Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

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Saden
Beiträge: 11
Registriert: 5. Aug 2022, 19:05

Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

Beitrag von Saden »

Hallo zusammen,

ich habe mich schon vor einiger Zeit hier registriert, bin dann aber vor der Idee, ich könnte depressiv sein, geflüchtet. Das war sehr anstrengend und hat mich derart überfordert, dass ich komplett handlungsunfähig wurde.
Ich bin seit März krankgeschrieben worden, depressive Episode. Das zu hören war irgendwie so erleichternd. Endlich ein Name für diese unendliche Erschöpfung...ich wusste es, konnte es mir aber nicht erlauben. Bewusste depressive Episoden habe ich seit ich 15 bin, es gibt biografisch einigen Anlass irgendwelche Störungen zu entwickeln, aber das bringt mich nicht mehr weiter. Vermute die Depression ist sekundär. Erschöpfe mich selbst an jahrelang eingeübtem Funktionieren. Intellektuell verstehe ich das. Emotional komm ich nicht mit.

Ich bin nun endlich in einer Tagesklinik aufgenommen worden und brauchte 2 Wochen, um mich für Mediamente zu entscheiden. Mir wurden hier bisher eine schwere Depression und episodische Depressionen diagnostiziert. Das fühlt sich an wie eine Erlaubnis, dass es ist wie es ist und nichz positiv von mir wegaffirmiert werden muss und kann.

Andererseits wird mir bewusst, wieviel Angst ich habe. Abzugeben, Loszulassen. Ich wage zum ersten Mal, meine Innenwelt preiszugeben und mich irgendwie an diesen übermächtigen Schamgefühlen vorbeizuschlängeln. Das ist erstaunlich anstrengend, und ich verstehe diesen Widerstand kaum, weil ich es doch will. Mich in einem Zustand emotionaler Offenheit zu halten lässt mich so unfassbar verletzlich und hilflos fühlen. Ich kann das aber nicht mehr länger in mir halten. Ich frage mich, ob das Angst vor meinen eigenen Gefühlen ist. Und wer ich bin, wenn ich all das zeige. Ich hab mich so viele Jahre analysiert und angepasst, dass ich mich selbst vor lauter Bäumen garnicht sehen kann.

Ich weiß auch nicht, ob es Sinn macht, darüber mit der Therapeutin zu sprechen. Irgendwie weiss ich immer nicht, ob das vielleicht unangemessen ist oder so, ich meine in der Klinik können die ja nichz plötzlich all meine Probleme lösen (schon klar, muss ich selber) Ich befürchte wertvolle Zeit mit solchen Gedanken zu verschwenden.

Helfen Medikamente gegen diese Denkart? Gegen dieses "da sind hunderte von Themen und ich weiss nicht, wo ich anfangen soll und wie ich mich erklären soll." ? Gegen die Angst, völlig überflutet zu werden? Ich weiss, dass ich daran nicht sterben kann, aber diese Angst fühlt sich real so an als bekäme ich einen Herzinfarkt. Weiß auch nicht ob ich durch meine Abwehr komme, die ist ganz schön tricky. Obwohl ich heulend dasitze versuch ich uns weiter vorzumachen, alles sei eigentlich gut...was ich einfach so strange finde, dass meine Impulse da so stark sind mich selber zu verleugnen! In mir sagt etwas, dass ich mich nur anstelle.

Ich kann mir nicht vorstellen wie Antidepressiva wirken. Habe Angst mich zu verlieren irgendwie. Bin auch jeden Tag angespannt und habe Schmerzen. Ist dieser innere Kampf üblich? Gibt es bewährte Strategien sich selbst zu ermutigen? Hat jemand von euch realistische Ermutigungen?

