Dysthymia

Andre_I
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Dysthymia

Beitrag von Andre_I »

Ist Dysthymia eigentlich etwas, was Ärzte und Psychologen nur eher selten diagnostizieren?
Ich habe eigentlich alle Symptome, die damit verbunden sind schon seit >15 Jahren oder so. Naja, also eigentlich erfülle die meisten Merkmale einer Depression. Aber weils schon so lange dauert, denke ich, dass bei mir Dysthymia am ehesten passt. Ich hab anfangs mit dem Hausarzt geredet, war auch schon zweimal in Gesprächstherapie, aber nie haben die Ärzte den Begriff Dysthymia verwendet. Ich bin auch nur nach wochenlangem Suchen in Fachbüchern und im Internet draufgestossen.

Ich finde, es ist echt ein Problem, wenn man Depressionen hat, aber nicht wirklich ein richtig tolles Kindheitstrauma oder einen offensichtlichen Schicksalsschlag hat, den man verarbeiten muss/kann. Irgendwie überfordert es die Psychologen, wenn es nichts offensichtliches gibt, wo man sich draufstürzen kann. Ich versuche mich eigentlich auch ohne Drogen über den Tag zu retten, obwohl ich meine Existenz jeden Tag von neuem als nicht-enden-wollenden Albtraum erlebe. Aber als ich Antidepressiva nahm, hatte ich stets das Gefühl, dass ich drei Schritte neben mir stehe und empfand das auch nicht wirklich als hilfreich. Lieber schlecht fühlen, als komisch oder gar nicht war dann mein Entscheid.
Was mich aber eigentlich interessiert ist, ob man diese Form der Depression überhaupt irgendwie dauerhaft und erfolgreich behandeln kann. Was verspricht da am meisten Erfolg? Ich habe bis jetzt leider niemanden kennengelernt, der das jemals wieder loswurde. Macht es da Sinn, überhaupt die ganze Wegstrecke zu gehen?

Oh und warum wird Dysthymia eigentlich von der Diagnostik nicht zu den schweren Depressionen gezählt? Ich würde all die vergangenen Jahre sofort gegen eine auf 2 Wochen befristiete mega-super-schwer Depression tauschen. Ehrlich, es ist so Scheisse, wenn man sich selbst und sein Leben Jahrelang nicht ertragen kann und sich immer nur ungenügend, traurig, schlecht und müde fühlt.
Andre
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Julia78
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Re: Dysthymia

Beitrag von Julia78 »

Hallo Andre,

es bedeutet mir viel, in deinem Beitrag Gedanken zu lesen, die den meinen so ähnlich sind. Ich finde es schwierig, das was nicht stimmt zu fassen zu kriegen, weil die äußeren Umstände eigentlich besser nicht sein könnten. Ich wünsche uns viel Erfolg bei der Suche nach Informationen bezügl. Dysthymie, die weiterbringen!

Gruß Julia
uschi2
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Re: Dysthymia

Beitrag von uschi2 »

HalloAndré,

wie äußern sich denn deine Beschwerden. Bei meinem Mann dauert nun die Verstimmungen auch schon ewig lange. zunächst hatte er eine schwere Depression, sprach auf Ad (Trevilor sehr gut an. Nach dem ersten Absetzen entwickelte er wieder Launen und Aggressionen vor allem mir gegenüber. Dann nahm er wieder für 3 Jahre Trevilor und es ging bestens. er war der beste und liebste Papa weltweit. Jetzt hat er wieder aufgehört
und es geht von vorne los. vor allem mir gegenüber ist er launisch, spricht nicht und ist aggressiv (verbal).
Zu allen anderen ist er sehr freundlich. Mich würde interessieren, wie sich das bei dir äußert? Vielleicht solltest du andere AD ausprobieren, wenn sie bisher nicht gewirkt haben.
Viele Grüße
Uschi
Andre_I
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Re: Dysthymia

Beitrag von Andre_I »

Hallo Uschi
Bei mir äussert sich das so, dass ich immer pessimistisch bin, ich verspüre zu jeder Zeit eine absolute Hoffnungslosigkeit, ich habe grosse Mühe Entscheidungen zu treffen, manchmal schon bei ganz kleinen Dingen. Wenn Aufgaben an mich herangetragen werden, steigt in mir Angst hoch, diese nicht erfüllen zu können oder die Menschen zu entäuschen. Ich fühle mich schnell überfordert und das bestärkt mich dann im Gefühl nicht gut genug zu sein oder anderen Menschen nur etwas vorzumachen. Scheitere ich dann wirklich, ist es für mich die Bestätigung, dass ich Recht hatte. Geht es gut, dann hätte es ja sowieso jeder gekonnt. Das ist ganz wichtig: Nur die schlechten Dinge nehme ich wahr, positives wird ausgeblendet. Ich bin schon seit vielen Jahren praktisch unfähig Erfolg oder Glück irgendwie aufzunehmen oder zu spüren. Ich habe Angst vor der Zukunft, grüble über die Vergangenheit und finde keinen Draht zur Gegenwart. Ich habe einen Job in der IT, der sehr stressig und sehr fordernd ist.

Ich habe grosse Mühe auf Menschen zuzugehen. Schon seit Jahren keine neuen Freunde mehr gewonnen. Ich glaube nicht an mich und glaube nicht, dass ich irgendwelche Fähigkeiten habe oder dass jemand irgendetwas Spezielles an mir finden könnte. Ja, ein Symptom ist auch kein Selbstwertgefühl zu haben.
Und ich habe dieses Gefühl, dass mich all diese Dinge zusammen immer mehr ausbrennen. Es ist als wär meine Welt ganz klein und es gibt keinen Ort, wohin ich vor mir selbst und all den Gedanken flüchten könnte. Ich fühle mich immer müde. Ich versuche zwar 3mal die Woche Sport zu machen, aber das bewirkt kein Glücksgefühl oder was man immer liest, fühle mich nur noch schlapper.

