Ich werde nur noch als "kranker Mensch" gesehen. Eine Zustandsbeschreibung.

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Christopher
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Ich werde nur noch als "kranker Mensch" gesehen. Eine Zustandsbeschreibung.

Beitrag von Christopher »

In diesem Text stecken drei Tage harte Arbeit für mich. Ich wünsche mir einfach, das all dies mit Bedacht und Zeit gelesen wird.


Guten Tag,


ich versuche es einmal so zu beschreiben, das es keine Vorwürfe oder Provokationen gibt. Es ist sozusagen der Wunsch vorab einen Text zu schreiben, -die Gedanken einzufangen, der meine Schwierigkeiten in der Partnerschaft und Bekanntenkreis beschreibt,- die mit den Major Depressionen ,- und den stille-Borderline- Befindlichkeiten, sozusagen mitlaufen.

Ich versuche mich dem allen vorsichtig anzunähern, da die Gefahr besteht, eine undankbare Haltung zu transportieren, nicht unerheblich ist. Das alles möchte ich nicht als Anklage verstanden wissen, bitte.

Seit vielen Jahren trägt meine Partnerin alle Lasten, die meine Zustände in depressiven Phasen mit sich bringen, ohne zu klagen mit. Sie hat mich in den leistungsfähigsten Phasen meines Lebens erlebt. Also als Papa mit Volldampf im Blut, alles was eben ein hochaktives und spannendes, aber auch ein anstrengendes Leben ausmacht. Im einzelnen spielt es keine Rolle an dieser Stelle, und soll als Einstieg reichen. Jede Frau, jeder Mann kennt vermutlich diese Phasen mit viel Kraft, Vorwärtsdrängen, viel Schaffenskraft, Euphorie und in denen wenig Schlaf ausreicht, um wieder fit zu sein.

Im Freundeskreis wurde ich als hochaktiver Mensch wahrgenommen, der vor nichts zurückschreckt, allem gewachsen war.

Vor lange mehr als 10 Jahren wurde ich das erste mal krank. 9 Monate Totalausfall mit einer Major Depression. Vor 3 Jahren wiederholte ganze nochmal. Heute bezeichne ich mich als chronisch belastet, meine Leistungsfähigkeit beträgt vielleicht 20 %, ich bin seit Januar arbeitsunfähig und werde im August ausgesteuert, mit 57 Jahren,- nach einem hoch aktiven,- und für mich erfolgreichen Berufsleben. Das schreibe ich nur um den Rahmen deutlich zu machen, in dem ich mich bewege, und damit der Einstieg in mein Thema möglich ist.

Im übrigen sei nochmals angemerkt: wie immer sind alle Gedanken hier meine eigenen,- und subjektive Erlebnisse und Erkenntnisse sind wie immer der Kommentare überflüssig. Das alles dient hier mit diesem Thema nur meiner Sicht,- und Erlebenswelt einen Platz zu verschaffen, da es mich ungemein belastet, was ich schleichend erlebe. Das hat mich blind gemacht für manche Vorgänge und "Dinge" die im Zusammenleben und bei Freundschaften Einzug gehalten haben.

Nun ist es zum fast täglichen zum Thema geworden:Ich fühle mich nur noch als kranker Mann, als kranker Mensch, wahrgenommen.

Das ist die Überschrift über all dem.

Es ist wie so oft eine Sache, die aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden darf. Der eine ist aus meiner subjektiven Sicht:
Ja, ich bin tatsächlich krank, eingeschränkt und mit verschiedenen Dingen beladen,- ja teils schwer belastet, die natürlich im Aussen sichtbar werden: Artztermine, Medikamente, meiden von Menschengruppen oder Stresssituationen jeglicher Art, weniger Ausdauer bei anspruchsvollen Tätigkeiten, beim Lesen, beim Wandern, was auch immer von anderen bemerkt werden kann.

Es werden Bedürfnisse sichtbar, die unbelastete Menschen vielleicht sonderbar finde: mehr Schlafbedürfnis, mehr Ruhe,- und Pausephasen, insgesamt ein langsames und bedächtigeres Leben. Um die Seele mitzunehmen und nicht zu überfordern, tiefe Erschöpfung zu vermeiden,- das ist das für mich Grundthema in diesem Bereich.

