Wieso wird hier soviel gejammert?

Simpl
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Registriert: 12. Feb 2006, 21:40

Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Simpl »

Hallo,

sorry für den aggressiv scheinenden Titel, ich meine das nicht so.

Aber wenn ich mir Forumsbeiträge durchlese wie mir gehts so schlecht und wenn meine Pflanze den Kopf hängen lässt würde ich mich am liebsten vom Balkon stürzen etc.pp.

Ich will niemanden zu Nahe treten, verstehe das aber trotzdem nicht und wäre dankbar, wenn mir jemand diese Gefühlswelt näher bringen könnte.

Bei mir wurde eine organische bedingte Depression diagnostiziert. Ich bin auch nicht arbeitsfähig, schaffe gerade mit Hilfe meiner Frau die wichtigsten Dinge - aber das ist doch bei jedem so, der diese Diagnose hat und jeder muss doch kämpfen um den Alltag und die Auflagen der Ämter und Versicherungen zu erfüllen.

Klar, suizidgefährdet bin ich nicht, wenngleich der Tod in meinen Gedanken auch mittlerweile einen anderen Stellenwert hat als vor einigen Jahren.

Aber die Threads "mir gehts so dreckig" und "was ist mit mir los" kann ich nicht nachvollziehen.

Klar jeder hat die Krankheit in einer milderen oder härteren Form - oder ist das Geschlechtsspezifisch?

Wie gesagt, ich will niemanden zu nahe treten, ich kann nur diese Beiträge nicht nachvollziehen und wäre dankbar wenn mir hierzu jemand was mitteilen könnte.

Gruß Simpl
barney

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von barney »

Hallo Simpl,

danke für Deinen Thread. Mir geht es oft genau wie Dir. Ich bin nun schon seit geraumer Zeit Teilnehmer dieses Forums, habe auch schon einige Beiträge geschrieben und auch von vielen Beiträgen anderer Teilnehmer profitiert. Dafür "Danke" an die Forumler.

Dennoch bemerke ich gerade in den letzten Monaten, dass das Forum mehr und mehr zu einem Ort des gegenseitigen Bemitleidens geworden ist. Offenbar gibt es immer mehr Teilnehmer, für die ihre eigene Selbstdarstellung im Vordergrund steht. Das ist sehr schade und sicherlich nicht der Sinn dieses Forums.

Oft wage ich es gar nicht mehr, zu irgendeinem Beitrag etwas zu schreiben, da die Reaktionen sehr oft unangemessen sind. Daher beschränke ich mich meist auf das Lesen der Beiträge. Nur in diesem Fall musste ich einfach mal meine Meinung sagen/schreiben.

Mal sehen, welche Diskussion das nun wieder auslöst.

Gruß
Bernd
Xavro
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Xavro »

Hallo Simpl,

du hast völlig recht, jeder hat so seine eigenen Art von Depression. Es mag sein, das die "jammernden Charaktere" hier über repräsentiert sind, weil jemand, der trotz seiner Depression eingermaßen klar kommt, kaum Hilfe in einem Forum suchen wird. So finden sich hier sehr viele langjährige, chronische und therapieresistente Betroffene.

Auch die Ursache für die Depression darf dabei nicht vergessen werden. Zum Beispiel ist ein psychonanalytischer, unterbewußter Mechanismus, der zur Depression führt, die "erlernte Hilflosigkeit". Ich will das jetzt nicht näher erläutern, das würde den Rahmen sprengen, aber Du kannst sicher verstehen, das jemand der hilflos ist, anfängt um Hilfe zu schreiben, zu "jammern". Aus einer chronischen Hilflosigkeit erwächst dann Verzweiflung und die Hilfeschreie werden lauter.

