Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Scotch96
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Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo liebe Leute,

Ihr kämpft in ganz unterschiedlicher Form alle den selben Kampf, deshalb hoffe ich hier ein paar Antworten auf Fragen zu finden, mit denen sich die meisten Menschen zum Glück nicht beschäftigen müssen.
Vor allem auf die Frage, wo ist die Grenze erreicht, und wo bleiben eigentlich wir Angehörigen?

Noch kurz, damit es keine Missverständnisse gibt, ich habe tiefsten Respekt für alle an dieser furchtbaren Krankheit Leidenden und möchte niemals am eigenen Leibe erleben müssen, was man durchmacht, wenn man diese heimtückische Erkrankung zu ertragen hat.

Bisher habe ich Eure Erfahrungen als Gast mitgelesen und finde es heftig, was Ihr, sowohl Betroffene als auch Angehörige, schon alles mitgemacht habt. Jetzt habe ich mich angemeldet und Ihr erfahrt wie mein Leben zur Zeit aussieht.

Meine Frau, Mitte 40, hat eine schwere agitierte Depression mit psychotischen Symptomen.
Vom Erscheinungsbild weicht diese Art der Depression deutlich von der gehemmten Depression ab, welche die mit Abstand häufigste Variante ist.
Die äußeren Anzeichen sind bei ihr ständiges Jammern und Klagen, extreme Unruhe, Angst und Panik, getriebenes Umherlaufen und ständiges Finger blutig Knibbeln sowie phasenweise ununterbrochenes Reden.
Sie spricht meist in sehr kurzen Sätzen, die sich fast ausschließlich um ihren Zustand drehen und sich tausendfach am Tag wiederholen können.
Am schlimmsten ist es morgens, bei 3 Sekunden pro Satz, ohne Punkt und Komma, sind das schnell mal über 1000 Sätze pro Stunde, die auf mich einprasseln.

Was in ihrem Inneren stattfindet lässt sich nur erahnen, da sie es nicht näher beschreiben kann. Sie spricht von einem Zustand, der sie nicht sie selbst sein lässt und sie wahnsinnig macht.
Das Denken ist extrem eingeschränkt und dreht sich fast ausschließlich um diesen Zustand.
Die Diagnose lehnt sie ab und glaubt verrückt geworden zu sein, die Ärzte bleiben übereinstimmend bei der Diagnose Depression.
Ich habe seit Beginn ihrer Erkrankung mehr als 30 Bücher über Psychiatrie gelesen um ihr zu helfen, aber die agitierte Form der Depression wird meist nur als Randnotiz erwähnt.

Falls jemand von den Betroffenen das hier liest und mit Informationen oder Erfahrungen helfen kann zu erklären, was Menschen mit dieser Variante durchleben,
wäre ich dankbar dafür.
Das gleiche gilt natürlich auch für Leute aus dem medizinischen Bereich.

Von der psychologischen Seite her gibt es keine Hilfe, da ein normales Gespräch nicht möglich ist. Von der medikamentösen Seite her auch nicht, da sie offenbar therapieresistent ist.
In der ersten heftigen Krankheitsphase 2017 wurden 9 Antidepressiva, 3 Antipsychotika, Lithium und ein Antiepileptikum ausprobiert. Nichts davon hat angeschlagen.
Dazu natürlich jede Menge Benzodiazepine über die gesamte Phase hinweg und während eines neunmonatigen Klinikaufenthaltes auch Versuche mit EKT.

Die aktuelle Phase ist wieder katastrophal und geht jetzt auch schon seit über 14 Monaten. Es wurden 5 Antidepressiva, 6 Antipsychotika, 2 Antiepileptika gegeben und Benzodiazepine die ganze Zeit. Auch wurden Versuche mit Medikamenten für therapieresistente Patienten wie Ketamin und Clozapin unternommen. Keine Besserung.

Diesmal nur ein Vierteljahr Klinik, dafür größtenteils geschlossene Station mit gerichtlichem Unterbringungsbeschluss, welchen die Klinik veranlasst hat.
Die Entlassung auf eigenen Wunsch war eigentlich ein Witz, da ihr Zustand schlechter war als vor der Einweisung.
Aber ich kann verstehen dass sie wieder zu Hause sein wollte.
Die Klinik hat die Entlassung durchgewinkt, vielleicht weil keine Behandlung anschlägt, vielleicht auch weil das Pflegepersonal extrem genervt war.
Auch wenn die das dort beruflich machen sind sie der ständigen Belastung ausgesetzt, haben ihre Grenzen und müssen den Arbeitstag durchstehen.

Seit 5 Monaten spielt sich also alles wieder zu Hause ab.
Manche Dinge gehen, das meiste geht nicht oder wird abgelehnt.
Erstaunlicherweise funktionieren manche Sachen wie strategisches Denken und gewohnte Abläufe noch.
Autofahren zum Beispiel geht manchmal.
Der Rest ist schwierig.
Ein normales Leben und normale Kommunikation sind unmöglich.
Ich kann noch nicht mal mit ihr sprechen, da sie nicht in der Lage ist richtig zuzuhören, bzw. das Gesagte aufzunehmen. Mitten im Satz redet sie einfach rein, weil sie nicht länger in der Lage ist, ihren Rededrang zu unterdrücken.

Ein großes Problem ist, daß sie aus Überforderung alles ablehnt und zunehmend renitent geworden ist.
Der ganze Tagesablauf ist ein Kampf für uns beide.
Ich kann sie nichts fragen, alles wird kommentiert mit den Sätzen "Ich weiß nicht" oder "Ich kann nicht".

Vom ersten Moment des Tages an bricht sich die ganze Verzweiflung bahn.
Ihr könnt Euch das in etwa so vorstellen, wie wenn Ihr ein Kind aus einem Albtraum weckt, und es Euch in panischen, hektischen Worten und mit hoher Stimme versucht zu erzählen, was es gerade erlebt hat.
Das ständige Sprechen geht dann ununterbrochen, auch wenn ich nicht anwesend bin, dann redet sie eben mit sich selbst.
Es sind fast ausschließlich kurze Sätze, wie "Ich bin nicht mehr ich", Ich kann nicht mehr", Ich bin verrückt", "Ich will sterben".

So geht das dann über Stunden hinweg.
Die ganze Verzweiflung wird pausenlos über mir ausgeschüttet.
Ich versuche ruhig zu bleiben, geht aber inzwischen nicht mehr.
Das ständige auf mich Einreden macht schon was mit einem.
Warscheinlich wird auch das friedlichste Wesen irgendwann aggressiv, wenn man es nur lange genug reizt.
Auch wenn es niemand verstehen kann, der es nicht erlebt hat, aber auch ständiges auf einen Einreden ist eine Art psychischer Folter.

Ich tue was ich kann, gehe mit ihr jeden Vormittag 10 bis 13 km spazieren damit sie sich körperlich abreagieren kann.
Wenn ich es dann nach Mittag schaffe mich räumlich etwas abzugrenzen habe ich schon über 6 Stunden pausenloses Reden hinter mir und der Tag ist noch nicht mal zur Hälfte rum.

Ich bin unter der Last schon oft zusammengebrochen, habe geschrien, daß sie endlich still sein soll, bis ich heiser war oder bin einfach auf dem Waldboden liegen geblieben, weil ich es nicht mehr ertragen habe.
Es ist einfach nicht zu stoppen.
Ich habe mich schon mehrfach aus Verzweiflung selbst verletzt, aber auch wenn ich mir vor ihren Augen etwas antun würde, würde das den Redefluss nicht unterbrechen.
Selbst die Drohung die Beziehung zu beenden perlt völlig an ihr ab und wird maximal mit den Worten kommentiert, "Wer kümmert sich dann um mich?"

Ja sie ist schwer krank, aber auch mein Leben liegt komplett auf Eis.
Normalerweise reise ich gerne, mache Sport, lese viel, habe Spaß am Kochen und gehe öfter auf Livekonzerte weil ich meine Musikrichtung über alles liebe.
Fast nichts mehr davon ist noch möglich, da ich ständig anwesend sein muss, oder nicht die Kraft und Motivation dafür habe.

Unsere sozialen Kontakte haben wir situationsbedingt weitestgehend eingestellt, Reisen finden nur noch im WhatsApp Status von Freunden statt, meine Mountainbikes schauen mich in der Garage traurig an und der Garten blüht höchstens noch für die Nachbarn.
Die Musik, welche sie eigentlich selber gerne gehört hat, ist ihr seit Jahren schon zu viel und die Boxen taugen nur noch zum abstauben.
Es ist still geworden im Haus.
Langsam frage ich mich wofür ich überhaupt noch lebe.
Ich bin 24/7 Hausdiener und Pfleger in Personalunion.
Für all das gab es in den letzten 14 Monaten kein einziges freundliches Wort und kein einziges Dankeschön.

