Patientin sagt: "Mir kann eh keiner helfen"

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Farbengeist
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Patientin sagt: "Mir kann eh keiner helfen"

Beitrag von Farbengeist »

Hallo zusammen,
ich verzweifle gerade an einer lieben Familienangehörigen von mir. Sie rutscht Jahr für Jahr immer wieder ab. Ist inzwischen Anfang 70. Aktuell hat sie sich gefühlt dauerhaft selbst aufgegeben. Läuft in der Wohnung auf und ab, liegt im Bett.. Ißt immerhin noch was.
Sie bemängelt immer wieder die selben Dinge:
- Mir kann keiner helfen
- Alles schmeckt nach nichts... (scharf kann sie interessanterweise schmecken)

Psychatrie Aufenthalte hatte sie einige, monatelang. Dort lag sie dann auch im Bett oder verweilte im Tagesraum, knüpft nie Kontakte sondern beschwert sich über andere Patienten.." Hier wird man nicht gesund! hier sind nur kranke Menschen.." Über einen Zugang an der Hand/Arm bekam sich Flüssigkeit, weil sie stets zu wenig trinkt. Dann hat sie Angst wegen ihrer inzwischen schwachen Blase.

Aktuell ist sie zuhause. Ich sagte ihr, sie solle doch mal diese Freiheit zuhause schätzen. Aber da guckt sie nur auf den Boden und sagt nichts. Sie sieht nur negatives. Durch diese "Selbstaufgabe" verweigert sie sehr vieles... Hilft nicht mit beim kochen..sagt direkt "nein ich kann das nicht, mach du das bitte". Sie verweigert Facharzt Termine (Psychologe, Therapeut). Sie verweigert Pflege. Hygiene lässt sie immerhin aktuell zu, ihr Mann hilft ihr beim waschen bzw. wäscht sie. Ansonsten floh er auch schon aus dem Schlafzimmer, weil es ihn anekelte.

Ihr Ehemann pflegt sie, aber ist natürlich auch von ihr genervt...und er flieht regelmäßig in seine Welt.. Kann ihr nicht helfen. Verlässt sich auf die Ärzte. Die einzige Ärztin die noch nach ihr sieht, ist die Hausärztin die ca 1 mal im Monat rein schaut. Sie alleine schaffte es, dass sie sagte "Komm lassen sie uns mal in den Garten!" Das grenzte an ein Wunder...Aber schnell kam dann der Gedanke "ich möchte wieder rein!" Wenn ich denn fragte..Wieso? draußen scheint doch so schön die Sonne... Sie wusste oder wollte garnicht genau sagen, warum sie direkt wieder rein will...

Bevor ihre Krankheit ausbrach, liebte es sie zu kochen und sich um den Garten zu kümmern. Ärgerte sich sehr, als mal die Rehe alles abgefressen haben. Letzten Sommer (2023) ging es ihr plötzlich nach der "EKT Therapie" plötzlich sehr gut. Im März ging es ihr 1 Tag plötzlich richtig gut.

Eine Freundin von ihr lebt weit weg (500km), zuhause fixiert(e) sie sich bisher nur auf ihren Ehemann. Hat früher immer zu allem JA gesagt, wenn er sagte "lass uns doch mal in die Berge fahren". Erst eine Therapeutin sagte wohl zu ihr, sie solle mehr nein sagen, wenn ihr etwas nicht passt... Auch mal die Ellenbogen ausfahren... Aber JETZT sagt sie nur noch zu allem nein. Verlässt sich auf ihren Mann, oder ihre Tochter...dass die sich um sie kümmern. Sie hört nicht Musik. Kann sich nur schwer auf ein TV programm konzentrieren. Trinkt zu wenig. Wartet aktuell quasi darauf dass es zu Ende geht mit ihr...
Aber so einfach stirbt man natürlich auch nicht.. Draußen hat sie offenbar Angst dass sie stürzt. Aber einen Gehwagen möchte sie nicht.

Wir wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Wieder in die Psychatrie.. ? Die EKT Therapie konnte zuletzt nicht voll durchgeführt werden, weil sie dafür körperlich zu schwach war laut Ärztin. Und auf halber Kraft merkte man keinen Unterschied. Und auch sie nicht. so stieg die Hoffnungslosigkeit.