Ich denke, das kannst Du leicht aus dem Alltagsleben nachvollziehen. Bei jeder Krankheit fängt ein Patient an ob der Hilflosigkeit zu jammern. Frag mal Deine Frau, wie das bei deiner letzten Erkältung war
Jemandem der durch z.B. eine frühkindliche Erfahrung, fehlen die adäquaten Mechanismen, um so eine Situation zu bewältigen, oder sie haben sich falsch entwickelt. Das sind Dinge, die in den ersten Lebensjahren unterbewußt ablaufen und gepspeichert werden. Das ist das sogenannte implizite Gedächtnis, dort werden die Mechanismen gespeichert, die Du abrufen kannst, ohne darüber nachzudenken. Autofahren zum Beispiel. Was in der Fahrschule noch mit bewusstem Nachdenken verbunden war, passiert jetzt automatisch. Nun die Frage - Kannst Du vergessen, wie man Auto fährt? Wenn Du plötzlich auf ein Auto mit Automatik umsteigst, wie oft hebst Du noch den Fuß, um die Kupplung zu treten?

So läuft das auch mit der Prägung in der Kindheit. Werden die Mechanismen einmal falsch gelernt, kann man sie nur noch mit extrem harter Arbeit (Therapie) wieder loswerden. Wurde der Grundstock falsch ausgerichtet, wird alles nachfolgende darauf aufbauen und sich ebenfalls nicht richtig entwickeln. Merkmal eines depressiven Menschen ist daher, dass er Bewältigungsstrategieren benutzt, die falsch sind, nicht adäquat für die jeweilige Situation oder zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal richtig waren, es jetzt aber nicht mehr sind.

Daher wirst Du hier sicher oft auf Verhaltensweisen stossen, die Du nicht nachvollziehen kannst, da die Ursache Deiner Depression angeblich woanders liegt. Ich sage bewusst angeblich, denn wo eine Depression genau herkommt, kann niemand sagen.

Die Diagnose "organisch bedingte Depression" (Fachbegriff: endogen) sagt erst einmal nichts anderes aus, als dass Dein Arzt auf Anhieb keine Anzeichen für eine Traumatisierung gefunden hat. Das heißt aber nicht, dass keine da ist.
Umgekehrt, wenn eine Traumatisierung vorhanden ist, heißt das nicht, dass diese auch für die Depression verantwortlich ist. Wer kann sagen, ob man nicht auch ohne die Traumatisierung erkrankt wäre.

Genau aus diesem Grund findet man in den Diagnosekatalogen diese Einteilung heute auch nicht mehr. Man diagnostiziert eigentlich nur die Art der Depresseion an sich, aber nicht die Herkunft. Die Begriffe sind aber immer noch im Umlauf. Wir reden ja schließlich auch noch alle von PS und Pfund

Ich hoffe, ich war einigermaßen erfolgreich bei meinem Versuch, Dir dieses extrem schwierige und umfangreiche Thema ein winziges Stück näher zu bringen.

Gruß
Xavro
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Edeltraud
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Edeltraud »

Hallo Simpl,

ich hab mal gewikipediat und folgendes dabei gefunden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Depression

unter: unterschiedl. Formen - letzter Absatz

Viele Grüße
Edeltraud
Simpl
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Simpl »

@ Bernd, danke für Deine Antwort, hat mich gefreut, dass es nicht nur mir so geht.

@ Edeltraud, danke für den link, habe ich aber noch nicht durchgelesen, mache ich bei Gelegenheit aber ganz sicher.

@ Xavro, da hast Du mir sehr weitergeholfen. Ich fand diese Ausführung sehr hilfreich.
Kannst Du mir nur eines beantworten, heisst das im Rückschluß, wenn man ein Mutter hatte die immer nur gejammert hat, - und einem das ordentlich auf den Senkel ging - dass man selbst wenn es einem schlecht geht nicht mehr jammern kann? Ein Antwort hierzu würde mir weiterhelfen.

Gruß Simpl
Xavro
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Xavro »

Noch einmal Hallo,

übrigens bin ich Deiner Meinung, das es nicht sinnvoll ist, auf Jammern mit Mitjammern zu antworten. Das ist nicht wirklich produktiv.

Es hilft unsereins aber auch zu sehen, dass wir nicht alleine sind, dass es da noch andere Menschen gibt, denen es so geht. Das beruhigt schon. Mitjammern heißt Verständnis zeigen, das schafft Verbundenheit. Naja, und sich gegenseitig was vorjammern - wenn auch in anderer Form - tun wir alle. Männer oft über die Frage, warum denn der bevorzugte Fussballverein mal wieder verloren hat, oder das der Chef einen schon wieder mal zur Schnecke gemacht hat. Über Frauen will ich jetzt mal nichts pauschales sagen, sonst kommt hier noch ein Sturm der Entrüstung über unsere Männerrunde

Ja, und im gewissen Sinne ist die Art der Bewältigung und Kommunikation auch geschlechterspezifisch. Frauen kommunizieren empathischer, Männer neigen dazu sachlich zu argumentieren und Ratschläge zu geben.