Nicht das wir uns falsch verstehen, das hier ist keine Schuldzuweisung.
Sie leidet wie ein Tier und hat sich das auch nicht selbst rausgesucht.
Es ist auch nicht die Krankheit an sich, es ist ihr Umgang damit, der mich verzweifeln lässt.
Sie lässt sich völlig gehen, egal ob ich damit klar komme oder nicht.
Ich kann noch nicht mal richtig einschätzen, wie es ihr geht, da sie von Beginn an, selbst in den nicht ganz so heftigen Phasen darauf besteht, das es jeden Tag schlimmer wird.
Ich weiß, das manche Patienten aus Verzweiflung über ihren Zustand beginnen ihr Umfeld zu quälen.
Aber müssen wir uns alles bieten lassen?

Die Dauer und vor allem die Intensität ihrer Erkrankung haben natürlich Spuren bei mir hinterlassen.
Ich habe schwere Schlafstörungen und heftige Alpträume.
Ich kämpfe dagegen an selbst abzurutschen, aber es ist schwer, sich jeden Tag zu motivieren und weiter zu machen, wenn man nicht mehr weiß wofür.

Ich denke manchmal darüber nach mein Leben zu beenden, nicht weil ich krank bin oder mein Leben satt habe, sondern einfach nur um mich der unerträglichen Situation zu entziehen.
Das habe ich auch offen kommuniziert.
Reaktion von ihr: "Das kannst du nicht machen, wer kümmert sich dann um mich?"

Auch wenn das alles hier wie eine Beschwerde klingen sollte, das ist es nicht, es sollte nur eine Beschreibung der Umstände sein.
Ich gebe jeden Tag alles was ich kann um meiner Frau zu helfen, aber ich wusste nicht, das diese Krankheit solche Ausmaße annehmen kann.
Seit 2017 weiß ich es.

Im Verlauf der letzten 14 Monate habe ich alle möglichen Gefühlszustände durchgemacht.
Angefangen von Trauer über die neue Krankheitsphase, über Wut, Hoffnungslosigkeit, Ohmacht, bis hin zur Verzweiflung.
Irgendwann schaffte ich es nicht mehr zwischen meiner Frau und der Krankheit zu trennen.
Am Anfang habe ich diese Krankheit gehasst, jetzt hasse ich, ohne das ich das möchte, meine Frau für das, was sie mir permanent antut.
Das kann doch nicht wahr sein!
Meine geliebte Frau, für die ich alles tun würde!
Sie zerstört in ihrem Wahn alles zwischen uns, und das schlimmste ist, das ich noch nicht mal mit ihr darüber reden kann.

Wenn ich an die Zukunft denke habe ich große Sorgen, da solche Krankheitsphasen warscheinlich wiederkommen werden, falls die jetzige irgendwann mal endet.
Ich weiß noch nicht mal was ich machen soll.
Mein Zuhause verlassen?
Mich trennen?
Durchhalten?

So, jetzt habe ich meine Gedanken wenigstens mal aufgeschrieben und bin damit nicht mehr ganz allein.
Wer weiß, wie viele von Euch ähnliches durchmachen und mehr geben als sie eigentlich können, oder als Betroffene mehr ertragen müssen als sie können.
Wenn ich ein Auto wäre, wäre ich längst mit leerem Tank liegen geblieben.
So geht es irgendwie immer weiter, obwohl es eigentlich nicht mehr geht.
Wir funktionieren, reicht doch!

Also, wie weit würdet Ihr gehen?
Wo ist die Grenze?
Habt ihr ähnliche Erfahrungen?

Euch Allen viel Kraft und vielen Dank, das Ihr Euch die Zeit genommen habt.

Liebe Grüße
Scotch
Pineapple_Pizza
Beiträge: 28
Registriert: 25. Mär 2024, 12:25

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Pineapple_Pizza »

Oh man! Das klingt wirklich unerträglich, was Ihr da durchmacht! Und auch wenig hoffnungsvoll.
Aber sag mal, bei all den Medikamenten und Diagnosen und Klinikaufenthalten, da müsste ihr doch eine Pflegestufe zustehen. Wäre das eine Option? Dass externe Betreuung kommt, um Dich zu entlasten? Damit Du einfach mal weg kannst, Deinen Dingen nachgehen, ohne die Angst, dass zu Hause alles zusammenbricht. Hast Du denn selbst auch einen therapeutischen Ansprechpartner?
Seras
Beiträge: 49
Registriert: 16. Aug 2022, 21:01

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Seras »

Hey das klingt alles ziemlich übel und Hut ab das du es dennoch so feinfühlig formulierst, obwohl du auch jedes recht hättest wütend zu sein.
Also so einen Partner oder Angehörige wie dich würden sich viele depressive wünschen, da gibt es unzählige Fälle wo Menschen sich schon wegen weit aus weniger abgewendet haben, von daher du hast genug getan.
Ich als jemand der selbst seit 20 Jahren unter Depressionen leidet lass jetzt mal die Samthandschuhe weg und sag dir ganz klar du musst für dich selbst etwas ändern und zwar schnellst möglich. Am Ende ist niemandem geholfen wenn du selbst daran zugrunde gehst.
Deiner Frau kannst du nicht helfen, also wenn sie nicht mal die Diagnose akzeptiert, wie soll dann eine Therapie funktionieren ? Das stelle ich mir sehr schwierig vor. Also was ich aus meinen Therapien weiß ist das Akzeptanz ein wichtiger Schritt ist und als Grundlage vorhanden sein sollte.
Aber gut das ist ein Thema was ihr mit Ärzten besprechen müsst, es wirkt auf mich nur sehr problematisch.
Am Ende würde ich sagen, auch wenn es sehr hart klingt, das deine Frau in ihrem aktuellen Zustand ein Pflegefall ist und vielleicht bis es ihr besser geht in betreutes Wohnen oder der gleichen gehen sollte. Wenn sie das ablehnt und der Meinung ist du wärst dafür zuständig usw. auch wenn du ihr klar sagst das du es nicht mehr kannst, dann solltest du dir überlegen dich zumindest erstmal räumlich von ihr zu trennen, bis sie einsieht das es so nicht weiter gehen kann.
Es gibt auch sowas wie den "Krankheitsgewinn" den nimmt man vielleicht als Betroffener nicht immer direkt war, aber es ist ein böser Fallstrick der dafür sorgen kann das man unterbewusst nicht mehr raus kommt. Denn es hat doch auch was praktisches wenn man sich um nichts mehr kümmern muss, für jede Laune eine einfach Begründung hat usw. die Betroffenen leiden trotzdem keine Frage, aber sie richten sich in diesem goldenen Käfig ein und wenn immer jemand alles für einen tut gewöhnt man sich dran und um so größer wird die innerliche Angst davor gesund zu werden.
Es mag etwas paradox klingen, aber ist ein Krankheitssymptom das sich bei längerem Verlauf bilden kann.
In diesem Sinne tue jetzt etwas für dich, du hast für deine Frau getan was du konntest und sei für sie da wenn es ihr besser geht, aber momentan ist der Kampf für dich erstmal vorbei und du musst wieder Kräfte sammeln.
Das klingt alles sehr hart, aber weißt du wir depressiven Menschen wollen auch ernst genommen werden und weiß Gott ich hab auch schon in meiner Depression andere Menschen sehr belastet und die hatten weit weniger Geduld als du, aber man ist nicht 24/7 über Jahre immer im gleichen Zustand und wenn man in seinen besseren Momenten nicht anerkennt: Hey hier hab ich einem Menschen unrecht getan oder die Person kann nicht mehr und das muss ich jetzt akzeptieren und auch die Bedürfnisse anderer anerkennen.... Naja dann ist man entweder extrem egozentrisch oder man ist so krank das man wirklich in eine Einrichtung gehört wo einem 24/7 geholfen wird.
Eine Depression ist eine furchtbar Krankheit, aber sie befreit einen nicht vor jeglicher Eigenverantwortung.

Liebe Grüße

Seras
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo Pineapple_Pizza,

einen therapeutischen Ansprechpartner hab ich bislang nicht, ich habe es einfach noch nicht geschafft mich darum zu kümmern. Angefragt hatte ich 2017 schon mal, aber die Wartezeiten auf einen Therapieplatz waren damals ca. 1Jahr, da habe ich es einfach gelassen..
Zumindest bin ich bei jedem Termin bei der Psychiaterin dabei und kann dort ein paar kurze Fragen stellen.
Meine Frau hat inzwischen Pflegegrad 2, jetzt muss ich mal schauen, was ich damit anfangen kann.
Zumindest traue ich mich stundenweise von Zuhause weg, tageweise geht voll vor den Baum, habe ich probiert.

