Der ewige Kampf

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Undjetzt
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Registriert: 15. Feb 2024, 11:13

Der ewige Kampf

Beitrag von Undjetzt »

Ich möchte hier versuchen,meine Sicht zu äußern wie der Alltag unter der Krankheit aussehen kann.
Vorallem Angehörigen will ich damit helfen, zu verstehen, was da gerade mit einem geliebten Menschen passiert.

Ohne Medikation wachte ich auf und war direkt traurig...Nein...mehr. Ich war verzweifelt. Ich verfluchte den Tag, den Morgen, die Sonne, das Licht. Es fühlte sich an,als hielte die Außenwelt mir jeden Morgen erneut vor, wie armselig und verkümmert mein Dasein ist.
Den Gang vom Bett zur Toilette schaffte ich. Mehr nicht. Ich aß nichts, trank nur sehr wenig. Ich lag da, wie tot... starte in den Raum. Ich weinte... oh was habe ich geweint. Stunden... tagelang, mit kleinen Unterbrechungen.
Ich wusste, ich kann mich niemandem anvertrauen. Wie auch? Wie will ich jemandem erklären, dass ich heulend aufwache, aus purer Enttäuschung nicht einfach über Nacht gestorben zu sein?
Wie will man so dunkle Gedanken vermitteln, merkt man doch selbst, wie krank es eigentlich ist.
>Auf Wunsch von Adminn entfernt<
... nach einem extremen Tief, von dem ich nie Dachte, dsss ich einmal so tief fallen kann, stand eine neue Woche an.
Am nöchsten Tag, ich hätte zur Arbeit gemusst. Wieder wache ich auf, wieder bin ich verzweifelt..
Ich sagte mir " Entweder du gehst zum Arzt, oder das war es... ".
Ich rief bei meinem Hausarzt an. Keine Termine frei.. Ich sagte, unter Tränen, dass es wirklich dringend ist.
Ok. Ich sollte sofort vorbeikommen. Ich komme herein, mein Doc schaut mir ins Gesicht... " Ok... Das geht so nicht mehr. Ich verschreibe dir jetzt Medikamente und eine Überweisung zur Psychotherapie. Findest du da nichts, pack deine Klamotten, ruf die 112 an, sag denen, was du vorhattest und dann warte auf die. ".
Es kam anders. Ich habe viel herumtelefoniert, natürlich war kein zeitnaher Termin möglich. Da bekomme ich einen Rückruf. Ich könne am nächsten Tag zum Erstgespräch.
Ich war außer mir.. Endlich wieder ein bisschen Glück..
Am nächsten Tag dort angekommen, ich nahm beim Therapeuten im Raum Platz und es brach aus mir heraus. Ich heulte Wasserfälle... es hörte nicht mehr auf. Und das tollste: Er hat das natürlich bemerkt, aber komplett unkommentiert gelassen. Es war für ihn vollkommen "normal".
Das allein half mir nach vorn zu sehen.
Aber natürlich war es damit nicht getan. Jeder Tag ist anders. Heute hab ich die Wohnung geputzt, eingekauft,gekocht.. Und morgen schaffe ich es nicht aus dem Bett. Ja, richtig gelesen. Ich schaffe es nicht. Es geht nicht. Mein Kopf, mein Körper ist komplett aus Blei... hunderte Kilo schwer. Wie soll ich da aufstehen?
Für manche liege ich dann einfach faul da. Ich bin in diesen Stunden aber nicht einmal gelangweilt.
In Wirklichkeit führe ich einen Kampf. Ich kämpfe gerade um das nackte Überleben. Jeder Tag ist ein neuer Kampf.
Daher bin ich auch so müde. Der Geist ist Teil meines Körpers. Er verbraucht gerade alle Energie, als würde ich einen Marathon laufen, jeden Tag, ohne Pause.
Wenn ich also da liege und nichts tue, gehe ich eventuell gerade durch meine eigene Hölle und suche panisch den Ausgang.
Bitte vergesst das nie. Depression ist ein Kampf um sich selbst,mit sich selbst, in sich selbst.
Ich sehne mich förmlich nach Langeweile... dieses Gefühl Energie für etwas über zu haben und verbrauchen zu wollen. Ich muss mit meiner Energie haushalten, denn ich weiß nicht, wie es mir in der kommenden Stunde gehen könnte.
Wie kann man mir helfen? Reden... oder besser noch, schweigen und zuhören. Versuchen mich zu verstehen. Ab und zu eine Umarmung, eine Berührung, meine Hand halten, mir zeigen dass ich eben nicht alleine kämpfe. Dann ist mir schon geholfen.

Ich danke für eure Aufmerksamkeit und hoffe dieser Text hilft dem ein oder anderen.
Zuletzt geändert von Undjetzt am 8. Sep 2024, 21:29, insgesamt 1-mal geändert.
Senif
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Re: Der ewige Kampf

Beitrag von Senif »

Hallo Undjetzt,

danke für deinen Text.