Ich versuche zwar auch immer ein paar einfühlsame Worte zu finden, aber eigentlich ist das nicht selten einfach Kalkül, um Verbundenheit zu schaffen und damit eine Aufnahmebereitschaft für meine Ratschläge zu erzeugen. Natürlich mach ich das nicht wirklich immer so bewusst. Das sind Kommunikationsstrategien, die ich irgendwann mal gelernt habe und jetzt "implizit" anwende.

Ich bin zwar noch nicht so lange hier, aber ich finde nicht, dass hier über alle Maßen gejammert wird. Ich beantworte auch viele sachliche Fragen z.B. zu Medikamenten, oder gerade gab es sogar ein juristisches Problem. Sehr interessant war das.

Gruß
Xavro
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Xavro
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Xavro »

Und noch einmal hallo,

meine Güte, das Thema scheint ja eine heiße Sache zu werden. Als ich angefangen habe meine erste Antwort zu schreiben, gab es noch 0 Antworten. Jetzt geht das ja Schlag auf Schlag.

Also zur jammernden Mutter:
Ich schätze, das läßt sich so einfach nicht beantworten. Das kommt halt auf die Art der (unbewusst) gewählten Bewältigungsstrategie an. Folgendes ist denkbar:

1. Es hat überhaupt keinen Einfluss auf das spätere Leben.
2. Man vermeidet krampfhaft das Verhalten der Eltern
3. Man macht es gerade genauso wie die Eltern
4. Man ist zwar selber nicht "auffällig" sucht sich aber einen Partner, der genau dieses Verhalten zeigt.

Such Dir was aus.

Eine Traumatisierung muß übrigens kein einmaliges oder mehrfaches, schwerwiegendes Ereignis sein. Auch das ständige Wiederholen einer an sich scheinbar harmlosen Angelegenheit kann zur Traumatisierung führen, vor allem wenn mehrere ungünstige Konstellationen zusammenkommen. Hierunter leiden die Betroffenen später besonders, weil die Umwelt das nicht Problem wahrnimmt.

Auch was Edeltraud da bei Wikipedia gefunden hat ist diesbezüglich interessant. Stell Dir vor, so eine Traumatisierung ist bei Dir passiert. Würdest Du heute noch davon wissen? Kann ein Arzt das feststellen? Ergo: Diagnose organisch bedingte Depression.

Wie ich im vorherigen Posting schon gesagt haben, es muß nicht sein, könnte aber sein.

Genau zu diesem Thema lese ich übrigens gerade ein sehr interessantes Buch "Kopfwandler" von Antonie Ladan. Es dreht sich um Kinder, die schwierigen emotionalen Situationen ausgesetzt waren, ohne dass sie eine angemessene emotional Hilfe bekommen haben. (Baby wird abgestellt, brauch Zuwendung, schreit, bekommt keine) (jüngeres Kind wird von älterem Kind drangsaliert, die Eltern greifen nicht ein)
"Kopfwandler", so postuliert Ladan, mussten früh reif sein und haben sich selbst die Eltern ersetzt, indem sie die Fantasie entwickelt haben, etwas besonderes zu sein. Dies gibt ihnen Trost. "Kopfwandler" sind im erwachsenen Leben autonom, flexibel, erfolgsorientiert, scheinbar unbegrenzt belastbar und zeigen der Umwelt stets ein perfektes Bild von sich selbst. Sie sind jedoch stets unzufrieden mit sich selbst und selten dauerhaft beziehungsfähig.

Bei der in Wikipedia beschriebenen anaklitischen Depression haben wir in der Kindheit eine gleiche Situation, aber eine völlig andere Bewältigungsstrategie. Demzufolge auch völlig andere Symptome in der erwachsenen Depression.

