Leben mit der Angst

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Muli07
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Leben mit der Angst

Beitrag von Muli07 »

Guten Morgen,

seit Tagen kämpfe ich wieder mit extremen Angstattacken.
Vielleicht kurz zu mir: ich leide unter chronischen Depressionen und Ängsten, habe bereits 2 Klinikaufenthalte hinter mir und eine Verhaltenstherapie und warte aktuell auf die Bewilligung einer tiefenpsychologischen Therapie.

Da im Moment so viele Unsicherheiten und Veränderungen bei mir anstehen, plagen mich seit Wochen nur noch meine Ängste (seit ein paar Tagen verstärkter).
Die Angst bestimmt meinen Tag und hält mich von vielen schönen Dingen ab.
Konfrontation mit meinen Ängsten hat mir im Therapieverlauf bisher eher wenig weitergeholfen. Vielleicht gibt es ja auch welche unter euch denen es gerade ähnlich geht oder die ähnliche Erfahrungen gemacht haben?
Aktuell fühle ich mich einfach nur allein und weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Ich habe einen Partner der mich bei allem unterstützt, der mir hilft Anträge etc. auszufüllen (wovon gerade jede Menge ansteht), aber trotzdem fühle ich mich hilflos, obwohl ich ihm so dankbar bin, dass er mich so sehr unterstützt.

Naja..ich würd mich einfach freuen, vielleicht von anderen Betroffenen zu hören.

Danke!
Muli
Senif
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Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Senif »

Hallo Muli :) ,

was für Ängste hast du denn ?
Ich hatte keine spezifischen, mein Körper fühlte sich nur immer an wie sterben. Also eine körperbezogene Angst, wobei mir erst später klar wurde, dass es Angst ist. Ich war 24/7 angespannt. Also mit Konfrontation war da nicht viel, war ich doch immer mit mir zusammen. Ich finde, Konfrontation allein bringt es auch nicht, ich musste innerlich "loslassen" - schwer zu beschreiben. Die Angst zulassen und nicht mehr dagegen ankämpfen. Ab da wurde es besser. Und gegen die Anspannung half auch Trimipramin, das zumindest die Spitzen wegnahm.

Was für Unsicherheiten und Veränderungen stehen denn bei Dir an ?

LG Senif :hello:
Muli07
Beiträge: 38
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Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Muli07 »

Hallo Senif,

danke für deine Antwort.
Ich hab oft Ängste die ich gar nicht greifen kann, also auf nichts spezifisches gerichtet. Diese äußern sich dann auch ähnlich wie bei dir in dauerhafter Anspannung.
Darüber hinaus hab ich aber auch Ängste vor Menschenmengen, Angst davor Fehler zu machen, Angst vor der Zukunft, Angst vor Veränderungen etc.


Unsicherheit besteht aktuell darin, dass ich nicht weiß ob meine neue Therapie genehmigt wird. Ich hab Angst davor bald ohne Therapie dazustehen. Weitere Änderungen sind das ich jetzt mit dem Arbeitsamt in Kontakt bin wegen der Aussteuerung und das überfordert mich alles und ich hab Angst Fristen zu verpassen oder irgendwas falsch zu machen, Angst davor das die Leute denken, ich liege jetzt dem Staat auf der Tasche. Hat auch alles viel mit dem Selbstwert zu tun.
Senif
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Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Senif »

Hallo Muli,

Selbstwert ist auch ein zentrales Thema bei mir. Es ist schon besser geworden, aber ich arbeite immer noch daran. Diese Daueranspannung ist schlimm, aber wie gesagt, bei mir wurde es besser, als ich anfing die Ängste zuzulassen. Mit Aussteuerung kenn ich mich gar nicht so aus. Aber geht es dann bei Dir um Rente ? Es geht immer irgendwie weiter. Die Gedanken, dem Staat auf der Tasche zu liegen, sind glaub ich auch typisch für Depressionen. Es ist ok, Geld vom Staat zu kommen, wenn man so schwer krank ist. Ich weiß, dass das Annehmen sehr schwer ist.