Ja und ein ganz zentrales Gefühl ist für mich, dass für mich der Gedanke an den Tod eine Art Hoffnung auslöst, in meinen Gedanken etwas sehr positives ist. Es ist wie das Ziel, was es zu erreichen gilt. Als gäbe es links und rechts nichts, was mehr erstrebenswert wäre, nicht worin ich gut sein könnte oder für das es wert wäre zu leben. Ich habe aber keinen Suizid oder so geplant. Ich sehe einfach nichts im Leben, über das ich mich freuen könnte und das Ende ist für mich irgendwie die Ziellinie. Der Tunnelblick ist darauf gerichtet, wo einfach das Nichts, das Ende der Angst, der Gefühle wartet, die Erlösung. Es ist, wie wenn man einen wirklich schlechten Tag hat und jede Minute auf die grosse Uhr guckt, bis endlich der Feierabend da ist. Ist ein blöder Vergleich, aber ich hoffe, Du verstehst, wie ich meine. Ich stehe jeden Morgen auf und weiss, dass ich wieder einen Albtraum vor mir habe.
Bei Deinem Mann scheinen sich die Symptome etwas anders zu zeigen. Ich bin zwar manchmal auch launisch, ich richte das aber gegen mich und mach mich in Gedanken selbst herunter, ich habe nie Aggressionen gegen andere Menschen gerichtet. Ich werde aber noch zynischer, ironischer und sarkastischer als normal.
Ich habe das mit den Antidepressiva aufgegeben. Ich habe zwar eine stabilisierende Wirkung festgestellt. Es hat mir sicher auch etwas geholfen während der schlimmen schwarzen Löcher, als manchmal fast nichts mehr ging. Das Problem ist aber, dass ich einfach so ein Gefühl von zwei Meter Watte um mich herum hatte und total beduselt war. Da man mit Dysthymia ja mehr oder weniger Arbeitsfähig ist, macht das das Leben nur noch schwieriger und ich habe nicht gesehen, wie es in irgendeiner Art und Weise meine Probleme lösen könnte. Ja es ging auch soweit, dass ich einfach irgendwelche Gefühle haben wollte, auch wenns nur schlechte waren. Darum keine Drogen für mich.
Ich glaube, das Schwierige ist eben, wenn man so lange unter solchen Symptomen leidet, dass sich das ganze Leben verändert. Es reicht nicht, die Symptome wegzumachen, man muss eigentlich ein ganz neues Leben anfangen und sich selbst neu erfinden. Diese Kraft haben nicht mal die meisten "Normalos".
Ich hoffe, ich konnte Dir meine Wahrnehmung etwas verständlich machen.
Schöne Grüsse
André
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uschi2
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Re: Dysthymia

Beitrag von uschi2 »

hallo André,
eigentlich bin ich ziemlich ratlos, wenn ich deinen Bericht lese. Bei der Recherche nach den Ursachen und Arten der Depression, bin ich aber schon fündig geworden und zwar in der richtung, dass Dystymia medikamentös behandelt werden sollte. ich habe auch gelesen, dies sollte lebenslang erfolgen. Vielleicht versuchst du es doch nochmal mit einem neuen Arzt eventuell.
Alles Gute für dich
Uschi
Andre_I
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Re: Dysthymia

Beitrag von Andre_I »

Hallo Julia

Geht es Dir denn auch so, dass Du den Wunsch hast, eine Erklärung dafür zu finden? Das alles zu verstehen? Ich habe oft darüber nachgedacht, was der Sinn des Lebens - meines Lebens - sein könnte. Aber ich habe nie eine Antwort gefunden. Mag sein, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens eine verbotene Frage ist und dass, wenn man keine Antwort auf sie findet, man an ihr zerbricht. Dass die Offenbarung der völligen Sinnlosikeit, der eigenen Wertlosigkeit etwas in einem drinnen zerstört.

Etwas in mir sagt, dass der Weg aus dem finsteren Tal genauso wie obige Erkenntnis aus einem heraus kommen muss. Man muss irgendwie die unmögliche Kraft zur Initiative und Mut aufbringen und versuchen vorwärts zu gehen. Man muss seinen Fokus weg vom gestern und morgen und stattdessen aufs jetzt richten können. Nicht grübeln, nicht erklären, nicht heraufbeschwöeren. Man muss irgendwie die Schalter in einem drinnen von negativ auf positiv stellen können. Ja, man muss wohl etwas finden, für das es sich zu leben lohnt. Aber ist das überhaupt möglich? Dieses etwas oder dieser Jemand, wofür es sich zu leben lohnt, ist ja eh nur ein kurzes Aufblitzen bevor es zur Vergangenheit gehört und zum Grübel-Grund wird. Eine Schwäche, ein schlechter Tag und alls bricht nur wieder über einem zusammen.
Ich weiss wirklich nicht, ob man da wieder heraus kommt. Darum habe ich auch nach einer erfolgreichen Heilung gefragt.

Viel Glück für Dich!
André
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Xavro
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Re: Dysthymia

Beitrag von Xavro »

Hallo Andre,

ich bin auch schon seit mind. 20 Jahren mit einer Dysthemia zugange. Du bist bei weitem nicht allein damit.

Mir ist auch aufgefallen, daß die Ärzte den Begriff kaum verwenden. In der Fachliteratur finde ich ihn aber regelmäßig. Ich nehme an, das liegt daran, weil es in der Praxis einfach irrelevant ist, wie das Ding genau heißt. Vermutlich ist es auch so, daß viele Patienten mit dem Begriff nichts anfangen können und daher "Depression" vorziehen. Keine Ahnung.

Ab wann eine Depression als schwer bezeichnet wird, hängt davon ab, wieviele Haupt- und Nebensymptome du hast. Dysthemia ist meines wissens aber so definiert, daß nur "leichte" Symptome auftreten. Sie kann also per Definition nicht zu den schweren Depressionen gehören.

Bei mir ist es aber so, daß ich zur Dysthemia auch immer wieder "richtige" depressive Episoden habe, die dann wieder das Kriterium "schwere Depression" erfüllen.

Benebelt von Antidepressiva? Das wäre eine eher ungewöhnliche Nebenwirkung. Kann das auch ein Neuroleptikum gewesen sein? Hast Du schon verschiedene Medikamente probiert?

Ansonsten kann ich dem was Du schreibst nur zustimmen. Das meiste kenne ich aus eigener Erfahrung auch.