Ich schicke liebe Grüße
Iwnm
Beiträge: 126
Registriert: 26. Jun 2023, 14:03

Re: Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

Beitrag von Iwnm »

Hallo Saden,
Der innere Kampf ist sehr üblich, würde ich behaupten. Ich nehme an, wer zum Großteil zu 100 Prozent hinter sich selbst steht, ist weniger gefährdet Depressionen zu bekommen. Und wer sie dann hat, bei dem geben die Zweifel und der inneren Kampf nochmal Vollgas.
Angespanntheit, körperliche Schmerzen... die Liste möglicher Symptome ist lang.
Mir hilft es manchmal mich über das Krankheitsbild zu informieren, um zu verstehen, dass ich nicht komplett irre bin und um das alles als Krankheit zu akzeptieren.
Antidepressiva haben mir geholfen Angstzustände und Panikattacken zu lindern. Nebenwirkungen sind bei mir nicht nennenswert. Aber da sind die Erfahrungen sehr individuell. Hast du Angst dich aufgrund der Antidepressiva zu verlieren? Diese Ängste solltest du hier, mit deinen Mitpatienten und deinen Therapeuten besprechen.
Die Anteile von dir, die sagen, dass du dich nur anstellst, haben keine Ahnung. Die darfst du getrost ignorieren. Das sind die Anteile, die wesentlich dafür zuständig sind, dass es dir jetzt so geht.
Dir vorzumachen, dass eigentlich alles gut ist, ist sicher auch ein Selbstschutz. Aber du bist trotzdem angeschlagen und kannst stolz auf dich sein, dass du dir Hilfe gesucht hast.
Mit Therapeuten über etwas sprechen, sollte niemals unangemessen sein. Dafür sind sie da. Und deine Mitpatienten und das Forum sind auch Orte, an denen du deine Gedanken los werden kannst.
Der innere Widerstand loszulassen und das Innere nach außen zu kehren ist doch irgendwie auch verständlich. Da kämpfen Anteile von uns ums Überleben. Strategien und Schutzmechanismen die uns im Grunde helfen wollen, aber dabei leider mehr schaden, wollen nicht so gerne angeschaut und aussortiert werden. Sei geduldig und lieb zu dir. Die Krankheit und die Therapie sind anstrengend und es braucht Zeit.
Alles Liebe
Suchende2
Beiträge: 1369
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Saden,

willkommen im Forum. Ich wünsche Dir einen guten Austausch.

Sprich mit Deiner Therapeutin! Nichts ist zu "unwichtig" oder schambehaftet, als daß Du es nicht besprechen solltest und könntest.
Und wenn Du nicht weißt wie, dann drucke Deinen obigen Text aus und lege ihn vor.
Ich konnte am Anfang auch nicht priorisieren und kam in die Einzeltherapie immer mit einer langen Liste. Davon wurde dann nur ein Bruchteil geschafft und so wuchs die Liste von Woche zu Woche.
Meine Therapeutin hat mir dann beim priorisieren geholfen.
Deine Themen sind alle irgendwie miteinander verzahnt. Wenn Du an einem Zahnrad (Thema) drehst, drehen sich andere Zahnräder mit und somit kann sich etwas klären, ohne daß Du daran direkt gearbeitet hast.

Medikamente wirken bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich. Ich kann Dir nur von mir berichten.
Ich habe zu lange mit Medikamenten gewartet. Medikamente haben mich therapiefähig gemacht.
Ich hatte durch meine Medikamente auch keine "Watte im Kopf" oder sonstiges. Mich haben die Medikamente stabiler gemacht.
Leider mußte ich das am besten wirkende Medikament wegen Nebenwirkungen absetzen.

Mit Hilfe Deiner Therapeutin wirst Du Deine innere Abwehr bearbeiten können. Du wirst wahrscheinlich erkennen, daß sie durchaus auch ihre guten Seiten hat und Dich auch geschützt hat. Gehe mindestens so liebevoll mit Dir selber um, wie Du mit Dir nahestehenden Menschen umgehen würdest.

Dieser Kampf ist üblich und jeder muß seine eigenen wirkenden Strategien finden.
Ich kann Dich ehrlich ermutigen. Ich war 1 1/2 Jahre in der schweren Episode, danach sehr lange in der mittelschweren.
Mein Weg war und ist sehr anstrengend, aber es hat sich gelohnt.