Ich denke aber nicht, das alle die hier jammern, anaklitisch sind. Jammern hat auch viele andere Ursachen und ist auch ein Mechanismus den gesunde Menschen benutzen.

Gruß
Xavro
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Simpl
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Registriert: 12. Feb 2006, 21:40

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Simpl »

@ xavro

Vielen Dank für die Antworten. Damit bin ich erst mal weg vom Fenster, denn das hört sich sehr hilfreich an.

Werde mir das alles mal in den nächsten Tagen durch den Kopf gehen lassen.

Hat mir sehr weitergeholfen!

Gruß Simpl
emriye
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Registriert: 15. Okt 2003, 15:00

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von emriye »

Hallo Xavro,
ich finde deine Erklärungen sehr gut und respektvoll geschrieben. Mehr kann man dazu wirklich nicht schreiben... Ich finde Jammerpostings auch nicht besonders weiterbringend, aber, ich glaube, manchmal ist es einfach auch wichtig über die "angeblich" ausweglose Situation zu jammern. Es ist oft auch Zeichen der akuten Erkrankung. Mich "nervt" es eigentlich nur, wenn jemand über Wochen und Monate immer das gleiche jammert und man kein Vorwärtskommen erkennt, wenn man tausend Ratschläge gibt, Mitgefühl usw, und es beim nächsten Beitrag wieder von ganz vorne anfängt. Aber ansonsten finde ich ein "Jammern" während einer akuten schweren Depression an und für sich ganz normal, alles ist schrecklich und man erkennt keinen Ausweg. Entweder verstummt man ganz oder man spricht über seine Ausweglosigkeit, bis man wieder klarer sehen/denken kann und erkennt, dass die Tiefe der Depression einem ganz schön das Hirn versieben kann. Dann gehts ran an die Arbeit und man kann die erlernte Hilflosigkeit bearbeiten, auslösende Ursachen bearbeiten, für kritische Jahreszeiten sich rüsten, auf Alarmsignale achten zu lernen, die Traumata bearbeiten... Und wenn es einen übermäßig nervt oder so arg stört, kann man gewisse Jammerpostings doch außer acht lassen und zusätzlich sollte man sich fragen "Warum nervt es mich so arg", "Was hat das ganz explizit mit mir als Mensch zu tun???", "Gestehe ich mir Jammern nicht zu,weil es angeblich Schwäche bedeutet???, "bin ich es mir nicht Wert auch mal über eine beschissene Situation zu jammern??", "Darf Mann nicht jammern". Mir würden da tausende von Fragen einfallen und so wäre man wieder bei sich selbst angelangt und müßte sich nicht so viel Gedanken über andere machen. So sehe ich das, Xavro, ich fand deine Erklärung sehr respektvoll und einleuchtend.
Die neuesten Erkenntnisse in der Psychiatrie sind doch, dass es keine rein endogene Depression gibt, es ist immer ein Zusammenspiel vieler Faktoren.
Liebe Grüße
emriye
freebird
Beiträge: 1137
Registriert: 15. Dez 2003, 13:58

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von freebird »

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Frage nicht danach, warum du lebst. Akzeptiere einfach, dass du existierst.
Lee
Beiträge: 1074
Registriert: 5. Jul 2004, 16:42

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Lee »

Entschuldigt, aber Jammern ist keine Besonderheit der Depressiven oder eines Selbsthilfe-Forums, meiner Beobachtung nach. Guckt "spaßeshalber" mal in die Foren des Kaninchenzüchtervereins oder der Trabi-Lieberhaber oder...

Die lieben Gesunden haben auch einen Hang zum Negativen: Hach, jetzt regnet es schon drei Tage! Gott, ist das heiß! Kann es nicht mal drei Wochen 20 Grad sein? Immer dieser abrupte Wetterwechsel!! Mein Kreislauf! Ich hab Kopfschmerzen. Mein Mann hat schon wieder... Und meine Tochter... Das Essen im Hotel war schlecht...

