Wie soll es weitergehen?

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Porzellan
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Wie soll es weitergehen?

Beitrag von Porzellan »

Hallo, ich bin 22 Jahre alt und habe ein sehr kompliziertes Leben hinter mir, wovon vermutlich auch andere ein Lied singen können. Ich fange einfach direkt an.

Mit 17 Jahren habe ich die Krätze bekommen. Das hat mich in der Zeit sehr stark belastet, da es ja auch meine Familie abbekommen hat und ich das ganze Haus angesteckt habe. Es kam raus das ich die Krätze von einem guten Freund bekommen habe, aber das ist eine andere Geschichte. Ich habe alles getan um dieses Jucken endlich loszuwerden, ohne Erfolg. Hausärzte, Hautärzte und Apotheken haben alle gesagt ich solle mich gedulden, das wird schon wieder. Leider hat es aber nie aufgehört und das bis ich ungefähr 19 Jahre alt geworden bin. Ich war ein sehr glücklicher, zufriedener und sexuell aktiver Mensch, aber in der Zeit haben sich diese drei Sachen abgebaut, da ich mich einfach minderwertig gefühlt habe. Das dann noch die Corona Pandemie als 18. Geburtstag Geschenk dazu kam, muss ich wohl nicht erwähnen was das für Auswirkungen hatte.

Nachdem ich dann endlich geheilt war, wo ich wirklich kurz davor war aufzugeben, habe ich wieder angefangen mehr mit meinen Freunden zu machen, etc.
Da die Pandemie halbwegs am ausklingen war und man schon vergessen hat wie sich physischer Kontakt anfühlt, hab ich mich auch um mein Sexleben kümmern wollen. Dazu muss aber noch erwähnt werden, dass ich in einer muslimisch geprägten Familie aufgewachsen bin. Es kam mir nie in den Sinn, dass ich selber mal auf Typen stehen würde, denn ich hatte ja nur die Frauen im Sinn, also hab ich gemerkt, dass ich Bi-Sexuell bin. Das ist wichtig zu erwähnen, da sich meine Familie gegen sowas ausspricht. Der dadurch entstehende Psychische Druck wird unterschätzt. Das Gefühl falsch zu sein, obwohl man doch nichtmal was dafür kann und wie willst du das einem erklären der das nie selbst erlebt hat?
Aber zurück zum Sexleben. Ich bin also ein junger, naiver und neugieriger Bursche der sich gerne ausprobieren möchte. Ich kam in Kontakt mit einem der 28 Jahre alt war. Meine Triebe und meine naivität hat mich dann leider dazu gebracht mich mit ihm zu treffen. Ich habe ihm geschrieben, dass ich noch unerfahren und Jungfrau bin, was Männer Geschichten angeht. Er schrieb ich solle mir keine Sorgen machen, er kümmere sich um mich. Also treffen wir uns, fahren in einen abgelegenen Ort und direkt holte er seine Keule raus und wollte bloß keine Zeit verschwenden. Ich hab ihm ein Zeichen gegeben wie unangenehm mir die Situation gerade einfach war. Er hat gar kein Verständnis gezeigt. Er hat mich so abwertend angeguckt und sagte zu mir "Wie unangenehm? Reiß dich zusammen". Bei meinem jetzigen Kopf würden natürlich alle Alarmglocken klingeln, aber man lernt ja aus seinen Fehlern. *** Das hat mich sehr traumatisiert. Ich konnte mit niemanden drüber sprechen. Ich hab es auch bis heute nie getan. Am liebsten würde ich es einfach vergessen.

*** ich schäme mich endlos zum Arzt zu gehen damit, weil ich denke das ich immernoch unbehandelte Schäden davon habe.
Ich hatte sehr viele Freunde. Natürlich habe ich aber auch einen engeren Kreis. Zwei Jungs und ein Mädchen die ich alle mindestens zehn Jahre kannte zu dem Zeitpunkt, mit denen ich über alles reden konnte, dachte ich zumindest. Sie kehrten mir alle nacheinander den Rücken zu und kümmerten sich um ihre eigenen Leben. Was auch wirklich nicht verwerflich ist, aber wie kann man denn einfach so den Kontakt zu jemanden abbrechen den du solange kennst? Man hat ein Jahrzehnt miteinander verbracht. Ich bin ein Mensch der seinen Frust in sich rein frisst, wenn Menschen mir respektlos kommen, schlucke ich die Wut und entgegne mit Empathie. Das kostet mich viel Energie.

