Zeitdauer, um Dinge zu verarbeiten

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DieNeue
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Zeitdauer, um Dinge zu verarbeiten

Beitrag von DieNeue »

Hallo zusammen,

ich hätte mal ein Thema, wo mich interessieren würde, wie das bei euch ist.

Ich habe mit meiner Freundin schon länger das Problem, dass sie mich manchmal zu Themen ausfragt, die mir eigentlich zu privat sind oder wo ich mir vorkomme als wäre ich nur ein "Studienobjekt". Wir sehen uns echt nicht oft, aber mir war die Freundschaft eigentlich immer so wichtig, dass ich mich entschlossen hatte, das mal anzusprechen. Wir haben drüber gesprochen und es schien auch alles klar zu sein. Beim nächsten oder übernächsten Treffen fing sie aber wieder an.
Das Problem ist, dass ich da so überrumpelt bin, dass ich nicht sofort was sagen kann, und ich das Thema dann ewig mit mir rumschleppe. Bis ich kapiert habe, was da überhaupt abgelaufen ist, dauert es eine halbe Ewigkeit. Dann suche ich für mich nach Begründungen, warum ich damit nicht zurechtkomme und warum mich das so triggert. Setze mich mit meinem Problem auseinander. Ich überlege, ob ich es ansprechen soll und denke mir, ich will nicht schon wieder im Nachhinein mit Kritik ankommen. Und eigentlich ist sie ja nett und alles nicht böse gemeint, vielleicht bin ich zu sensibel usw. Irgendwann ärgert es mich so sehr, dass ich, selbst wenn ich mich dazu entschließen würde, es anzusprechen, das ganze schon gar nicht mehr sachlich klären könnte, weil ich so verärgert und verletzt bin.
Mittlerweile habe ich mich entschlossen, es doch anzusprechen, hab ihr eine sachliche Nachricht geschrieben und eine relativ nette Antwort bekommen. Darin meinte sie jedoch, dass sie es etwas schwierig finde, da jetzt drüber zu reden, weil das letzte Treffen schon mindestens ein Jahr her ist. :shock:
Ich hatte unser letztes Treffen auf kurz vor Weihnachten eingeschätzt. In meinem ganzen Kalender vom letzten Jahr steht kein Termin mit ihr.

Ich bin grade etwas geschockt, wie schnell die Zeit vergeht. Ich weiß, dass ich sie eigentlich schon im Januar drauf ansprechen wollte, aber Anfang des Jahres soviel anderes los war, dass ich gar nicht den Nerv hatte, mir zu überlegen, was ich ihr genau sagen will. Deshalb habe ich das Gespräch erstmal vertagt, indem ich ihr geschrieben habe, dass es in nächster Zeit mit einem Treffen nicht klappt, weil ich grad viel Zeit für mich brauche. Jetzt hatte ich endlich den Nerv dazu, aber es ist plötzlich schon wieder fast ein halbes Jahr vorbei.

Ist es bei euch auch so, dass die Zeit gefühlt so schnell vergeht und ihr mit dem Verarbeiten von Dingen gar nicht hinterherkommt? Es ist auch bei anderen Sachen so. Alles braucht ewig viel Zeit. Ich habe manchmal das Gefühl, das Leben überrollt mich. Ich weiß nicht, wie ich in Zukunft klarkommen soll, wenn ich bei jedem zwischenmenschlichen "Zwischenfall" so lange brauch, zu verstehen, was passiert und das zu verarbeiten.
Mein Psychiater würde jetzt wahrscheinlich wieder flapsig meinen "Sie haben zu viel Zeit zum Denken.", aber wenn ich weniger Zeit zum Denken hätte, würde ich ja noch länger brauchen, um etwas zu verarbeiten. :?
Ich kann Sachen auch nicht eher ansprechen, wenn mein Gehirn wie voller Watte ist. Ich kann da nicht wirklich produktiv denken, geschweige denn ein Konfliktgespräch führen.

Geht es euch auch manchmal so?