Ja, von außen sieht es wie faul aus, aber jeder der diese Antriebslosigkeit schon mal erlebt hat, kann sie (zumindest hinterher) eindeutig von "faul" unterscheiden.
Bei mir kam ein schwerer Einbruch damals in einer beruflichen Reha (wegen Überlastung) von heute auf morgen. Ich wollte damals meiner Therapeutin eine SOS Mail schreiben, nur einen Satz. Es war ein Kampf überhaupt zum Rechner zu kommen und einen Satz zu schreiben. Wenn man nur faul wäre, wäre es nicht so ein Kampf überhaupt aufzustehen - man könnte, wenn man wöllte. In der Depression kann man nicht, auch wenn man will.

Aber es ist ein gutes Zeichen, wenn sich Tage einstellen, in denen man trotzdem Kleinigkeiten schafft. Sie werden irgendwann mehr werden.

Ich habe inzwischen aus meiner letzten depressiven Episode herausgefunden. Es hat lang gedauert. Mein Leben ist nicht mehr wie vorher - jetzt kann ich sagen Gott sei Dank. Das wünsche ich wirklich jedem an einer Depression erkranktem Menschen. Diese Krankheit ist das Schlimmste, was ich je erlebt habe.

:hello: LG Senif
Aurelia Belinda
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Re: Der ewige Kampf

Beitrag von Aurelia Belinda »

Danke für diesen bewegenden Text @ Undjetzt...

sehr gut beschrieben...ja, es hat nichts mit einem "normalen Dasein" zu tun... es ist Kampf, es ist so verdammt Energie raubend.
Nein, du bist nicht alleine. Wir alle hier kämpfen, jeder auf seine Art.
Und JA...ich bin mir sicher, dieser Text kann wach rütteln...dem ein oder anderen hilfreich sein.
Danke. Ich finde es sehr eindrucksvoll und gut geschildert.

LG Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
ardFR62
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Re: Der ewige Kampf

Beitrag von ardFR62 »

Es ist und bleibt (leider) ein ewiger Kampf, diese bösen Dämonen die in einen wohnen in Schach zu halten und das klappt manchmal gut und manchmal eben gar nicht. Da dieser Kampf allerdings in mir Tobt, habe ich mir vorgenommen, nur mit wenigen Menschen darüber zu sprechen (Außer mit Gleichgesinnten natürlich) und mir deshalb mit Sicherheit keine Sorgen zu machen, ob andere das verstehen oder was immer sie auch denken...
Nein - dieser Kampf tobt in mir, und wer das nicht verstehen kann, nun...
Irgendwie kann der mir dann auch nicht weiterhelfen....
Und diese Reise des Lebens
ist noch lange nicht zu Ende...
Aurelia Belinda
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Re: Der ewige Kampf

Beitrag von Aurelia Belinda »

Natürlich tobt der Kampf in uns Betroffenen... wer soll das verstehen können als Außenstehender, was damit alles einhergeht...
es gibt Depressionen, die anscheinend heilbar sind, sicher aber keine schweren... es gibt welche, die immer wieder kehren...vielleicht weil es so "lustig" ist. Und es gibt andere, die sich festsetzen...chronifizieren.
Zuletzt geändert von Aurelia Belinda am 10. Sep 2024, 02:15, insgesamt 1-mal geändert.
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Senif
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Re: Der ewige Kampf

Beitrag von Senif »

Hallo Aurelia,

es gibt Depressionen, die anscheinend heilbar sind, sicher aber keine schweren

Diese Aussage ist falsch. Ich hatte sehr schwere Episoden und ich bin derzeit nicht depressiv. (übrigens neben der BPS eine klassische Depression :D )
Und es gibt auch Menschen, die in ihrem Leben nur eine Episode haben, auch schwer, die aber geheilt wurden.

Und nur weil jemand ein Leben lang Depressionen hat, heißt das nicht, dass sie schwer sind.

LG Senif :hello:
Aurelia Belinda
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Re: Der ewige Kampf

Beitrag von Aurelia Belinda »

"Meine" Liebe Senif,

die Aussage kann perse nicht falsch sein, und es ist keinesfalls in Stein gemeißelt...sondern eine Ansicht, die ich halt vertrete... ja, du bist momentan nicht depressiv...kennst allerdings nicht deine Prognose...weder Ärzte, noch du selbst, können in die Zukunft schauen...um Himmels Willen, ich will nichts madig reden, bin eher Realist. Hier im Forum sind jene unterwegs, die entweder durchgehend, oder immer wieder mal, damit zu tun haben...
und eine sogenannte "klassische" gibt's nicht FÜR MICH... wie schon geäußert...lasse mich da weder umstimmen, noch glaube ich daran, noch ist es für mich einleuchtend, was klassisch, sein soll. Dabei geht es alleine um meine Empfindung.
Nicht um Forschung, oder etwas, das irgendwo steht...

und bitte lass den "Rotstift" weg, das tut meinen Augen gaaar nicht gut....und rot ist für Liebesbriefe... Ätsch!

also, wenn du mich lieb hast, gerne in rot...😂
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Katerle
Beiträge: 11375
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Der ewige Kampf

Beitrag von Katerle »

Danke Undjetzt, dein Text berührt mich auch sehr... Und danke an die anderen hier...
Und ja, es ist ein täglicher Kampf...

LG Katerle
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