:hello: LG Senif
niri76
Beiträge: 104
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Re: Leben mit der Angst

Beitrag von niri76 »

Hallo Muli!

Diese Ängste kenne ich auch nur zu gut. Und auch die ständige Anspannung. Diese empfinde ich als sehr anstrengend. Bei mir wurde eine generalisierte Angststörung festgellt, neben der Depression.

Ich glaube Senif hat ganz recht. Die Ängste annehmmen. Nach dem Motto: Ja, du bist jetzt da. Aber Du gehst ja auch wieder. Ich glaube, wenn man die Angst unterdrücken will, wird sie nur schlimmer, weil Dein Fokus sich auf die Angst legt.

Und sich vielleicht klar machen: Meistens kommt es nicht so schlimm, wie man es sich vorgestellt hat. Man malt sich sämtliche Horrorszenarien aus, die dann doch nicht eintreten.

Das alles ist ein Prozess und auch ich schaffe es nicht immer die Angst anzunehmen. Ich übe noch.

Grüße
niri76
Muli07
Beiträge: 38
Registriert: 3. Apr 2023, 12:12

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Muli07 »

Ihr habt wahrscheinlich Recht.
Ich werde mich auch mal mehr damit beschäftigen die Angst zu akzeptieren und anzunehmen.

@Senif: Ne bei mir geht es noch nicht um Rente. Ich hoffe immer noch in naher Zukunft mit einer Wiedereingliederung anzufangen. Aber das ist erst wieder möglich, wenn ich auch therapeutische Begleitung habe.

Es beruhigt auf jeden Fall sehr, dass es auch anderen Menschen so geht.
face
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Registriert: 8. Apr 2024, 21:14

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von face »

Hallo Senif,

ich kenne diesen Zustand leider aus eigenem erleben, mal stärker mal schwächer aber begleitet mich im Grunde mein ganzes Leben.
Jetzt aktuell hatte ich wohl die längste und intensivte "Dauerangst" Phase meines Lebens über etwa 4 Monate.
Dieses ewige Angstgefühl kostet so viel Kraft. Bei mir sitzt es immer direkt unter der Brust als würde da jemand draufstehen. Ich gebe jetzt einfach mal weiter was bei mir etwas gebracht hat, vielleicht kannst du dir etwas für dich rausziehen was du probieren kannst. Ich kenne jetzt deine individuelle Situation nicht, also siehs mir nach wenn nicht alles direkt für dich geeignet ist.

Qigong evtl. auch Tai Chi
-> hier gibts oft Kursangebote z.B. von der VHS. Falls nicht bekannt hier mal die Wiki Definiton: Qigong ist eine chinesische Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform zur Kultivierung von Körper und Geist. Der Tipp kam von meinem Hypnotherapeuthen nach dem Erstgespräch.
Meine Erfahrung: ich bin immernoch dabei. Anfänglich hat sich wenig getan (in einer sehr intensiven Angstphase mit vielen umbrüchen). Aktuell (bessere Phase) merke ich bei den Gruppenübungen eine deutliche Entspannung.

Meditation oder z.b. Bodyscan.
Bodyscan kenne ich aus einem früheren Achtsamkeitstraining (MBSR), aktuell war es ein Tipp meiner Psychotherapeutin. Den (wieder)Einstieg zu finden viel mir sehr schwer, weil ich teilweise das Gefühl hatte die Angst überwältigt mich. Versucht habe ich es trotzdem regelmäßig. Ob es was gebracht hat vermag ich nicht zu sagen. Auf Youtube gibt es kostenlos viele geführte Meditationen und Bodyscans.