So langsam kommen auch Eigenschaften ins Spiel, der geneigte Leser merkt es vielleicht, die nicht nur negativ sein müssen: Langsamkeit und überlegtes Handeln können auch sehr schön sein, ungehetzt durch den Alltag kommen ist durchaus auch eine angenehme Sache. Nichts gleichzeitig zu tun, sondern eines nach dem anderen. Es entstehen weniger Frustmomente, die unerledigten Aufgaben übernehmen nicht unbefriedigend die Regie.

Das was ich tue, tue ich mit aller Energie. Die Tiefe mit der ich mich mit den Dingen befasse, um die depressiven Vorgänge zu verstehen, sind unbelasteten Menschen fremd, und bleiben meist für immer ein Buch mit vielen Siegeln. Es ist kaum nachvollziehbar, was sich bei einem Schub in diesem Bereich abspielt. Aus einem leistungsfähigen, liebenswerten und begehrenswerten Menschen wird in kurzer Zeit, manchmal nur Minuten, ein bewegungsunfähiger, schweigender und hilfloser Mensch, der hochgradig auf Hilfe von aussen angewiesen ist. Meine Notfallkarte im Portemonnaie listet die Ersthelfer auf: Krankenwagen: Psychiatrische Notfallambulanz, behandelnde Ärzte und so fort.

Das intensive Beschäftigen mit den einzelnen Themen überträgt sich im Alltag auf die Tätigkeiten die allgemein anliegen,- und zwar auf angenehme Weise: Wenn ich mich mit einem Thema befasse, einem Einkauf, einer Reparatur, was auch immer, ich befasse mich dann genau mit einer Sache, gucke nicht nebenher Fernsehen, telefoniere oder tue sonst irgendetwas nebenbei. Das hat den Effekt sehr konzentriert die Dinge voranzubringen. Vielleicht schaffe ich nicht so viel, aber die 5 Dinge die ich Bewege, sind nicht nur oberflächlich bearbeitet. Also dieses gehetzte: Dieses ich muß dies und dann noch das und einkaufen auch noch, dann kann ich gleich noch hier und dahin fahren....ichbinjaehunterwegs... Das werde und kann ich nicht mehr meiner Seele zumuten ohne Schaden zu nehmen.

Alleine beim Beschreiben dieser Dinge bekomme ich als Betroffener Gänsehaut, wie sehr mich all das vereinnahmt und das Leben zumindest unterschwellig,- oft sogar heftigst begleitet.

Resümee bis hierhin: Es gibt Dinge die für Aussenstehende sichtbar werden, so wie beschrieben,- auch die schönen Seiten, und manches ist nur für mich vorhanden, wenn ich nicht davon berichte, bleiben diese Dinge eher im Verborgenen.

Nun kommt die Seite, die Sichtweise der Angehörigen, Freunde und vielleicht Arbeitskollegen, wer auch immer hier Kontakt mit mir hat:

Der ist oft krankgeschrieben. Der ist langsam, nicht belastbar, geht selten aus. Hat oft Stimmungsschwankungen, der geht manchmal einfach um 20.00 Uhr ins Bett. Verabredungen sind schwierig, da er nicht weiß wie es ihm in einer Woche geht. Unflexibel, ungeplantes ist schwierig umzusetzen, und so fort.

Die schönen Seiten, möchte ich einmal wie folgt im umreißen, im Ansatz notieren: Ein toller Gesprächspartner der gut zuhören kann. Jemand der Situationen in einer Tiefe erfasst, die beneidenswert ist. Jemand der langsam, und doch sehr intensiv lebt. Der nicht zwei Dinge gleichzeitig macht. Was liegen bleibt, bleibt liegen. Es kommt der nächste Tag, an dem er sich kümmert, wenn denn die Kraft dafür vorhanden ist.

Ein guter Beobachter, der Situationen mit Brillanz einschätzen kann. Der fast immer auch die eigenen Befindlichkeiten mit reflektiert:
Wenn ich dieses oder jenes tue: Wie geht es mir damit, kann ich damit gut umgehen, oder wird es zu viel für mich in dieser Tagesform, teile die Aufgaben auf?