Liebe Grüße,
DieNeue
Pimpinelle
Beiträge: 49
Registriert: 28. Mär 2024, 08:31

Re: Zeitdauer, um Dinge zu verarbeiten

Beitrag von Pimpinelle »

Hallo DieNeue,

ich kenne das so ähnlich aus anderen Lebensbereichen, dass ich dann Tage oder Wochen oder noch später plötzlich vor einer Erkenntnis stehe und denke, wieso bin ich da nicht eher darauf gekommen und hab das und das getan oder gesagt, wenn es doch so logisch ist. Und ich vor allem die ganze Zeit schon darüber nachgedacht hatte. Aber dann da wohl irgendwie "Watte" war?

In meinem Fall habe ich mich schon öfter gefragt, wie "weltfremd" ich mit so viel Grübelei/komplizierter Denkerei eigentlich bin. Auch wenn ich gerade versuche, das sozusagen nur festzustellen (für meinen Fall) und nicht zu werten, ärgere ich mich natürlich über mich selbst. Mein innerer Kritiker kommt dann natürlich auch zum Zuge.

Aber in solchen Prozessen sind wir wahrscheinlich alle unterschiedlich und es gehört vielleicht zu einem? Die Dinge "einfach mal tun" anstatt zu grübeln, passt für mich nur teilweise/in einzelnen Dingen, und bei dir verstehe ich das ähnlich - wenn man das noch gar nicht verarbeitet hat, kann man einiges ja auch nicht umsetzen.

LG Pimpinelle
Aurelia Belinda
Beiträge: 7952
Registriert: 23. Aug 2018, 20:03
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Re: Zeitdauer, um Dinge zu verarbeiten

Beitrag von Aurelia Belinda »

Huhu DieNeue,

definitiv JA! Ein Zeitgefühl, was für Otto Normalverbraucher im angemessen Zeitrahmen statt findet, dem kann und will ich auch gar nicht mehr gerecht werden....
die Seele kommt oft nicht hinterher mit Verarbeiten von Geschehnissen, auch Trigger, zwischenmenschliche Schwierigkeiten, die man gerne FÜR SICH geklärt hätte, bleiben traurigerweise oft ungeklärt, weil das Zeitfenster vom Gegenüber und mir, einfach nicht zusammen passt...
es führt manchmal dazu, dass ich wichtiges, nur mehr für mich versuche, zu verarbeiten....den anderen geht es ja nicht "schnell genug"....
und ich scheitere eben am Problem der Zeiteinteilung oder Zeitorientierung.

Das wird dann u.a. zu anstrengend für beide Seiten.
Aber das sind wohl auch menschliche Herausforderungen....sich auf ein Gegenüber einlassen zu können, auch wenn es ganz anders TICKT....da ist Kompromissbereitschaft wichtig, das Gegenüber in seiner ART auch verstehen zu wollen. Sonst bleibt immer etwas auf der Strecke, der zwischenmenschliche Bereich ist ein schwieriger Part, den man wiederum nur gemeinsam bewältigen kann...es kann letztendlich schon gutes daraus entstehen, wenn beide Seiten es wollen.
Persönlich hab ich zweierlei Erfahrungen gemacht, ich hatte mit Menschen zu tun, die absolut nicht bereit sind, sich auf Kompromisse einzulassen....heißt für mich, dass ich durch den erhöhten Zeitaufwand, meiner Seele die Zeit gebe, um es alleine für mich, zu verarbeiten, und im besten Fall, abhaken zu können...das dauert dementsprechend...
aber auch die Erfahrung dass vereinzelt, es mit gewissen Leuten durchaus möglich ist, im gemächlichen Tempo, etwas ansprechen u. klären zu können, was einem auf der Seele brennt, und belastet...

deine Freundin hat nett reagiert, immerhin.
Du kommst dir halt komisch vor, weil sie die Zeit angesprochen hat.

Liebe Grüße an dich, Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
lt.cable
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Re: Zeitdauer, um Dinge zu verarbeiten

Beitrag von lt.cable »

Ahoi, DieNeue!

Eins meiner Themen! Oft denke ich, wenn ich mich gezielt besinne: Was? Schon wieder so viel Zeit vergangen, seit...? Bei mir kommen da einige Dinge zusammen. Privat wie beruflich keinen Plan, meine Verschieberitis, die weitgehende Abkoppelung vom Leben und sozialen Bindungen selbst innerhalb der Familie. In vielen Angelegenheiten eine extrem lange Leitung. Mitunter verstehe ich erst Jahre später, was damals eigentlich Sache war und was die Leute wohl von mir gewollt oder erwartet haben.

