Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

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LottisLeben
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Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von LottisLeben »

Ihr Lieben,

so viel hab ich schon von euch gelesen, oft ward ihr mir eine unbewusste Stütze in dunklen Zeiten. Nun habe ich das Bedürfnis, selbst zu schreiben, denn ich frage mich so langsam, wie man leben soll…mit einem so kranken Menschen an seiner Seite.

Mein Partner und ich sind beide knapp über 30 Jahre alt und seit über 12 Jahren in einer Beziehung.
Depressiv ist er schon mindestens seit 10 Jahren.

Was man ihm zugute halten muss:
Er hat alles versucht bzw. versucht alles.
Mehrfache Stationäre Therapie, Tagesklinik (private Klinik, staatliche Klinik…), Psychotherapie, 18 verschiedene Antidepressiva, Lithium (musste er absetzen wegen sinkenden Nierenwerten usw.), täglich Kraftsport, Cannabis Therapie, Ausdauersport, Akupunktur, Ketamin und und und…

Er ist hochintelligent (die Ärzt:innen meinen, das würde die Sache nicht besser machen), macht mühelos aber mit langen Phasen des Nichts-Tuns seinen Doktor und arbeitet nebenher stundenweise. Gottseidank haben seine Großeltern Geld wie Heu und finanzieren ihn teilweise mit.

Seit 2021 lautet die Diagnose: Chronische, therapieresistente Major Depression
Es schlagen keine Antidepressiva mehr an und auch Neuroleptika (?) bzw. kombinierte Medikationen zeigen keine Wirkung nach jeweils 3-4 Monaten Einnahme. Seine Neurologin und Psychiaterin hat ihn an eine Universitätsklinik im Norden weitergeleitet, da sie „überfragt“ ist.

Drei Pychotherapeut:innen lehnten ihn nach wenigen Sitzungen ab (!), da sie der Meinung sind, seine Krankheit ist rein körperlich und er müsste sich durch Psychotherapie keine Hilfe erhoffen.

Er nimmt zwar momentan zwei hochdosierte Antidepressiva ein, diese zeigen jedoch keinerlei Wirkung. Mein Eindruck ist, dass er momentan so ist, wie er auch ohne Medikation wäre.

Ich habe vor einigen Wochen zwei Suizidversuche abgewendet und sämtliche Tavor Tabletten versteckt, die seine Neurologin ihm verschreibt, die jedoch in ihm Suizidgedanken auslösen. Ich schreibe das recht nüchtern, bin aber seitdem wieder auf der Warteliste einer Therapeutin, weil ich mich kaum davon erholen kann…

Im Oktober stehen eine weitere Ketamin Behandlung und zum ersten Mal EKT an. Auf diese Behandlungen warten wir seit über sechs Monaten und so wirklich optimistisch bin ich weiterhin nicht, dass diese Uniklinik sich an Absprachen hält….haben bisher lediglich sehr schlechte Erfahrungen gemacht und unter einer bodenlosen Kommunikation der Psychiatrien sehr gelitten.
Ich sehe dennoch darin, die letzte Hoffnung und weiß gleichzeitig nicht, wie wir die Zeit bis dahin schaffen sollen. Natürlich bieten die Ärzt:innen regelmäßig an, dass er stationär kommen kann, auf die Frage, ob die benannten Therapien dort schneller stattfinden können, haben wir ein „Nein“ zu hören bekommen.

Wir leben in einem 20-Mann Dorf, haben guten Anschluss zu meiner und besonders seiner Familie, haben einen Hund und zwei Katzen, Hühner, Ziegen und Pferde. Ich bin Grundschullehrerin und das mit ganzem Herzen.

Seit 6 Monaten bin ich zum ersten Mal an dem Punkt, dass ich nicht mehr kann. Ein Wunder, dass dieser Punkt erst so spät erreicht ist, aber ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich bin hoffnungslos, wütend, verängstigt und traurig.
Ich habe jeden Tag das Gefühl:
Ich tue mir selbst so leid.
Ich habe so großes Mitleid mit mir selbst…

Ich denke oft an eine Freundin, die verstarb und die zu mir sagte „Lebe ein Leben, das ich dir wünschen würde“ und täglich wird mir bewusst, das tue ich nicht. Sie würde im Himmel weinen, wenn sie sehen würde, in welcher Hölle ich mich befinde…Ich will das Leid meines Partners nicht schmälern: Ich denke, mein Leid ist weit davon entfernt, wie es ihm wohl geht und dennoch habe ich großes Mitgefühl mit mir und meiner Situation.

Er sieht das mit meinem Leiden jedoch gar nicht so. Er sagt immer, ich würde ja gar nicht unter seiner Krankheit leiden, ich würde doch tun was ich wolle (reiten, Chor, Arbeit…) und er sieht nicht, dass ich mich wegen ihm einschränke. Das ist so falsch, das ich keine Worte dafür habe. Spontanbesuche von Reiterfreundinnen und Kolleg:innen sind unmöglich, da er potenziell aggressiv, depressiv oder furchtbar zynisch ist. Ich versuche ständig früh zuhause zu sein, weil ich konsequent Angst habe, dass er sich etwas antut. Ich manage die Tiere großteils alleine, weil er an den meisten Tagen keine Kraft und Geduld dafür hat. Ich bekomme nur zynische und depressive WhatsApp Nachrichten in meinem eigentlich schönen Alltag, ich halte ihn für sozial völlig inkompatibel mit seiner und meiner Familie und schäme mich die meiste Zeit für seine phlegmatische, lethargische, dann wieder streitlustige und aggressive Art. Ich bin mir vollends darüber im Klaren, dass die Krankheit das aus ihm macht, aber das ist meine Realität. Ich gehe allein zu Hochzeiten und Geburtstagen, alleine zu Firmenfeiern und alleine in den Stall zur Weihnachtsfeier. Freundinnen von mir kennen ihn kaum, weil er auch nur bestimmte Menschen mag…gepflegt müssen sie sein, intelligent, lustig…und bitte nicht so glücklich…

Wir wollen im Dezember heiraten…Ich traue mich nicht mal, ein Kleid zu kaufen, die Sängerin zu buchen…Ich sehe meinen wirklich starken Kinderwunsch schwinden & versuche mich jeden Tag zu fragen, was für ein Leben das ist…Ich beneide meine Freundinnen für Ihre lebensfrohen, unkomplizierten und souveränen Partner. Ich beneide jeden von euch, der normal Urlaub machen kann, gemeinsam zu Abend isst, ins Kino geht, das Leben lebt…

Wenn es ihm gut geht, momentan ist das jedoch wirklich nur minutenweise und nach Einnahme von ihm verschriebenen Substanzen der Fall, dann ist das der Mensch, den ich liebe: Sehr lustig, intelligent, wissbegierig, lustig, fürsorglich, humorvoll, emphatisch, unterstützend, politisch und emphatisch.

Ich frage mich, wie groß die Chancen sind, dass ich ein Leben mit ihm führen kann, wie ich es mir wünsche…er hat natürlich kaum Wünsche, Vorstellungen, Zukunftspläne. Gibt es überhaupt noch eine Chance, glücklich zu werden? Für jeden von uns?

Ich fühle mich oft, als hätte ich ein Kind im Schlepptau…wenn es in der Stadt keinen Parkplatz gibt, kriegt er einen Nervenzusammenbruch,….wenn es ihm schlecht geht und der Hund schüttelt sich & es liegen Haare auf dem Boden, gibt es die nächste Krise…mein Pferd verletzt sich schwer, aber ich kann nicht weg wegen Suizidgefahr & muss ihn beaufsichtigen…., ständig redet er nur von sich, seinem schwindenden Lebenswillen, Drogen/Forschungen, die ihm helfen könnten…., ich werde zur stellvertretenden Schulleitung gemacht, er kriegt es nicht einmal mit….ich gehe Hochzeitskleid kaufen voller Vorfreude und er sagt nur, dass Kleider nichts für meine Figur tun….ich sitze daheim, korrigiere, er kommt heim, ist entweder schläfrig oder aggressiv….je nachdem verläuft mein Tag.

Geht es jemandem von euch auch so? 🥺 Fühle mich so alleine!! Tausend sonnige Grüße, eure Lotti
Helgaline
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Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Helgaline »

Liebe Lotti,

Wahnsinn, dass muss ich erstmal sacken lassen. Das ist eine sehr schlimme Situation...