Liebe Grüße
Scotch
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo Seras,

ja ich weiß, das ich dringend etwas für mich tun muß, allein die Anmeldung im Forum ist so ein erster kleiner Schritt.
Mit meiner Frau über die Diagnose zu diskutieren bringt gar nichts, sie hat nicht mal nach der ersten Krankheitsphase die Diagnose Depression akzeptiert.
Ich weiß auch nicht warum.
Im Moment ist sie wahnhaft davon überzeugt, verrückt geworden zu sein und nie wieder gesund zu werden.

Eine anschließende Therapie hat sie nicht gemacht und würde sie auch niemals machen.
Ich bin auch nicht sicher, ob ihr das etwas bringen würde, da ich davon ausgehe, dass bei ihr ein Problem im Hirnstoffwechsel vorliegt und psychosoziale Faktoren eventuell keine Rolle spielen.

Meine Frau hat inzwischen Pflegegrad 2 und natürlich ist räumliche Trennung ein Thema.
Von betreutem Wohnen hat die Psychiaterin abgeraten, da sie ihrer Meinung nach zu einer selbstbestimmten Lebensführung nicht fähig ist.
Also käme nur ein Pflegeheim in Betracht.
Aber damit möchte ich vorerst noch warten, zum einen weil ich die Hoffnung nicht aufgeben will, dass die jetzige Krankheitsphase endlich mal endet, zum anderen weil die finanzielle Belastung auch extrem hoch wäre.
Wenn die Pflegekasse gezahlt hat, bleibt trotzdem noch ein Eigenanteil von ca. 3200 bis 3500 € pro Monat übrig.
Das aus eigener Tasche zu finanzieren hält man nicht lange durch.

Bei der Sache mit dem Krankheitsgewinn hast du völlig recht, das ist auch so ein Thema das mich selber schon lange beschäftigt. Sie hat mich voll im Klammergriff und lehnt alle anderen Kontakte ab, das ist schon ein Problem.
Ich frage mich oft, ob ich sowas wie der ständige Empfänger für ihre Probleme bin, und meine permanente Anwesenheit das ganze System stützt.
Stundenweise kann ich von zu Hause weg das funktioniert, längere Zeit geht nicht.
Ich habe es ausprobiert aber wenn ich zurück kam war sie in einem katastrophalen Zustand.

Aber es stimmt schon, ich muss trotzdem dringend nach mir schauen dass ich nicht untergehe, sonst ist niemandem von uns beiden geholfen.
Es ist wirklich ein Problem dass ich mit ihr nicht darüber sprechen kann, weil sie jegliche Empathie und Einsichtsfähigkeit verloren hat.
Aber auch das ist eben Bestandteil der Krankheit.
Ich schaue nach mir, zumindest werde ich es versuchen.

Liebe Grüße
Scotch
Freiwasser
Beiträge: 43
Registriert: 16. Jan 2024, 12:26

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Freiwasser »

Guten Morgen Scotch,

Ja, das, was Du beschreibst, liest sich wie ein Extremfall. Schlimm ist, dass Deine Frau anscheinend keine guten Aussichten auf Heilung oder eine wesentliche Besserung hat. Vielleicht kannst Du zu diesem Punkt, zur Perspektive, gezielt eine fachliche Auskunft einholen, damit Du möglichst Klarheit über die Gegebenheiten, sagen wir, für die nächsten fünf Jahre erhältst.
Du schreibst von Deinen Suizidgedanken und dass Du die Interaktion mit Deiner Frau teilweise als Folter erlebst. Also bist Du selbst schwer beeinträchtigt, und es ist ganz dringend nötig, dass sich DEINE Situation und DEINE Lebensqualität verbessert. Es ist niemandem geholfen, wenn Du draufgehst. Das klingt so selbstverständlich, aber wenn man in so einer Situation gefangen ist, fällt es schwer, das so klar zu sehen.
Du bist pflegender Angehöriger einer schwer kranken Person. Du liebst sie und möchtest das Beste für sie. Die Pflegesituation verschleißt aber Deine Kräfte über die Maßen und nimmt Dir sehr viel Lebensqualität. Deswegen kann es so nicht weitergehen.
Ich sehe zwei Möglichkeiten:
1. Die Pflege Deiner Frau fortsetzen, aber dringend dafür sorgen, dass Du entlastet wirst. So dass Du Deine Kräfte regenerieren und ein gutes Leben führen kannst. Wie das geht (Pflegestufe, Pflegedienst, Klinik, ambulante Betreuung?) wissen Andere besser als ich. Du musst Deiner Selbstfürsorge eine hohe Priorität geben, Deine Freundschaften pflegen, für Deinen Körper sorgen mit Bewegung und guter Ernährung… die üblichen Tipps eben.
2. Deine Frau nicht weiter pflegen. Du darfst zu dem Punkt kommen, dass Du das nicht mehr kannst und nicht mehr willst. Punkt. Vielleicht muss sie dann in ein betreutes Wohnen, vielleicht musst Du Dich scheiden lassen, um es umzusetzen. Viele offene Fragen bei der Umsetzung, aber es ist möglich, dass Du diese Aufgabe abgibst, und es ist auch Dein Recht.
Es gibt auch Zwischenstufen. Dass sie ins betreute Wohnen geht, und Du sie weiter sehr viel unterstützt, oft besuchst, etc.
Alles Gute und liebe Grüße!
Freiwasser
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo Freiwasser,

Punkt 1 habe gleich mal sofort in Angriff genommen.
Ein Bike aus der Garage geholt und solange bergauf bis die Beine nicht mehr konnten.
Vielen Dank schon mal für's Anschieben.

Der Rest ist natürlich nicht so leicht zu erledigen.
Aber Du hast recht, ich muss mich mehr um mich selbst kümmern.
Zumindest muss ich wieder dahin kommen, dass mir mein eigenes Leben nicht mehr egal ist.
Normalerweise liebe ich mein Leben, aber im Moment ist alles weg wofür es sich lohnt.
Gute Ernährung ist im Moment das einzige was funktioniert, da ich unglaublich viel Zeit zum Kochen habe.
Ansonsten werde ich mich wohl wirklich beraten lassen, und mir eine Perspektive für die Zukunft aufzeigen lassen müssen.

Ich hatte immer gehofft, dass sich die aktuelle Erkrankungsphase irgendwann selbst limitiert, aber die Dauer von 14 Monaten ist schon bedenklich.

Punkt 2 ist natürlich schon gravierender, aber natürlich mache ich mir auch darum Gedanken.
Nach 25 Jahren Ehe (wir haben jung geheiratet) aus der Beziehung auszusteigen ist schon heftig.
Es würde für uns beide einen extremen Umsturz der gesamten Lebenssituation bedeuten.
Aber wenn ich wie jetzt kein Leben mehr habe, wäre alles besser als so weiter zu machen.

Trotzdem werde ich mir mit Punkt 2 noch etwas Zeit lassen und abwarten, ob sich etwas an der Situation ändert.
Diesen Sommer möchte ich mal noch abwarten, ob sie die Kurve bekommt.
Ansonsten muss ich raus aus der Situation, sonst geht es für mich nicht mehr weiter.
Bis dahin muss ich dringend an Punkt 1 arbeiten.
Danke für die klaren Worte!

Liebe Grüße
Scotch
DieNeue
Beiträge: 5376
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von DieNeue »

Hallo Scotch,

du hattest geschrieben, dass sie schon mal so eine Phase hatte. Wie kam sie denn da wieder raus?
Wie lange wurden denn die ganzen Medikamente einzeln ausprobiert. 14 Monate ist natürlich lang, aber solche Medikamente muss man ja langsam ein- und ausschleichen, das zieht sich ja dann. Ich frage nur, nicht, dass die Medikamente zu schnell ein- und abgesetzt wurden. Wenn das zu schnell geht, kann das den Kranken ganz schön rumbeuteln und helfen tut es gar nicht.

Wie machst du das eigentlich mit deiner Arbeit, wenn du die ganze Zeit bei ihr sein musst?

Auch als Betroffene würde ich dir raten zu schauen, dass du mehr Zeit für dich hast. Wäre es möglich auf Kur zu gehen oder in den Urlaub zu fahren, während sie in der Zeit in eine Klinik o.ä. geht? Ich nehme an, dass du den Sozialpsychiatrischen Dienst bereits kennst. Die beraten auch Angehörige.