Vielleicht nach dazu gesagt MBSR ( Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR)) ist ein Kurs den ich vor einigen Jahren mal mitgemacht habe. Damals hat er mir sehr massiv geholfen, so innerlich ruhig war ich tatsächlich in meinem ganzen Leben nicht. Einige Sachen konnte ich mir über die Jahre bewahren (Atemübungen, mal ne Meditation). Leider folgte bei mir relativ kurz nach dem Kurs eine langwierige und extrem stressige Lebensphase (Pflege). In dieser mehrjährigen Phase hatte ich praktisch keinerlei Freizeit mehr und war froh mit dem gelernten ein wenig den Stress in Schach zu halten. Leider war die massive Ruhe und Entspannung nur während des Kurses da, ich bin in dieser Hinsicht wohl auf eine Gruppe angewiesen und tue mich schwer gelerntes für mich allein konsequent umzusehen.

Sport
Das war tatsächlich die erste "Anweisung" meiner Psychotherapeutin. "Gehe jeden Tag mindestens 15 Minuten an der frischen Luft spazieren, egal wie es dir geht." hat mir tatsächlich geholfen. Später bin ich auf ein Fittnesscenter umgestiegen und mache mittlerweile 3-4x wöchtlich dort Kraft- und Ausdauersport. (obwohl ich früher sehr stark übergewichtig (155kg) und ein absoluter Sportmuffel war). Auch in den Angstphasen ist der Sport tatsächlich eine große Hilfe für mich. Ich kann da, bis zu einem gewissen Grade, meine Anspannung abbauen und den Kopf abschalten. Auch der Kontakt mit anderen Menschen ist natürlich förderlich.

Aktuell (nicht abgeschlossen!) Hypnosetherapie
Eigentlich ein Tipp meiner Psychotherapeutin bzgl. meines wunsches mit dem rauchen aufzuhören. Als ich den Therapeuten gefunden hatte sah ich aber das dieser (ausgebilderter Psychotherapeut) auch Angststörungen, Traumata etc. mit Hynose behandelt. Da ich recht verzweifelt war habe ich es probiert ohne mit große Hoffnungen zu machen. Aktuell hatte ich zwei Sitzungen (4 sind geplant). Falls das Thema unbekannt ist, Hypnotherapie bitte nicht mit Showhypnose verwechseln. Mann schläft dabei nicht und ist nicht willenlos!.
In der ersten Sitzung (90 Minuten) war die innere Anspannung tatsächlich kurzzeitig komplett weg, nur um danach ganz massiv zurückzukommen. Davor hatte mich der Therapeut allerdings gewarnt "weil das Unterbewusstsein diese Themen jetzt bearbeitet". Dieser Tag war für mich wirklich schlimm. Umso erfreuert war ich das es mir am nächsten Tag deutlich besser ging. Mittlerweile ist diese ständige Angst nur noch einen Teil des Tages mit deutlich verminderter Intensität spürbar, oder vor besonders belastenden Situationen. Den Rest der Zeit habe ich davor tatsächlich meine Ruhe.
Die andere Sitzung hatte ein anderes Thema (Selbstwertgefühl) war leider nicht so durchschlagend aber wie gesagt ich bin noch nicht fertig. Ich hoffe sehr das dies nachhaltig eine Besserung bringt.
Senif
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Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Senif »

Hey face,

du meintest sicher Muli, aber es ist sehr interessant, was du alles versucht hast. Und tatsächlich hatte mir Sport auch was gebracht, allerdings nur joggen ab 20min - da passierte irgendwas im Körper, was ich mir nicht genau erklären konnte. Aber danach war es 2h lang besser. Das Problem war nur, wie sich aufraffen ?
Damals hatte ich auch mit Hypnose mich beschäftigt, es aber dann nicht gemacht. Auch weil dann ein AD angeschlagen hatte.
Ich war jahrelang schwer krank, hab mehrere Rehas gemacht und wurde schließlich berentet. Und jetzt geht es mir wieder so, dass ich gerade einen Arbeitsversuch halbtags mache. Es kann also wieder aufwärts gehen.