Fühl dich von mir vorerst gedrückt 😶‍🌫️LG Ellen
DAS LEBEN IST SCHÖN, VON EINFACH WAR NIE DIE REDE! :?
LottisLeben
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Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von LottisLeben »

Helgaline hat geschrieben: 3. Jul 2024, 21:14 Liebe Lotti,

Wahnsinn, dass muss ich erstmal sacken lassen. Das ist eine sehr schlimme Situation...

Fühl dich von mir vorerst gedrückt 😶‍🌫️LG Ellen
Das ist irgendwie heilsam für mich zu lesen. Danke für dein Mitgefühl 💐 ☀️ Dadurch, dass eigentlich niemand von meiner Situation weiß, höre ich das selten. Danke liebe Ellen!
Jojo122
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Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Jojo122 »

Hallo Lotti,

ich schließe mich Ellen an. Ich weiß nicht so wirklich, wie ich dir helfen kann aber möchte dennoch mein Mitgefühl ausdrücken. Wenn wir "im echten Leben" befreundet wären würde ich dich ganz fest umarmen und einfach festhalten.
Helgaline
Beiträge: 109
Registriert: 25. Mär 2021, 12:47

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Helgaline »

Liebe Lotti, :hello:

viele dieser Verhaltensweisen kenne ich von meinem Partner. Sie tun weh.
Er hatte vor meiner Beziehung (6 Jahre) 2 Selbstmordversuche.

Ich war auch schon in der Phase, dass ich mir sehr leidgetan habe und keine Hoffnung auf Besserung in Sicht war, da er keine Krankheitseinsicht hatte. Dies scheint sich aber Gott sei Dank gerade zu ändern. Ich war/bin auf der Hut, denn den „bis-jetzt“-Zustand würde ich nicht weiter mittragen.
Ich gehe davon aus, dass er kürzlich von seiner Psychiaterin eine Diagnose mittelgradige bis schwere Depression mitgeteilt bekommen hat. Darüber redet er aber nicht.

Ziemlich sicher stand ich da kurz davor, co-depressiv zu werden. Habe viel geweint und mich auch von ihm distanziert. Konnte es schwer ertragen, seine permanent negative Aura zu sehen.
Soviel zu mir.

Ich habe tatsächlich noch ein paar Fragen:
  • In wieweit unterstützt dich seine und deine Familie?
    Sind sie vollumfänglich über deinen und seinen Zustand informiert?
    Sprecht ihr über seine Erkrankung?
    Was spricht dagegen, dass er bis zu Beginn der Therapie in stationäre Behandlung geht? Es würde ihm sicher helfen, aber vor allem dir, damit du dich erholen kannst.
    Hast du dich selbst um eine Therapie für dich bemüht? (Wenn nicht, rate ich dir dringend dazu!)
    Gibt es eine Selbsthilfegruppe bei dir in der Nähe? Da könntest du dich mit anderen Angehörigen austauschen.
    Hattest du schon Kontakt zum Sozialpsychiatrischen Dienst? Sie helfen auch Angehörigen.
    Hast du dir das gut überlegt, in einer solchen Situation zu heiraten?
Ich habe das jetzt erstmal so runter geschrieben. Sicher fällt anderen Angehörigen noch etwas dazu ein.
Wieder einmal bedauere ich es sehr, dass fast NICHTS für uns Angehörige getan wird. Es ist unfassbar, zumal ja ganz klar ist, dass nicht nur die Betroffenen unser dieser Krankheit leiden. Da muss aber sowas von nachgelegt werden.

Alles Liebe, du bist nicht alleine! Ellen 🤗
DAS LEBEN IST SCHÖN, VON EINFACH WAR NIE DIE REDE! :?
Eva-Ria
Beiträge: 5
Registriert: 4. Jul 2024, 09:19

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Eva-Ria »

Liebe Lotti,
danke für deinen Beitrag, der mich sehr berührt. Mir geht es in vielerlei Hinsicht so wie dir.
Mein chronisch depressiver Mann und ich haben vor bald fünf Jahren geheiratet (trotz allem) und inzwischen einen zweijährigen Sohn. Ich bin Ende 20, er ist Mitte 30. Zusammen sind wir nun knapp neun Jahre.
Auch er hat diverse Klinikaufenthalte, Psychotherapie und verschiedene Antidepressiva hinter sich. – Aber lange nicht die unglaubliche Menge an Versuchen, wie das bei deinem Partner der Fall ist! Denn mein Mann will überhaupt nicht zur Therapie und noch weniger will er Medikamente nehmen. Ich bin „schuld“, dass er überhaupt in Behandlung gegangen ist und er findet es nach wie vor sinnlos und blöd.
Seine Diagnose lautet einfach „nur“ Depression und diverse Angststörungen kommen noch dazu vor allem eine große Angst vor finanzieller Unsicherheit plagt ihn.
Mein Gott, das mit den Suizidversuchen ist ja wirklich schrecklich! Mein Mann denkt über sowas nach, sagt aber dann immer, das er letztendlich zu feige dazu wäre. Du tust mir leid, das muss so grausam sein!
Und ja, besonders intelligent zu sein, ist nicht unbedingt zuträglich, wenn man depressiv ist…
Schlechte Erfahrungen mit Psychiatrien kennen wir ja auch, aber was du schilderst ist wirklich bodenlos – so verlassen und einsam lassen sie einen stehen.
Auch ich bin nach all der Zeit zum ersten mal an dem Punkt, dass ich mich frage, wie und ob ich das noch aushalten kann und bade in Selbstmitleid. Ich studiere und kümmere mich um unser Kind, mein Mann geht arbeiten und leidet sowohl dort als auch zu Hause bei uns, weil er sich von niemandem ernst genommen und unterstützt fühlt – auch nicht von mir. Dieser Vorwurf wird in den letzten Monaten immer häufiger und tut mir sehr weh. Auch ich gehe alleine auf Hochzeiten, ja. Allerdings verhält mein Mann sich immer ein bisschen angenehmer, wenn Besuch da ist, als würde er sich da mehr Mühe geben, den Schein zu wahren… Bei mir ist es dann eher so, das Freunde gar nicht glauben können, das er mit mir alleine so anders ist. Nach so einem Besuch sagt er dann aber meistens, das ihm das jetzt gar nicht getaugt hat.
Oh Gott, mir haben damals verschiedene Therapeut*innen gesagt: Heiraten Sie keinen so depressiven Menschen! Aber ich wollte ihn retten und hab ihn geheiratet und jetzt sind wir am Ende ich denke jeden Tag über eine Trennung nach und wenn unser Sohn nicht wäre, dann wäre ich vielleicht schon weg… Du kannst niemanden retten, das hab ich wirklich gelernt. Am Ende ist die Gefahr, mit hineinzurutschen in das ganze Schlamassel viel zu groß. Ich glaube, ich würde ihn nicht mehr heiraten, so schmerzhaft es ist, das zuzugeben ☹ Niemandem von uns ist geholfen. Er sieht mich als Teil der feindlichen Welt, alle sind gegen ihn. Deinen Neid auf deine Freundinnen verstehe ich so gut! Ich könnte manchmal echt heulen, wenn ich meinen glücklichen Schwager mit Frau und Kind sehe. Ich fange sogar an, mich in andere Männer zu verlieben, obwohl ich natürlich weiß, das mein Hirn mir das in der ausweglosen Situation wahrscheinlich nur vorgaukelt.
Und ja! Ein Kind im Schlepptau, genau so! Jede Kleinigkeit führt zur Krise, alle Verantwortung wird auf mich abgewälzt…
Arme Lotti, es tut mir so Leid, was du durchmachst! Die Diagnose deines Partners hört sich echt total erschütternd an. Jetzt habe ich schon fast aufgegeben und mein Mann hat nur eine normale chronische Depression…
Seit unser Kind auf der Welt ist, ist übrigens alles schlimmer geworden, es ist einfach zu viel für ihn. Ein Jahr lang war ich erstmal sehr aufs Kind fokussiert, einfach durch die körperliche Erschöpfung, das Stillen und den brutalen Schlafentzug. Das hat zu einer regelrechten Eifersucht bei ihm geführt. Und bis heute fühlt er sich total zurückgesetzt. Wenn er auf unseren Sohn aufpassen muss, dass ich an die Uni kann, setzt er den Kleinen oft vor den Fernseher, statt ein Buch mit ihm anzuschauen oder mit ihm rauszugehen, richtig ernähren tut er ihn auch nicht. Die Verantwortung scheint einfach zu groß für ihn zu sein und alles in allem macht ihn das total fertig. Ich verstehe deine Kinderwunsch soooo gut! Und auch den Wunsch zu heiraten! Aber ich weiß nicht, ob du dein Glück so finden kannst. Ich konnte es nicht…
Eva-Ria
LottisLeben
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Registriert: 1. Jul 2024, 12:44

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von LottisLeben »

Jojo122 hat geschrieben: 3. Jul 2024, 23:21 Hallo Lotti,

ich schließe mich Ellen an. Ich weiß nicht so wirklich, wie ich dir helfen kann aber möchte dennoch mein Mitgefühl ausdrücken. Wenn wir "im echten Leben" befreundet wären würde ich dich ganz fest umarmen und einfach festhalten.
Danke für deine Empathie und dein Mitgefühl! Das tut gut zu lesen...! :)
LottisLeben
Beiträge: 5
Registriert: 1. Jul 2024, 12:44

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von LottisLeben »

Helgaline hat geschrieben: 4. Jul 2024, 09:02 Liebe Lotti, :hello:

viele dieser Verhaltensweisen kenne ich von meinem Partner. Sie tun weh.
Er hatte vor meiner Beziehung (6 Jahre) 2 Selbstmordversuche.