Liebe Grüße,
DieNeue
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo DieNeue,

in der letzten Phase war es medikamententechnisch der helle Wahnsinn.
Einmal der Wechsel zwischen Psychiater und zwei verschiedenen Kliniken, von denen jeder immer wieder was Neues angesetzt und das Alte abgesetzt hat, andererseits meine Frau die keine Medikamente nehmen wollte und immer wieder abgesetzt hat. Die Psychiaterin hat es auf die empfohlene Art und Weise probiert und versucht Konstanz zu bewahren, aber die Kliniken und meine Frau waren da total rigoros.
Ein- und ausschleichen gab es da nicht, es wurde fröhlich gewechselt und am besten gleich von 0 auf 100 und umgekehrt.

In der Klinik habe ich irgendwann interveniert und versucht dieses Chaos abzustellen. Das Ergebnis war, dass sie die Medikamente nicht mehr gewechselt haben, aber immer weiter hochdosiert, was heftige Nebenwirkungen verursacht hat.
Trotzdem hat die Phase nach ca. einem Jahr relativ unspektakulär und ohne einen darstellbaren Grund geendet.

Auch damals habe ich schon vermutet dass meine Frau therapieresistent sein könnte.

Dieses Mal ist es nicht viel besser.
Die Klinik stellt bei der Einweisung die Therapie vom Psychiater komplett um, nach einem Tag Aufenthalt die Selbstentlassung, wobei die Psychiaterin die Medikamentierung der Klinik dann beibehalten hat.
Zwei Wochen später die erneute Einweisung, und die Klinik wirft ihre selbst angesetzte Medikamentierung wieder komplett über den Haufen.
So ging es die ganze Zeit.
Manchmal hatte sie Medikamente nur für ein bis zwei Tage, weil sie festgestellt haben dass ein Medikament nicht lieferbar ist oder ihnen aufgefallen ist, dass das angesetzte Medikament von ihnen selbst schon mal versucht wurde.

Meine Frau glaubt überhaupt nicht an die Medikamente und leider hat sie offenbar recht damit.
Zumindest haben wir noch nichts gefunden was jemals angeschlagen hätte, auch wenn man es über einen längeren Zeitraum gibt.

Arbeitstechnisch bin ich zum Glück nicht gebunden.
2016 habe ich meinen Job aufgrund von Stress und körperlicher Abnutzung hingehängt.
Eigentlich wollte ich dann ein Jahr Auszeit machen und mich anschließend umorientieren.
Genau da kam die Erkrankung von meiner Frau quer reingeschossen.
Also habe ich mich erstmal um sie gekümmert und den Rest nach hinten geschoben.
Dabei ist es geblieben.
Also selbst gewählt und nicht vom Staat abhängig oder sowas, und dadurch habe die Zeit mich um meine Frau zu kümmern.

Nach mir selbst zu schauen war jetzt der Grundtenor von allen,
die mir geantwortet haben.
Das habe ich bisher nicht getan und mich immer hinten angestellt. Aber ich werde es wohl beherzigen müssen, es ist ja niemandem geholfen wenn ich selbst erkranke und das Risiko dafür ist bei unserer Konstellation offenbar hoch.

Den sozialpsychiatrischen Dienst habe ich mal im Hinterkopf gespeichert.

Vielen Dank dafür und liebe Grüße
Scotch
DieNeue
Beiträge: 5376
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von DieNeue »

Hallo Scotch,

das ist ja der Wahnsinn, was die in den Kliniken mit ihr medikamentös machen. Zu blöd, dass deine Frau da auch so leichtfertig ist und die Medikamente einfach absetzt. Ich habe selber schon Medikamente abgesetzt und selbst bei kleinen Dosisreduzierungen kann das voll reinhauen. Ich weiß, dass in Kliniken da manchmal schneller vorgegangen wird, weil man den Patienten da beobachten kann, aber trotzdem ist es heftig. Ich würde das nicht machen wollen. Wobei man bei Psychosen, glaub (!!) ich, auch hauptsächlich medikamentös vorgeht. Vielleicht schauen sie deshalb, dass sie möglichst schnell was finden.

Ja, es ist wirklich wichtig, dass du auch auf dich schaust und selber noch ein Leben hast. Sonst geht man auf Dauer kaputt. Mein Großvater und mein Onkel waren/sind auch von psychischen Erkrankungen betroffen und es ist manchmal wirklich schlimm, was eine Krankheit aus einem eigentlich tollen Menschen machen kann. Das ist wirklich eine Tragödie. V.a. als Kind hab ich viele komische Geschichten mitbekommen, die ich nicht einordnen konnte. Als Erwachsene kann ich es jetzt schon besser einordnen, aber ich finde es auch schlimm, wie es meinem Onkel geht und darf da nicht zu viel drüber nachdenken, was er grade macht, wie es mit ihm weitergeht oder was er früher in der Psychiatrie alles mitgemacht hat.
Wenn man so nah dran ist wie du, kann man sich da natürlich sehr schwer abgrenzen. Aber es ist echt wichtig, dass sich nicht mehr alles um sie dreht.

Krass, dass das in der letzten Phase so abrupt dann von selber aufgehört hat.

Zum Sozialpsychiatrischen Dienst kann man übrigens auch (zumindest bei uns hier) regelmäßig gehen.

Liebe Grüße,
DieNeue
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo DieNeue,

ja das Thema Medikamente ist bei uns wirklich schwierig.
Zum einen da meine Frau weder an die Diagnose, noch an die Ärzte, an Therapien oder irgendwelche Medikamente glaubt, zum anderen weil sie schon so viel mitgemacht hat, nichts gewirkt hat und sie bisher nur Nebenwirkungen hatte.
Es wird ja oft geschrieben wie wie viel Prozent der Patienten therapieresistent sind, irgendwer muss ja auch hinter diesen Zahlen stehen, bzw. manche trifft es eben.
Ich weiß auch nicht, wo man irgendwann eine Grenze ziehen muss und anerkennen, dass bei manchen Patienten offenbar wirklich nichts anschlägt.

Da prallen wirklich Welten aufeinander, meine Frau geht davon aus dass sie verrückt geworden ist und nie wieder gesund wird, weswegen sie alles ablehnt, die Kliniken fahren ihre eigene Schiene, welche bei den meisten Patienten ja offenbar auch erfolgreich ist.
Ich stehe irgendwo dazwischen und muss hilflos diesen Schlagabtausch mit ansehen.

Andererseits ist es ja auch fahrlässig überhaupt nichts zu geben, das kann man sehr gut daran sehen, dass manchmal selbst 5 mg Lorazepam am Tag nicht ausreichen um meine Frau einzubremsen.
Keine Ahnung was da kaputt ist und ob wir es jemals erfahren werden.
Ich glaube die meisten hier im Forum würden sich auch lieber einen gebrochenen Arm wünschen, da weißt du, okay vier Wochen Gips, einen Klaps auf den Hintern und wieder raus zum spielen.

Schönen Abend und liebe Grüße
Scotch
Seras
Beiträge: 49
Registriert: 16. Aug 2022, 21:01

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Seras »

Hey Scotch da bin ich nochmal und habe deine Antwort und die anderen Beiträge gelesen, es ist auf jeden Fall super das du darüber redest und auch weißt das etwas getan werden muss. Ich möchte jetzt nicht nochmal alles wiederholen, aber zu zwei Dingen würde ich gerne noch etwas ergänzen.