Muß ich heute noch in den Baumarkt, nur weil ich es mir gestern vorgenommen habe, ein Telefonat mit einem Freund wenn ich erschöpft bin? Nein, das durchdenke ich vorher und eine falsche Pflicht wird nicht besser: Ich bin womöglich extrem genervt im Baumark, ich höre dem Freund nicht richtig zu.

Will ich so leben? Werde ich den Dingen gerecht, wenn mir die Kraft, die Nervenstärke in dem Moment fehlt?

Es sind ja nur kleinteilige Alltagsbeispiele.

Ich MUß, um so etwas ähnliches wie gesund durch den Alltag zu kommen, zwingend all diese Fragen als Betroffener beantworten, und zwar ehrlich und aufrichtig.

Warum ist das so? Was passiert wenn ich das nicht tue?

Bleibe ich bei den Beispielen, sieht es so bei mir aus: Ich werde traurig über mein Verhalten als genervter Baumarktbesucher, ich möchte als freundlicher, und nicht als genervter Mensch wahrgenommen werden. Ich bin erschöpft, hetze durch die Regale, vergesse Dinge, werde womöglich im Verkehr aggressiv , will nach Hause um meine Ruhe zu haben,- und will nicht im Stau stehen. Ich will ich will ich will, sogar beim schreiben hier merke ich wie eine solche Situation Stress bereitet.
Dann das Telefonat mit dem Freund: Ich rufe wie versprochen an, der merkt nach dem zweiten Satz, dass ich nicht "gut drauf "bin, wohin führt so ein Telefonat? Meiner Erfahrung nach: oft zu nichts. Ausser zum Austausch über die Katastrophen im Alltag: Staus, Umleitungen, Baumarkt nervt, überhaupt alles. Ich bin erschöpft, müde, traurig, ja wenn nicht sogar verzweifelt.

Und das ist genau das, was mein Umfeld dann auch sehr sensibel bemerkt: dieser Mensch ist nicht so Stressresililient, schnell genervt und etwas "anders", anfälliger oder einfach krank.

So werde ich heute von Menschen die mich über lange Zeit kennen, nur noch als krank wahrgenommen, und das wiederum, ist ziemlich grausam, da es mir die Chance nimmt ein einigermaßen erträgliches Leben zu führen.

Und was das mit mir macht, möchte ich hier ausführen.

Es kommen Fragen auf in der Partnerschaft, von Freunden, die verletzen: Schaffst Du das noch oder soll ich das lieber machen? Kann ich mich darauf verlassen? Sex mit einem Kranken? Eher nicht. Geh doch schon mal ins Bett wenn es dir nicht so gut geht. All das sind Alltagsbeispiele, die ihre Wirkung haben. Die ohne Frage teils gut gemeint sind. Und so passiert es dann: Es tritt eine Vermeidungshaltung ein, eine Schonhaltung, die Schmerzen an anderen Stellen seelischer Natur hervorruft, die grausem sein können. Meine Krankheit wird als prophylaktische Schonhaltung registriert, Vorsicht aller Orten, immerzu gucken um das schlimmste zu verhindern und offensiv bereden, besprechen und planen.

Natürlich ist da ein Widerspruch zum oben geschrieben, der feine Unterschied ist:

Einmal ist es die Schonhaltung die von aussen gut gemeint " mitgelebt wird" wird, das andere ist das, was ich mir selber gerne einteilen möchte, und nicht durch einen Aufpasser von aussen übergeholfen bekommen möchte.

Ja, es ist ein schmaler Grad, und sehr feingliederig. Der Umgang damit ist für beide Seiten immer auch eine Sache, die von Respekt getragen werden möchte, Bevormundung ist ein grausames Instrument zur Entmündigung eines depressiven, der in solchen Situationen schnell in die Defensive geraten kann, einfach weil die Kraft einen Streit auszutragen, nicht vorhanden ist. Wenn es zum Streit kommt, ist wieder die Situation da, das der Einblick des Aussenstehenden auf das, was bei einem depressiven Menschen im inneren vorgeht, nicht möglich ist,- oder einfach das Verständnis fehlt.