Ich war auch schon in der Phase, dass ich mir sehr leidgetan habe und keine Hoffnung auf Besserung in Sicht war, da er keine Krankheitseinsicht hatte. Dies scheint sich aber Gott sei Dank gerade zu ändern. Ich war/bin auf der Hut, denn den „bis-jetzt“-Zustand würde ich nicht weiter mittragen.
Ich gehe davon aus, dass er kürzlich von seiner Psychiaterin eine Diagnose mittelgradige bis schwere Depression mitgeteilt bekommen hat. Darüber redet er aber nicht.

Ziemlich sicher stand ich da kurz davor, co-depressiv zu werden. Habe viel geweint und mich auch von ihm distanziert. Konnte es schwer ertragen, seine permanent negative Aura zu sehen.
Soviel zu mir.

Ich habe tatsächlich noch ein paar Fragen:
  • In wieweit unterstützt dich seine und deine Familie?
    Sind sie vollumfänglich über deinen und seinen Zustand informiert?
    Sprecht ihr über seine Erkrankung?
    Was spricht dagegen, dass er bis zu Beginn der Therapie in stationäre Behandlung geht? Es würde ihm sicher helfen, aber vor allem dir, damit du dich erholen kannst.
    Hast du dich selbst um eine Therapie für dich bemüht? (Wenn nicht, rate ich dir dringend dazu!)
    Gibt es eine Selbsthilfegruppe bei dir in der Nähe? Da könntest du dich mit anderen Angehörigen austauschen.
    Hattest du schon Kontakt zum Sozialpsychiatrischen Dienst? Sie helfen auch Angehörigen.
    Hast du dir das gut überlegt, in einer solchen Situation zu heiraten?
Ich habe das jetzt erstmal so runter geschrieben. Sicher fällt anderen Angehörigen noch etwas dazu ein.
Wieder einmal bedauere ich es sehr, dass fast NICHTS für uns Angehörige getan wird. Es ist unfassbar, zumal ja ganz klar ist, dass nicht nur die Betroffenen unser dieser Krankheit leiden. Da muss aber sowas von nachgelegt werden.

Alles Liebe, du bist nicht alleine! Ellen 🤗
Danke liebe Ellen, dass du dir Gedanken zu meiner Situation machst und auch deine Situation schilderst. Ich habe viel von deiner Situation gelesen und denke ehrlich, dass eine Krankheitseinsicht ein wirklich großer Schritt in Richtung Besserung - auch für dich - ist. Vor allem, wenn dein Partner eine so gravierende Depression hat, ist es für mich unvorstellbar, wie er es so lange "leugnen" konnte...auch ohne die Krankheit zu benennen, muss sie ja im Alltag sehr deutlich geworden sein. Ich glaube, dir gelingt es etwas besser als mir, dich zu distanzieren, habe ich das richtig im Kopf?

Seine Familie unterstützt uns sehr emotional, laden uns oft zum Essen ein, verbringen Kurztrips und auch lange Urlaube mit uns, wobei uns das manchmal sogar unrecht ist. Er hat noch einige Brüder und Schwestern und wir (vor allem ich) haben oft das Gefühl, dass wir im Mittelpunkt stehen mit unserer Situation. Ich wünschte so sehr, wir wären einfach ein normales Paar, aber nein,...alles ist immer von seiner Krankheit abhängig. Seine Geschwister plus deren Partner sind super empathisch, aber auch bei denen merke ich so langsam, dass sie sich wünschen würden, dass ein Urlaub nicht immer von seiner Krankheit abhängig ist. Meine Familie unterstützt finanziell stark, ist sehr hilfsbereit bei alltäglichen Aufgaben (Garten, Tiere, Einkaufen, usw.), es ist ihnen jedoch mittlerweile anzumerken (vor allem meinem Vater), dass er sich mein Leben so nicht vorgestellt hat.

Über die Suizidversuche haben wir mit beiden Familien nicht vollumfänglich gesprochen, da seine Psychotherapeutin davon abgeraten hat. In beiden Familien gab es bereits Suizide und der Trigger wäre zu groß.

Wir sprechen sehr offen über alles. Es gibt keine Geheimnisse, wir sind ein gutes Team - eigentlich...wir gehen in Paartherapie, die uns beiden gefällt, aber selbst die Therapeutin ist der Meinung, dass diese Krankheit so stark körperlicher Natur ist, dass Gespräche, Tipps usw. in akuten Phasen nichts bringen, da er es nicht anwenden kann.

Mittlerweile glaube ich auch, dass ein stationärer Aufenthalt vor allem mich entlasten würde. Ich habe jedoch nach jedem stationären Aufenthalt das Gefühl, dass es ihm danach schlechter geht als vorher. Ich weiß nicht, wie ihr das erlebt bzw. wie eure stationären Psychiatrien sind, aber wenn ich auf Besuch war, dachte ich jedes Mal: Also hier kann man ja nicht gesund werden.

Auch die Stationsärzt:innen betonen, dass weder Behandlungen schneller erfolgen können, noch dass sie bei ihm Erfolge sehen im stationären Setting. Zudem bedeutet ein stationärer Aufenthalt auch immer eine lange Krankmeldung bei der Arbeit und große Probleme und Verzögerungen bei der Doktorarbeit...das ist das schwierige daran, wenn man so krank ist und dennoch einigermaßen "funktional" ist. Natürlich ist die Argumentation immer: Wenn man so lebensgefährlich krank ist, dann sind doch Arbeit und Doktorarbeit egal, gleichzeitig ist die Hoffnung ja da, dass er gesünder werden kann und dann wäre es doch eine große Ressource, einen Beruf zu haben und diese Doktorarbeit nicht in den Sand gesetzt zu haben...

Er wäre jederzeit bereit, stationär in eine Klinik zu gehen, jedoch nur mit einem EKT Therapie oder Esketamin Angebot. Mittlerweile überlege ich, ob wir als Selbstzahler eine private Klinik aufsuchen sollen, aber die Anzahlungen von 15.000 Euro lassen mich schlucken...

Ich bin selbst in Therapie (bei der Caritas, also keiner Psychotherapeutin, da ich keine finde), habe da aber (shame on me) noch nie über dieses Thema gesprochen. Ich werde das, das habe ich mir fest vorgenommen, nächste Woche endlich mal auf den Tisch bringen...

Und zu der Heirat...ich frage mich auch, in welcher Phase unseres verkorksten Lebens wir auf diese Idee kamen. Die Gründe sind schon auch recht pragmatisch: Finanzielle Sicherheit (vor allem für mich und den kleinen Hof) würde das mitbringen. Wir haben ein Haus gemeinsam gebaut, sind so lange zusammen, haben uns die Tiere geholt, irgendwann haben wir halt gedacht: Wenn alles so fix ist, dann können wir auch heiraten...hmm, ich denke nochmal über deine Frage nach.

