Umfrage nach Erfahrungen

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Ivz
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Registriert: 11. Mär 2024, 16:48

Umfrage nach Erfahrungen

Beitrag von Ivz »

Hallo meine lieben Mitleidensgenossen,

ich wollte aus Neugier und Interesse mal eine Fragerunde ohne Hintergedanken starten;
:arrow: Wie oft hattet ihr eine depressive Episode?
:arrow: Wie lange hat diese angedauert?
:arrow: Gab es jedes Mal einen Auslöser?
:arrow: Wann wusstet ihr jetzt geht's wieder bergauf?
:arrow: Wie geht es euch nach durchgestandener Episode?

Zu mir: ich hatte meine erste mit 25, danach folgten nach laaaanger 10 jähriger Ruhe in kurzen Abstand zwei weitere Episoden. Die erste hat 1 Jahr angedauert. Die zweite ein halbes und die 3. ein bisschen mehr als 7 Monate.
Auslöser gab es meiner Meinung schon ganz klar:
Bei der ersten mein komplett unselbstständiges Leben ohne Ziel vor Augen. Mein ganzes Leben habe ich danach umgekrempelt.
Die 2. aufgrund des Stresses in der Uni mit Examen, inkl. corona…
Die 3. aufgrund Startschwierigkeiten auf der Arbeit und extrem Mobbing vom Ex Chef.
Ich habe das Gefühl, dass nach jeder durchgestandenen Episode ich mich schon unsicher fühle was Anzeichen angeht. Ich bin sehr vorsichtig geworden, höre mehr auf meinen Bauch. Habe aber das Gefühl manchmal mich selbst abzubremsen und zu ängstlich geworden zu sein…
Ansonsten schätze ich jedes Mal mein Leben doch sehr, wenn der dunkle Tunnel wieder allmählich schwindet…


Würde mich freuen von Euch und euren Erfahrungen zu lesen

Liebe Grüße :hello:
AlexandreCharles
Beiträge: 61
Registriert: 17. Jun 2024, 06:11
Wohnort: Emmendingen

Re: Umfrage nach Erfahrungen

Beitrag von AlexandreCharles »

Guten Morgen Ivz,

dann muss ich erst mal meinen letzten Entlassbrief holen, leider kann ich mir Datumsangaben sehr schlecht merken.
:!: Wie oft? Das steht im Entlassbrief, da ich jedes Mal in die Klinik musste:
01/15-05/15, 06/16-08/16, 07/19-10/19, 10/22-06/23 und zuletzt 10/23-05/24
:!: Wie lange die Depression vor Klinikaufenthalt jeweils war kann ich nicht mehr sagen - ich schätze da kommen jeweils 2 Monate noch hinzu.
:!: Von konkreten Auslösern möchte ich eigentlich gar nicht wirklich berichten, da die Depression eigentlich immer da ist. Aber klar gab es auch Mal zusätzliche verstärkende Begleiterscheinigungen:
2015 = 2 Jahre Elternzeit, Stress mit drei Kindern alleine zu Hause, dann Wiedereinstieg in den Beruf
2016 = früh musste ich meine Schwester im Alter von 35 Jahren gehen lassen, ich habe sie teilweise ambulant gepflegt
Danach war sicherlich die unschöne Partnerschaft (Ehe) wenig hilfreich, es gipfelte in der Scheidung und einer Reaktion von mir, von der ich hier nicht schreiben soll (Gefahr der Nachahmung - vielleicht verstehst du es auch so).
:!: Ich selber konnte eigentlich nie genau spüren wann es bergauf ging. In depressiven Episoden bin ich absolut hilflos, ohne fachliche Begleitung geht gar nichts.
:!: Heute geht es mir gut - meine Ärzte und Therapeuten meinen regelmäßig zu gut. Ich bin 06/2024 nach der Scheidung umgezogen in eine neue Stadt, habe meine Pension als Beamter fallen lassen und arbeite als Pfleger bei einem mobilen Pflegedienst, habe seit kurzem einen Hund der auf mich aufpasst (viel Bewegung!) und ich suche bewusst soziale Kontakte, obwohl ich jedesmal merke wie schwer ich in Gruppen zurecht komme. Aber erstens soll ich das, zweitens ist es manchmal auch für einen guten Zweck - z.B. fellowsride.com (einfach mal dort kurz schauen, es geht um Motorrad fahren und auf Depression aufmerksam machen, ich finde die Idee genial).