Gruß
Xavro

P.S. Warum suchst Du noch nach einer Antwort? 42!
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Xavro
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Re: Dysthymia

Beitrag von Xavro »

Hallo Uschi,

wenn Dein Mann doch unter Trevilor stabil ist, warum nimmt er es dann nicht mehr? Hat er es abgesetzt oder der Arzt? Eine lebenslange Behandlung mit Antidepressiva ist nicht ungewöhnlich, um Rückfälle zu verhindern. Früher hat man dafür das berühmt berüchtigte "Lithium" dafür genommen.

Lithium wird auch heute noch eingesetzt, aber inzwischen gibt es auch besser verträgliche Mittel und in letzter Zeit lese ich auch immer häufiger, daß einfach das Antidepressivum weiter verabreicht wird, so wie bei Deinem Mann das Trevilor. Schade daß er es nicht mehr nimmt.

Gruß
Xavro
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Julia78
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Re: Dysthymia

Beitrag von Julia78 »

Hi André,


ja ich will eine Erklärung finden, die mir hilft, in d a s Leben einzutauchen, das die "Glücklichen" führen.

Mir kommt es oft so vor, als würde mir eine ganz bestimmte Erkenntnis fehlen, die Erkenntis, wie die Zentrale aussieht, die alles zusammenhält. Auch wenn ich jetzt versuche, das zu beschreiben, was ich suche bzw mir fehlt, merke ich dass ich den Kern nicht treffen kann.
Ich glaube konkrete Dinge zu kennen, die mir manchmal helfen, weil sie einem Präsenz geben und die Konzentration bündeln; vielleicht so wie du es versucht hast mit deinem Sport, 3mal die Woche. Aber mir fehlt die Fähigkeit, die Bedeutung von so Tätigkeiten einzuordnen und ich kann die Initiative dazu auch nicht auf Knopfdruck einschalten (blöde Beispiele: wandern gehen, kochen, Musik machen. Das sind für mich Sachen, für die es sich zu leben lohnt).
Du schreibst, das ehemalige "Aufblitzen" wird dann zum Grübelgrund, den Frust darüber kenn ich. Meine derzeitige Hoffnung: vielleicht sind in einem drin ja so Speicher für Aufblitzerlebnisse, die man, um den Fakor Zeit reinzubringen, immer wieder, am besten so oft wie möglich, auffüllen muss, so dass es aus der Fülle des Aufblitzens gar nicht mehr nötig ist, oder, noch besser, gar keine zeit mehr dazu ist, über etwas oder jemand nachzugrübeln. Ich probiers immer wieder aus, mehr oder weniger erfolgreich...

Grüße
Julia
damaris
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Re: Dysthymia

Beitrag von damaris »

Hallo André!

Zitat:
Oh und warum wird Dysthymia eigentlich von der Diagnostik nicht zu den schweren Depressionen gezählt? Ich würde all die vergangenen Jahre sofort gegen eine auf 2 Wochen befristiete mega-super-schwer Depression tauschen. Ehrlich, es ist so Scheisse, wenn man sich selbst und sein Leben Jahrelang nicht ertragen kann und sich immer nur ungenügend, traurig, schlecht und müde fühlt.

Ich hab deine Beiträge gelesen und konnte mich sehr gut wiederfinden im dem was du geschrieben hast. Ich frag mich oft, was man eigentlich unter "schwerer" Depression versteht, inwieweit sie sich von "leichten" Depressionen oder Dysthymie abgrenzt, ob das überhaupt geht.
Ich bin nämlich der Meinung, dass man das nicht an irgendwelchen Symptomlisten festmachen kann, sondern daran wie groß das subjektive Leiden ist. Und ich muss dir recht geben, es IST hart durchgängig depressiv zu sein.

Ich hab mich gefragt, ob das "durchgängige" Depressivsein überhaupt als Krankheit bezeichnet werden kann oder ob das zur Persönlichkeit gehört. Mir fehlt ein konkretes "Ereignis", ein "Trauma", dass bei mir als Auslöser zu betrachten wäre. Und jahrelang hab ich mein Verhalten, meine Gefühle, vor allem Angst, als "normal", zu mir gehörig, empfunden, doch ich hab drunter GELITTEN-sehr sogar!! Muss das nicht folglich als Krankheit angesehen werden? Ich hab mich so oft selbst nicht verstanden, warum ich z.B. so "kontaktscheu" bin, warum ich mich jetzt verdammt nochmal nicht konzentrieren kann, warum ich keine Lust habe z.B. in Diskos zu gehen etc.. Bin ICH das, oder ist das die "Krankheit"? Mich würde es sehr entlasten, wenn es die Krankheit wäre!! Einerseits, weil ich damit so einiges "entschuldigen" könnte. Andererseits säße ich dann vor dem Problem: Komme ich da überhaupt nochmal raus?? Wie ist es überhaupt, mal so RICHTIG fröhlich zu sein, alles ganz unbeschwert sehen zu können??? Verdammt muss das schön sein...


Ich bin der Meinung es hilft gewissermaßen, wenn man sein "dahinschleichenden" Leiden als Krankheit annehmen kann, dass man sich nicht SELBST fertig macht, denkt, man hat sich alles selbst zu verschulden.
Wenn man das akzeptiert und die Krankheit von sich abgrenzen kann, ohne sie ganz von sich abzuspalten (damit meine ich bewusst und gezielt dagegen ankämpfen), dann kann man- glaube ich- relativ(!) gut damit leben.

Du, so scheint es mir aber, scheinst echt groß drunter zu leiden und verzweifelt zu sein.
Liegt es vielleicht daran, dass du deine Diagnose "Dysthemia" nicht annehmen kannst und - im Gegenteil versuchst sie mit allen Mitteln zu vertreiben?
Ich selbst bin sehr am verzweifeln und würde gerne meine "Miesepeterseiten" austreiben, aber ich merke, je mehr ich mich darum bemühe, desto schlimmer wird es.
Hat vielleicht auch was damit zu tun,dass man sich zu sehr selbst beobachtet...

Du sagst, es müsste etwas geben wofür es sich LOHNT zu leben, d.h. du suchst irgendwie nach dem Sinn des Lebens...
Ich hab mal gehört, dass der Auslöser von Depressionen sehr häufig, wenn nicht sogar in allen Fällen, ein sog. "existentielles Vakuum" (Begriff von V.Frankl) ist, d.h. alles erscheint einem negativ und fragwürdig, man sitzt in einem Loch, einer großen Leere und ist auf
einer "Sinnsuche"...