Danke, dass du dich nach mir erkundigt hast und für die klugen Fragen, die mich nachdenken lassen...
LottisLeben
Beiträge: 5
Registriert: 1. Jul 2024, 12:44

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von LottisLeben »

Eva-Ria hat geschrieben: 4. Jul 2024, 12:04 Liebe Lotti,
danke für deinen Beitrag, der mich sehr berührt. Mir geht es in vielerlei Hinsicht so wie dir.
Mein chronisch depressiver Mann und ich haben vor bald fünf Jahren geheiratet (trotz allem) und inzwischen einen zweijährigen Sohn. Ich bin Ende 20, er ist Mitte 30. Zusammen sind wir nun knapp neun Jahre.
Auch er hat diverse Klinikaufenthalte, Psychotherapie und verschiedene Antidepressiva hinter sich. – Aber lange nicht die unglaubliche Menge an Versuchen, wie das bei deinem Partner der Fall ist! Denn mein Mann will überhaupt nicht zur Therapie und noch weniger will er Medikamente nehmen. Ich bin „schuld“, dass er überhaupt in Behandlung gegangen ist und er findet es nach wie vor sinnlos und blöd.
Seine Diagnose lautet einfach „nur“ Depression und diverse Angststörungen kommen noch dazu vor allem eine große Angst vor finanzieller Unsicherheit plagt ihn.
Mein Gott, das mit den Suizidversuchen ist ja wirklich schrecklich! Mein Mann denkt über sowas nach, sagt aber dann immer, das er letztendlich zu feige dazu wäre. Du tust mir leid, das muss so grausam sein!
Und ja, besonders intelligent zu sein, ist nicht unbedingt zuträglich, wenn man depressiv ist…
Schlechte Erfahrungen mit Psychiatrien kennen wir ja auch, aber was du schilderst ist wirklich bodenlos – so verlassen und einsam lassen sie einen stehen.
Auch ich bin nach all der Zeit zum ersten mal an dem Punkt, dass ich mich frage, wie und ob ich das noch aushalten kann und bade in Selbstmitleid. Ich studiere und kümmere mich um unser Kind, mein Mann geht arbeiten und leidet sowohl dort als auch zu Hause bei uns, weil er sich von niemandem ernst genommen und unterstützt fühlt – auch nicht von mir. Dieser Vorwurf wird in den letzten Monaten immer häufiger und tut mir sehr weh. Auch ich gehe alleine auf Hochzeiten, ja. Allerdings verhält mein Mann sich immer ein bisschen angenehmer, wenn Besuch da ist, als würde er sich da mehr Mühe geben, den Schein zu wahren… Bei mir ist es dann eher so, das Freunde gar nicht glauben können, das er mit mir alleine so anders ist. Nach so einem Besuch sagt er dann aber meistens, das ihm das jetzt gar nicht getaugt hat.
Oh Gott, mir haben damals verschiedene Therapeut*innen gesagt: Heiraten Sie keinen so depressiven Menschen! Aber ich wollte ihn retten und hab ihn geheiratet und jetzt sind wir am Ende ich denke jeden Tag über eine Trennung nach und wenn unser Sohn nicht wäre, dann wäre ich vielleicht schon weg… Du kannst niemanden retten, das hab ich wirklich gelernt. Am Ende ist die Gefahr, mit hineinzurutschen in das ganze Schlamassel viel zu groß. Ich glaube, ich würde ihn nicht mehr heiraten, so schmerzhaft es ist, das zuzugeben ☹ Niemandem von uns ist geholfen. Er sieht mich als Teil der feindlichen Welt, alle sind gegen ihn. Deinen Neid auf deine Freundinnen verstehe ich so gut! Ich könnte manchmal echt heulen, wenn ich meinen glücklichen Schwager mit Frau und Kind sehe. Ich fange sogar an, mich in andere Männer zu verlieben, obwohl ich natürlich weiß, das mein Hirn mir das in der ausweglosen Situation wahrscheinlich nur vorgaukelt.
Und ja! Ein Kind im Schlepptau, genau so! Jede Kleinigkeit führt zur Krise, alle Verantwortung wird auf mich abgewälzt…
Arme Lotti, es tut mir so Leid, was du durchmachst! Die Diagnose deines Partners hört sich echt total erschütternd an. Jetzt habe ich schon fast aufgegeben und mein Mann hat nur eine normale chronische Depression…
Seit unser Kind auf der Welt ist, ist übrigens alles schlimmer geworden, es ist einfach zu viel für ihn. Ein Jahr lang war ich erstmal sehr aufs Kind fokussiert, einfach durch die körperliche Erschöpfung, das Stillen und den brutalen Schlafentzug. Das hat zu einer regelrechten Eifersucht bei ihm geführt. Und bis heute fühlt er sich total zurückgesetzt. Wenn er auf unseren Sohn aufpassen muss, dass ich an die Uni kann, setzt er den Kleinen oft vor den Fernseher, statt ein Buch mit ihm anzuschauen oder mit ihm rauszugehen, richtig ernähren tut er ihn auch nicht. Die Verantwortung scheint einfach zu groß für ihn zu sein und alles in allem macht ihn das total fertig. Ich verstehe deine Kinderwunsch soooo gut! Und auch den Wunsch zu heiraten! Aber ich weiß nicht, ob du dein Glück so finden kannst. Ich konnte es nicht…
Eva-Ria
Liebe Eva- Ria,

danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir zu antworten und mir von deiner Situation zu berichten. Irgendwie tut mir das sehr gut zu lesen, weil ich mir oft so alleine vorkomme. Irgendwie sind unsere Situationen auch recht ähnlich in mancher Hinsicht, teilweise dann wieder sehr verschieden.

Ich habe großen Respekt, dass du neben dieser emotionalen Bürde und einer leider nicht sehr glücklichen Partnerschaft (wie soll es anders sein mit dieser Krankheit) ein Kind und ein Studium wuppst - wow, du bist wirklich eine Powerfrau.
Darf ich dich fragen, wie du das ganze Thema Kind erlebst mit einem depressiven Partner? Ich stelle mir schon allein das potenzielle Wochenbett schrecklich vor mit meinem Partner, da er sich ja hormonbedingt nicht so über dieses Kind freuen kann wie ich? Berufsbedingt habe ich natürlich auch noch hohe Ansprüche, wie das alles zu laufen hat mit einem Kind, die Erwartungen wird er nicht erfüllen können wegen Überforderung...oder wie ist das bei euch? Vermutlich aber ähnlich, wenn ich von der Situation mit dem Fernseher lese. Ich kann mir auch vorstellen, dass du dann aber nichts sagen alias "dich darüber beschweren" darfst, weil er Kritik vermutlich auch nicht gut abkann?

Ich wünschte mir so für dich und dein Kind, dass dein Partner alle potenziellen Chancen in Kauf nimmt, dass es ihm besser geht! Er hat nichts zu verlieren, außer Lebenszeit. Ich wünschte euch so, dass er noch mehr tun würde und noch mehr probieren würde, denn ich glaube daran, dass man mit einer gut behandelten Depression leben kann - vielleicht wäre bei ihm medikamentös, tatsächlich auch EKT oder Esketamin noch soooo viel möglich und es könnte endlich bergauf gehen. Was bräuchte er denn, dass er noch mehr tun würde?

Ich muss leider los und schicke meine Nachricht mal unfertig ab, aber das sind meine ersten Gedanken dazu :)
Helgaline
Beiträge: 109
Registriert: 25. Mär 2021, 12:47

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Helgaline »

Hallo liebe Lotti, 😊

es ist schonmal gut, dass ihr so viel Unterstützung durch die Familie habt.
Ich kann auch beide Seiten verstehen, bezüglich der ständigen Rücksichtnahme auf seine Krankheit.
Alle sind vllt „therapiemüde“.

Toll finde ich trotzdem, dass er noch arbeiten kann und seine Doktorarbeit auch noch macht.
Damit ist er aber bestimmt auch voll ausgelastet. Das wäre jeder Gesunde ja ebenfalls.

Inzwischen sind bei mir noch Fragen aufgeploppt:

Du schreibst immer wieder von körperlichen Erkrankungen. Was liegt denn da vor?
Ziehst du in Betracht, dass die Äusserungen dahingehend stimmen können?
Wie werden diese therapiert?

Und ja, spreche mit der Psychologin über deine Situation. Ganz dringend!

Alles Liebe, Ellen 🎉
DAS LEBEN IST SCHÖN, VON EINFACH WAR NIE DIE REDE! :?
Eva-Ria
Beiträge: 5
Registriert: 4. Jul 2024, 09:19

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Eva-Ria »

Liebe Lotti,

einsam fühle ich mich auch so oft. Es tut gut, hier im Forum von euch allen zu lesen!