Es geht hier nicht um mich, dennoch möchte ich etwas von meiner Krankheitsgeschichte erzählen, ich war auch in unzähligen Therapien, hab Medikamente genommen usw. und den Gedanken das ich vielleicht nicht unter Depression leide sondern einfach verrückt bin hatte ich auch schon.
Weil ich irgendwann einfach vergessen hatte wer ich ohne die Depression eigentlich bin.
Ich habe vor kurzem eine Therapie mit rTMS und Ketamin in Kombination gemacht bei einem Spezialisten in Deutschland für Neuromodulation.
Mir hat diese Therapie sehr geholfen und auch die Jahre davor mit anderen Therapien hatte ich immer wieder sagen wir akzeptable Phasen.
Wenn du mehr über diese Therapie wissen möchtest kannst du da gerne in meinem Thread schauen wo ich davon berichte, vielleicht wäre das ja auch für deine Frau eine Option.
Nur jetzt muss ich zu dem ganz großen Aber kommen, auch wenn es ein Problem mit der Biochemie usw. gibt und da setzt auch die Neuromodulation an ist deine Frau so hart es klingen mag Teil des Problems. Denn ihre Einstellung und Ablehnung gegenüber Therapie, der Diagnose usw. ist völlig deplatziert. Sie benutzt dich als ihren privaten Therapeuten und lässt alles an dir aus, aber du bist für diese Gespräche der falsche Ansprechpartner.
Das du sie liebst und mit Herzblut versuchst ihr zu helfen ist klasse, nur ich glaube in dem Falle müsstet du ihr auch Grenzen aufzeigen und zwar das du deutlich machst das sie auch an ihrer Einstellung arbeiten muss und du nicht für den Rest des Lebens ihr privater Therapeut bist.
Ich selbst war einigen Menschen gegenüber, in meiner letzten Depressiven Phase, verbal sehr Übergriffig und das tut mir unendlich leid, aber das habe ich auch schon sehr kurz danach gemerkt, das ich da etwas falsch gemacht habe. Im Vergleich zudem was du dir täglich wahrscheinlich anhören musst war ich wahrscheinlich im großen und ganzen ein liebenswerter Depressiver. Auf der anderen Seite wurden mir meine Fehler nicht vergeben und das obwohl ich sie einsehe und aktiv daran arbeite, aber so ist das Leben.
Nur um ehrlich zu sein würde ich mir nach wie vor mehr Verständnis wünschen, aber hätte jemand in dieser Phase sich so für mich aufgeopfert wie du es beschreibst... das hätte mir nicht geholfen. Ich hab meine Depression mit übler Egozentrik, Schuldzuweisungen, Alkoholismus usw. überspielt und konnte wirklich unausstehlich sein, weil wenn ich mich schlecht fühle sollen sich die Anderen auch schlecht fühlen, denn wären die nicht so zu mir gewesen würde es mir sicher besser gehen und was soll es denn hat ja eh keine Konsequenzen, denn ich kann ja nichts dafür.
Diese Art der gut gemeinten Bestätigung wäre für mich auf Dauer fataler gewesen als die harte Konsequenz, weil ich muss mich ja den Problemen nicht stellen usw. hab ja Leute an denen ich es auslassen kann. Weder diese übertrieben Verurteilung und Unverständnis wie ich es erfahren habe sind für einen Depressiven hilfreich aber genauso wenig die Samthandschuhe.
So und um den Kreis zu schließen habe ich 10 Tage lange Neuromodulation gemacht, die für unheilbare Depression eine Option sein kann und rein wissenschaftlich funktioniert, wie genau kann ein Arzt besser erklären und das telefonischen Vorgespräch ist kostenlos, also spare ich mir es zu erklären und jetzt kommt wieder das Aber: Dieser Arzt konnte mir helfen, weil ich Hilfe wollte und es gibt mir eine zweite Chance, nur es wird mich nicht davor bewahren wieder depressiv zu sein wenn ich nicht aktiv etwas tue. Sprich selbst dieser Arzt, der keine Gesprächstherapie usw. macht hat mir ganz klar gesagt das im Anschluss Hausaufgaben zu erledigen sind, wie täglich Sport machen, raus gehen, Meditationsübungen und ganz wichtig weitere Ambulante Therapie.
Du hast vollkommen recht damit das Biochemie, Nervensystem usw. von der Depression geschädigt/verändert werden, aber du kannst sie so oft reparieren wie du willst, wenn du nicht einsiehst das du Depressionen hast und daran arbeiten musst wirst du dir dein Gehirn immer wieder zerschießen. Also deine Frau muss in meinen Augen auch an ihrer Einstellung etwas ändern !
Du kannst auch 100 mal z.B. einen Alkoholentzug machen, aber wenn du der Meinung bist eigentlich kein Problem zu haben und immer wieder meinst: Ach ein bisschen was kann ich schon konsumieren, dann bist du nicht sofort wieder auf dem Level wie vorher, aber du wirst schleichend wieder dort landen. Man kann Menschen nur eine Hand reichen, aber wer sich selbst nicht "helfen" will... Glaube da nutzen auch 1000 Hände nichts.

Liebe Grüße
Seras
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo Seras,

danke dafür, das du alles noch mal durchgegangen bist, ich weiß, der Fall ist ziemlich komplex und außergewöhnlich.
Danke auch für deine ausführliche Antwort und die klaren Worte.
Auch die Anderen, die mir geantwortet haben, haben Klartext geredet, was auch gut so ist.
Vielleicht muss ich mich wirklich mit dem Gedanken vertraut machen, dass meine Frau ein Teil des Problems ist und der Sache nicht komplett hoffnungslos ausgeliefert.
Wenn man sie so erlebt kann man das gar nicht glauben, dann hat man einfach das Gefühl, sie ist in einer ganz anderen Welt unterwegs und einfach komplett verrückt.
Ich hatte auch geschrieben, daß sie sich völlig gehen lässt, vielleicht hätte ich korrekterweise schreiben sollen, sie ist nicht in der Lage sich zu steuern.
Das klingt dann nicht so verurteilend, als ob sie das alles mit Absicht macht.
Andererseits sehe ich bei ihr aber auch keine Mitarbeit, da sie wie gesagt renitent alles ablehnt und es mir fast unmöglich macht, mit ihr umzugehen.

Es ist wirklich schwierig, weil sie nicht auf das Gespräch eingeht wenn man sie anspricht.
Sie macht einfach mit Ihrem Text weiter und hört nicht zu.
Da hätte auch ein Therapeut ein Problem und deswegen wurde mit ihr auch nie eine Psychotherapie gemacht.
Nicht mal in der Klinik war ein Gespräch mit dem Psychotherapeuten möglich.

Es ist unglaublich, was eine nicht normal funktionierende Hirnchemie mit einem Menschen machen kann.
Das Problem haben wahrscheinlich die meisten welche schwere Depressionen haben.
An psychosozialen Faktoren kann man eventuell noch arbeiten, an einem Problem mit der Hirnchemie wird jede Logik scheitern.
Danke für den Hinweis auf deinen Thread, ich werde mich da mal einlesen und auch noch mal intensiver mit dem Thema rTMS beschäftigen.

Liebe Grüße
Scotch
Seras
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Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Seras »

Hey Scotch,

es freut mich wenn du für dich einen Mehrwert aus meinen Worten ziehen konntest und gerne kannst du in meinem Thread vorbei schauen.
Werde mich dann auch hier aus der Debatte verabschieden, denn ich würde mich nur wiederholen.
Ich schick dir einfach mal eine PM mit einem Link zu dem Arzt wo ich in Behandlung war, da es nur für Selbstzahler ist möchte ich hier nicht so rüber kommen als würde ich Werbung machen, aber das zwei Klassen Gesundheitssystem ist ein anderes Thema.
In diesem Sinne wünsch ich dir und deiner Partnerin alles gute und hoffe du findest für dich einen guten Weg.

Liebe Grüße
Seras
Ephemera
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Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Ephemera »

Hallo Scotch,

Deine Geschichte berührt mich sehr.
Ich habe bei einem Klinikaufenthalt zwei Mitpatientinnen mit einer schweren agitierten Depression kennengelernt.
Mit einer „durfte“ ich mir das Zimmer teilen.
Das ewige Herumlaufen, das ständige Reden… kein Sekunde Ruhe weder im Inneren noch im Äußeren.
Meinen größten Respekt dafür, dass Du das schon so lange erträgst. Es ist ein Kraft- und Willensakt kaum vorstellbaren Ausmaßes!
Dass Du Dich auf Dich konzentrieren und um Dich kümmern solltest wurde schon häufig genug gesagt.
Ich meine Du solltest versuchen, deine Frau zumindest tageweise in eine Tagespflegestelle zu geben. Du brauchst auch mal Ruhe. Kraft und Geduld sind endlich.

Zu meinen Mitpatientinnen: beide konnten innerhalb von 2-3 Monaten in der Klinik medikamentös „eingefangen“ werden. Fanden wieder Schlaf und wurden ruhiger. Konnten wieder still sitzen - auch mal schweigen - und sogar wieder lesen oder puzzeln.
Zu Beginn der Behandlung waren beide recht widerwillig. Beide waren von ihren überforderten Männern zur Klinik gebracht worden und hatten die erste Zeit keine Krankheitseinsicht. Wie auch, wenn man nicht klar denken kann.
Sie haben es zunächst nur ihren Männern zuliebe durchgezogen.
Aber als es etwas besser wurde haben sie eingesehen, dass es anders nicht ging. Und haben alle Medikamentenversuche geduldig und trotz Nebenwirkungen durchgezogen. Und es haben sich dann Verbesserungen eingestellt. Beide sind dann freiwillig so lange geblieben, bis sie sich wieder „zumutbar“ für ihre Partner gefühlt haben.