LG Senif :hello:
Katerle
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Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Katerle »

Muli07 hat geschrieben: 3. Mai 2024, 08:58 Guten Morgen,

seit Tagen kämpfe ich wieder mit extremen Angstattacken.
Vielleicht kurz zu mir: ich leide unter chronischen Depressionen und Ängsten, habe bereits 2 Klinikaufenthalte hinter mir und eine Verhaltenstherapie und warte aktuell auf die Bewilligung einer tiefenpsychologischen Therapie.

Da im Moment so viele Unsicherheiten und Veränderungen bei mir anstehen, plagen mich seit Wochen nur noch meine Ängste (seit ein paar Tagen verstärkter).
Die Angst bestimmt meinen Tag und hält mich von vielen schönen Dingen ab.
Konfrontation mit meinen Ängsten hat mir im Therapieverlauf bisher eher wenig weitergeholfen. Vielleicht gibt es ja auch welche unter euch denen es gerade ähnlich geht oder die ähnliche Erfahrungen gemacht haben?
Aktuell fühle ich mich einfach nur allein und weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Ich habe einen Partner der mich bei allem unterstützt, der mir hilft Anträge etc. auszufüllen (wovon gerade jede Menge ansteht), aber trotzdem fühle ich mich hilflos, obwohl ich ihm so dankbar bin, dass er mich so sehr unterstützt.

Naja..ich würd mich einfach freuen, vielleicht von anderen Betroffenen zu hören.

Danke!
Muli
Hallo Muli,

du bist damit nicht allein und verliere keinesfalls die Hoffnung auf Besserung. Drücke dir ganz fest die Daumen, dass die tiefenpsychologische Therapie bei dir bald bewilligt wird. Hatte ich auch und auch VT.
Kenne das auch, dass mich die A. von manchen schönen Dingen abhält, aber ich habe auch schon einiges erreicht. Anträge ausfüllen war/ist auch nicht meine Stärke.

Liebe Grüße
Katerle
Maik4711
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Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Maik4711 »

Muli07 hat geschrieben: 3. Mai 2024, 09:32
Ich hab oft Ängste die ich gar nicht greifen kann, also auf nichts spezifisches gerichtet. Diese äußern sich dann auch ähnlich wie bei dir in dauerhafter Anspannung.
Darüber hinaus hab ich aber auch Ängste vor Menschenmengen, Angst davor Fehler zu machen, Angst vor der Zukunft, Angst vor Veränderungen etc.

Angst davor das die Leute denken, ich liege jetzt dem Staat auf der Tasche. Hat auch alles viel mit dem Selbstwert zu tun.
Hallo Muli07

Mir geht's da so ähnlich wie Dir, Angst vor Fehlern, vor der Zukunft und vor Veränderungen. Und eben auch Angst, dem Staat auf der Tasche zu liegen. Bisher helfen bei mir auch weder Medikamente noch Therapie. Und mein Selbstwert und Selbstbewusstsein ist völlig im Keller.
Muli07
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Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Muli07 »

Hallo Maik,

danke für deine Antwort.
Das tut mir wirklich leid, dass es dir genauso ergeht.
Welche Therapien hast du denn bereits hinter dir, wenn ich fragen darf?
Maik4711
Beiträge: 171
Registriert: 16. Mär 2024, 19:30

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Maik4711 »

Habe gerade "erst" im Februar mit Verhaltenstherapie angefangen
Mingo11
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Registriert: 2. Apr 2024, 11:21

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Mingo11 »

Hallo,
mir hat das achtsamkeitsbasierte Online-Programm Unwinding Anxiety sehr geholfen. Ist ne app, mit Online Community und wöchendlichen Zoom-Calls, an denen man teilnehmen kann. Lässt sich zum Teil auch auf Depressionen übertragen.
Die Gruppe um Jud Brewer arbeitet auch daran, ein Programm speziell für Depressionen zu entwickeln.
Liebe Grüße
Maik4711
Beiträge: 171
Registriert: 16. Mär 2024, 19:30