Alles Gute,
Suchende
Wolfgang1
Beiträge: 11
Registriert: 26. Mai 2024, 21:14

Re: Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

Beitrag von Wolfgang1 »

Hallo Saden.
Die Frage die ich mir zu allererst stelle ist, woher kommt dieser jahrelange Drang zum Funktionieren? Sind das deine eigenen Ansprüche, oder kommen die eher von deinem Umfeld?
Dein bisheriger Umgang mit der Krankheit hört sich nach klassischer Verdrängung an. Es gibt bestimmt viele Menschen die es genauso machen. Bei manchen mag das funktionieren, und die Symptomatik verschwindet von alleine wieder, doch bei anderen ist das Gegenteil der Fall - es verschlimmert sich.
Es mag einerseits schade sein, dass du so lange gebraucht hast, um Gewissheit zu bekommen was tatsächlich mit dir los ist. Andererseits denke ich mir dass es bestimmt eine große Erleichterung ist.

Was die Gespräche in der Tagesklinik angeht, da würde ich mir gar keinen Stress machen. Möglicherweise werden dir Fragen gestellt, dann brauchst du nicht so viel überlegen was du von dir aus sagst. Du musst natürlich nicht auf alles antworten, wenn dir bei etwas unwohl ist. Ansonsten kannst du einfach frei erzählen, was dich beschäftigt, über mögliche Ursachen deiner Erkrankung (falls du da schon eine Vermutung hast) oder auch über ganz allgemeine Themen. Und wenn du gerade nicht über etwas reden willst, dann halt nicht. Wenn man unter Druck steht ist das keine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Genesung, von daher versuche es locker anzugehen. Du selber entscheidest wie weit du gehen möchtest. Tu einfach das was sich richtig anfühlt, denn dann wird es auch richtig sein. Mach dir selber keinen Stress, und lass dir auch von anderen keinen machen.

Deine Skepsis vor der Einnahme von Antidepressiva finde ich absolut nachvollziehbar. Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Medikamente, viele sagen es war für sie die Rettung, aber manche sagen auch es hat ihnen geschadet. Wenn du Angst davor hast, wird es wohl dafür einen Grund geben. Jeder Mensch kennt sich selbst am besten, nur reicht meist das Bewusstsein nicht aus, um jegliche Gefühle und Gedanken vollständig nachvollziehen zu können. Und leider sind auch manche Ängste irrational, bedeutet man fürchtet sich auch vor Situationen in denen es keinen triftigen Grund gibt, das basiert dann meistens auf negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit.
Sicher wissen würdest du es wahrscheinlich erst falls du es ausprobierst. Zu deiner Beruhigung, Antidepressiva verändern nichts an deiner Denkweise, sie beeinflussen lediglich dein Befinden. Bedeutet hauptsächlich, dass negative Gefühle wie Angst deutlich weniger wargenommen werden. Parallel dazu werden positive Gefühle länger und intensiver wargenommen.
Man wird dadurch kein anderer Mensch, man fühlt sich nur anders.
Es gibt natürlich auch negative Aspekte, mögliche Nebenwirkungen oder Absetzungserscheinungen falls man sie irgendwann nichtmehr nehmen möchte. Darüber könntest du dich ja mal erkundigen.
Falls dir das zu aufwendig erscheint, kann ich dir von meiner Expertise aus sagen, dass ich bei den meisten ADs die Risiken bei einer zeitlich begrenzten Einnahme für relativ gering halte.
Die Frage die du dir stellen könntest ist daher was wäre der mögliche Nutzen, und dann quasi pro und contra gegeneinander abwägen.
Saden
Beiträge: 11
Registriert: 5. Aug 2022, 19:05

Re: Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

Beitrag von Saden »