Ich hoffe, ihr findet einen Weg.
Diese Ausprägung der Krankheit ist für Betroffene und Angehörige eine Hölle auf Erden.
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo Ephemera,

vielen Dank für Deine Zeilen, es ist für mich das erste Mal, dass mir jemand schreibt, dass er schon mal agitiert depressive Menschen erlebt hat.
Es ist mir in den ganzen letzten Jahren noch niemand begegnet, der gesagt hat, ja das habe ich schon mal erlebt.
Deshalb habe ich es auch so ausführlich beschrieben, damit man sich darunter überhaupt etwas vorstellen kann.
Aber auch wenn ich es beschreibe, können die wenigsten wirklich etwas damit anfangen.

Die Hölle auf Erden trifft es ganz gut, besser kann man diesen Zustand nicht umschreiben.
Das heißt aber nicht, dass nicht auch die gehemmt Depressiven ihre eigene Hölle durchmachen, nur eben auf andere Art und Weise.
Auch wenn es komisch klingt, es tut gut dass da jemand ist, der weiß wovon ich rede, meistens fühle ich mich völlig unverstanden. Wenn man davon erzählt hören die meisten nur das Wort "Depression" und glauben verstanden zu haben worum es geht. Aber diese Ausprägung ist eher der helle Wahnsinn.

Das eine Depression viele Gesichter haben kann, wissen die wenigsten, vor allem die nicht, die nie Kontakt mit Depressiven hatten oder sich nie mit dem Thema beschäftigen mussten.

Die fehlende Krankheitseinsicht ist übrigens ein sehr interessanter Aspekt den Du erwähnst, bei uns ist es nämlich genauso und stellt ein ziemliches Problem dar.
Meine Frau wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Diagnose Depression und geht davon aus verrückt geworden zu sein.

Dass Du dir in der Klinik das Zimmer mit jemand Teilen musstest der eine agitierte Depression hat ist ganz schön heftig. Wie soll man denn da Ruhe finden und wieder gesund werden?

Um einen Pflegeplatz werde ich mich wohl bemühen müssen. Zumindest für zeitweise. Ich kann nur hoffen dass es dort nicht wie in der Altenpflege Wartezeiten auf einen Platz gibt, sonst müsste ich ja ewig vorausplanen wenn ich mal eine Auszeit brauche.
Ich habe mir noch eine Frist bis zum Ende des Sommers gesetzt, dann habe ich anderthalb Jahre lang durchgehalten.
Dann muss ich raus aus der Situation sonst geht es für mich nicht mehr weiter.

Liebe Grüße
Scotch
Ephemera
Beiträge: 85
Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Ephemera »

Es freut mich, dass meine Worte Dir ein bisschen Gefühl von Verständnis vermitteln konnten.

Die agitierte Depression ist ja tatsächlich sehr viel seltener als die „übliche“ gehemmte Variante. Vielleicht gibt es irgendwo im Netz einen Anlaufplatz für Angehörige?! Denn es ist sehr viel belastender für die Person, die es miterleben muss. Da hilft auch kein Austausch mit Angehörigen von „üblich“ Depressiven - die Symptomlage ist so grundlegend unterschiedlich.

Meine Mitbewohnerin war wirklich eine herzensgute nette Frau.
Aber sie hat mich wahnsinnig gemacht. Vor allem das von Dir beschriebene ständige Sprechen in kurzen, sich häufig wiederholenden Sätzen. Es ist mir ein Rätsel, wie Du das so lange aushalten kannst. Ich habe so viel Zeit wie möglich außerhalb des Zimmers verbracht. War außerhalb der Therapien draußen oder im Gemeinschaftsraum.

Es ist sicher anders, wenn man die Person außerhalb dieses Zustandes kennt und liebt. Es macht duldsamer.

Nach etwa zwei Wochen begann sich ihr Zustand langsam zu ändern. Vor allem: ihr ist dann plötzlich selbst aufgefallen, wie viel sie spricht und dass sie ständig aufspringt und rumläuft. Sie begann zu verstehen wie schwer das für ihren Mann gewesen sein muss, diesen Zustand über Tage und Wochen mitanzusehen. Und sie begann sich bei mir zu entschuldigen und sagte mir ich solle sie darauf aufmerksam machen, wenn es wieder schlimm ist. Sie hat angefangen sich zu schämen und schuldig zu fühlen - es hat mir fast das Herz gebrochen, denn sie konnte dich überhaupt nichts dafür. Sie wollte ja nicht so sein. Das war die Krankheit.

Unsere letzte Woche war dann fast angenehm. Sie konnte wieder viel zusammenhängender denken und sprechen. Und fing langsam an zu versuchen sich hinzusetzen und Bilder auszumalen oder ähnliches.
Von einer Mitpatientin die länger dort war und ihren Genesungsweg noch weiter beobachten konnte habe ich gehört, dass sie nach acht Wochen die Klinik verlassen hat - und nicht wiederzuerkennen war.

Ihr habt ja sicher schon alles an Medikamenten durch - aber als Stichwörter würde ich hier Pregabalin und Pipamperon nennen.
Das Finden der Dosis war schwierig und hat gedauert - aber sie haben geholfen. Und ja sie hat immer wieder daran gezweifelt. Hat sämtliche Ärzte und Pfleger mit sicher 50 Nachfragen am Tag mürbe gemacht - aber am Ende hat es geholfen!

Gib die Hoffnung nicht auf.

Ich fürchte Mitarbeit und Einsicht sind in einer schweren agitierten Phase kaum möglich. Die Gedanken springen zu schnell. Kreisen immer um die gleichen 3 Dinge…
Es klingt hart, aber in diesem Zustand kann man nicht mehr für sich selbst verantwortlich sein. Vielleicht kannst Du ihr rechtlicher usw. Vormund werden. Du entscheidest alles. Sie kann die Behandlung nicht mehr selbst abbrechen usw.
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Einen Anlaufpunkt für Angehörige von agitiert Depressiven habe ich im Internet noch nicht gefunden.
Deswegen habe ich die Sache auch hier ins Forum gestellt.
Aber offenbar ist es wirklich zu selten, als das mit dem Thema jemand was anfangen kann.
Ich bin echt dankbar, das sich trotzdem einige so viele Gedanken um den Fall und meine Situation gemacht, und mir klar ihre Meinung gesagt haben.

Und ja, eine agitierte Depression ist kaum zu ertragen, weder für die Betroffenen, noch für die Angehörigen.
Mich machen die Dauer der Erkrankung und die ständige Konfrontation zunehmend aggressiv.
Aber ich finde keine Strategie damit umzugehen.
Es ist einfach nicht möglich.
Im Grunde hilft wirklich nur Flucht.
Aber auch die Möglichkeit ist mir verwehrt, da die Situation zu Hause eskaliert, sobald ich längere Zeit weg bin.

Die allgemeinen Empfehlungen zum Umgang mit depressiven Menschen funktionieren bei einem agitiert Depressiven nur bedingt.
Die pausenlose Ansprache, das ständige Jammern und Klagen und allgemein der schwierige Umgang treiben einen in den Wahnsinn.
Auch der ständige Widerstand.
Alles ist ein Kampf, es wird gegen alles geschossen, ständig verneint oder einfach nur quergestellt.
Egal was ansteht, es wird in unserem Fall sofort kommentiert mit den Sätzen: "Ich kann das nicht. Ich bin verrückt geworden. Ich will sterben".
Da wird selbst der Spaziergang zur täglichen Herausforderung.
Und das alles läuft seit 14 Monaten jeden Tag aufs Neue ab, wie in einem Horrorkino wo ich auf einen Stuhl gefesselt pausenlos denselben Film gucken muss.
Da wirst du selber komplett irre.

Die gehemmte Depression ist mit Sicherheit auch ein täglicher Kampf, nur eben auf andere Art und Weise.
Was ich so im Forum rauslesen kann ist, dass die Betroffenen diesen Kampf eher selber aufnehmen und führen, sofern es ihnen möglich ist.
Auch das muss wahnsinnig anstrengend sein und ich habe davor einen riesen Respekt.
Leider geht das bei meiner Frau überhaupt nicht, sie treibt wie ein willenloser aus Sklave der Krankheit dahin.
Es gibt keine Vernunft, keine Einsichtsfähigkeit oder Mitarbeit.

Schlimm ist auch, das wir seit über einem Jahr nicht mehr sinnvoll miteinander reden konnten.
Wir hatten nur mal ein paar Stunden zu Beginn der Erkrankung, als es gegen Abend nicht ganz so heftig war, und noch einmal vor ein paar Wochen, als wir ein paar Worte mehr wechseln konnten. Ansonsten gehen höchstens mal ein paar Belanglosigkeiten, aber kein wichtiges Thema.

Der Rest sind ständige Wiederholungen die keinen Sinn ergeben. Eine Besonderheit ist, daß sie weder an die Diagnose, noch an irgendwelche Ärzte, Therapien oder Medikamente glaubt.
Aber auch das scheint zum Krankheitsbild zu gehören.