Da meine Familie zuhause durch den vorhin genannten Druck auch kein gutes Umfeld für mich war, hab ich meine Sachen gepackt und bin nach Berlin gezogen um Physik zu studieren. Ich habe mein Abi mit Stolz bestanden und habe gehofft endlich wieder glücklich zu werden nach den ganzen Krisen. Doch dann machte mir das Physik Studium ein Strich durch die Lebensrechnung. Es ist noch schlimmer als alle gesagt haben und obwohl ich im ersten Semester auf 1,2 stand hab ich mich maximal unwohl gefühlt.

Dann kam der Tag:
Eines Tages, mitten im ersten Semester bin ich an einem Montag aufgestanden und hatte einfach keine Lust zur Uni zu gehen. Kann man mal machen. Doch dann wurde aus ein Tag, eine Woche und aus einer Woche schon Monate. Ich hab angefangen Cannabis zu konsumieren um meine Gefühle irgendwie zu unterdrücken, da ich jedes Mal fast anfange zu weinen, wenn ich an meine Vergangenheit denke. Das ganze hat sich durchgezogen bis heute. Das waren insgesamt anderthalb Jahre jetzt, wo ich nicht gearbeitet, nicht studiert und auch nichts anderes gemacht habe. Ich stand am Rande des Abgrundes und war kurz davor mir das Leben zu nehmen. Denn plötzlich muss ich mit Übergewicht kämpfen und auch noch eine schmerzhafte Stelle in der Schulter, die ich bis heute nicht hab anschauen lassen von einem Arzt.
Irgendwie habe ich dann doch die Kurve gekriegt. Ich habe mich nicht umgebracht, ich habe entschieden weiter zu Leben, da ich das meinem kleinen Bruder nicht antun wollte.

Jetzt stehe ich hier... Keine Ziele im Leben, Keine Freunde die Zeit für mich haben, Keiner der mir aufhelfen möchte. Was soll ich tun? Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels. Ich verstehe einfach nicht was ich falsch mache. Das was mir die letzten zehn Jahre passiert ist werde ich nie vollständig aufarbeiten können, aber wie soll man lernen damit umzugehen und wie motiviere ich mich im Leben? Für wen soll ich Leben und wieso soll ich das?
Oder einfach, Wie soll es weitergehen?

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Wolfgang1
Beiträge: 11
Registriert: 26. Mai 2024, 21:14

Re: Wie soll es weitergehen?

Beitrag von Wolfgang1 »

Hallo Porzellan.
Das hört sich in der Tat kompliziert an. Traumatische Ereignisse wie du es erlebt hast können auch Menschen die zuvor stabil waren komplett aus dem Leben werfen, und wenn man wie du bereits zuvor psychisch belastet war, trifft es einen natürlich nochmal härter. Daher finde ich es erstaunlich, dass du es anschließend überhaupt noch so lange geschafft hast deinen Alltag normal weiterzuführen - Abitur und Studium, plus dass du dann auch noch von deiner Familie weg warst, wobei ich mir vorstellen könnte dass dies auch kein einfacher Schritt war.
Was ich nicht so ganz verstehe ist die Tatsache, dass deine guten Freunde die du ja so lange hattest sich genau in der Zeit nach dem Ereignis von dir abgewendet haben, wahrscheinlich genau dann als du sie am meisten gebraucht hättest. Meinst du es könnte da einen Zusammenhang geben?
Dass du mit ihnen nicht wie gedacht über alles reden konntest ist offensichtlich, aber ob du versucht hast mit ihnen darüber zu reden, geht für mich nicht klar hervor.