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Maik4711 »

Mingo11 hat geschrieben: 7. Aug 2024, 22:23 Hallo,
mir hat das achtsamkeitsbasierte Online-Programm Unwinding Anxiety sehr geholfen. Ist ne app, mit Online Community und wöchendlichen Zoom-Calls, an denen man teilnehmen kann. Lässt sich zum Teil auch auf Depressionen übertragen.
Die Gruppe um Jud Brewer arbeitet auch daran, ein Programm speziell für Depressionen zu entwickeln.
Liebe Grüße
Ich nutze die Elona App, bringt mir aber nicht wirklich viel.
Christopher
Beiträge: 62
Registriert: 17. Feb 2024, 20:13

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von Christopher »

Guten Tag,

Angst ist ein ständiger Begleiter. Sie hat mir immer geholfen zu überleben, deswegen habe ich sie zum Teil übermächtig werden lassen beziehungsweise sie hat sich selber die Freiheit genommen, übermächtig zu werden. Das, und alles Folgende ist meine Erfahrung zu diesem Thema. Also alles subjektive Erlebnisse und Eindrücke, die mich seit früher Kindheit erfasst haben. Da all das, was ich in den meist jungen Jahren als Bedrohungslage erlebt habe, also in die nicht erinnerbare Zeit fiel, ist es heute so manifestiert, das eine bewußte Steuerung kaum möglich ist. Zu Ur- Reflexhaft sind die Reaktionen, deren Auslöser meistens nicht bekannt sind,- da sie von innen und nicht durch äußere Reize ausgelöst werden, also nur diffus bis überhaupt nicht zu orten sind.
Was nur klar erscheint: Notlagen müssen über lange Zeiten als lebensbedrohender Zustand von mir empfunden worden sein. Hunger, Durst, fehlende menschliche Nähe, Schutz im weitesten Sinne waren nicht oder nicht ausreichen vorhanden, es entwickelte sich die ANGST als solches, um das eigene Leben und Wohlergehen, lebensbedrohliche Situationen, die ich als Kind nicht einschätzen konnte.

-/-
Im Kern ist ja auch eine Wiedereingliederung ( das habe ich auch so erlebt) unter Umständen eine Bedrohungslage: Erstmal vordergründig natürlich eine schöne Hilfe und wohlgemeint. Doch bei mir kamen Fragen auf: Was, wenn ich das nicht schaffe; was, wenn ich im Beruf überhaupt nicht mehr klar komme; was, wenn der Partner mein eventuelles Scheitern nicht mehr mittragen kann, und so fort. Da sind natürlich auch monetäre Fragen. Was dann alles hochkommen kann, hatte bei mir jedenfalls bedrohliche Ausmaße angenommen. Ich habe es damals geschafft, in dem ich OHNE Not, von 6 Stunden nochmals 3 Wochen auf 4 Stunden zurückgegangen bin. Also habe sozusagen mir selber bewiesen das auch ein Rückschritt möglich ist, ohne den ganzen Berg hinunter zu fallen. Meine Hausärztin hatte das bei Beginn der Wiedereingliederung als Mittel erwähnt, um Sicherheit in dieser Frage zu gewinnen. Sicher gab es dann Gespräche beim Arbeitgeber, aber das war alles in Ordnung gewesen. Ich hatte jedenfalls keine Nachteile davon erlebt.

Sie, meine Hausärztin, kannte die Bedenken und Ängst nicht nur von mir, so schien es damals.
-/-

Zurück zum heutigen Stand:

Was mir heute hilft, mit diese aus dem scheinbaren nichts auftauchenden Ängsten umzugehen, sind tatsächlich die grundlegenden Sicherheiten anzusprechen, laut, als Mantra sozusagen:

Mein Zettel im Portemonnaie hat folgenden Wortlaut:
______________________________________________________________________________________________________________________
NOTFALLPLAN

Ich bin in Sicherheit, es besteht keine Gefahr.