Danke für eure Antworten und Erfahrungsberichte <3
Es fühlt sich gut an nicht alleine zu sein. @Suchende, ja ich lese mich so langsam hinein...glaube dass ich zwar erleichtert bin aber die Diagnose noch nicht so richtig annehmen kann. Verrückterweise beschäftige ich mich schon lange mit dem Thema, auch beruflich, aber ich mich jetzt zu belesen und mich selbst in der Symptomatik zu erkennen ist wie ganz neu. Ich glaube, auch der nahe Ausblick macht mich so traurig. Hab so viel Zeit verschwendet und wenn ich im Forum lese wie mühsam und langwierig alles ist weiß ich grade gar nicht mehr, wie mein Leben in nächster Zeit aussehen soll. Ich hatte Wünsche für mich...ein Teil von mir möchte einfach wieder "funktionieren"...
@Iwnm : die Anteile in mir, die keine Ahnung haben reissen aber ganz schön die Klappe auf (wie das bei keine Ahnung ja gerne üblich ist) Es ist schwer, einmal nicht auf sie zu hören. Danke für den schönen Satz. Ich musste ein bisschen lachen.
@Wolfgang: ich weiß schon relativ detailliert warum, aber ich hab noch nie darüber reden können in Zusammenhängen. Irgendwie innere Redeverbote und völliges Chaos im Kopf, wenn ich es versuche. Ich hatte hier damals darüber schreiben wollen aber das war dann irgendwie zuviel. Im Kern wurde Anpassung von mir als Pflegekind erwartet und auch durchgesetzt mit Angst und Beschämung. Ich bin wohl vom Typ her auch nie eine Kämpferin gewesen und habe mich schon als Kind tief in mich zurückgezogen.
Ich glaub eine Angst ist, dass ich niemand bin. Dass ich irgendwie eine Lüge bin. Ich hab grad keine Ahnung woran ich mich festhalten soll, irgendwie löst sich alles auf. Als ob ich jetzt auch noch mich selbst verliere
Wolfgang1
Beiträge: 11
Registriert: 26. Mai 2024, 21:14

Re: Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

Beitrag von Wolfgang1 »

Ich verstehe sehr gut was du meinst. Es ist definitiv ein riesen Unterschied ob man bei seinen biologischen Eltern aufwächst oder in einer "fremden" Familie. Blut ist dicker als Wasser, das ist nicht nur so eine Redensart. Bei Menschen die mit einem verwandt sind, spürt man intuitiv Zuneigung, Vertrautheit und Geborgenheit, selbst wenn man um diese Tatsache nichtmal Bescheid wüsste.
Dieses beruht natürlich auf Gegenseitigkeit, und so fällt es Menschen meist viel leichter ein Kind so zu akzeptieren wie es ist, einfach nur aufgrund der Tatsache dass es ihr eigenes ist. Es werden Dinge akzeptiert und toleriert, und die meisten Fehler verziehen, was nun bei einem nicht eigenen Kind deutlich schwerer fällt und daher seltener vorkommt.
Umgekehrt fällt es Kindern die nicht bei ihren richtigen Eltern aufwachsen oft deutlich schwerer, Dinge von denen anzunehmen. Damit sind hauptsächlich Regeln und Verhaltensweisen gemeint.
Die Frage danach wer du bist finde ich durchaus berechtigt. Die meisten Menschen orientieren sich während ihrer "Entwicklungszeit" hauptsächlich an ihren Eltern. Wenn aber aus naheliegenden Gründen während dieser Zeit eine Disharmonie vorliegt, funktioniert das oft nur teilweise.
Etwas das die meisten anderen in ihrer Kindheit/Jugend mitbekommen, fehlt dir. Aber das bedeutet nicht, dass es immer so sein wird.
Es gibt bestimmt Dinge die du von deinen "Eltern" gelernt hast, und du hast von ihnen bestimmt auch gutes vermittelt bekommen. Nur scheint es eben nicht ausreichend gewesen zu sein, und somit ist ein Defizit entstanden.
"Kinder" wie du brauchen oft deutlich länger, um ihre Identität zu finden - logischerweise.
Allerdings denke ich, dass es dazu wichtig ist dein Problem anderen Leuten mitzuteilen. Ansonsten wird es schwierig sein, dich zu verstehen und dir die passende Hilfe anzubieten die du brauchst.
Es ist absolut verständlich dass es dir schwer fällt darüber zu sprechen, aber ich sehe ehrlich gesagt keine andere Möglichkeit. Vielleicht versuchst du es tatsächlich nochmal hier im Forum, fürs erste. Schreiben fällt wahrscheinlich um einiges leichter, zumal es hier ja auch anonym ist, und das könnte der erste Schritt für dich sein, um später auch in realen Gesprächen Dinge aufzuarbeiten.
Saden
Beiträge: 11
Registriert: 5. Aug 2022, 19:05

Re: Angst davor, mich in Therapie zu offenbaren

Beitrag von Saden »

Dankeschön für dein Verständnis und Mitgefühl. Ich werde es in der nächsten Zeit mal versuchen.
Liebe Grüße
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