Warum gibt es zurzeit so viele Bücher über die Themen "Wie werde ich glücklich"? u.ä. Warum suchen wir überhaupt alle nach Glück? Nach an-dauerndem Glück? Warum hört man auch von den sog. Gesunden so selten: "Hej, das war ein schöner Tag. Das und das habe ich gelernt. Ich bin gesund. DANKE!"

fragt sich und euch
Lee
freebird
Beiträge: 1137
Registriert: 15. Dez 2003, 13:58

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von freebird »

Hallo Lee,

OOOOOOOOHHHHHHHHHHHHHH ich danke Dir für diesen Beitrag.



Gruß
Corinna
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Frage nicht danach, warum du lebst. Akzeptiere einfach, dass du existierst.
anodano
Beiträge: 0
Registriert: 31. Okt 2004, 12:44

*maleinmisch*

Beitrag von anodano »

also ich bin ja nun nicht depressiv, sondern "nur" eine angehörige und was ich in den letzten tagen/ wochen hier gejammert habe..., aber: es ist einfach so, ich fühl mich, als gäbe es nirgendwo einen ausweg, ich fühle mich hilflos, ich habe angst, möchte mich am liebsten nur in eine ecke setzen und heulen. das allein aber ist wirklich komplett kontraproduktiv, denn von allein ändern sich meine gedankenstrukturen einfach nicht, im gegenteil, ich verrenne mich eher noch in meinem "leid". deshalb jammere ich hier anderen was vor. das mach ich nicht, damit sich jemand dazu setzt und mit mir heult, sondern damit jemand meinen gedanken einen neuen impuls gibt, lösungsansätzen vorschlägt, die er aus eigener erfahrung kennt oder manchmal auch einfach nur ein "verbales" über den kopf streicheln "es ist NICHT ausweglos, tanke auf und dann rappel dich wieder hoch, geh kleine schritte, fang an dem punkt an..." oder ähnlich.

manchen (im angehörigenforum) muß ich auch als eine permanent jammernde frau erscheinen, aber die hilfe, die ich hier bekomme kann ich auf mein "real live" umsetzen, kann wieder aufstehen und weiter durchhalten, schöpfe hoffnung und weiß, wenn meine kraft ausgeht, hier finde ich jemanden, der mir zuhört, mich im zweifelsfall sogar auffangen kann, mir sozusagen den kopf wäscht, damit ich nicht im selbstmitleid versinke.

das mag so überhaupt nicht selbstlos zu klingen, ist es auch nicht, denn ich nutze dieses forum hier tatsächlich für mich, aus dem grund, weil ich denke, dazu ist solch ein forum da.
nett plaudern kann man eigentlich mit jedem, ich jedenfalls kann das mit vielen meiner mitmenschen, aber jemanden in mich reinschauen lassen..., das kann ich nur mit ganz wenigen menschen und es fällt in gewisser weise leichter, es bei völlig objektiven menschen zuzulassen!

und das, was ich im laufe der zeit schon dazu gelernt hab oder auch rein aus dem bauch herraus, geb ich dann auch gern mein "wissen" weiter.

@xavro - ich fand deine ausführungen auch wieder sehr interessant und ich finde, du hast ein ganz besonderes talent, das richtige maß an sachlich-emotionaler kommunikation - respekt!
Xavro
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Xavro »

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sehen hier mal wieder ein typisches Beispiel für die unterschiedliche Kommunikation unter Männern und bei Frauen. (nur damit keine Missverständnisse aufkommen, das meine ich wirklich ernst und absolut geschlechterneutral).

Den Herren (sachlich, aber unemotional) war klar, das es sich hier allein um das geschlechterneutrale Erscheinungsbild des Jammerns bei Depressionen geht. Wenige Andeutung dazu haben ausgereicht, um dieses common agreement zu erreichen.

Die Damen ("unsachlich" (im sinne von ganzheitlich), dafür aber eher emotional), fühlen sich angegriffen ob der Tatsache, dass hier über Jammern geklagt wird (ob der ganzheitlichen Betrachtungsweise, dass Jammern in der Gesellschaft eher Frauen zugeordnet wird) und wähnen sich als Opfer männlichen Chauvinismus'.

In diesem - wirklich rein fachlichen gemeinten Sinne - finde ich das tatsächlich amüsant.