So manifestiert sich bei mir die traurige Situation, über lange Jahre eingeübt und eingeschlichen hat, das ich in der Partnerschaft ein kranker Mensch bin, um den sich gekümmert werden muß. Der in Freundschaften der ist," den man mit Samthandschuhen" anfassen muß.

Ich habe bis heute die Gewissheit, versorgt zu sein, auch in schlechten Phasen,- was ja auch ungemein wichtig ist, ein stabiles Umfeld zu haben, und gleichzeitig ein diffuses Entmündigungsverfahren erlebe, unbeabsichtigt unterstelle ich das hier mal, das dazu dient mir Sicherheit zu bieten, die mich aber in Wirklichkeit als Mensch verkümmern und verzweifeln lässt.

Das ist gerade meine Sichtweise auf die Welt in der ich mich befinde. Voll mit Wiedersprüchen, voll mit Schwierigkeiten, die Belastung dieser depressiven Eigenheiten dauerhaft zu tragen, und irgendwie den Alltag so einzurichten, das ich nicht daran verzweifle. All das kostet enorm viel Kraft, jeden Tag. Ich vermisse die Leichtigkeit aus vergangenen Tagen, in denen Energie und Tatendrang scheinbar grenzenlos vorhanden waren. Probleme einfach nur Aufgaben waren, die es ordentlich anzupacken galt, um sie aus der Welt zu schaffen.

Das ist das wirkliche Drama, dass ich den Vergleich aus aktiven Tagen habe,- mit dem ich den heutigen Zustand abgleichen kann, und der mich nun so vereinnahmt hat.

Das alles hier ist eine Beschreibung des Ist- Zustandes, es soll keine Schicksalsheulerei darstellen. Ich versuche mit all dem sachlich umzugehen. Danke für Eure Geduld.


Gerne Lese ich von EUREN Erfahrungen. Schön ist es, wenn das alles so stehen bleiben darf und ohne Textkopien in Euren Ausführungen auskommt, aber schlussendlich habe ich da keinen Einfluß.

Ich erwarte keine heissen Ratschläge und Tipps. Sondern freue mich über mutige und wenn möglich persönliche Erfahrungsberichte von Euch, vielleicht auch wie ihr mit den Situationen umgeht.

Das ist mein Wunsch an dieser Stelle.

Christopher
Christopher
Schlosser.
Andere sagen ich sei krank.
Ich sage: Ich bin genau richtig wie ich bin.
Und:
Ich mache das es geht.
Warum?
Weil ich es kann.
DieNeue
Beiträge: 5783
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Ich werde nur noch als "kranker Mensch" gesehen. Eine Zustandsbeschreibung.

Beitrag von DieNeue »

Hallo Christopher,

das ist ein interessantes Thema, mit dem ich auch immer wieder konfrontiert werde. Mich stört dieses ständige Helfen von außen, ohne zu fragen, ob ich die Hilfe überhaupt brauche und will, mittlerweile sehr und ich versuche mich mittlerweile dagegen zu wehren. Ist nicht ganz so einfach.
Irgendwie geht jeder davon aus, dass ich mich hilflos fühle und man mir ständig helfen müsse. Meistens sind das Leute, die mich nicht ganz so gut kennen und meine Einstellungen nicht kennen. Ich fühle mich nämlich im Großen und Ganzen nicht hilflos und ich sehe mich auch nicht als schwach an. Ich habe schon so viel mitgemacht und ausgehalten, mir so vieles erarbeitet und zurückerobert, dass ich mich eher stark fühle. Natürlich auch immer wieder überfordert und erschöpft, aber so grundsätzlich fühle ich mich nicht hilflos.