Sie meint offenbar, Hilfe muss von anderer Seite kommen. Aber die Tabletten die sie nimmt, stellen sie scheinbar nur ruhig. Ein bisschen was müsste auch von ihr selbst kommen.
AlexandreCharles
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Re: Patientin sagt: "Mir kann eh keiner helfen"

Beitrag von AlexandreCharles »

Hallo Farbengeist,
Spontan bin ich fast etwas überfordert und weiß nicht genau, was ich schreiben soll. Ich kenne diese Lethargie, war bei meiner letzten Episode selber Betroffener und die Therapeuten hatten größte Mühe, mich überhaupt aus dem Bett zu bekommen. Aktivitäten waren da nicht möglich, auch duschen ging z.B. nicht, der Waschlappen musste ausreichen. Wir feierten den Erfolg, wenn ich Mal die Station verlassen konnte und zu den Therapien ging. Auch alle anderen beschriebenen Symptome sind mir gut bekannt und nicht ungewöhnlich bei Depressionen.
Als Patient bin ich also zunächst einmal keine große Hilfe, aber vielleicht als Pfleger? Meine Frage:
1. Hat deine Familienangehörige einen Pflegegrad?
2. Habt ihr einen mobilen Pflegedienst, der den Ehemann unterstützt?
Wenn nicht wären das zwei Punkte zum nachdenken. Unser Pflegedienst z.B. hat sich mit der Spezialisierung Gerontopsychiatrie einen eigenen Schwerpunkt gesetzt. Deshalb bin ich auch dort eingestiegen und erfahre tägliche Wertschätzung: als Depressionserfahrener kann ich vieles meiner Patienten gut nachvollziehen, ich arbeite nicht "von oben herab", sondern im Team.
Aus der Ferne schaffe ich es aber nicht die Situation einzuschätzen. Anfang 70 kann schon für sich ein Grund sein Energie zu verlieren. Ob und wie weit die Depression oder das Alter das Problem sind ist selbst vor Ort oft unheimlich schwierig herauszufinden. Ganz oft müssen wir zunächst eine Vertrauensbasis herstellen, um näher an den Betroffenen heranzukommen. Es braucht manchmal Zeit für eine anständige Einschätzung.
Aber schon allein die Tatsache das jemand vorbeikommt und Unterstützung anbietet wäre vielleicht eine Entlastung. Erst einmal für den Ehemann, bevor dieser ebenfalls seine Kraft verliert. Und mit der Zeit für deine Angehörige, wenn diese es schafft sich jemandem anzuvertrauen. Für letzteres gibt es allerdings leider keine Garantie, aber Entlastung kann auch ganz einfach sein: Besuch durch den Pflegedienst zu festen Zeiten (Tagesstruktur), Anregungen durch erfahrene Profis zu allen möglichen persönlichen Themen (Beratung), Entwicklung einer individuellen Strategie zur Verbesserung der Situation (Entlastung).

Aber wie gesagt: ohne persönlichen Kontakt ist es mir nicht möglich, die Situation vernünftig abzuschätzen. Versucht es doch einmal mit einem Pflegedienst. Wenn das nicht passt: es gibt noch andere Pflegedienste, probiert es so lange aus bis es passt, das dürft ihr ruhig machen.
Ich hoffe ihr findet entsprechende Unterstützung bei euch im Ort und wünsche euch viel Erfolg bei der Suche nach einer Entlastung.
Viele liebe Grüße, Alex.
Ich bin zu alt um jung zu sterben.
Farbengeist
Beiträge: 2
Registriert: 27. Mai 2024, 17:11

Re: Patientin sagt: "Mir kann eh keiner helfen"

Beitrag von Farbengeist »

Hallo Alex,

vielen Dank für Deine Antwort. Einen Pflegegrad hat sie, jedoch hat sie auch die Pflege verweigert. Die Tür nicht geöffnet, oder einfach gesagt "ich will nicht aufstehen" und dann fährt der Pflegedienst wieder weg.. Sie lässt (immerhin) aktuell nur ihren Ehemann an sich ran zum waschen...

Der Begriff "Gerontopsychiatrie" ist mir noch neu, aber damit ist dann ja einfach diese "betreute Unterkunft" für Rentner gemeint, die psychisch krank sind ?!... Da möchte die betroffene auch nicht hin... aber wenn sich der Zustand weiter verschlechtert, bleibt vielleicht nur der Weg. Und via Amtsarzt einweisen lassen?...
Wir sind ratlos... Dass sie wie gesagt Nahrung zu sich nimmt ist OK. Somit ist für mich ihr Zustand noch fast waagerecht /gleich bleibend. Aber es müssten unbedingt ihre Tabletten angeschaut werden, ob da ein anderes Präperat besser wäre ? Sie zittert, sie nimmt Venlafaxin (HCI), 150 und 37,5 mg...
Die Hausärztin kann sich nur um die "Standart" medikamente kümmern, gegen Bluthochdruck zB...
AlexandreCharles
Beiträge: 61
Registriert: 17. Jun 2024, 06:11
Wohnort: Emmendingen