Ich hab ein Buch von E.Lukas gelesen(einer Schülerin von V.Frankl), dass
mir doch sehr gut geholfen hat ("Auch dein Leben hat Sinn"). Vielleicht hilft es dir auch?

LG und dir alles Gute,
Susi
Xavro
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Re: Dysthymia

Beitrag von Xavro »

Hallo zusammen,

Also die Frage, was eine leichte und was eine schwere Depression ist, läßt sich lehrbuchmäßig relativ leicht beantworten. Dazu später mehr. Man sollte die Begriffe leicht oder schwer nicht so umgangssprachlich betrachten. Wie schwerwiegend eine Depession ist, hängt immer von dem Empfinden des Betroffenen ab. Der eine empfindet eine per Definition als leicht bezeichnete Depression als sehr stark, während andere auch mit "schweren" Depressionen gut zurecht kommen. Es kommt meines Erachtens auch darauf an, welche Symptome zusammenkommen. Es gibt halt recht unglückliche Kombinationen.

Ich gebe Susi also völlig recht, wenn sie sagt, daß es alleine auf das subjektive Leiden ankommt. Das gleiche gilt auch für die Frage, ob Dystemia überhaupt eine Krankheit ist, oder nur ein Charakterzug. Als Charakterzug würde ich es Melancholie nennen, wenn dieser Charakterzug aber Leiden verursacht, man also darunter leidet, dann wird es eine Krankheit und dann ist es eine Dystemia (na ja so ungefähr jedenfalls). ine Krankheit bedingt als ein "unter etwas leiden". Ein Beispiel: Manche Frauen sind der Meinung, daß sie einen zu kleinen/großen Busen haben. Sind sie deswegen krank? Körperlich sicher nicht, aber was ist, wenn das darunter leiden so groß wird, daß es anfängt das Leben zu dominieren? Dann wird es krankhaft.

Ich denke man darf die Begriffe leichte und schwere Depression nicht automatisch wortwörtlich nehmen, sondern erst einmal als eine Gruppeneinteilung. Statistisch wird es vermutlich so sein, daß Personen mit einer schweren Depression mehr leiden, denn sie haben ja mehr Symptome, aber was ist schon Statistik.

Technisch betrachtet sieht das ganze so aus:
Bei Depression gibt es drei sogenannte Hauptsymptome, welche eine Depression kennzeichnen
1. gedrückte Stimmung
2. Interesse-/Freudlosigkeit
3. Antriebsstörung
Dazu noch eine ganze Reihe von Nebensymptomen zum Beispiel:
Konzentrationsprobleme, mangelndes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Schlafstörungen, Suizidgedanken, körperliche Beschwerden wie Schmerzen, Magen-Darm-Probleme .....

Von den Hauptsymptomen müssen mindestens zwei vorhanden sein.
leichte Depression = + zwei Nebensymptome
mittlere Depression = + drei Nebensymptome
schwere Depression = + vier Nebensymptome
(entnommen aus: Depressionen bewältigen, Trias Verlag (unter Mitarbeit des Kompetenznetz Depressionen))

Soviel zur technischen Betrachtung der Angelegenheit

Gruß
Xavro
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Andre_I
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Re: Dysthymia

Beitrag von Andre_I »

Hallo Susi

Deine Frage, ob das durchgängige Depressivsein Krankheit oder Persönlichkeitsmerkmal ist, finde ich sehr gut. Ich glaube, dass bei mir vieles, wie z.B. die Melancholie zum Merkmal wurde. Ich glaube, dass gerade in dieser Wandelung vom Symptom zum Charaktermerkmal vermutlich auch die grösste Hürde für eine Genesung liegt. Ein gebrochenes Bein kann man wiederherstellen, bei einer depressiven Episode mit einem konkreten Ereignis, kann sich der Patient an das Davor erinnern und kann so therapiert werden. Aber wenn die ganze Persönlichkeit das Problem darstellt und man praktisch einen neuen Menschen erschaffen muss, dann wird es schwierig. Ich stelle mir jetzt mal vor, dass von heute auf morgen all meine Gefühle für mich selber, mein ganzes Weltbild, meine Warnehmung von der Umgebung, mein Fokus auf Morgen und Gestern weg wären. Was bliebe von mir übrig? Wer wäre ich dann? Schliesslich hebt mich ja das, was ich so hasse von anderen ab, ist scheinbar das einzig Spezielle an mir. Würde mich das nicht sofort ins nächste Schwarze Loch oder in die Klappse katapultieren? Ich frage mich manchmal, ob ich mich vielleicht nicht inzwischen so fühlen möchte, wie ich mich fühle, ob es nicht zur Gewohnheit wurde.
Ich frage mich aus dieser Überlegung heraus eben auch, welchen Nutzen man sich da eigentlich von Antidepressiva erhofft. Sie stabilisieren.. ja.. aber was? Ich bin stabil. Die Symptome unterdrücken heisst, mein Ich zu unterdrücken. Macht das irgendeinen Sinn?

Ich habe lange danach gesucht, was es sein könnte. Ich wollte dem Monster einen Namen geben können und herausfinden, ob ich damit alleine bin. Es hilft zu verstehen, es hilft mir aber nicht, es zu beseitigen.
Ja, man kann damit leben. Ich kämpfe mich auch durch den Alltag. Aber ist das Fluch oder Segen? Wenn man arbeiten kann, dann wird es ja schon nicht so schlimm sein. Aber geht es Dir nicht auch so, dass die Symptome oder Charaktereigenschaften ein Riesenproblem im Alltag darstellen. Ich kann alles wunderbar erledigen, was ich selbst mache, was keinen grossen Einfluss auf andere Leute hat. Aber wenn ich etwas organisieren sollte, wenn ich von anderen Menschen irgendwas brauche, wenn ich für etwas Verantwortung übernehmen soll, wenn ich etwas entscheiden soll, wenn es dann auch noch wichtig und dringend ist, dann ist es manchmal sehr schwer.
Man muss vermutlich so leben, wie Du es auch andeutest, man muss mit der Einstellung leben "jetzt tue ich es trotzdem", auch wenn man Schweissausbrüche und Angstzustände dabei hat und alles 10mal mehr Kraft braucht als bei den "Normalos"

Ich geb Dir auch mit der Selbstbeobachtung recht. Selbstbeobachtung wär ja gut, aber es geht eben direkt in Selbstbewertung über und dem Vergleich mit Eigenschaften, die man bei anderen Menschen sieht - bei vielen anderen Menschen. Es spielt keine Rolle, dass nicht ein einziger Mensch all diese Eigenschaften in sich vereint, es ist nur wichtig, dass man selbst sie nicht hat. Ich lebe heute selbst mit der Überzeugung, dass es absolut nichts gibt, was ich wirklich gut kann.