Mich fordert die Bewältigung des laufenden Tages genug. So gehen dann die Wochen, Monate, Jahre ins Land. Ich fühle mich nicht mehr als Teil der normalen Zeitrechnung. Mir ist aber auch bereits seit Jahren nach Rückzug, Ruhe (vor allem vor Sozialkontakten) und einer eher reizarmen bzw. zumindest was die Reize angeht möglichst kontrollierten Umgebung.

Dir weiterhin alles Gute!

Es grüßt

lt.cable
Ein Nilpferd wollte zum Ballett
als schönster aller Schwäne.
Nur war es fürs Ballett zu fett.
So scheitern viele Pläne.
- Charles Lewinsky
DieNeue
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Re: Zeitdauer, um Dinge zu verarbeiten

Beitrag von DieNeue »

Hallo ihr drei,

schon mal herzlichen Dank für eure Rückmeldungen. Es beruhigt mich schon mal, dass ich nicht die einzige bin, die das so empfindet.
Ich frage mich dann auch, ob ich wirklich soooo krass anders bin als Gesunde. Dass deren Leben schneller verläuft als meins, weiß ich schon lang, aber dass die so viele Sachen in so viel kürzerer Zeit erleben und verarbeiten als ich, finde ich krass. Vor allem so zwischenmenschliche Probleme bremsen mich im Alltag zusätzlich aus. Und der anstrengende Alltag nimmt wiederum die Energie, um die anderen Sachen zu verarbeiten.

@ Pimpinelle: Richtig ärgern tut es mich noch nicht, eher ist die Angst da, dass das so bleibt und ich meine Zukunftsträume und -ziele irgendwann vergessen kann, weil ich so langsam bin. Ja, genau, wenn man es noch nicht ganz verstanden und verarbeitet hat, kann man es auch schlecht umsetzen. Irgendwann wusste ich schon, dass ich mit meiner Freundin drüber reden sollte, war aber noch in der "Wut-Phase", so dass das mit Sicherheit schief gegangen wäre.

@ Aurelia: Ja, sie hat sehr vernünftig reagiert. Da bin ich sehr froh drüber. Sie ist schon geduldig mit mir. Ich wäre jetzt auch nicht so scharf drauf, irgendwelche alten Sachen zu besprechen, an die ich mich vielleicht gar nicht mehr genau erinnern kann. Sie meinte auch, dass es schwierig ist, nach so langer Zeit da jetzt was dazu zu sagen, weil sie vieles gar nicht mehr weiß. Für mich dagegen ist es wie gestern.
Nachdem es jetzt schon zweimal so war, dass ich etwas erst sehr, sehr spät angesprochen habe, ist sie jetzt halt aber auch verunsichert, wenn sie mal länger nichts von mir hört, weil sie nicht weiß, ob wieder irgendwas "im Busch ist". Das will ich natürlich auch nicht.

@ lt.cable: Ja, der laufende Tag ist mir meistens auch schon genug. Bei mir kommt, glaube ich, noch dazu, dass ich sehr viel Zeit brauche, um Entscheidungen zu treffen. Ich habe mittlerweile auch nicht mehr so viele Beziehungen wie früher. Vielleicht kommt man auch etwas aus der Übung? Oder hat nicht so viel Gekegenheit zum Üben.

Ich denke, bei mir waren die angesprochenen Themen auch Trigger für tiefersitzende Probleme und ich bin dadurch der Ursache meiner Probleme nähergekommen. U.a. auch indem ich viel zu dem Thema gelesen und mich damit beschäftigt habe, was wiederum mit meiner Freundin eigentlich gar nichts zu tun hat, aber viel Zeit frisst.

Liebe Grüße,
DieNeue

Edit: Meine Betreuerin meinte, dass ich z.B. bei Fragen, die mich triggern, erstmal fragen könnte, warum die Person fragt. Manchmal machen Leute auch Dinge, ohne groß drüber nachzudenken. Und ein "Warum?" schafft dann vielleicht ein bisschen zeitlichen Puffer, um sich seiner Gefühle dazu bisschen klarer zu werden und manches vielleicht gleich klarzustellen, und nicht erst Monate später.
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