Re: Patientin sagt: "Mir kann eh keiner helfen"

Beitrag von AlexandreCharles »

Hallo Farbengeist,
Ein Pflegegrad ist schon einmal ein großer Schritt. Es gäbe die Möglichkeit, das die Angehörigen dem Pflegedienst einen Schlüssel übergeben. Wir klingeln dann immer, können dann immer in die Wohnung - sofern wir dies vorab genehmigt bekommen haben, notfalls von Angehörigen. Der Aufbau vom Erstkontakt zum Patienten bis hin zum Vertrauensverhältnis ist dann Aufgabe des Pflegedienstes - es kann dauern, hat bisher aber immer geklappt. Ein guter Pflegedienst besteht aus verschiedenen Fachleuten mit Zusatzqualifikationen, er ist dann breit aufgestellt. Möchte die Patientin nicht von uns gewaschen werden müssen wir dies so akzeptieren - ich finde es auch wichtig den Willen des Betroffenen niemals, unter keinen Umständen zu brechen. Trotzdem ist es auch für den Ehemann eine Erleichterung, wenn wir nur mal dabei sind, beratend zur Seite stehen, Tipps geben - und auf diesem Wege dann doch ganz langsam das Vertrauen der Patientin gewinnen können.
Es gibt gerontopsychiatrische Pflegedienste, die auf psychische Probleme im Alter spezialisiert sind. Daneben gibt es in größeren Kliniken gerontopsychiatrische Abteilungen, die sich nur um psychisch kranke Patienten im Alter kümmern. Grundsätzlich besteht bei Depressionen zunächst kein großer Unterschied zum "normalen" Patienten jüngeren Alters, aber im Detail liegen doch so manche Problematiken, die speziell im Alter auftauchen.
Beim Thema Medikation wird es heikel - als Pfleger darf ich da eigentlich nichts zu sagen, Verschreibungen der Medikamente und Einweisungen in Kliniken sind den Ärzten vorbehalten. Dennoch soviel: welches Medikament die beste Wirkung zeigt kann leider nur durch ausprobieren festgestellt werden. Soweit meine persönliche Erfahrung an mir. Zittern kann völlig unterschiedliche Ursachen haben: da sollte ebenfalls ein Arzt, gerne per Überweisung vom Hausarzt an einen Neurologen, diverse Krankheiten untersuchen. Tremor kann auf Parkinson hinweisen, Depressionen können das auslösen, Demenz wäre eine theoretische Möglichkeit... da muss der Fachmann ran, es gibt zu viele Krankheiten, die in Frage kommen. Der Neurologe kann euch dann auch beim Thema Venlafaxin weiterhelfen: das gehört ebenso zu seinem Fachbereich. Zu gerne würde ich die Patientin zumindest in eine gerontologische Tagesklinik bringen, um noch besser die möglichen Ursachen abklären zu lassen - aber so wie es sich anhört wäre das eventuell zu viel verlangt, da muss auch Rücksicht auf die Betroffene genommen werden.
Vielleicht konnte ich Dir irgendwelche Ideen an die Hand geben und ihr versucht, euch über das Internet Adressen für Fachärzte rauszusuchen. Sollten Fragen auftauchen - nur keine Scheu, gerne hier anschreiben, bis ihr die richtige Unterstützung gefunden habt - das kann leider etwas dauern.
Ich finde es aber toll wenn die Angehörigen sich um die Probleme kümmern und Lösungen suchen - so selbstverständlich wie man vielleicht meinen könnte ist das gar nicht.
Ganz liebe Grüße
Alex
Ich bin zu alt um jung zu sterben.
DieNeue
Beiträge: 5831
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Patientin sagt: "Mir kann eh keiner helfen"

Beitrag von DieNeue »

Hallo Farbengeist,

bei uns gibt es beim Sozialpsychiatrischen Dienst auch einen extra gerontopsychiatrischen Berater. Vielleicht gibt es bei euch auch sowas? Wäre evtl. auch noch eine Anlaufstelle.
Deine Situation ist bestimmt sehr anstrengend. Ich war mal ein paar Wochen mit einer älteren Frau in einem Zimmer, als ich in einer psychiatrischen Klinik war. Sie hat ähnlich gejammert und lag fast nur rum. Ich fand das auf Dauer ziemlich anstrengend.
Dass nichts mehr schmeckt, hatte ich auch. Ich habe irgendwann gedacht, ich kann einfach nicht kochen, aber an dem lag es nicht. Nur Obst und Süßes ging noch gut.

Ich wünsche euch, dass ihr bald Hilfe findet und deine Angehörige diese auch annehmen kann.

Liebe Grüße,
DieNeue
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