Oh ja, das existentielle Vakuum. Guter Ausdruck. Ich glaube halt, dass sich alles um die Frage nach dem Sinn des Lebens dreht. Die Menschen, die die Frage nie stellen, scheinen glücklich vor sich hinzuleben. Aber wenn man die Frage stellt, stellt man vielleicht fest, dass der Mensch auch nur ein Tier ist, was dazu bestimmt ist, die eigene Gattung zu erhalten. Man stellt fest, dass man selbst ein nichts auf der Erde ist, die Erde ein Nichts im Sonnenstystem ist und das Sonnensystem ein Nichts im Universum ist. Die absolute Bedeutungslosigkeit. Obwohl mir diese Vorstellung im Moment hilft über vermeintlich wichtige Probleme hinwegzusehen, die von blöden Manager auf meinem Schreibtisch abgelegt werden, so bleibt doch die Idee der völligen Sinnlosigkeit bestehen. Vielleicht ist es ein beleidigtes Ego, was realisiert, dass es wichtiger sein wollte, als es ist. Vielleicht ist es die Erkenntnis mit dem Älter werden, dass man gewisse Dinge doch nie mehr tun wird, dass man doch nicht alle Möglichkeiten hat und dass man absolut nichts Besonderes ist. Vielleicht ist es der Frust, dass all die verpassten Gelegenheiten wirklich verpasst und vorbei sind.
Es hat sicher viel mit dem Akzeptieren von Umständen zu tun. Akzeptieren macht es einfacher. Aber alleinzusein, das werde ich niemals akzeptieren können. Es tut jeden Tag weh.
Aber eine interessante Sache hat es mit der Suche nach dem Sinn des Lebens auf sich. Ich habe gemerkt, dass ich mit Menschen viel besser klar komme, wenn sie auch in den inneren Abgrund geblickt haben. Es scheint bei Menschen immer etwas davon zurückzubleiben. Ich entdecke bei diesen Menschen eine Dimension der Gefühlswelt, die mir bei anderen Menschen fehlt.

Auch Dir alles Gute
Liebe Grüsse
André
So long and thanks for all the fish
damaris
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Registriert: 5. Okt 2004, 16:23

Re: Dysthymia

Beitrag von damaris »

Hallo André!


Deinen letzten Beitrag fand ich sehr bewegend. Ich dachte immer ich wär die einzige, die so empfindet, die sich mit etwas abquält, gegen etwas kämpft, aber keinen Namen dafür findet und sich ständig bedrückt fühlt...

Ein paar Worte zur „Schwermut“ von Soeren Kierkegaard:

„Es liegt in der Schwermut etwas Unerklärliches. Wer Leid oder Kummer hat, weiß, weshalb er traurig oder bekümmert ist. Fragt man einen Schwermütigen , was der Grund seinen Schwermut sei, was als Last auf ihn drücke, so wird er antworten , ich weiß es nicht, ich kann es nicht erklären. Darin liegt die Unendlichkeit der Schwermut.
Jene Antwort ist durchaus richtig, denn sobald der Mensch den Grund weiß, ist die Schwermut behoben.“

Ich erinnere mich, dass ich aus diesem Grund heraus(weil ich „es“ nicht wusste, nicht erklären konnte) mal angefangen habe Tagebuch zu schreiben. Ich wollte wissen was das ist, was mich so runterzieht und habe viele irrsinnige Spekulationen angestellt, musste irgendwie zwangsweise meine Vergangenheit analysieren, aber wie gesagt - es gibt nichts wirklich "Gravierendes" in meiner Vergangenheit, im wahrsten Sinne des Wortes.

So gesehen muss es an mir, an meiner Persönlichkeit liegen, die sich ja besonders aus dem Elternhaus formt, der sozialen Umgebung (Freunde, Nachbarn)etc. , aber ein Teil von mir ist auch einfach schon von der Veranlagung her festgelegt und ich denke es ist fast unmöglich, diese „Merkmale“, die einem quasi mitgegeben wurden, zu verändern. Eben drum muss man sie annehmen wie sie sind und eher an seiner Einstellung arbeiten, die ja durchaus formbar ist!

Wenn das Depressivsein mit allem was dies einschließt also wirklich schon in mir veranlagt ist und eine Charaktereigenschaft darstellt, dann ist es auch sicher nicht angebracht Antidepressiva zu nehmen, denn, du sagst es ja selbst: „Die Symptome unterdrücken heisst, mein Ich zu unterdrücken. „

Zitat:
Es hat sicher viel mit dem Akzeptieren von Umständen zu tun. Akzeptieren macht es einfacher. Aber alleinzusein, das werde ich niemals akzeptieren können. Es tut jeden Tag weh.


Ja, da hast du ja so recht. Das muss ich auch immer wieder erfahren und es ist sehr hart. Wenn die anderen doch verstehen könnten, wie man sich fühlt, wäre so einiges erträglicher...

Was die Sache mit der Sinnsuche betrifft: Ich bin der Meinung, dass es völlig natürlich ist, wenn man sein Leben hinterfragt, sich die Frage stellt, warum das Ganze hier, schließlich bin ich ja nicht gefragt worden, ob ich überhaupt leben wollte.
Da ich religiös erzogen worden bin, ist die Sache bei mir etwas anders.
Ich bin mit der Gewissheit aufwachsen, dass nicht alles einfach Zufall ist, sondern die Dinge gewollt sind und einen Zweck erfüllen, also ein Sinn hinter allem steckt und auch ich nicht einfach nur ein „Spielball des Schicksals“ bin oder ein „Produkt zufälliger Genmutationen“, sondern dass ich etwas „Besonderes“ und „Einzigartiges“ bin und das hat mich sehr geprägt, (was aber nicht bedeutet, dass ich niemals an mir und dem Leben gezweifelt habe...)