Ich habe mich eine Zeit lang mit Ableismus und dem Umgang mit behinderten und chronisch kranken Menschen auseinandergesetzt und viel dazu gelesen. Vielleicht hilft dir das auch weiter. Du bist nicht der einzige, der sich so wahrgenommen fühlt, sondern das ist ein ziemlich weit verbreitetes Problem.
Ich denke, dass viele Menschen nicht wissen, wie man respektvoll und auf Augenhöhe mit chronisch kranken oder behinderten Menschen umgeht. Mir selbst wird manches auch erst jetzt bewusst, wo es mich selbst betrifft.
Vor allem gegen gut gemeintes ist es schwierig sich zu wehren, weil man ja sofort der Buh-Mann ist, wenn man sauer wird, während der andere ja nur nett sein wollte.
Aber "helfen" ist in manchen Situationen einfach unangebracht und bevormundend.
Blöd ist es, wenn man bei Konflikten dann nicht anders reagieren kann als mit Schweigen und sich vor Überforderung einigeln, denn dann kriegen die anderen auch nicht mit, wenn einem was nicht passt. Bei mir ist es so, dass ich manchmal in der Situation selber gar nicht reagieren kann, weil ich so vor den Kopf geschlagen bin, und die Begebenheit dann ewig mit mir rumtrage. Bei einer Person ist es allerdings doch mal eskaliert, weil sie das ganze auf die Spitze getrieben hat und ich mich nur noch bedrängt gefühlt habe. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr. Ich konnte das leider auch nicht erklären, weil ich damals auch nicht gecheckt habe, was in mir vorgeht und ich das nicht einordnen konnte.
Ich denke, man wird nicht umhin kommen und lernen müssen, Grenzen zu setzen, sich zu behaupten und Anderen zu erklären, wie ihr nett gemeintes Verhalten ankommt. Ich glaube, manchmal muss man die anderen auch mal wachrütteln, damit sie verstehen, dass man auch noch ein Mensch ist und nicht nur ein Kranker.

Ich glaube, am Anfang, wenn man noch sehr viel Hilfe braucht, ist helfen noch total okay für alle. Aber je besser es wird und je mehr man sich selber erarbeitet, desto weniger Hilfe braucht man. Oder manche Dinge sind für einen nicht mehr so schlimm. Für mich ist es z.B. mittlerweile okay, wenn ich nicht zu allen Veranstaltungen gehen kann oder früher gehen muss. Früher war das ein riesen Problem und ich echt fertig deswegen. Dass ich damit mittlerweile besser zurechtkomme, kriegt nur kaum jemand mit (oder es kann sich keiner vorstellen, dass man lernen kann damit zurechtzukommen.) Andere leiden dann, wenn ich nicht mitkommen kann, weil sie denken, das ist so schlimm für mich, dabei habe ich damit überhaupt kein Problem. Aber sie schaffen mir ein neues Problem, wenn ich dann dafür "verantwortlich" bin, dass es ihnen schlecht geht, weil ich ja krank bin. Ideal wäre es, wenn man diesen Leuten das sachlich verklickern könnte, dass sie sich nicht so reinstressen müssen. Aber sowas ansprechen finde ich sehr schwer. Meistens kriege ich das dann nämlich auch nur über andere Leute mit und nicht von den Personen selbst.
Ich glaube, ein großes Problem ist die Kommunikation darüber.
Ich versuche mittlerweile nach dem Grundsatz zu leben "Wenn ich Hilfe brauche, sage ich was, und wenn ich nichts sage, brauche und will ich auch keine Hilfe". Ist aber nicht so einfach, denn manchmal kriegt man ja auch Hilfe, die gar nichts mit der Krankheit zu tun hat. Auch Gesunde lassen sich mal helfen. Da nicht grundsätzlich jede Hilfe abzulehnen und auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen, ist auch nicht ganz leicht.

Ich empfinde deinen Text nicht als Schicksalsheulerei. Ich denke, du bist an einem Punkt angekommen, wo viele Menschen irgendwann landen, wenn sie lange krank sind. Meiner Erfahrung nach hat man zwar immer die gleiche Krankheit, aber der Umgang damit und auch der Umgang des Umfelds damit ändert sich immer wieder. Im Unterschied zu einer kurzen Krankheit tauchen zusätzlich immer wieder neue Herausforderungen auf, die einen eine Zeit lang oder auch länger begleiten. Am Anfang ist es eher die Akzeptanz der Krankheit; wie gehen die anderen damit um, wenn ich es sage; was passiert mit meiner Arbeit; wie komme ich damit klar, wenn ich Rente beantragen muss, und irgendwann eben auch, wie komme ich damit klar, dass andere nur noch den Kranken in mir sehen. Wie kriege ich andere dazu, mich wieder "normal" zu behandeln, wenn sie ja trotzdem immer wieder Rücksicht nehmen müssen? Wie vermittle ich Leuten, dass ich nicht mehr ständig Hilfe brauche wie früher? Oder wann ich tatsächlich Hilfe brauche? Wer bin ich eigentlich noch, wenn mich die Krankheit so einschränkt? Was ist von mir noch übriggeblieben? Wie gehe ich damit um, wenn andere Leute total bestürzt sind, wenn sie erfahren, dass ich schon X Jahre lang EM-Rente habe, während ich damit mittlerweile eigentlich super damit klarkomme?