Als Powerfrau sehe ich mich überhaupt nicht, auch wenn das neulich auch ein Mitstudent zu mir gesagt hat... Also ohne beide Großmütter, die uns sehr tatkräftig unterstützen, hätte ich keine Chance, zu studieren. Und inzwischen macht unser Kleiner das Spiel auch gut mit, er verbringt sehr gerne Zeit bei den Großeltern. Ja, die Zeit des Wochenbetts hat bei mir sehr große Enttäuschung mit sich gebracht. Mein Mann konnte sich schon sehr über das Baby freuen aber gleichzeitig hat ihn alles sehr erschöpft und gestresst. Obwohl ich also körperlich und seelisch noch ziemlich am Ende war, hab ich gleich alles alleine gemacht, war zu früh zu viel auf den Beinen, eigentlich selbst total am Ende. Überfordert ist er bis heute, ja. Besonders schade finde ich, dass er es fast als lästige Pflicht und Bürde ansieht, wenn er sich um unseren Sohn kümmern muss, damit ich arbeiten kann. Irgendwie sind wir da in ein traditionelles Rollenbild geraten, das ich so überhaupt nicht haben wollte. Heißt: Selbstverständlich habe immer ich das Kind und muss ihn schon bitten, sich zu kümmern. Andersrum ist klar, dass er Stundenlang Fußball schauen und zocken darf... Das nervt mich total! Aber er braucht das, um vom schlimmen Leben abzuschalten... Ja, beschweren sollte ich mich nicht, mach es dann aber doch immer wieder. Jede Kleinigkeit wird als Kritik aufgefasst.

Ich danke dir für deine guten Wünsche! Er will einfach nichts mehr ausprobieren. Jede Art von Therapie und Medikation bedeutet für ihn, dass er nicht ok ist, so wie er ist. Er kann es nicht als Krankheit ansehen. Was er bräuchte? Ich soll ihn ernst nehmen sagt er. Aber "so viele Antidepressiva, dass du mich wieder ernst nimmst, kann ich gar nicht schlucken!", sagt er...

Ich wünsche dir ganz viel Kraft!
GuntherBandel
Beiträge: 158
Registriert: 29. Dez 2020, 13:07

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von GuntherBandel »

Eva-Ria hat geschrieben: 5. Jul 2024, 15:40 Liebe Lotti,

einsam fühle ich mich auch so oft. Es tut gut, hier im Forum von euch allen zu lesen!

Als Powerfrau sehe ich mich überhaupt nicht, auch wenn das neulich auch ein Mitstudent zu mir gesagt hat... Also ohne beide Großmütter, die uns sehr tatkräftig unterstützen, hätte ich keine Chance, zu studieren. Und inzwischen macht unser Kleiner das Spiel auch gut mit, er verbringt sehr gerne Zeit bei den Großeltern. Ja, die Zeit des Wochenbetts hat bei mir sehr große Enttäuschung mit sich gebracht. Mein Mann konnte sich schon sehr über das Baby freuen aber gleichzeitig hat ihn alles sehr erschöpft und gestresst. Obwohl ich also körperlich und seelisch noch ziemlich am Ende war, hab ich gleich alles alleine gemacht, war zu früh zu viel auf den Beinen, eigentlich selbst total am Ende. Überfordert ist er bis heute, ja. Besonders schade finde ich, dass er es fast als lästige Pflicht und Bürde ansieht, wenn er sich um unseren Sohn kümmern muss, damit ich arbeiten kann. Irgendwie sind wir da in ein traditionelles Rollenbild geraten, das ich so überhaupt nicht haben wollte. Heißt: Selbstverständlich habe immer ich das Kind und muss ihn schon bitten, sich zu kümmern. Andersrum ist klar, dass er Stundenlang Fußball schauen und zocken darf... Das nervt mich total! Aber er braucht das, um vom schlimmen Leben abzuschalten... Ja, beschweren sollte ich mich nicht, mach es dann aber doch immer wieder. Jede Kleinigkeit wird als Kritik aufgefasst.

Ich danke dir für deine guten Wünsche! Er will einfach nichts mehr ausprobieren. Jede Art von Therapie und Medikation bedeutet für ihn, dass er nicht ok ist, so wie er ist. Er kann es nicht als Krankheit ansehen. Was er bräuchte? Ich soll ihn ernst nehmen sagt er. Aber "so viele Antidepressiva, dass du mich wieder ernst nimmst, kann ich gar nicht schlucken!", sagt er...

Ich wünsche dir ganz viel Kraft!
Hallo Eva-Ria,

begründet er das irgendwie, warum er sich nicht ernst genommen fühlt?

Viele Grüße
G.
Freiwasser
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Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Freiwasser »

Liebe Lotti,
Ich erkenne mich sehr wieder in Deinen Schilderungen. Du bist aber eine halbe Generation jünger und hast noch keine Kinder. Darum möchte ich Dir gerne aus meiner Sicht sagen: Verlass ihn. Du wirst mit ihm nicht das Leben haben, das Du Dir wünschst, oder das Deine verstorbene Freundin Dir wünschen würde. Du möchtest einen Mann, der mit Dir auf Feiern mitkommt, mit dem Du Besuch einladen und Hobbys pflegen kannst, der Dich unterstützt und an Deiner Karriere Anteil nimmt, der ein engagierter Papa werden kann. Das ist einfach ein völlig anderer Mann als der, den Du hast. Selbst, wenn Dein Partner völlig gesund wird (was alles andere als sicher ist), wird er immer noch nicht sozial kompetent und zugewandt sein. Du bist jung genug, um neu anzufangen und jemand Anderen zu finden. Es sind noch keine Kinder da, die Euch aneinander binden. Klar, Tiere, Haus, Dorf, das ist auch eine Menge Bindung, aber Du kannst noch weg, das lässt sich regeln. Dass Du die Tiere eh schon allein versorgst und Dein Sozialleben weitgehend ohne ihn pflegst, macht es einfacher.
So opferst Du Dich auf, Du hast Kummer, Stress und Einschränkungen seinetwegen, und das musst Du nicht! Denk an Deine verstorbene Freundin. Ich finde es toll, was sie gesagt hat. Sei Dir selbst diese Freundin, gönne Dir ein besseres Leben.
Liebe Grüße,
Freiwasser
Eva-Ria
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Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Eva-Ria »

Hallo, danke für die Nachfrage. Mein Mann fühlt sich vor allem im Bezug auf das Thema Sicherheit nicht ernst genommen. Er hat ein enormes Sicherheitsbedürfnis, wünscht sich genug Geld, am besten ein eigenes Haus, einen sicheren Job (den hat er bereits, er verdient auch gut). Nun ist es so, dass er mich damals kennengelernt hat, als ich drauf und dran war, meinen Bachelor im Maschinenbau zu machen und ebenfalls einen sicheren Job anzunehmen. Ich hab mich aber umorientiert und eine Ausbildung zur Schneiderin abgeschlossen. Das war schon schlimm für ihn. Und dann hab ich noch einen draufgesetzt und angefangen Theologie zu studieren. Ich werde bald Pfarrerin sein, wir werden in Pfarrhäusern wohnen und ca. alle acht Jahre den Wohnort wechseln müssen... Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen, wir haben ja schon so manches zusammen durchgestanden. Aber meine Zuversicht deutet er so, dass ich seine Sorgen nicht ernst nehme. Aber diese Furcht vor der Zukunft kann ich nun mal nicht teilen! Ich will das Leben nehmen, wie es kommt und genießen... Mute ich ihm zu viel zu? Bzw. meint ihr, ich wollte zu viel vom Leben haben? Traumjob, Familie und Kind?

Heute "musste" er unseren Sohn betreuen, weil ich ein Blockseminar an der Hochschule hatte. Während des Nachmittags schreibt er mir die Nachricht: "Bis wann geht dein Spaß jetzt heute?" - Das hat mich mal wieder ganz schön verletzt und es zeigt, dass gerade er mich nicht ernst nimmt und was ich mache, oder?


GuntherBandel hat geschrieben: 5. Jul 2024, 16:34
Eva-Ria hat geschrieben: 5. Jul 2024, 15:40 Liebe Lotti,

einsam fühle ich mich auch so oft. Es tut gut, hier im Forum von euch allen zu lesen!

Als Powerfrau sehe ich mich überhaupt nicht, auch wenn das neulich auch ein Mitstudent zu mir gesagt hat... Also ohne beide Großmütter, die uns sehr tatkräftig unterstützen, hätte ich keine Chance, zu studieren. Und inzwischen macht unser Kleiner das Spiel auch gut mit, er verbringt sehr gerne Zeit bei den Großeltern. Ja, die Zeit des Wochenbetts hat bei mir sehr große Enttäuschung mit sich gebracht. Mein Mann konnte sich schon sehr über das Baby freuen aber gleichzeitig hat ihn alles sehr erschöpft und gestresst. Obwohl ich also körperlich und seelisch noch ziemlich am Ende war, hab ich gleich alles alleine gemacht, war zu früh zu viel auf den Beinen, eigentlich selbst total am Ende. Überfordert ist er bis heute, ja. Besonders schade finde ich, dass er es fast als lästige Pflicht und Bürde ansieht, wenn er sich um unseren Sohn kümmern muss, damit ich arbeiten kann. Irgendwie sind wir da in ein traditionelles Rollenbild geraten, das ich so überhaupt nicht haben wollte. Heißt: Selbstverständlich habe immer ich das Kind und muss ihn schon bitten, sich zu kümmern. Andersrum ist klar, dass er Stundenlang Fußball schauen und zocken darf... Das nervt mich total! Aber er braucht das, um vom schlimmen Leben abzuschalten... Ja, beschweren sollte ich mich nicht, mach es dann aber doch immer wieder. Jede Kleinigkeit wird als Kritik aufgefasst.