Viele Dinge scheinen nicht gerecht zu sein. Warum gibt es so unendlich viel Leid auf der Welt? Warum muss gerade ich so leiden? Warum kann ich nicht so glücklich sein wie die anderen?
Vielleicht muss man den Dingen erst SELBST einen Sinn geben!

Ich habe in den letzten Jahren mehr und mehr versucht meinen „schlechten Seiten“ etwas Gutes abzugewinnen. Zum Beispiel regt es mich immer wieder auf, dass ich so dermaßen sensibel bin. Aber das muss ja nicht unbedingt ein Nachteil sein, denn sensible Menschen haben häufig ein Herz für andere Menschen und haben auch einen besseren Sinn ich sag mal für die Realität. Sie leben nicht am Leben vorbei, sondern stehen dem Leben konfrontierend gegenüber, sie wissen und spüren auch, dass die Welt nun mal nicht perfekt ist...

*

Und zum Schluss muss ich noch sagen, dass du ganz garantiert
Talente in dir hast, sie vielleicht nur nicht erkennst, weil dir andere Dinge den Weg verbauen. Manches muss man auch einfach ausprobieren und dazu kann es nie zu spät sein!!

@ Xavro: Danke für die Infos! Ich finde, die Statistiken sind viel zu unpräzise. Wer denkt sich denn sowas aus??

Liebe Grüße,

Susi
Kroki
Beiträge: 814
Registriert: 15. Mär 2004, 17:50

Re: Dysthymia

Beitrag von Kroki »

Hallo André!

(Bevor ich mit meinem Beitrag beginne, möchte ich kurz um Nachsicht dafür bitten, dass ich die Spielregeln in solchen Foren noch nicht so ganz beherrsche, weil ich erst wenig Erfahrung damit habe...)

Als ich gestern deinen Beitrag zum Thema "Dysthymie" las, habe ich mich sofort wiedererkannt. Ähnlich wie du habe ich schon seit Jahren das Gefühl, dass über meinem ganzen Leben eine Art Grauschleier liegt. Auch ich habe eine ganze Weile gebraucht, um das einordnen zu können und bin über Literatur selbst auf die Diagnose Dysthymie gestoßen. Wie schon beschrieben, habe auch ich mich gefragt, ob diese Traurigkeit, Melancholie, oder wie auch immer man es nennen mag, so etwas wie ein Persönlichkeitsmerkmal von mir ist. Auch ich habe keinerlei Selbstwertgefühl, werde von nagenden Selbstzweifeln geplagt und tue mich schwer damit, unbeschwert zu sein oder Freude zu empfinden. Nachdem ich deine Beiträge und die der anderen gelesen hatte, hatte ich zumindest den Eindruck, mit meinen Gefühlen auf diesem Planeten nicht ganz allein zu sein.
Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn wir uns austauschen könnten. Vielleicht gibt es ja doch jemanden, der von einer erfolgreichen Heilung von diesem Leiden berichten kann?!

Herzliche Grüße

Kroki
Andre_I
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Re: Dysthymia

Beitrag von Andre_I »

Hallo

Ich danke Euch allen für den netten anregenden Austausch und Euer Feedback. Wo es gut tut zu lesen, dass ich mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht allein bin, da tut es gleichzeitig weh bestätigt zu finden, dass es keinen direkten Weg, keine einfache Lösung für das Problem gibt.

Ich habe diese Woche wieder einmal mehr die Grenzen gesehen, die ich mir durch meine Gedanken, mein verzehrtes Weltbild in allen Jahren aufgebaut habe. All diese Blockaden, diese Hemmungen die mich daran hindern, das zu tun was richtig wäre, das zu tun, was mich weiterbringen würde oder aber das zu tun, was konsequent wäre. Die dauernde Angst, nicht die Leistung bringen zu können, die erwartet wird. Nein, das was ich bin reicht einfach nicht für diese Scheisswelt.
Manchmal kommt es mir vor, wie ein Fluch, wenn ich einfach wieder nicht wollen kann oder nicht können will. Ich möchte nicht so sein, wie ich bin. Ich möchte nicht so aussehen, wie ich aussehe. Ich möchte nicht der sein, der ich bin. Ich möchte diese Gefühle, Gedanken und Ängste nicht haben. Es scheint nichts und niemanden zu geben, an dem ich mich festhalten kann. Wie soll man damit nur umgehen?

Es ist so schwer, sich ohne Hoffnung durch den Alltag zu hangeln. Kennt Ihr dieses Gefühl, dass der eigene Akku einfach kaputt ist und sich nicht mehr aufladen lässt? Als gäbe es keine Möglichkeit mehr abzuschalten, Pause von alledem zu machen? Man lebt nicht mehr, man funktioniert nur noch irgendwie. Alles Negative kommt durch, alles andere.. keine Ahnung... existiert einfach nicht mehr. Es sind Tage, wie die Vergangenen, die in mir die Sehnsucht nach dem Nichts aufsteigen lassen.
André
So long and thanks for all the fish
erwin
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Re: Dysthymia

Beitrag von erwin »