Pregabalin wurde übrigens ein viertel Jahr lang probiert, ohne Erfolg.
Vorher wurde lange Zeit Lamotrigin gegeben, mit dem gleichen Ergebnis.

Rechtlicher Vormund bin ich nicht, aber ich habe sämtliche Vollmachten.
Aber auch das ist ein zweischneidiges Schwert, das durfte ich nach der letzten Krankheitsphase erfahren.
DieNeue
Beiträge: 5376
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von DieNeue »

Hallo Scotch,

vielleicht kannst du auch mal unter "Umgang mit der Krankheit" deinen Text reinstellen und fragen, ob sich jemand damit auskennt. Bei den Angehörigen lesen nicht so viele Betroffene mit. Vielleicht findet sich ja da jemand, der damit Erfahrung hat.

Es klingt auf jeden Fall echt furchtbar und ich finde es total verständlich, dass es dich aggressiv macht. Was meinst du damit genau, wenn du sagst, die Situation zuhause eskaliert, wenn du weg bist?

Was ich nicht ganz verstehe, ist, warum sie sich so gegen die Behandlung wehrt, wenn sie selber sagt, sie ist verrückt geworden. Wenn man "verrückt" wird, ist doch eigentlich der normale Weg der in die Psychiatrie. Aber das ist wahrscheinlich die fehlende Rationalität. :( Das macht es echt mega schwierig.

Liebe Grüße,
DieNeue
SonneundDunkenheit
Beiträge: 706
Registriert: 25. Jul 2021, 09:24

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von SonneundDunkenheit »

Hallo Scotch,
ich bin selbst von einer agierten Depression (glücklicherweise ohne psychotische Symptome) in Kombination mit anderen psychischen Diagnosen betroffen und lebe in einer Partnerschaft.
Eine agierte Depression zu haben, ist extrem anstrengend und zieht soooo viel Energie.. auf allen Seiten.
Ich kann dir nichts raten, weil das übergriffig wäre aus meiner Sicht.
Ich bin mir meiner Diagnose bewusst. Anfangs wollte ich sie nicht wahrhaben. Medikamente (u.a. Pregabalin, Melperon, Tavor,...) habe ich probiert mit mässigem Erfolg. Klinikaufenthalte lehne ich ab, da ich diese als Stress und nicht hilfreich empfinde. Nehme regelmäßig was um überhaupt schlafen zu können und ab und an was um die extreme Unruhe/Anspannung auszuhalten. Hilfreich ist die seit Jahren andauernde Psychotherapie wobei die Therapeutin taff ist und mir durchaus respektvoll zurück meldet wie anstrengend ich bin und was mein Verhalten für die Menschen in meinem Umfeld bedeutet. Sie zeigt mir auf, wie meine Erkrankung die Familienstruktur bestimmt. Das lässt mich nicht kalt, aber ich kann nur sehr bedingt mein Verhalten steuern in solchen Momenten und auch im Nachgang nicht wirklich drüber reden, aber mir tut es dennoch leid (fühle mich als sei ich ein Monster). Im Gegensatz zu deiner Partnerin mache ich so ziemlich alles mit mir selbst aus, rede kaum über das was in mir vorgeht, bin aber motorisch extrem unruhig, ängstlich im Außen, vermeide alles was nicht unbedingt nötig ist, bin ein Schnellkochtopf ohne Ventil,...
In heftigen Phasen habe ich einen enormen Bewegungsdrang und setze mich dann durchaus stundenlang aufs Fahrrad bis zu 100 km oder mache eine lange Wanderung, schwimme Bahn um Bahn, höre laute Musik,.... verreise alleine ans Meer, wenn ich halbwegs stabil bin. Es kam schon die Idee auf, eine kleine zweite Wohnung zu mieten als Rückzugsort sozusagen als Entlastung für beide Seiten, ich fände es gar nicht so schlecht (hätte dann vielleicht weniger Schuldgefühle) ... meine Familie möchte das nicht, möchte mich "aushalten".
Bei euch klingt das alles sehr sehr festgefahren und irgendwie auch toxisch und ohne eine Lösung mit der du und deine Partnerin "gut" leben kann. Letztlich musst du für dich eine Entscheidung treffen. Du bist nicht für die Erkrankung deiner Partnerin verantwortlich und hast ein eigenes Leben. Wann es zuviel ist, kannst nur du einschätzen und bekannterweise stirbt die Hoffnung (auf Besserung/ Veränderung) zuletzt.
Ich bin dankbar für die Zeit, die mein Mann auf Arbeit verbringt oder beim Sport oder mit Freunden... Zeit ohne meine hohe innere Anspannung/ meine Unruhe/ Eigenheiten... Zeit wo ich keine Rücksicht nehmen muss. Rücksicht....verbraucht enorm viel emotionale Energie, aber die fehlt mir dann an anderen Stellen. Allerdings bin ich genau so dankbar für den festen Rahmen unserer Partnerschaft, der mir eine gewisse Sicherheit gibt. Im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich zu geben was ich geben kann (manchmal ist es allerdings nicht viel) und nehme was ich zulassen kann (oft weniger als von der Gegenseite gehofft). Mein Partner ist erwachsen und entscheidet für sich, ob er mich aushalten möchte und kann. Ökonomisch könnte jeder von uns alleine durchs Leben gehen.
Nimm jede Hilfe an für dich, die sich bietet und sorge für dich. Du bist weder Pfleger noch Hausdiener...
Respekt, dass deine Partnerin noch Autofahren kann. Das traue ich mir schon lange nicht mehr zu.... ist auch besser für die anderen Verkehrsteilnehmer.
Gute Nacht
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo DieNeue,

die Aussage "verrückt" zu sein ist ihr Ausdruck für den Zustand, welchen sie nicht näher beschreiben kann und der sie zur Verzweiflung bringt.
Für sie hat das nichts mit Depression zu tun, sie glaubt wahnsinnig geworden zu sein.
Nein es ist natürlich nicht rational, aber sie hat keine anderen Worte dafür.

Wenn ich mal nicht Zuhause bin verliert sie die Struktur und lässt sich gehen, weil sie mit sich selbst nicht klar kommt.
Dann nimmt sie schon mal 4 mg Lorazepam am Vormittag, fängt mittags an Alkohol zu trinken und geht völlig fertig und zugedröhnt kurz nach dem Mittag ins Bett.
Als ich das letzte Mal drei Tage nicht da war, hat sie mehrere Kilo abgenommen, weil sie sich kaum mehr ernährt hat und kam mir in so einem schlechten Zustand entgegen gewackelt, daß ich kurz davor war, sie in die Klinik zu bringen.

Aber dort gibt es ja auch keine Hilfe für sie, es wäre nur für mich zur Entlastung. Da jedes Mal die Medikamente umgestellt werden, welche ihr eh nicht helfen, versuche ich das zu vermeiden.

Die Idee bei "Umgang mit der Krankheit" mal nachzufragen ist wirklich gut.
Schließlich haben mir hier vor allem auch Betroffene mit ihrer Einschätzung sehr viel weitergeholfen.

Liebe Grüße
Scotch
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo SonneundDunkelheit,

vielen lieben Dank, für den tiefen Einblick in deine Erkrankung und den Umgang damit.
Sehr interessant finde ich die fehlende Steuerungsfähigkeit, was bei meiner Frau genauso ist.
Als nicht Betroffener interpretiert man das schnell als sich gehen lassen, was natürlich völlig unangemessen ist.

Die Diagnose nicht wahrhaben wollen und das fehlende Ansprechen auf Medikamente sind ebenfalls Parallelen mit denen wir schwer zu kämpfen haben.

In eine Klinik möchte meine Frau auch nicht wieder, was ich sehr gut verstehen kann, denn es ist kein Ort der die Situation verbessert, wenn man nicht auf Medikamente oder andere Therapien anspricht.

Eine Psychotherapie würde meine Frau niemals machen wollen und im Moment wäre es wahrscheinlich auch nicht möglich mit ihr ein Gespräch zu führen, da sie überhaupt nicht aufnahmefähig ist.

Im Erscheinungsbild gibt es also viele Parallelen, aber im Umgang mit der Krankheit seid ihr beiden völlig verschieden.
Vielleicht ist dafür der Zustand meiner Frau auch einfach zu schlecht.

Du versuchst mit der Krankheit umzugehen und eigenständig die begleitenden Probleme zu kompensieren.
Das heißt, du kommst selber in den Gänge und versuchst etwas zu bewegen um irgendwie damit klar zu kommen.
Das macht meine Frau überhaupt nicht.
Sie hat sich völlig aufgegeben und treibt hilflos dahin wie ein Blatt im Wind.
Ihr einziger Umgang mit der Krankheit ist pausenloses Reden und sich gegen alles wehren, da ihr alles zu viel ist.
Sie ist völlig unemotional und kann nicht reflektieren was ihr Verhalten bei mir auslöst.
Oft kommt sie mir vor wie ein falsch programmierter Roboter der einfach sein Programm abspult.