Die Beschäftigung mit dem Thema Ableismus hat mir geholfen, das Thema und was mit mir gerade passiert besser einordnen zu können. Ich glaube, helfen würde gute und klare Kommunikation mit dem Umfeld darüber, aber das ist halt nicht so einfach. Man muss, glaub ich, leider auch den anderen von selber entgegenkommen, denn von alleine werden sie nicht merken, was ihr Verhalten bewirkt - denn sie sind ja so nett ;) Das so hinzubekommen, dass am Ende keiner beleidigt ist, ist wahrscheinlich eine Kunst.

Ich hoffe, du kannst aus meinem Text für dich etwas mitnehmen.

Liebe Grüße,
DieNeue
MySun
Beiträge: 632
Registriert: 4. Jul 2022, 09:45

Re: Ich werde nur noch als "kranker Mensch" gesehen. Eine Zustandsbeschreibung.

Beitrag von MySun »

Lieber Christopher,

deine Zustandsbeschreibung hat mich sehr berührt.
Dein ausführlicher und sensibel verfasste Text hat mich sehr an meinen Mann und seine Erkrankung erinnert.

Auch du bist nicht deine Krankheit. Du bist Christopher.

Du leidest an einer psychischen Erkrankung, die schwer zu verstehen ist. Auch Freunde, Angehörige, Kollegen u. a., wissen meistens gar nichts über die Erkrankung, und dennoch wollen sie dir helfen. Die Hilfsangebote sind leider nur selten wirklich hilfreich.
Ihre eigene Bedürftigkeit helfen zu wollen, wird dadurch lediglich zum Ausdruck gebracht.

Dein Text hat mich so stark berührt, weil er mich sehr an an das Leben und Leiden meines Mannes erinnert hat.
Und ich möchte dir eines freundschaftlich ans Herz legen:
Gib die Suche nach der Ursache deines Leids nicht auf. Befrage dein Herz, deine Seele, dein Innerstes Sein.

Die vielen Erlebnisse, auch die Erkrankung in deinem Leben, haben dich zu dem Christopher werden lassen, der du heute bist.
Geh weiter auf deinem Lebensweg und dafür wünsche dir viel Kraft und Herzensstärke

Alles Liebe
MySun
"Viele Menschen sind zwar am Leben, berühren aber nicht das Wunder, am Leben zu sein.“-ThichNhatHanh-

Von Herzen
MySun
Tromblon
Beiträge: 1
Registriert: 13. Sep 2023, 14:42

Re: Ich werde nur noch als "kranker Mensch" gesehen. Eine Zustandsbeschreibung.

Beitrag von Tromblon »

Hallo Christopher

Sehr erinnert mich deine Beschreibung deines Erlebens an mein eigenes.

Seit meinem zehnten Lebensjahr bin ich, immer wieder, von Depressionen betroffen. Ich bin nun 61. Zu der Zeit damals sprach niemand von Depression. Das Kind hatte halt Angst und weinte nachts im Bett. So blieb ich in der fünften Klasse für sieben Monate von der Schule Zuhause. In dieser Zeit sind wir umgezogen und ich ging in eine andere Schule. Von da an war ich in der Schule immer der Primus, was sich im Berufsleben fortsetzte.
Alkoholismus, Gewalt, ständig neue Wohnorte und viel Krankheit der Eltern waren die Begleiter. Sowie der frühe Tod der Mutter. Und Verantwortung ohne Ende für mich dem ältesten Sohn.

Aus irgendeinem Grund wurde mir die Fähigkeit gegeben immer ein riesen Interesse an den Dingen zu entwickeln die ich gerade machte. Was immer wieder zu Erschöpfungen führte und letztendlich immer wieder zu entsetzlichen Depressionen. Und immer wieder aufstehen, sich nicht niedermachen lassen. Wieder Interesse finden und neu starten. Das Glück haben eine wunderbare Frau zu finden, zu heiraten.