Dass es nicht besser wird wenn man alles nur mit sich selbst ausmacht, erscheint mir relativ logisch.
Wie hast du denn überhaupt die letzten 1 1/2 Jahre verbracht? Den ganzen Tag nichts gemacht außer Gras geraucht? Für mich schwer vorstellbar. Ich meine irgend eine Beschäftigung muss man doch zumindest haben, oder? Wie sieht es mit sozialen Kontakten aus, warst du die ganze Zeit allein?
Zumindest hast du einen Bruder der dir viel zu bedeuten scheint, ich nehme mal an dass demnach auch Kontakt besteht. Wie sieht es mit dem Rest der Familie aus?

Wie es nun weiter gehen soll kann ich dir so spontan leider auch nicht sagen, aber ich rate dir dringend dich mit deinen Problemen weiterhin auseinander zu setzen und darüber zu reden. Eine ehemalige Freundin von mir hat etwas ganz ähnliches erlebt wie du, nunja bei ihr war es eine Vergewaltigung, ich weiß nicht ob du diese Definition auch für dich als passend findest. So oder so, war es für sie - genau wie für dich auch - eine traumatische Erfahrung. Es hat einige Jahre gedauert, aber sie hatte eine sehr einfühlsame Therapeutin und unter anderem mit deren Hilfe hat sie es geschafft das ganze aufzuarbeiten und mental damit abzuschließen.
Du schreibst nichts über therapeutische Betreuung, demnach gehe ich einfach mal davon aus dass du es noch nicht versucht hast, und falls das so ist wird es bestimmt seine Gründe haben. Ich finde es auch absolut verständlich falls du der Ansicht bist, dass du über sehr persönliche Dinge lieber mit vertrauten Personen reden möchtest die du schon lange kennst. Allerdings wenn so jemand nicht zur Verfügung steht, denke ich ist das immernoch eine Alternative die man zumindest ausprobieren könnte.
Porzellan
Beiträge: 3
Registriert: 10. Jun 2024, 04:13

Re: Wie soll es weitergehen?

Beitrag von Porzellan »

Erstmal danke für deine Antwort, es ist schön das alles endlich mal angesprochen zu haben zumindest.
Du hast Recht, ich habe mich geschämt mit meinen Freunden darüber zu reden. Ich bin dann ja auch nach Berlin und dadurch haben sich die "Kontaktfäden" einfach so sehr gedehnt, dass diese gerissen sind. Man hat sich logischerweise weniger gesehen und auch weniger gemacht, wo es mir noch viieeel schwerer fiel es anzusprechen, denn wenn man sich nur einmal die Woche hört, will man doch die Zeit meines Gegenübers nicht mit schlechter Laune verschwenden. Im Nachhinein war aber nicht ich das Problem, dass weiß ich auch.

Doch, die letzten anderthalb Jahre war meine Haupttätigkeit zocken, Serien/Filme schauen, essen, kiffen und schlafen. Nichts anderes. Es gab Tage (Einmal die Woche) da bin ich natürlich mit meinen neuen Studentenfreunden unterwegs. Das sind sehr gute Menschen und ich bin mir sicher die würden mir zuhören, aber die Scham und das ich den auch nicht zur Last fallen möchte sind einfach größer.
Mein Bruder ist 11 Jahre alt geworden, der macht gar nichts leider 😅
Meine anderen Geschwister sind alle toxisch, mit denen kann man nicht reden ohne psychisch der stabilste Mensch der Welt zu sein.
Tut mir leid für deine Freundin, ja das ist wirklich nochmal ganz anders als man sich das vorstellt. Die Wut die da hoch kommt, die zu bändigen, dass macht es so schwer für mich.
Ich hab mal eine E-Mail zur Terminvergabe für einen Therapeuten versendet, was mich schon seeehr viel Energie gekostet hat, aber dann hab ich keine Antwort bekommen. Das war vor einem Jahr. Drum kümmern möchte sich meine Psyche auch einfach nicht.
Jap, mit den ganzen Themen muss man zur professionellen Hilfe, da kann mir ein Freund auch schwer helfen. Nur wie mache ich es denen klar, dass es ein "Notfall" ist, denn ich will ganz normal weiter leben, aber es geht nicht, mein Kopf hält mich auf
Pimpinelle
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Registriert: 28. Mär 2024, 08:31

Re: Wie soll es weitergehen?