Gruß
Xavro
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anodano
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von anodano »

xavro, *kicher*, in dem zusammenhang find ich das auch amüsant!
aber schließlich wollen doch die meisten von uns das andere geschlecht sowieso gern besser verstehen, also ist es doch nur gut und richtig, bei einem so eindeutigen beispiel zuzuhören, oder?
fragen wir uns also nicht, welche art nun richtig ist, mit emotionen umzugehen (und das ist für mich auch gerade ein wichtiges thema!), sondern respektieren eben, daß andere (es ist ja nicht nur der unterschied zwischen den geschlechtern) es anders handhaben.
ich hab die erfahrung gemacht, daß männer jammern, wenn sie schnupfen haben, aber nicht, wenn die psyche krank ist oder wenn sie von emotionen jeder art überrollt werden. mit frauen hab ich eher die gegenteilige erfahrung gemacht.
allerdings, also allgemein, sicher können frauen von männern und männer von frauen noch eine menge lernen!
Barbra
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Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Barbra »

Hallo liebes Forum!

Muss doch grade mal schnell meinen Senf hierzu abgeben.

Wenn ich "draußen" in der Welt die Harte, Starke sein muss, zu einem Teil schauspielern, übertünchen muss, wie es mir wirklich geht, wohin dann mit der Traurigkeit, mit der Depri, mit den Sorgen und Ängsten?

Ab ins Forum damit, oder etwa nicht?!

M.E. ist dieses Forum genau dafür da mich zu outen, zu sein wie ich gerade bin. Mit meinen Schwankungen, mit meinem Jammern, wenn mir danach ist. Warum immer die Harte raushängen, wenn ich doch auch mal schwach sein darf, gerade hier??

So, das ist was ich dazu zu sagen habe.

Lieben Gruß
Barbara
emriye
Beiträge: 631
Registriert: 15. Okt 2003, 15:00

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von emriye »

Hallo Xavro und Viola,
also, rein sachlich und unemotional gesehen, finde ich das Eingangsposting überhaupt nicht sachlich oder dergleichen.... Dein Posting, Xavro, fand ich sachlich und respektvoll. Liebe Viola, ich kenne das auch von vielen vielen Männern, dass nur über körperliche Krankheiten "gejammert" wird, aber, über psychische Probleme darf "Mann" nicht jammern, das ist Schwäche. So wird die Psyche abgespalten und alles wird nur "sachlich" gesehen oder im negativen Sinne,dann ironisch. Mir tut eigentlich eher jeder leid, der seiner Psyche keine Existenzberechtigung gibt und das hat erstmal nichts mit jammern zu tun.
Mein Mann ist auch wahnsinnig sachlich und er beschäftigt sich überhaupt nicht gerne mit seiner Seele. In seiner freien Zeit beschäftigt er sich viel lieber mit Computer, Computerproblemen usw...leider fast Tag und Nacht!
Das finde ich ziemlich schade, er ist ein total lieber Kerl und ich liebe ihn sehr. Er macht sich auch nicht lustig über meine psychischen Probleme, aber mir fehlt da eine Ebene, eine Verbindung, die Spiritualität - aber vielleicht kann ich diese Ebene nur mit meinen Freundinnen teilen. Wahrscheinlich finde ich Thomas Art(u. bei einigen anderen Männern hier) nachzudenken und zu fomulieren gerade deshalb so beeindruckend und schön, weil ich diese Seite so bei meinem Mann vermisse.
Man sollte die Kommunikation eigentlich nicht in sachlich und emotional einteilen, ein mittiges, sowohl als auch, ist für mich der Weg, aber scheinbar wirkte auch ich oben in meinem Posting unsachlich und emotional, sonst hätte Xavro ja nicht seine Erkenntnis aus diesem Thread gezogen. Das komische ist, ich sehe mein Posting weiter oben garnicht so unsachlich....hhm, bin ich jetzt auf meinem sachlichen Auge blind?? Ich meine das ganz ehrlich und wäre dankbar um eine Erklärung, was da vielleicht zu emotional war, ich würde gerne eben auf dieser mittleren Ebene sein, aber ich sehe es nicht selbst. Wäre schön, wenn mir jemand helfen könnte.
Liebe Grüße
emriye

P.s das Posting weiter oben war eigentlich nicht nur an Xavro gerichtet, sondern eher an Simpl...
MissMarple

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von MissMarple »

Hallo Simpl,

........ganz simple, weil man, wenn es einem "jämmerlich" geht, hier "ungestraft" jammern darf, weil man sich hier im Forum nicht verstellen muß, weil man im Forum schreiben kann, wie man sich fühlt und nicht, wie alle meinen, wie man sich fühlen sollte.