Ich danke dir für deine guten Wünsche! Er will einfach nichts mehr ausprobieren. Jede Art von Therapie und Medikation bedeutet für ihn, dass er nicht ok ist, so wie er ist. Er kann es nicht als Krankheit ansehen. Was er bräuchte? Ich soll ihn ernst nehmen sagt er. Aber "so viele Antidepressiva, dass du mich wieder ernst nimmst, kann ich gar nicht schlucken!", sagt er...

Ich wünsche dir ganz viel Kraft!
Hallo Eva-Ria,

begründet er das irgendwie, warum er sich nicht ernst genommen fühlt?

Viele Grüße
G.
Schnuckerzecke
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Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Schnuckerzecke »

Liebe Lotti,

ich habe dich gelesen und war erstmal sprachlos.

Mein erster Impuls war, dir zu sagen: "Lauf so weit weg wie du kannst!"

Sein Leidensweg ist lang und es ist sicher nicht zu unterschätzen, wieviel Anstrengung es kostet, das durchzumachen, das zu erreichen, was er erreicht (Promotion).
Seine Äußerungen dir gegenüber mögen von der Krankheit kommen. Ich sehe da aber die fehlende Empathiefähigkeit auch als einen Aspekt, der sehr schwer zu ertragen ist.
Es sollte kein "dir geht's doch gut, du hast doch alles" geben.
Dich nicht sehen zu können, deinen Schmerz nicht zu sehen und ihn dir gar abzusprechen, wird für dich womöglich immer ein Kampf um deine Integrität sein.

Stelle dir die Frage, wie es dir in 5 Jahren gehen wird, sollte alles so weitergehen. Und ob du das möchtest?

Was ist dir wichtig im Leben, für dein Leben, in der Partnerschaft, für eure Partnerschaft?
Wirst du diese Bedürfnisse äußern können oder wirst du dich immer rechtfertigen?

In einer Partnerschaft sollten beide auf Augenhöhe sein. Deine Schilderungen geben mir leider einen anderen Eindruck.
Jeder sollte sich auch mal zurücknehmen können, Kompromisse schließen können, Absprachen treffen, den Haushalt aufteilen, die Versorgung der Tiere aufteilen...und wenn dann noch ein Kind kommt...?

Es lese, du schränkst dich so sehr ein, das macht mich traurig - ich denke gerade an dein Pferd.
Du bleibst zu Hause, aus Angst, er würde sich was antun. Wie soll das denn weitergehen?
Seine Krankheit hat dich in der Hand.

Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, in einer Partnerschaft oder gar Ehe unter diesen Umständen leben zu können. Dazu bin ich nicht aufopferungsbereit genug.

Ich wünsche dir ganz viel Kraft und vor allem Mut für eine Entscheidung.
Zuletzt geändert von Schnuckerzecke am 7. Jul 2024, 19:35, insgesamt 1-mal geändert.
▪︎▪︎▪︎ Liebe Grüße
Schnuckerzecke ▪︎▪︎▪︎
Freiwasser
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Registriert: 16. Jan 2024, 12:26

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Freiwasser »

Liebe Eva-Ria,
Es ist völlig in Ordnung, „viel zu wollen“. Du wolltest es nicht nur, sondern Du hast auch sinnvolle Anstrengungen unternommen, um Deine Ziele zu erreichen. Und es sind schöne und realistische Ziele, Du wolltest ja keine Villa in Monaco, sondern eine Familie und ein Leben als Pfarrerin.
Das ist sogar ein Beruf, der ein hohes Sicherheitsbedürfnis erfüllt. Stell Dir vor, Dein Traumjob wäre freie Künstlerin, oder Du würdest davon träumen, Hippie in der Selbstversorgerhütte zu sein. Es wäre völlig legitim, auch diese Träume zu verfolgen, aber dann könnte ich verstehen, dass ein Partner mit hohem Sicherheitsbedürfnis feststellt, dass das nicht das Richtige für ihn ist.
Du verfolgst Deine Ziele auch selbstorganisiert und flippst nicht ständig in der Welt herum, während Du ihn mit dem Kind allein lässt - wäre das so, dann könnte er sich beschweren, dass Du Deinen Spaß hast und ihm die ganze Verantwortung aufbürdest. Aber dass er mal das Kind hat, während Du studierst (um später einen interessanten und sicheren Job auszuüben), ist völlig im Rahmen und seine Reaktion unangemessen. Schlau wäre aus der Perspektive der Sicherheit, Dein Studium zu unterstützen, damit Ihr später auf zwei Gehälter bauen könnt. Und als Partner ist es natürlich umso sinnvoller, den Anderen zu unterstützen, weil das die Partnerschaft stärkt.
„Zuviel gewollt“ hast Du anscheinend von Deinem Mann. Nicht, weil das nicht völlig legitime Wünsche wären: Dass er in gleichem Umfang Verantwortung für Euer Kind übernimmt und Deine berufliche Entwicklung unterstützt . Sondern, weil das anscheinend für diese Wünsche nicht die richtige Person ist. Weil er das nicht kann oder nicht will oder eine Mischung aus Beidem.
Ich finde aber auch etwas unlogisch bzw. „Zuviel gewollt“, was Dein Mann alles von Dir erwartet. Anscheinend sollst Du ja sowohl als Maschinenbauerin viel Geld reinholen, um sein Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen, als auch den größten Teil der Carearbeit machen. Das passt nicht zusammen.
Eine starke Frau sein, die viel schafft, ist einerseits gut, aber es birgt Gefahren. Wir verwirklichen unsere Ziele im Beruf und Familie mit einem Mann, der nicht wirklich Verantwortung übernehmen will oder kann. Der könnte sich freuen und dankbar sein, dass er bei weitgehender persönlicher Freiheit und minimalem Einsatz eine schöne Familie und eine gutes Leben mit einer selbständigen und engagierten Frau bekommt. Aber viele Männer in dieser Konstellation fühlen sich eher minderwertig, bekommen Depressionen, werden untreu oder fordernd und tyrannisch.
Da steckt eine Menge Arbeit drin, wenn Dein Mann sich in jemanden entwickeln soll, der in sinnvoller Weise an Deiner Seite einen gemeinsamen Weg geht. Dass Du mehr oder weniger alleine durchpowerst ist eine Option, die funktionieren kann, so dass Du als Pfarrerin mit einer Familie leben wirst. Und die Kinder und der Beruf, die werden Dir auch Freude machen und Du wirst fühlen, dass es richtig war, das alles zu wollen und zu verwirklichen. Aber als Paar könntet Ihr übel vor die Wand fahren. So ist es bei mir gewesen. Ich sehe drei Optionen für Dich:
1. Paartherapie und das mit der Verantwortung und den Wünschen für die Zukunft versuchen, für beide Seiten befriedigend zu klären
2. Du nimmst ihn, wie er ist, gehst Deinen Weg als Powerfrau mit unzufriedenem Weniger-Power-Mann im Schlepptau, und entweder, das funktioniert so für Euch, oder halt irgendwann nicht mehr.
3. Du stellst fest, dass Du jemanden an Deiner Seite brauchst, der mehr Unterstützung und Verantwortung leisten kann und will, und trennst Dich.
Liebe Grüße und alles Gute!
Freiwasser
DieNeue
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Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von DieNeue »