hallo leute.
zunächst muss ich euch mal sagen, dass ich es echt super finde, dass es dieses forum gibt, dass sich hier menschen austauschen, denen es in ihrem leben auch so ergeht wie mir. wenn hier das wort "leben" überhaupt angebracht ist.denn was ist das für ein leben, ich empfinde es desöfteren eher als dahinvegetieren.
aber absolut begeistert war ich von der aussage, ob einen die krankheit die persönlichkeit gibt oder ob man wirklich so ist. und wenn man die krankheit nicht mehr hätte, wie wäre man dann, was würde einen ausmachen. aber liebe leute, ich denke, wenn man unbeschwert in den tag schreiten könnte, sich nicht mehr den kopf zerbricht über die kleinsten kleinigkeiten, wenn endlich der dumpfe schleier um einen weg wäre und man das leben so sehen kann, dass jeder tag eine neue herausforderung darstellt und man jeden tag als neue chance sieht, denke ich, dass man sich daran entwickelt. falls es euch interessiert, möchte ich kurz etwas zu meiner person sagen. ich bin 22 jahre, komme aus Salzburg - Österreich - und studiere. eigentlich könnten die umstände in meinem leben nicht besser sein. habe eine freundin, die ich sehr lieb habe, viele bekannte ( schreib absichtlich bekannte, da es mir einerseits schwer fällt, freunde zu definieren andererseits fällt es mir schwer, eine wirkliche beziehung zu menschen aufzubauen), bin körperlich gesund....
Ich war vor ca. einem jahr mal in therapie, doch ich hatte die ganze zeit das gefühl, dass mich das nicht weiterbringen würde. der grund warum es mich nicht weitergebracht hat, war eben der, dass ich gar nicht wusste, was eigentlich mit mir los ist. doch ich denke, jetzt weiß ich es, all meine symptome sprechen für Dysthymie. Begonnen hat es vor ca. 4-5 Jahren, als ich ins Bundesheer kam. Es begann schleichend, ich begann darüber nachzudenken, und sobald man das tut, wird es mehr, immer mehr, und schließlich bin ich soweit gekommen, dass man einfach nicht mehr wirklich weiß, ob das, was man sich denkt, eigentlich noch irgendetwas mit der realität zu tun hat oder nicht. kennt ihr dieses gefühl? ich versuche oft, zu relativieren, ist das wirklich so was ich mir denke, oder bin ich wirklich schon soweit, dass das alles nur "zusammengesponnen" ist.
würde gerne mit euch unsere probleme austauschen, ich denke wenn man die sicht von mehreren personen hat, wird man sich über die eigene lage viel mehr im klaren.
also, freue mich auf jede reaktion von euch.
diela
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Re: Dysthymia

Beitrag von diela »

Hallo,

das Bild von dem Akku gefällt mir, weil ich das auch selber gerne benutze. Obwohl eine Autobatterie passender zu sein scheint. Die wird immer wieder von der Lichtmaschiene aufgeladen. Das blöde ist nur wenn die ausfällt, weil man das erst mal gar nicht merkt. der wagen fährt weiter als wäre nichts gewesen, bis die Batterie endgültig den Geist aufgibt. Erst fällt der Zigarrettenanzünder aus, dann der Blinker, dann das Radio... Schließlich geht der Motor aus und keiner weiß warum. Nur daß einem dann der ADAC auch nichts nutzt.
Kroki
Beiträge: 814
Registriert: 15. Mär 2004, 17:50

Re: Dysthymia

Beitrag von Kroki »

Hallo Andre und alle anderen!

Mich würde nun wirklich interessieren, welche Therapieerfahrungen ihr mit eurer Dysthymie gemacht habt, egal ob sie erfolgreich oder weniger erfolgreich waren. Ich selbst war vor einigen Jahren mal in psychologischer, für kurze Zeit sogar in psychiatrischer Behandlung. Damals ging es allerdings um ein recht eng begrenztes Problem, das wir gemeinsam gelöst haben. Ich hatte damals zwar schon erwähnt, dass hinter diesem einen akuten noch viele langwierigere Probleme stecken, doch irgendwie wurde das von Seiten der Therapeuten nicht aufgegriffen und die Behandlung beendet.
Nun bin ich durch Bücher auf "Dysthymie" gestoßen und mittlerweile davon überzeugt, dass meine Symptome perfekt darauf passen. Ich kann aber ja wohl schlecht zum nächstbesten Therapeuten rennen, ihm meine fertige Diagnose präsentieren und dann sagen: "Nun schaffen Sie die Probleme mal aus der Welt!"

Welche Erfahrungen mit Therapie und Therapeuten habt ihr bezüglich eurer Dysthymie gemacht?

Herzliche Grüße

Kroki
Xavro
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Registriert: 12. Sep 2004, 21:22
Kontaktdaten:

Re: Dysthymia

Beitrag von Xavro »

Hallo Kroki,

warum denn nicht?

Wenn Du zum Hausarzt gehst weil Du Schnupfen, Fieber und Halsschmerzen hast und er Dich fragt, was er für Dich tun kann, sagst Du ja auch "Herr Doktor, ich habe mich erkältet".

Wie Du hier nachlesen kannst, scheint Dysthemia etwas sehr hartnäckiges zu sein. Ich hatte eine sehr gute Gesprächstherapie, deren Effekt aber leider nicht lange angehalten hat. Ich hatte eine noch eine Gesprächstherapie, die gar nichts gebracht hat. Im Augenblick mache ich seit 1,5 Jahren eine Psychoanalyse, ein Effekt läßt sich bis jetzt nicht feststellen obwohl ich einen guten Eindruck von der Therapeutin und der Therapie als solches habe. Nebenbei laufen Antidepressiva ohne signifikanten Erfolg.

Was für Dich das Richtige ist, könnte via Internet auch ein Psychiater kaum sagen. Dafür sind die Einzelfälle zu verschieden und die Behandlungsmöglichkeiten zu vielfältig.

Gruß
Xavro
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Besucht mich doch einmal:


http://www.ak-medizin.de (u.a. mit Informationen zu Antidepressiva)


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Kroki
Beiträge: 814
Registriert: 15. Mär 2004, 17:50

Re: Dysthymia

Beitrag von Kroki »

Hallo Xavro und alle anderen,

was du von deinen Therapien berichtest, klingt für mich nicht besonders ermutigend. Wie lange muss ich denn so etwas durchhalten, ohne dass merkliche Erfolge zu verzeichnen sind?
In der Theorie heißt es doch eigentlich immer, Depressionen seien unter den psychischen Erkrankungen mit am besten zu behandeln. Da mag ich mir gar nicht vorstellen, wie lange jemand nach einer wirksamen Therapie suchen muss, der eine andere psychische Krankheit hat.
Außerdem: Wie lange finanzieren (private) Krankenkassen bzw. Beihilfestellen solche Therapieversuche, wenn der erste keinen Erfolg hatte?

Ich würde mich freuen, wenn jemand etwas darüber berichten könnte.