Atmen und zählen. ( 3 x ein, 3 x aus, 3 x ein, 4 x aus.....)

Ich bin in Sicherheit, es besteht keine Gefahr.

Atmen und zählen.

Was sehe ich: 5 Dinge benennen.

Atmen und zählen.

Ich kann mich beruhigen. Es besteht keine Gefahr für mein Leben.

ES ist eine Bedrohliche Situation in der VERGANGENHEIT gewesen.

Heute ist heute. Nichts bedroht mich.

Ich kann für mich sorgen. Ich bin erwachsen. Ich kann handeln.

Ich kann Hilfe holen. Telefon 112. Es ist meine Entscheidung. Ich bin nicht allein.


_____________________________________________________________________________________________________________________

Ja, so sieht mein Zettel aus, DIN A 4 , gefaltet im Portemonnaie. Ich habe das so für mich in vielen Stunden entwickelt, es sind alles Sätze und Worte die für mich auch in Hochstressphasen und bei Panik noch funktionieren. Also der Bereich aus den Skills wie Atmen und Zählen, 5 Dinge benennen.

Und nein, es ist mir nicht peinlich diesen Zettel herauszuholen und danach zu handeln. Es ist mir auch nicht peinlich dieses doch etwas einfach geschriebene Zettelchen hier offen zu legen. Ich gehe damit offen um, die Zeit, in der ich mich versteckt habe mit meinen Mühen, ist vorbei.

Auch das hilft mir, besser mit diesen Ängsten umzugehen, verhindert, das sie größer werden: Ich personalisiere meine Angst sozusagen und zeige: Ich habe keine Angst vor Dir, keine Angst damit offen umzugehen, ich mach da kein Geheimnis draus und setzte meine kleinen Mittel als Wege ein, um ein Gegengewicht zu zu diesen machtvollen Gedanken zu haben.

Die Macht meiner Ängste ist so konditioniert, das Situationen eben aus dem frühsten Erleben eingespielt werden, sozusagen als Alarmreflex, nicht so eine abgeschwächte und vielleicht ganz angenehme Angst die sich in erhöhter Wachsamkeit zeigt, sondern es wird reflexhaft der große Not- Aus Knopf,-. oder der Großalarm ausgelöst.

Mein Notfallplan hilft mir visuell mich wieder zu erden und meiner Seele und meinem Inneren klarzumachen,- egal was der Auslöser in diesem Moment war, wieder zurückzufinden in den Moment in dem ich mich befinde, nämlich in der gefahrlosen Gegenwart.

Alles was sich nach dem Beruhigen der Situation zeigt, kann ich dann neu bewerten, als Erwachsener, sachlich und mit der Lebenserfahrung die zur Verfügung steht.

Es ist gerade mein mächtigstes Instrument, was ich zur Verfügung habe.

So stellt sich heraus, das es nicht wirklich Bedrohungen gibt, die mich in Panik geraten lassen müssen.

Und für Aufgaben die ich gerade nicht selber bewältigen kann( meine Aussteuerung liegt gerade an) hole ich mir Hilfe von meiner Frau oder vom SoVD. Auch dafür habe ich keine Scham mehr übrig, zu sagen ich brauche Hilfe,- die Angst vor den Formularen ist damit schon von Beginn an ins Aus befördert und hat keinen Platz in meinem Kopf, was diesen Punkt angeht.

Ein Gedanke kommt gerade noch hoch:

Ich versuche gerade ein Gefühl dazu zu finden, wie es mir in einer solchen Angstattacke ergeht:

Früher wurden oft Düsenjäger-Übungen durchgeführt, in der Schule ist man regelmäßig zusammengezuckt aufgrund der scheinbar unermeßlich werdenden, sogar schmerzhaft anschwellenden Lautstärke, wenn die über die Wohngebiete gedonnert sind. Irgendwann habe ich mich dran gewöhnt.
Im laufe der Jahrzehnte wurde das ja dann weniger.