Hallo Eva-Ria,
Eva-Ria hat geschrieben: 6. Jul 2024, 20:57 Und dann hab ich noch einen draufgesetzt und angefangen Theologie zu studieren. Ich werde bald Pfarrerin sein, wir werden in Pfarrhäusern wohnen und ca. alle acht Jahre den Wohnort wechseln müssen... Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen, wir haben ja schon so manches zusammen durchgestanden. Aber meine Zuversicht deutet er so, dass ich seine Sorgen nicht ernst nehme.
Hattest du das denn mit ihm abgesprochen und war es für ihn okay, dass du Pfarrerin wirst?
Wenn mein Mann das machen würde, fände ich das nicht gut. Nicht mal, dass es mir zu wenig Sicherheit bedeuten würde, aber alle acht Jahre den Wohnort wechseln fände ich furchtbar. Man hat sich gerade eingelebt, da soll man schon wieder weg. Da können Freundschaften draufgehen. Nicht jeder stellt sich so schnell um und findet schnell neue gute Kontakte. Ich finde, in einer Partnerschaft sollte man versuchen, seine Ziele so unter einen Hut zu bekommen, dass jeder damit gut leben kann. Ich könnte damit nicht leben, wenn mein Mann alle paar Jahre umziehen müsste.
Wenn du jetzt von seinem Gehalt lebst, damit du Theologie studieren kannst, um dann hinterher mit ihm ein Leben zu leben, das er so eigentlich nicht will, kann ich mir schon vorstellen, dass er sich da nicht ernstgenommen fühlt.
Wenn meinem Mann sein Beruf wichtiger wäre als ich, ich glaube nicht, dass ich länger mit ihm zusammen sein könnte.
Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wieso du dir die Zukunft so zuversichtlich vorstellen kannst. Wenn du schon sagst, dass ihr schon vieles durchgestanden habt, steht so ein Umzug ja auf der gleichen Stufe wie das schlimme, dass ihr schon überstanden habt. So ein Umzug passiert ja aber nicht nur einmal, sondern alle 8 Jahre. Das heißt im Prinzip spätestens alle acht Jahre bekommt er die Krise. Und die sind von dir schon fest eingeplant, weil du deine eigenen Pläne verfolgst, nicht eure gemeinsamen.
Von einem eigenen Haus und einem Ort, wo man sich zuhause und angekommen fühlt, träumen viele Menschen, das ist völlig normal. So oft den Wohnort zu wechseln ist auch für viele gesunde Menschen nicht einfach. Mit einer Angststörung dann mit Sicherheit noch mehr.
Aber auch, wenn er seine Angststörung behandeln lassen würde, denke ich nicht, dass er zu einem Typen werden würde, der gerne Risiken eingeht und die ständigen Umzüge locker wegsteckt.

Ich kann verstehen, dass du genervt bist, wenn er lieber stundenlang Fußball schaut und zockt. Andererseits darfst du auch dein Studium machen, weil es dein Traum ist. Warum sollte er dann nicht auch machen, worauf er Lust hat?
Ich habe den Eindruck, dass er schon etwas zurückstecken muss.

Ich denke, man muss das alles ein bisschen differenzieren. Dass er mit dem Kleinen überfordert ist, ist eine Sache. Das kann einfach so kommen oder von der Krankheit herrühren. Das ist für dich und das Kind natürlich blöd. Hat aber wahrscheinlich nichts damit zu tun, dass er sich nicht ernstgenommen fühlt. Wenn man aber nur das berufliche betrachtet, kann man schon zu dem Schluss kommen, dass du ihn nicht wirklich ernst nimmst.
Selbst wenn du seine Bedenken nicht teilst, kannst du sie nicht einfach mit deiner Zuversicht wegwischen und ihn zu einer Zukunft "zwingen", die er eigentlich nicht will. Da würde wahrscheinlich jeder irgendwann sauer werden. Ich nehme an, dass es dir ja auch nicht passen würde, wenn du wegen seinem Job immer am gleichen Ort leben müsstest und nicht Pfarrerin werden könntest.
Und ich würde da tatsächlich weggehen von dem, dass seine Zukunftswünsche nur mit Sicherheit oder seinen Krankheiten zu tun haben. Ein Zuhause, in dem man den Rest seines Lebens verbringen kann, eine Heimat zu haben, ist ein ganz normaler Wunsch wie auch dein Wunsch normal ist, einen Beruf zu haben, der dir gefällt. Eure Wünsche und Vorstellungen vom Leben passen nicht zusammen und ihr müsst schauen, wie ihr das hinkriegt. Vielleicht wäre die Situation ohne die Krankheiten nicht ganz so krass, aber ich denke, das eigentliche Problem gäbe es auch ohne die Krankheiten.
Genauso wenig wie du ihn retten kannst, kannst du ihn dazu zwingen, mit einem Leben, das er sich so nicht aussuchen würde, glücklich zu werden.

Ist vielleicht nicht ganz das, was du hören möchtest, aber ist nicht böse gemeint. Ich kann nur gut nachvollziehen, warum er sich nicht ernstgenommen fühlt und vielleicht helfen dir meine Gedanken dazu ein bisschen ihn besser zu verstehen.

Liebe Grüße,
DieNeue
Eva-Ria
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Registriert: 4. Jul 2024, 09:19

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Eva-Ria »

Freiwasser hat geschrieben: 6. Jul 2024, 23:04 Liebe Eva-Ria,
Es ist völlig in Ordnung, „viel zu wollen“. Du wolltest es nicht nur, sondern Du hast auch sinnvolle Anstrengungen unternommen, um Deine Ziele zu erreichen. Und es sind schöne und realistische Ziele, Du wolltest ja keine Villa in Monaco, sondern eine Familie und ein Leben als Pfarrerin.
Das ist sogar ein Beruf, der ein hohes Sicherheitsbedürfnis erfüllt. Stell Dir vor, Dein Traumjob wäre freie Künstlerin, oder Du würdest davon träumen, Hippie in der Selbstversorgerhütte zu sein. Es wäre völlig legitim, auch diese Träume zu verfolgen, aber dann könnte ich verstehen, dass ein Partner mit hohem Sicherheitsbedürfnis feststellt, dass das nicht das Richtige für ihn ist.
Du verfolgst Deine Ziele auch selbstorganisiert und flippst nicht ständig in der Welt herum, während Du ihn mit dem Kind allein lässt - wäre das so, dann könnte er sich beschweren, dass Du Deinen Spaß hast und ihm die ganze Verantwortung aufbürdest. Aber dass er mal das Kind hat, während Du studierst (um später einen interessanten und sicheren Job auszuüben), ist völlig im Rahmen und seine Reaktion unangemessen. Schlau wäre aus der Perspektive der Sicherheit, Dein Studium zu unterstützen, damit Ihr später auf zwei Gehälter bauen könnt. Und als Partner ist es natürlich umso sinnvoller, den Anderen zu unterstützen, weil das die Partnerschaft stärkt.
„Zuviel gewollt“ hast Du anscheinend von Deinem Mann. Nicht, weil das nicht völlig legitime Wünsche wären: Dass er in gleichem Umfang Verantwortung für Euer Kind übernimmt und Deine berufliche Entwicklung unterstützt . Sondern, weil das anscheinend für diese Wünsche nicht die richtige Person ist. Weil er das nicht kann oder nicht will oder eine Mischung aus Beidem.
Ich finde aber auch etwas unlogisch bzw. „Zuviel gewollt“, was Dein Mann alles von Dir erwartet. Anscheinend sollst Du ja sowohl als Maschinenbauerin viel Geld reinholen, um sein Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen, als auch den größten Teil der Carearbeit machen. Das passt nicht zusammen.
Eine starke Frau sein, die viel schafft, ist einerseits gut, aber es birgt Gefahren. Wir verwirklichen unsere Ziele im Beruf und Familie mit einem Mann, der nicht wirklich Verantwortung übernehmen will oder kann. Der könnte sich freuen und dankbar sein, dass er bei weitgehender persönlicher Freiheit und minimalem Einsatz eine schöne Familie und eine gutes Leben mit einer selbständigen und engagierten Frau bekommt. Aber viele Männer in dieser Konstellation fühlen sich eher minderwertig, bekommen Depressionen, werden untreu oder fordernd und tyrannisch.
Da steckt eine Menge Arbeit drin, wenn Dein Mann sich in jemanden entwickeln soll, der in sinnvoller Weise an Deiner Seite einen gemeinsamen Weg geht. Dass Du mehr oder weniger alleine durchpowerst ist eine Option, die funktionieren kann, so dass Du als Pfarrerin mit einer Familie leben wirst. Und die Kinder und der Beruf, die werden Dir auch Freude machen und Du wirst fühlen, dass es richtig war, das alles zu wollen und zu verwirklichen. Aber als Paar könntet Ihr übel vor die Wand fahren. So ist es bei mir gewesen. Ich sehe drei Optionen für Dich:
1. Paartherapie und das mit der Verantwortung und den Wünschen für die Zukunft versuchen, für beide Seiten befriedigend zu klären
2. Du nimmst ihn, wie er ist, gehst Deinen Weg als Powerfrau mit unzufriedenem Weniger-Power-Mann im Schlepptau, und entweder, das funktioniert so für Euch, oder halt irgendwann nicht mehr.
3. Du stellst fest, dass Du jemanden an Deiner Seite brauchst, der mehr Unterstützung und Verantwortung leisten kann und will, und trennst Dich.
Liebe Grüße und alles Gute!
Freiwasser
Vielen Dank für deine Nachricht!
Deine Worte tun mir sehr gut. Ja, vielleicht haben wir unsere Beziehung insgesamt überschätzt und wollten beide zu viel. Mein Mann sieht, dass ich irgendwie alles auf die Reihe bekomme, drum geht es jetzt immer so weiter, obwohl ich eigentlich auch ziemlich überlastet bin. Der Ansatz, dass er sich erst dadurch minderwertig fühlen könnte, dass ich so viel schaffe, ist mir neu! Danke für den Impuls. Das ist wirklich ein Teufelskreis!
Es tut mir leid, dass du da offensichtlich aus Erfahrung sprichst und deine Beziehung "vor die Wand gefahren ist"! :-(
Ich habe monatelang gekämpft, dass wir in Paartherapie gehen, dann hat er endlich eingewilligt - und nach der dritten Sitzung geschmissen, weil es ihm nicht getaugt hat und zu teuer ist. Das hat mich schon sehr enttäuscht, ich hatte mich so auf die Therapie gefreut. Tja, momentan leben wir nach deiner 2. Option und ich hoffe, dass es noch eine Weile gutgeht. Vor der dritten Option habe ich unendliche Angst, obwohl ich ständig darüber nachdenken muss.
Danke für die guten Gedanken und alles Liebe!
Eva-Ria
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Registriert: 4. Jul 2024, 09:19