Auch als ich 1986 die erste wirklich schwere Depression erlebte wurde sie nicht als solche erkannt und Neuroleptika waren das Mittel der Wahl um mir die Hölle zu bereiten. Nachdem Freunde mit halfen könnte ich wieder Fuss fassen. Weitermachen. Über Jahre hinweg immer mit der Angst das wieder erleben zu müssen.

So waren dann die Schritte ganz klein und Gott sei Dank mein Beruf und meine Frau da. So konnte ich wieder aktiv werden. Aber die Depression meldete sich 1991 zurück. Aber diesmal war der Arzt glaubhaft in der Lage mit zu schildern das es eine Depression ist. Die Medikamente damals halfen mir.

Und wieder ging der Aufbau los. Ich engagierte mich in Ruhe Jugendarbeit, im Beruf usw. Und immer das Damoklesschwert der Depression über mir. Wann schlägt es wieder zu. Kurze schwierige Phasen waren immer da.

1998 nach einer längeren Zeit mit somatischen Problemen kann der nächste Hammer. Mehrere Monate Krankenhaus und danach dass erste Mal mehr Befreiung durch SSRI und Lithium. Die Ängste haben mich immer eingeschränkt aber ich könnte aufleben und im Beruf sehr viel erreichen. Meine Freunde die ich in der ersten schweren Phase gewann waren immer noch da und sind es auch heute noch. Der Anspruch den ich an mich hatte war immer riesig. Alles nur kein Durchschnitt.

So ungefähr 2010 merkte ich dass in der Mitte meines Körpers ein Gefühl entstand das mit immer mehr mitteilte dass meine Kraft nicht mehr ausreichen würde für meinen Anspruch an mich selbst.

Meine berufliche Situation hat sich durch neue Besitzer des Unternehmens auch noch zum schlechteren verändert. So kamen dann die Phasen in kürzeren Abständen. 2015, 2019 und letztendlich 2022. Meine Ärztin sagte mir dann wir sollten eine andere Lösung suchen und ich sollte die Erwerbsminderungsrente in Betracht ziehen.

Zuerst war dies eine Erleichterung. Körperliche Reaktionen haben sich wieder etwas stabilisiert. Aber es ist und war eine harte Zeit. Tatsächlich geht es mir so dass ich mich völlig entkräftet fühle wenn ich etwas starten soll. Der Vergleich zu meinen eigenen Leistungszeiten ist dabei überhaupt nicht hilfreich. Das, für was soll ich etwas tun, war mir immer gut gelungen. Das geht nicht mehr, es hat dann den Anschein als belüge ich mich selbst. Sich versuchen zu überzeugen funktioniert nicht. Machen funktioniert, ohne Vorfreude, dafür nicht selten mit einem schönen Erlebnis.

Angst zu versagen, Herzrhythmusstörungen zu bekommen wenn man etwas abmacht. Der angstvolle Blick in sich selbst verhasste Begleiter der Situation. Der Wunsch an morgen es würde dunkel bleiben, für immer. Dann doch aufstehen, aufs Rad. Am Morgen seine Frau wahrnehmen. Den Satz anderer die mir sagen, für deine Frau ist es besser dich so zu haben als hat nicht mehr. Und sie haben Recht dass weiß ich, schuldig nicht mehr Freude zu bringen, fühle ich mich trotzdem sehr.

Ich weiß auch wenn meine Kreativität hin und wieder durch scheint gibt es auch gute Momente. Die Abende sind zumeist gut.
Der Wunsch das ganz langsam die Sonne der Zuversicht wieder aufgeht begleitet mich. Vielleicht darf das sein. Ich weiß dass im mich herum wirklich alles gut ist.

Ich habe in meinem Leben einige Menschen kennen gelernt die ebenso sehr lange Wegstrecken haben. Und ich weiß auch dass, wenn man mein Leben von außen betrachtet dies durchaus besser erscheinen kann als ich es empfinde.

Ich wünsche jedem von euch der dies ähnlich erlebt ungeheuer viel Kraft und die Fähigkeit die guten Momente zu speichern.
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