So einfach ist es und ich werde, wenn mir danach ist, auch weiterhin hier jammern.

Liebe Grüße

Birgit
Xenia
Beiträge: 2051
Registriert: 20. Apr 2003, 12:31

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Xenia »

Liebe Birgit,



Liebe Grüße

Xenia, die hofft, daß es Dir gut geht.
°*°*°*°*°*°*°*°*°*°*°*




ТЪПАЦИ!!!
Simpl
Beiträge: 219
Registriert: 12. Feb 2006, 21:40

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Simpl »

Hallo Birgit,

erstens halte ich Wortspiele mit Namen für provokant - aber den Namen habe ich mir ja selber gewählt.

Zweitens, ich habe nie geschrieben "Dass ich die Jammerei nicht abkann" ich habe geschrieben, "kann mir jemand erklären wieso das so ist".

Merkst Du den Unterschied?

Von mir aus kann jeder jammern so viel er will, ich habe eine Anfrage gestellt. Was dann da reininterpretiert wird finde ich schon witzig - ne, witzig ist das eigentlich nicht.

Gruß Simpl
chimera

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von chimera »

Hallo Birgit,

die Zeiten, in denen man sich hier nicht verstellen mußte, sind schon längst vorbei. Mittlerweile herrschen hier Mißgunst, Intoleranz, Besserwisserei und Neid.

Man mag mir das glauben oder nicht, aber ich bin absolut kein Jammertyp, im RL erzähle ich fast nie etwas von meinen Problemen und auch im Forum halte ich mich mittlerweile zurück, habe keine Lust mehr, aufgrund der Art, wie ich meine Schmerzen verarbeite, als Narzißt oder Selbstdarsteller verurteilt zu werden.

Wenn die Seele nur vom Tod spricht, wenn sie Dich nur in die Tiefe reißt, wenn alle Versuche, positive Gedanken zu haben, nur inneren Widerspruch erzeugen, wenn Du alles dafür getan hast, Dich zusammenzureißen und der Seelenschmerz sich nicht besiegen läßt, dann bleibt nur noch das Jammern, oder? Weil wir dadurch die wahre Befindlichkeit unserer Seele ans Licht rücken, weil wir dadurch unsere Substanz finden.

Pseudomäßige Positivdenke, die mit unserer seelischen Befindlichkeit nicht synchronisiert ist, bringt überhaupt nichts. Bin lange genug depri, um das verstanden zu haben. Übrigens hat dieses Posting hat nichts mit meinem eigenen Zustand zu tun, es geht mir mittlerweile zum Glück sehr gut.


Liebe Grüße,
Chimera
chimera

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von chimera »

Hatte gestern im Schauspieler-Thread folgendes Posting an Xenia geschrieben, das ich dann allerdings wieder löschte, weil ich keinen Bock mehr darauf hatte, wieder fertiggemacht zu werden:

@ Xeni:

[ironie-on]

>>> Ob bei mir alles im Lot ist? Nö...

Jetzt jammer mal nicht so rum! Wir sind hier in einem reinen Besserwisser-Forum, bitte komme ja nicht mehr auf die Idee, uns mit Deinen seelischen Befindlichkeiten zu belästigen. Diese Zeiten sind vorbei. Schäm Dich dafür, daß Du nach wie vor ab und zu depri bist! Schäme Dich bitte auch für jegliche Abweichungen vom Mainstream.

[ironie-off]
chimera

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von chimera »

Okay, das Posting war ziemlich übertrieben, einige Poster, die wirklich tolle, emphatische und hilfreiche Beiträge schreiben, gibt es noch. Muß an dieser Stelle nochmals Xavro loben, seine Postings in diesem Thread sind wirklich klasse und hilfreich. Danke dafür!