Beitrag von Pimpinelle »

Hallo Porzellan,

du bist weiterhin in Berlin, richtig? Dort gibt es ja auch Beratungsstellen, Berlin sollte da recht gut aufgestellt sein zu verschiedensten Bereichen. (Vielleicht gibt es sogar psychologische Beratung an deiner Uni? An meiner gab es das.)
Beim schnellen Googeln zur Beratung für junge Erwachsene in Berlin habe ich einiges gefunden, was echt gut klingt (auskennen tue ich mich in Berlin leider nicht). Und sogar speziell für Männer, die traumatisierende Erlebnisse durchgemacht haben. Eine Beratungsstelle ist dann oft viel leichter und schneller zugänglich als ein Ersttermin beim Therapeuten. Und die Berater oder Beraterinnen sind entsprechend professionell ausgebildet, verstehen, wie man sich fühlt und wie einen das ausbremst. Und helfen dann auch, weitere therapeutische Anlaufstellen zu finden, bei Bedarf.

Vielleicht wäre so etwas eine Option? Ist nur eine Idee. Ich kann deine Psyche gut verstehen, dass ihr das nicht leicht fällt - und die Situation, bei E-Mail-Anfrage keine Antwort zu bekommen, hatte ich auch schon. (Ich selbst probiere gerade wieder die kassenärztliche Terminvermittlung, darüber hatte ich auch schon mal Glück für einen schnellen Therapieplatz.)

Und ja, es ist wichtig, darüber reden zu können, es entlastet und dann kann man auch den Kopf frei kriegen, sein Leben weiterzuleben, wie du sagst. Alles Gute dir.
Porzellan
Beiträge: 3
Registriert: 10. Jun 2024, 04:13

Re: Wie soll es weitergehen?

Beitrag von Porzellan »

Das Erzählen hat mich ein bisschen erleichtert und auch motiviert mir Hilfe zu holen. Dafür das du dir die Zeit für mich genommen hast danke ich dir sehr. Ich wünsche dir auch alles Gute.
Suchende2
Beiträge: 1396
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Wie soll es weitergehen?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Porzellan,

schön, daß Du Dir Hilfe suchen möchtest. Du hast wirklich schlimmes erlebt.
Hast Du schon mal daran gedacht, Dir Hilfe / Beratung / Unterstützung zu suchen für Menschen, die sexuelle Gewalt erfahren haben?

Für Männer habe ich auf die schnelle folgende Stellen in Berlin gefunden:
Kind im Zentrum (KiZ) - das ist auch für junge Erwachsene
Hilfe-für-Jungs-e.v.
Tauwetter e.V.
BIG Hotline
Weisser Ring


Du schreibst:
"Jetzt stehe ich hier... Keine Freunde die Zeit für mich haben, Keiner der mir aufhelfen möchte. Was soll ich tun? ...Ich verstehe einfach nicht was ich falsch mache. ..., aber wie soll man lernen damit umzugehen und wie motiviere ich mich im Leben? Für wen soll ich Leben und wieso soll ich das?
Oder einfach, Wie soll es weitergehen?"

Du hast nichts falsch gemacht!
Du kannst lernen, damit umzugehen. Das ist ein meistens ein langer und schmerzlicher Weg. Aber den gehst Du nicht alleine und er lohnt sich.
Es genügt, wenn Du vorübergehend für Deinen Bruder lebst. Wenn es Dir besser geht, wirst Du sehr wahrscheinlich auch wieder Gründe in Dir finden. Das "wie" wird sich finden, auch wenn Du es Dir im moment nicht vorstellen kannst.
Ich denke, Du hast bestimmt Menschen in Deinem Umfeld, die Dir gerne aufhelfen würden, wenn sie wüßten, wie es Dir geht.
Mir ist aber auch klar, daß es schwer ist, über solche Themen zu sprechen, wenn man sich nicht sicher ist, wie die andere Person wirklich reagiert.

Ich wünsche Dir alles Gute, genügend Mut für Deinen Weg und viele gute Menschen an Deiner Seite,
Suchende
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