker', das 'innere Kind', den 'inneren Kontrolleur', und so weiter. Jede dieser Stimmen will etwas Positives erreichen, wir müssen sie jedoch ernstnehmen und zu einer sinnvollen Kommunikation untereinander bewegen.


Grüße,
Chimera

P.S.: G. = Georg Iwanowitsch Gurdjieff, russischer Philosoph. http://de.wikipedia.org/wiki/Gurdjieff
tomroerich
Beiträge: 3102
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52
Kontaktdaten:

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von tomroerich »

WOW! Liebe Bekannte- ich bin begeistert!

Hallo Karin,

der Gedanke, dass wir ein einheitliches Ich nicht besitzen, ist für die allermeisten sehr schwer zu akzeptieren. Denn das wird so aufgefasst, als würden wir eben überhaupt nicht existieren. Denn wir glauben, im Ich liege all das, was uns einmalig macht. Tatsächlich liegt das Problem m.E. aber woanders und so wird das auch immer wieder beschrieben: Wir besitzen die verschiedendsten Facetten, deren Zusammensetzung einmalig ist und jede dieser Facetten ist mit der Vollmacht ausgestattet, ein Ich zu sein. Welche Facette gerade sichtbar ist und ICH sagt, liegt aber nicht in unserer Macht sondern ist von äußeren Einflüssen abhängig. Was wir nicht haben, was aber notwendig wäre, um den Facetten einen wirklichen Sinn zu verleihen und sie im richtigen Augenblick funkeln zu lassen, ist das Wissen darüber, wo sie sind und wie sie eingesetzt werden müssten. Dazu gibt es ein wunderbares Bild, das dies viel besser erklären kann :

Da wird ein Mensch mit einem Gefäß verglichen, in dem sich verschiedene Substanzen in Pulverform befinden, die verschiedene Eigenschaften haben- verschiedene Farben z.B. Wenn man das Gefäß schüttelt (äußere Einflüsse), dann ändert sich das Bild sofort. Es bilden sich andere Muster aus den verschiedenfarbigen Pulvern, mal ist rot oben, dann wieder grün oder eine Mischung aus allem (physikalisch: eine mechanische Mischung). Das alles ist Zufall und niemand kann vorhersagen, wie so ein Mensch im nächsten Augenblick "aussieht". Von so einem Menschen kann man nicht sagen, dass er Individualität oder ein einziges, einheitliches ICH habe.

Aber die Pulver können miteinander reagieren und zu einem Ganzen verschmelzen, wenn man das Gefäß stark genug erwärmt, bis ein Verschmelzungsprozess einsetzt. Das Feuer, das dazu nötig ist, ist die innere Reibung, die Widersprüchlichkeit des Lebens, die eine Art von Kampf mit sich selbst hervorruft. Dadurch können die Pulver zu einer neuen Substanz verschmelzen, die alle Eigenschaften der einzelnen Pulver hat und doch selbst etwas vollkommen Neues darstellt. (Bitte dieses Gleichnis nicht mit den Augen des Chemikers betrachten, dann stimmt es nicht ) Diese neue Substanz ist Individualität oder ein bleibendes Ich und wenn man nun schüttelt, bleibt alles an seinem Platz. Aber nichts ging dabei verloren, alles ist noch da.

Morgen mehr,

Gruß an alle hier,


Thomas
Betroffene für Betroffene

http://www.depressionsliga.de
deep
Beiträge: 207
Registriert: 27. Sep 2004, 12:13

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von deep »

Hallo Thomas,

ich weiß, dass es schwer zu verstehen ist, was ich meine, schließlich beschäftigen sich ja nicht um sonst seit tausenden von Jahren Menschen mit diesen Fragen Ich will auch nicht behaupten, dass ich das verstanden hätte, aber für mich ist es eine wunderbar logische Erklärung für das ein oder andere, was ich an mir selbst oft nicht verstehe. Und wenn ich meine unterschiedlichen Verhaltensweisen, Meinungen etc. als Wirkung begreife, habe ich die Chance, nach Ursachen zu suchen, die ihrerseits selbst Wirkungen sind. Umgekehrt heißt das auch, dass "meine" Wirkung eine Ursache ist für Zukünftiges. Und das gibt mir die Freiheit, daran zu arbeiten, wie ich denke, handle und auch fühle, weil das meinem Leben auch Sinn gibt... Puhh, ganz schön kompliziert, ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt...