Meine Postings beziehen sich nicht auf Simpls Eingangsposting, das fand ich nicht beleidigend oder so. Es geht mir um die Grundstimmung, die ich im Forum wahrnehme.

Muß hier wieder das wundervolle Kafka-Zitat anbringen:

Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst,
was weißt Du von den Schmerzen,
die in mir sind und was weiß ich von Deinen.

Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde
und weinen und erzählen,
was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle,
wenn Dir jemand erzählt,
sie ist heiß und fürchterlich.

Schon darum sollten wir Menschen
voreinander so ehrfürchtig,
so nachdenklich stehen,
wie vor dem Eingang zur Hölle.
anodano
Beiträge: 0
Registriert: 31. Okt 2004, 12:44

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von anodano »

@Emriye,
so geht es mit mit meinem mann auch und er erkennt seine psychischen sorgen in seiner krankheit nun überhaupt nicht, weil er nie gelernt hat, schwach zu sein. er zeiht rationale probleme heran, um sich seine krankheit zu erklären und das mit anzusehen ist für mich recht traurig. ich würde ihm so gern helfen, aber jede andeutung in hinsicht auf seine psyche und angenomme verhaltensweisen versteht er als vorwurf, so als würde ich ihn nur runterziehen wollen, dabei will ich ihm doch so gern helfen
Xenia
Beiträge: 2051
Registriert: 20. Apr 2003, 12:31

Re: Wieso wird hier soviel gejammert?

Beitrag von Xenia »

Hey Chimera!

Du wagst es, die größte Narzißtin im Forum anzugreifen??? Das gibt Ärger, Du weißt ja, wie ich hassen kann - Terror, Du weißt schon...

Was Du geschrieben hast, trifft meines Erachtens voll zu. Ich finde es einfach nicht nachzuvollziehen, wenn Leute in ihrer schweren Depression noch nicht einmal hier jammern dürfen (natürlich gibt es auch Grenzen, aber ich empfinde das Jammern hier im Forum nicht so "schlimm", wie es schon einmal war).

Es gibt viele, die keinen Bock mehr haben, über ihre Befindlichkeit zu schreiben. Zum einen, weil es evtl. sofort zu Streitereien kommt und zu Fraktion-Bildungen, zum anderen, weil man nicht weiß, wann einem das betreffende Posting vielleicht mal vorgehalten wird oder Anlaß geben könnte zu Aggressionen...

Ich denke auch, daß viele (vielleicht alle?), die hier im Forum schreiben, sich ein Leben lang zusammengerissen haben, maschinenmäßig funktioniert haben und sich jetzt einfach nicht mehr zusammenreißen wollen und können. Das heißt doch aber nicht, daß sie bis an ihr Lebensende jammern werden (habe ich zumindest an mir gemerkt). Mir hat mal ein Therapeut gesagt: Hören Sie endlich auf, sich zusammenzureißen, sich selbst und Ihrer Umwelt etwas vorzumachen. Lassen Sie Risse in der Fassade zu. Und wenn man diesen Rat befolgt, fängt man vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben an zu jammern. Jammern gehört für mich auch sehr stark zum Betrauern vergangener Zeiten oder Betrauern des eigenen Lebens, weil nichts, aber auch gar nichts so gelaufen ist, wie man es sich gewünscht hätte.

Jammern ist per se kein Selbstmitleid. In anderen Kulturen ist es üblich, beim Tod eines Menschen öffentlich zu jammern, zu schreien und zusammenzubrechen. Das kann doch auch befreiend wirken finde ich.

Natürlich muß das Jammern auch mal ein Ende haben, das ist klar. Aber wenn die Depression schwindet, schwindet auch das Jammern. Vielleicht nicht vollständig, aber das ist ja auch nicht verwerflich.

Ich war froh, einen Zustand erreicht zu haben, in dem ich jammern konnte... Da war nämlich die Tiefe der Depression, in der ich stumm, tot und emotionslos war, vorüber. Dann ist man doch froh über jede Emotion, die sich in einem regt. Weil das auch bedeutet, daß man lebt...

Liebe Grüße

Xenia

P.S. Ich scheine Dich mit meinem Kafka-Zitat ja wirklich beeindruckt zu haben...
°*°*°*°*°*°*°*°*°*°*°*




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