Wenn heute so etwas passiert, ist das Ur- Gefühl wieder dazu da, wie beim ersten Mal, -das die Lautstärke eine Fluchtreaktion, ein Wegducken, eine furchteinflößendes Gefühl erzeugt, einfach um einem undefinierbaren Ereignis begegnen zu können in höchster Wachheit und Klarheit,- und natürlich körperlicher Präsenz. Genau dieses Gefühl habe ich bei Panikattacken.

Nur mit dem Unterschied: Das Geräusch des Jets ist nach Sekunden verschwunden,- vielleicht verbleibt ein Moment der Nachwirkung doch dann ist klar: es ist keine Gefahr mehr für mich; meine Angstattacke dagegen behält die Regie, und macht mich Bewegungs,- und Handlungsunfähig. Über Stunden, teilweise in Verbindung mit der Depression über Tage. Es ist eine Situation, die sich unter Umständen nicht mehr von selber zurück reguliert, eben auf erträgliches Normalmaß, so dass ich wieder in den Modus komme, aktive und sachliche Entscheidungen zu treffen.

So, nun habe ich viel von mir erzählt, und wie ich mit diesen Dingen umgehe, sicherlich nicht erschöpfend, aber in groben Zügen umreißt es meinen Genesungszustand. Die Arbeit ist wohl nie abgeschlossen, und wie viel Energie in dem Zettel steckt, wieviele Psych. Stunden, ist kaum zu glauben. Ja, so langsam es auch vorwärts geht, manchmal passiert über Monate gefühlt nichts an meinem Zustand, um so mehr freut es mich, wenn ich dann Mittel und Wege finde, die mir in argen Situationen die Selbsthilfe ermöglichen.

Christopher
Christopher
Schlosser.
Andere sagen ich sei krank.
Ich sage: Ich bin genau richtig wie ich bin.
Und:
Ich mache das es geht.
Warum?
Weil ich es kann.
mime
Beiträge: 1319
Registriert: 6. Sep 2013, 13:28

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von mime »

Hallo Christopher,

nur kurz, da ich den Thread nicht komplett verfolge: Ich finde deinen Notfallplan klasse, den könnte man sich direkt abschreiben. Eine Freundin von mir leidet unter Angst- und Panikattacken und ich habe teilweise schon versucht, mit ihr ähnliche Übungen zu machen - daher finde ich deine Liste sehr hilfreich, weil man auch ein bisschen einen Einblick bekommt, auf was der Fokus liegt, wenn so eine Attacke da ist - ich kenne zwar Angstatattacken im Rahmen der Depression auch (aber nicht so stark, dass sie extra behandlungsbedürftig sind), doch bleibt einem die Denk- und Gefühlsweise bei einer derartigen Störung ein Stück weit fremd und nicht ausreichend nachvollziehbar. Daher hat mir deine Liste ein bisschen geholfen, vorallem, dass du dir selbst Sicherheitsaspekte und Handlungsmöglichkeiten aufführst, finde ich gut. Denn Angst kann so lähmend sein, dass man das vergisst.

LG Mime
Wir müssen lernen,
die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen,
als auf das, was sie erleiden, anzusehen.

(Dietrich Bonhoeffer)
anna_lyle
Beiträge: 385
Registriert: 31. Dez 2016, 08:31

Re: Leben mit der Angst

Beitrag von anna_lyle »

Hallo Muli,

hatte auch jahrelang Angstattacken oder einen permanenten Angstpegel.

Mir hilft LANGSAM DURCH DIE NASE ATMEN.
Ausatmen länger als Einatmen.
Dabei lächeln.
Tägliche Praxis. So oft wie möglich machen.

Und die App Rootd finde ich ganz gut. Psychoedukation, Atemübungen, geführte Meditationen, Notfall-Hilfe - kann ich empfehlen.

LG Anna
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