Re: Wie man leben soll… - In einer Beziehung mit einem chronisch Depressiven

Beitrag von Eva-Ria »

DieNeue hat geschrieben: 7. Jul 2024, 00:34 Hallo Eva-Ria,
Eva-Ria hat geschrieben: 6. Jul 2024, 20:57 Und dann hab ich noch einen draufgesetzt und angefangen Theologie zu studieren. Ich werde bald Pfarrerin sein, wir werden in Pfarrhäusern wohnen und ca. alle acht Jahre den Wohnort wechseln müssen... Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen, wir haben ja schon so manches zusammen durchgestanden. Aber meine Zuversicht deutet er so, dass ich seine Sorgen nicht ernst nehme.
Hattest du das denn mit ihm abgesprochen und war es für ihn okay, dass du Pfarrerin wirst?
Wenn mein Mann das machen würde, fände ich das nicht gut. Nicht mal, dass es mir zu wenig Sicherheit bedeuten würde, aber alle acht Jahre den Wohnort wechseln fände ich furchtbar. Man hat sich gerade eingelebt, da soll man schon wieder weg. Da können Freundschaften draufgehen. Nicht jeder stellt sich so schnell um und findet schnell neue gute Kontakte. Ich finde, in einer Partnerschaft sollte man versuchen, seine Ziele so unter einen Hut zu bekommen, dass jeder damit gut leben kann. Ich könnte damit nicht leben, wenn mein Mann alle paar Jahre umziehen müsste.
Wenn du jetzt von seinem Gehalt lebst, damit du Theologie studieren kannst, um dann hinterher mit ihm ein Leben zu leben, das er so eigentlich nicht will, kann ich mir schon vorstellen, dass er sich da nicht ernstgenommen fühlt.
Wenn meinem Mann sein Beruf wichtiger wäre als ich, ich glaube nicht, dass ich länger mit ihm zusammen sein könnte.
Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wieso du dir die Zukunft so zuversichtlich vorstellen kannst. Wenn du schon sagst, dass ihr schon vieles durchgestanden habt, steht so ein Umzug ja auf der gleichen Stufe wie das schlimme, dass ihr schon überstanden habt. So ein Umzug passiert ja aber nicht nur einmal, sondern alle 8 Jahre. Das heißt im Prinzip spätestens alle acht Jahre bekommt er die Krise. Und die sind von dir schon fest eingeplant, weil du deine eigenen Pläne verfolgst, nicht eure gemeinsamen.
Von einem eigenen Haus und einem Ort, wo man sich zuhause und angekommen fühlt, träumen viele Menschen, das ist völlig normal. So oft den Wohnort zu wechseln ist auch für viele gesunde Menschen nicht einfach. Mit einer Angststörung dann mit Sicherheit noch mehr.
Aber auch, wenn er seine Angststörung behandeln lassen würde, denke ich nicht, dass er zu einem Typen werden würde, der gerne Risiken eingeht und die ständigen Umzüge locker wegsteckt.

Ich kann verstehen, dass du genervt bist, wenn er lieber stundenlang Fußball schaut und zockt. Andererseits darfst du auch dein Studium machen, weil es dein Traum ist. Warum sollte er dann nicht auch machen, worauf er Lust hat?
Ich habe den Eindruck, dass er schon etwas zurückstecken muss.

Ich denke, man muss das alles ein bisschen differenzieren. Dass er mit dem Kleinen überfordert ist, ist eine Sache. Das kann einfach so kommen oder von der Krankheit herrühren. Das ist für dich und das Kind natürlich blöd. Hat aber wahrscheinlich nichts damit zu tun, dass er sich nicht ernstgenommen fühlt. Wenn man aber nur das berufliche betrachtet, kann man schon zu dem Schluss kommen, dass du ihn nicht wirklich ernst nimmst.
Selbst wenn du seine Bedenken nicht teilst, kannst du sie nicht einfach mit deiner Zuversicht wegwischen und ihn zu einer Zukunft "zwingen", die er eigentlich nicht will. Da würde wahrscheinlich jeder irgendwann sauer werden. Ich nehme an, dass es dir ja auch nicht passen würde, wenn du wegen seinem Job immer am gleichen Ort leben müsstest und nicht Pfarrerin werden könntest.
Und ich würde da tatsächlich weggehen von dem, dass seine Zukunftswünsche nur mit Sicherheit oder seinen Krankheiten zu tun haben. Ein Zuhause, in dem man den Rest seines Lebens verbringen kann, eine Heimat zu haben, ist ein ganz normaler Wunsch wie auch dein Wunsch normal ist, einen Beruf zu haben, der dir gefällt. Eure Wünsche und Vorstellungen vom Leben passen nicht zusammen und ihr müsst schauen, wie ihr das hinkriegt. Vielleicht wäre die Situation ohne die Krankheiten nicht ganz so krass, aber ich denke, das eigentliche Problem gäbe es auch ohne die Krankheiten.
Genauso wenig wie du ihn retten kannst, kannst du ihn dazu zwingen, mit einem Leben, das er sich so nicht aussuchen würde, glücklich zu werden.

Ist vielleicht nicht ganz das, was du hören möchtest, aber ist nicht böse gemeint. Ich kann nur gut nachvollziehen, warum er sich nicht ernstgenommen fühlt und vielleicht helfen dir meine Gedanken dazu ein bisschen ihn besser zu verstehen.

Liebe Grüße,
DieNeue
Hey, vielen Dank für deine Gedanken! Du machst mich sehr nachdenklich.
Ja, das haben wir abgesprochen. Begeistert war er nicht, sagte aber sofort, er wird mich in meinem Wunsch unterstützen und immer hinter mir stehen, egal was ich mache. Das hat mich damals wirklich positiv überrascht.
Ich lebe selbstverständlich nicht von seinem Gehalt, sondern von dem Geld, das ich während meiner Berufstätigkeit angespart habe, das ist mir sehr wichtig.
Und mein Beruf ist mir nicht wichtiger als die Familie. Es ist eher so, dass ich einen erfüllenden Beruf brauche, um genug Kraft zu tanken, daheim mit der Depression und der oft sehr düsteren Stimmung und Negativität auszukommen…
Ja, den Wunsch nach einem eigenen Heim haben viele Menschen. Es tut mir auch wirklich Leid, dass das so bei uns erstmal nicht möglich sein wird. Deswegen habe ich darüber nachgedacht, eine Wohnung oder auch nur ein Zimmer zu kaufen, am besten in der Nähe seines Arbeitsplatzes – quasi ein „Nest“, eine Sicherheit, die über die Jahre hinweg bleibt… Aber das hält mein Mann auch nicht für eine gute Idee.
Ja, Bedenken mit Zuversicht wegwischen ist wohl nicht gut. Das passiert mir immer wieder, weil ich einfach ein positiver Mensch bin. Und im ersten Moment, hoffe ich natürlich, ihn mit meiner Zuversicht zu trösten. Aber das geht wohl leider nach hinten los ☹
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