Das Leben ist wie ein Fluß, der sich ständig verändert, nie sehe ich das gleiche Wasser oder die gleichen Wellen und doch ist er immer der Fluß.
Ein Baum ist immer ein Baum und doch ist klar, dass der Baum nicht immer der Selbe bleibt, er wächst, Blätter wachsen, sterben ab, Äste brechen ab - und dies ist so, weil er lebt.
Und weil wir Menschen ein Teil der Natur sind, sind wir genauso in diesen Kreislauf eingebunden, wir wachsen, wir verändern uns, manches stirbt, manches wächst neu, aber in keinem Moment werden wir die Selben sein, wie im Moment zuvor.

Ich habe mich lange mit Religionen beschäftigt, aber dieser Teil des Buddhismus war für mich immer völlig irrational und auch durchaus beängstigend. Erstaunlicher Weise hat mir die Depression geholfen, diesen Teil vom Sein und Werden ein wenig zu verstehen - wobei verstehen falsch ist, weil meine Erfahrung nicht viel mit dem Verstand zu tun hat, erfühlen ist vielleicht richtiger. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, jedenfalls hat die Erfahrung der Krankheit mein Bild von einem feststehenden Individuum mächtig ins Wanken gebracht, weil ich mich in dieser Zeit so gar nicht wie ich selbst gefühlt habe - hinterher aber auch nicht wirklich wie die Alte... irgendwie ziemlich grenzwertig... na ja.

Liebe Grüße
Karin
gelberosen
Beiträge: 560
Registriert: 26. Jul 2003, 08:20

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von gelberosen »

Hallo @all,

für mich ist Individualität ganz einfach die Einzigartigkeit jedes Menschen:
seine Stärken und Schwächen,
seine Ressoucen,
seine Art sein Leben und seine Beziehungen zu gestalten,
seine Vorlieben und seine Abneigungen,
seine Fähigkeiten und seine Lernfähigkeit u.v.m.

Sicher, wir alle müssen uns Veränderungen in uns und um uns gestalten und sind ihnen auch ausgesetzt. Insofern ist Individualität für mich die Art, wie wir damit umgehen. Und wir verändern uns und zum Teil auch unser Umfeld. Insofern ist Individualität auch wieder veränderbar. Individualität ist also zum Teil angeboren und zum Teil erworben.

Ich hoffe, ihr könnt damit etwas anfangen.

Liebe Grüße
die Besserung
pferdediebin
Beiträge: 472
Registriert: 11. Jun 2004, 23:45

Re: Was ist Individualität?

Beitrag von pferdediebin »

was ist für mich individualität?

jouh,irgendwas sträubt sich bei mir auch,bei dem gedanken,daß viele verschiedene wesen in mir hausen sollen,aber das wird wohl mein "ich" sein,daß grad den herren spielt ...
ich empfinde natürlich diese vielen seiten an mir,aber die sind so zu mir gehörig,und so von mir und meiner geschichte geprägt,daß sie ja wiederum ich sind.vergleichen würde ich das eher mit einem fächer...aber ich bin ja leider mit dem buch noch ned weitergekommen...
in ganz erleuchteten momenten habe ich die vorstellung,daß das ganze "momentane" lernen sich nicht nur auf mein jetziges leben,sondern auch auf alle anderen auswirkt,zeit gibts ja keine.und vielleicht ist es das große ziel,jedes dieser leben zu einem glücklichen zu machen,eben weil ich das dazu notwendige gelernt habe.
alles,was einem das leben so bietet.
also müßte sich die suche nach der individualität auch auf die anderen frequenzen erstrecken ...ich würde das ich mehr als schirmherr all dessen empfinden,als gesamtkunstwerk,nicht als launische facette,die sich vermeintlich als herr wähnt.

aber das könnten jetzt auch gedanken meines überheblichen,esoterischen ichs sein,das auf seine individualität pocht...

ich hör lieber auf zu denken

pferdediebin
"Die Stimme des Fleisches verlangt: nicht hungern,nicht dürsten,nicht frieren.Wer dies erreicht und hoffen darf,auch künftig zu erreichen,kann sich selbst mit Zeus im Glücke messen"



Epikur





Antworten