Herzliche Grüße

Kroki
Xavro
Beiträge: 807
Registriert: 12. Sep 2004, 21:22
Kontaktdaten:

Re: Dysthymia

Beitrag von Xavro »

Hallo Kroki,

laß Dich nicht so schnell entmutigen. Die Statistik gibt Dir recht, Depressionen sind gut zu heilen. Aber wie das immer so mit der Statistik ist, es bleiben halt ein paar "Opfer" übrig. Die Massen an geheilten Patienten, werden sich kaum hier im Forum sammeln und positiv berichten. Wär wahrscheinlicht auch nicht gut, denn dann würde unser "Gejammer" hier womöglich untergehen

Gruß
Xavro
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Andre_I
Beiträge: 13
Registriert: 23. Sep 2004, 19:48
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Re: Dysthymia

Beitrag von Andre_I »

Hallo Xavro
Ich glaube nicht an die Statistiken. Ich les zwar auch immer, dass Depressionen zu heilen sind. Aber was heisst eigentlich Depressionen zu heilen? Die Gefühlswelt der Menschen wieder herstellen? Ein Trauma zu verarbeiten? Woran misst man, ob ein Depressiver geheilt ist? Wenn er sich nicht umgebracht hat? Wenn er wieder arbeiten geht? Wenn er frustriert eine Therapie abbricht? Wenn er keine Lust mehr hat, für die Pharmaindustrie Antidepressivas zu testen und stattdessen beschliesst irgendwie dahinzuvegetieren? Ist ein Mensch nach einer Depression noch der selbe Mensch? Ich habe schon mit so vielen Leuten geredet. Ich kenne niemanden, der geheilt ist. Ich kenne viele, die immer und immer in Therapie gingen, wieder eine Weile funktioniert haben und dann wieder von vorne anfingen. Die Ausprägungen mögen sich verändern, das Leben mag sich irgendwo normalisiert haben. Es mag auch sein, dass die Statistiken bei Leuten mit Herbstdepression oder mit Depressionen durch traumatische Erlebnisse anders aussehen. Aber ich denke, jeder der glaubt, eine Depression verheilt wie eine Wunde, macht sich etwas vor. Ich glaube Heilung muss hier ganz anders definiert werden.
Was meint Ihr?
Grüsse
André
So long and thanks for all the fish
Kroki
Beiträge: 814
Registriert: 15. Mär 2004, 17:50

Re: Dysthymia

Beitrag von Kroki »

Hallo André,

habe eben deinen letzten Beitrag gelesen und finde die Frage sehr interessant, wie man Heilung bei einer Depression definieren könnte.
Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die unter begrenzten Phasen schwerer Depressionen leiden, sich zumindest "vorläufig geheilt" fühlen, wenn die aktuelle Episode abgeklungen ist. (Wie sehen das Betroffene?)
Charakteristisch für die Dysthymie ist ja aber gerade ihre Langwierigkeit. Da ich mich nicht mehr so recht daran erinnern kann, wann mein derzeitiger Zustand begonnen hat, ist es auch schwierig zu sagen, ob ich jemals in meinem Erwachsenenleben nicht depressiv war. Von meinem aktuellen Standpunkt aus würde ich mich wohl tatsächlich schwertun, von "Heilung" zu sprechen, weil ich gar nicht so recht wüsste, wie ich mir einen solchen Zustand vorstellen soll.
Von daher wäre es vielleicht sinnvoll, von einer graduellen Besserung zu sprechen. Ich könnte im Moment nur sagen, was ich mir an Linderung wünschte: das Leben mehr genießen können, mehr Selbstvertrauen, weniger Angst, mehr Zuversicht, weniger Grübeleien über vergangene Dinge, die sich nicht mehr ändern lassen, weniger Zweifel, mehr Energie, mehr Kontaktfreude...
All diese Beschreibungen sind nicht absolut, sondern kennzeichnen nur relative Veränderungen. (Wenn ich das so aufgelistet vor mir sehe, klingt es eigentlich gar nicht mehr so unerreichbar. Doch die jahrelange Praxis hat mich leider eines Besseren belehrt...)
Wahrscheinlich müsste jeder Depressive selbst für sich entscheiden, wann er sich gut genug fühlt, um sich für geheilt zu erklären.

Wie denken die anderen darüber?

Herzliche Grüße

Kroki
Kroki
Beiträge: 814
Registriert: 15. Mär 2004, 17:50

Re: Dysthymia

Beitrag von Kroki »

Hallo ihr,

mir ist gerade noch etwas eingefallen, was ich schon immer jemanden mit einer leichten chronischen Depression fragen wollte:
Anders als in den Büchern über schwere depressive Epsisoden beschrieben, leide ich nicht unter Schlaflosigkeit, sondern - im Gegenteil - unter einem übermäßigen Schlafbedürfnis. Ebenso geht es mir mit dem Appetit - statt appetitlos zu sein, esse ich zu viel und gebrauche vor allem Süßigkeiten als Tröster gegen Frust in allen Lebenslagen. Leider werde ich dadurch auch immer dicker, und das ganz ohne Antidepressiva...

Passt das alles nun mit einer Depression überhaupt nicht zusammen, oder kennt jemand von euch Ähnliches?

Gruß

Kroki
Andre_I
Beiträge: 13
Registriert: 23. Sep 2004, 19:48
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Re: Dysthymia

Beitrag von Andre_I »

Hi Kroki
Das mit den Symptomen dürfte von Mensch zu Mensch verschieden sein. Ich habe immer Appetit. Ich komm aus einer ziemlich verfressenen Familie mit vielen hervorragenden Köchen. Selbst mit der dollsten Grippe und Durchfall geht meine Lust zu Futtern nicht weg.
Schlaflosigkeit ist ein anderes Thema. Ich schlafe max. 5 1/2 bis 6 Stunden pro Nacht. (Ich bin auch etwas mondsüchtig). Hatte Phasen, wo es 2 oder 3 Stunden waren. Da hat mir aber Ausdauer-Sport ziemlich geholfen. Einfach damit am Abend im Bett auch der Körper müde ist, nicht nur der Kopf. Ich habe aber niemals einen erholsamen Schlaf, ich bin am morgen meistens platt, als hätte ich nicht geschlafen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal geträumt habe. Ich fühle mich tagsüber immer müde, energielos und schlapp. Ich nehme keine Medis, also denke ich, das ist ein Symptom und irgendwas in meinem Kopf läuft da nicht so richtig.

En Gruess
André
So long and thanks for all the fish
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