Der völlig neue Beruf bringt mir unheimlich viel. Es ist für mich keine Arbeit, sondern eine Berufung. Wobei ich derzeit erst Mal 30% arbeite - aber ich plane meine Ausbildung zum Pflegefachmann mit Bachelorabschluss und bin zuversichtlich, das zu schaffen. Ich hatte bereits vor Jahren eine Umschulung im alten Beruf, die einwandfrei funktionierte, erst nach gelungenem Abschluss habe ich die Verantwortung nicht verkraftet und bin daran krank geworden (ich hatte einen Job, der in meinen Augen überhaupt keinen Sinn machte).

Und dann suche ich meine innere Ruhe über Dharma, die Lehre des Buddha. Ich möchte mich nicht als Buddhist bezeichnen, dafür fehlt mir noch die Erfahrung. Aber ich suche die Erkenntnis, Erklärungen... und finde für mich passende Antworten: das Leben ist Leid, schon die Geburt ist Leiden, Krankheiten sind Leiden, Altern ist Leiden, alles endet mit dem Tod. Ich könnte jetzt lange über die vier edlen Wahrheiten schreiben - aber sucht doch selber danach, wenn es euch interessieren sollte. Die Erkenntnis des Leids führt zu den zentralen Bestandteilen der buddhistischen Ethik: liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude, Gleichmut. Am Ende steht das Nirvana, der Ausbruch aus dem ewigen Kreislauf, erreichbar durch gutes Karma. Dinge zu akzeptieren wie sie sind, Gefühle spüren und annehmen, freundlich miteinander umgehen, sich unterstützen... das alles macht für mich Sinn, endlich habe ich nach langer Suche meinen ganz persönlichen Weg gefunden.

Ich habe jedenfalls gelernt meine Erkrankung anzunehmen. Irgendwo habe ich durch meine Klinikaufenthalte viel gelernt, was ich niemals sonst erfahren hätte. Der Austausch mit den Patienten war unglaublich wertvoll, ich gehe auch heute noch regelmäßig auf die Station meiner letzten Klinik und besuche die Menschen dort (ich wohne jetzt weniger hundert Meter entfernt).

Ich schreibe hier jetzt nicht im Detail was ich noch so gemacht habe, da sowohl meine Psychiaterin, meine Therapeutin als auch die Pfleger aus der Klinik nur mit dem Kopf schütteln und sich fragen ob das gut geht - und ich weiß es ja selber noch nicht, da fehlt die Langzeiterfahrung. Aber Fakt ist: heute geht es mir gut, ich komme mit meiner Erkrankung zurecht und lebe damit, achte darauf Auszeiten zu nehmen (z.B. mindestens eine Stunde pro Spaziergang mit Hund) und mache mir selber keine Sorgen über mögliche Konsequenzen, da ich für mich lerne auf mein Herz zu hören und nur noch Dinge mache, die mir gut tun. Mir ist aber auch klar das dieser Weg ein absolutes Privileg ist, den wer hat z.B. eine Beamtenpension, die den finanziellen Ausgleich schafft und zusätzlich zum Gehalt gezahlt wird (das ändert sich zwar noch, wenn ich mehr arbeite - aber jetzt gerade erlebe ich den Luxus der Beamtenversorgung). Und ich empfinde unendliche Dankbarkeit für meine Situation.

Ich könnte jetzt noch seeehr viel schreiben, vor allem über Dharma und Buddha, aber ich weiß nicht ob es jemand lesen will. Es passt ja auch nur auf mich, welchen Weg andere gehen müssen kann ich nicht sagen. Es gibt für jeden einen Weg, der zum Glück führt - aber es kann unheimlich beschwerlich sein, den Weg zu finden. Wir lassen uns oft vom Kopf und der Vernunft lenken, geprägt durch unsere westliche Gesellschaft. Wir begegnen überall Ängsten (was passiert wenn - ja wer soll das schon vorher wissen? Es muss halt ausprobiert werden). Und materieller Reichtum ist ein Kernpunkt in Europa - ob darin Glück zu finden ist finde ich aber fraglich, da wir am Ende nichts mitnehmen werden.

Ich hoffe, meine Ausführungen waren nicht zu lang oder zu absurd. Wie gesagt: mein Weg, mein Leben - meine Geschichte. Und jetzt ist es 4h30 (ja, Schlaf finde ich bisher immer noch kaum), und mein vierbeiniger Therapeut Strolchi erinnert mich daran das es Zeit wird raus zu gehen. Daher lasse ich es jetzt dabei und bin gespannt auf eventuelle Reaktionen - auf Nachfrage kann ich gerne mehr schreiben.

Zum Abschied noch ein herzliches Namasté (Namasté steht für die Überzeugung, dass sich in jedem Menschen etwas Höheres befindet – und zwar im Herzen)
Alex
Ich bin zu alt um jung zu sterben.
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