Toxisch ist übrigens die richtige Bezeichnung für unsere momentane Situation. Das liegt natürlich auch an mir.
Meine Frau erträgt ihre Krankheit nicht und kann sich nicht steuern.
Ich bin mit den Nerven völlig am Ende und es braucht nicht viel, daß ich überkoche.
Sie hat mich auch früher ganz schön gepiesackt, wenn es ihr nicht gut ging, eine Erkältung hat da schon gereicht.
Jetzt hat sich das ins Extrem gesteigert und ich bin am Überlegen, ob dieser Wesenszug eine Rolle spielt, oder ob das nichts damit zu tun hat.

Das Autofahren macht sie auch nicht gern, aber meine momentane Fahrweise (Ungeduld) ist ihr nicht geheuer, da fährt sie lieber selber, wie auch immer sie das zustande bringt.
Bei meiner Fahrweise von vor ein paar Monaten hätten wir uns in der Psychiatrie gleich ein Doppelzimmer buchen können.
Jetzt fahre ich wieder ruhiger, aber vielleicht hat sie Angst, das ich die ganze Sache für uns an einem Baum beende, von daher ist es schon okay, wenn sie lieber selbst fährt.
Ich fahre sowieso schon immer lieber mit ihr mit, und behalte auf diese Weise wenigstens meinen Führerschein.

Ich hoffe dass die Schwere der Krankheit irgendwann einmal nachlässt und sie wieder leben kann.
Von daher gibt dein Bericht Hoffnung dass es vielleicht wieder gehen könnte, in welcher Form auch immer.
Ich finde es toll, das eure Familie besteht und zusammenhält.

Im Moment redet sie nur noch vom Pflegeheim, aber ich wollte eigentlich noch abwarten, ob sie die Kurve noch bekommt und scheue mich auch ganz ehrlich vor dem Schritt.
Ich habe große Bedenken, das es das Ende unserer Beziehung wäre. Pflegeheim hat so etwas Endgültiges.
Und es wäre ja auch nur für mich, damit ich vor der Situation geschützt bin.
Schöner Mist!

Liebe Grüße und einen schönen Abend
Scotch
Magnolya
Beiträge: 4
Registriert: 7. Apr 2024, 11:45

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Magnolya »

Lieber Scotch,

ich frage mich ehrlich, wie du es schaffst, noch zu deiner Frau zu stehen. Du bist am Rand der Verzweiflung. Achte darauf, dass du nicht selbst in eine Depression rutscht (reaktive Depression). Was hält dich davon ab, sie ins Pflegeheim zu bringen? Du machst dir da ganz schöne Schuldgefühle, wenn du schreibst „es wäre ja nur für mich, damit ich vor der Situation geschützt bin“. Das Wesen deiner Frau hat sich katastrophal durch diese Krankheit verändert. Dafür kann niemand was. Durch diese Wesensveränderung ist ein einigermaßen gutes Zusammenleben mit ihr nicht mehr möglich. Auch dafür kann niemand was. So wie ich das lese, brauchst du Entlastung und deine Frau braucht Profis, die nach ihr schauen. Die Pflege von Angehörigen ist kein Zuckerschlecken und noch viel heftiger, wenn zudem eine psychische Krankheit vorliegt.

Mir hilft in solchen Situationen immer die Frage: Wie lange bin ich bereit, die Situation, wie sie ist, mitzutragen? Noch 1 Jahr…5 Jahre…10 Jahre… Das gibt dir einen guten Anhaltspunkt, wie es für dich weitergehen kann. Und das sage ich dir als Mutter eines Kindes, das auch schon stationär im Zentrum für Psychiatrie war. Die Situation drohte mir zu entgleiten, weil mich die Psyche bzw. das Verhalten meines Kindes so runtergerockt hat, dass ich selbst kurz vorm Durchdrehen war und fast zusammengeklappt wäre. Damals sagte mir meine Ärztin, ich müsse besser auf mich aufpassen. Wenn ich zugrunde gehe, ist niemandem geholfen. So ist das auch bei dir. Wenn du zugrunde gehst, ist keinem geholfen, weder dir noch deiner Frau.
SonneundDunkenheit
Beiträge: 706
Registriert: 25. Jul 2021, 09:24

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von SonneundDunkenheit »

Hallo Scotch,

ich bin im Kopf klar im Gegensatz zu deiner Partnerin.

Sie will in keine Klinik, aber dafür ins Pflegeheim....worin liegt da für sie der Unterschied?

Habt ihr mal über eine Tagesstätte für psychisch kranke Menschen nachgedacht? Wenn es so etwas in eurer Nähe gibt, schaut es euch mal an. Es gibt Einrichtungen, wo man einen Vertrag für x Tage in der Woche abschließen kann. Vielleicht bringt das ein wenig Abstand und Ruhe für dich und ist nicht so endgültig wie ein Pflegeheim.

Was hält dich in deiner Beziehung? Sorry, wenn ich so direkt frage, aber Beziehung muss von beiden Seiten "gefüttert/ genährt" werden.

Sie war schon vor ihrer Erkrankung nicht immer einfühlsam, hast du geschrieben. Leider verstärken sich solche Wesenszüge in extremen Situationen und auch für sie ist das Ganze eine extreme Situation.

Ich komme mir mitunter auch fehl programmiert vor. Meine Therapeutin vergleicht meine schnellen Wechsel in der Stimmung gerne mit Ebbe und Flut....nur leider ohne Gehzeitenkalender, also ohne Vorwarnung.

Es gibt Phasen da kann ich Gesprächen nicht länger als 15 min folgen. Es ermüdet mich enorm, aber durch die hohe innere Anspannung ist schlafen nicht möglich. Ich fühle mich oft wie ein Tiger im Käfig. Da ich vom Wesen her ein sehr verschlossener Mensch bin, rede ich eher weniger, aber bin eben sehr viel in Bewegung.

Wenn deine Partnerin keine Psychotherapie machen möchte, dann ist es so. Was hält dich davon ab eine für dich zu machen? Psychotherapie ist anstrengend (zumindest empfinde ich es so für mich). Von Außen wird kritisch (was ich nicht negativ meine) auf das eigene Verhalten geschaut, aber es ist auch ein Ort wo ich frei im Reden sein kann. Wir haben auch schon Stunden als Familie genutzt, um Bedürfnisse und Wünsche abzugleichen. Voraussetzung für eine gelingende Therapie ist aber der Wille nach Veränderung und die Fähigkeit zu reflektieren.

Ich wünsche euch viel Kraft und Hilfe von Außen.

Liebe Grüße
Scotch96
Beiträge: 16
Registriert: 29. Apr 2024, 18:30

Re: Wo bleiben wir? Wann ist es zu viel? Oder habe ich einen Extremfall?

Beitrag von Scotch96 »

Hallo Magnolya,

der Grund warum ich meine Frau noch nicht ins Pflegeheim gegeben habe ist, dass ich grundsätzlich der Meinung bin, daß zu Hause der beste Ort zum gesund werden ist und ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe.
Da die Klinik ihr nichts bieten kann was ihr weiterhilft hat sie hier wenigstens ein gutes Umfeld.
Obwohl das auch nicht ganz richtig ist, ich bin inzwischen so angefressen, daß ich ziemlich laut und ungehalten bin.
Sie weiß dass ich eigentlich überhaupt nicht so bin, aber sie kann ihr Verhalten nicht steuern.
Trotzdem versuche ich das Beste für sie rauszuholen.
Der Preis den ich dafür zahle ist natürlich sehr hoch.
Ich bin nicht sicher wie weit ich selber schon drin stecke, aber die tägliche Aufgabe und Anspannung lässt solche Gedanken nicht zu.
Ich funktioniere.
Oder eben auch nicht.
Ich merke ja selber dass meine Nerven am Ende sind und ich mich aggressiv gegen ihr Verhalten wehre.
Vermutlich ist das reiner Selbstschutz.

Im Grunde warte ich die ganze Zeit darauf, daß irgendwann der Umschaltpunkt kommt und die Situation sich dreht.
Die Wesensveränderung ist vermutlich reversibel und nur während der Krankheitsphase.
Das war zumindest beim letzten mal so.
Es gab auch zu Beginn dieser Krankheitsphase ein paar Momente wo der Krankheitsdruck kurz nachgelassen hat, dann war sie fast normal und wir konnten kurz miteinander sprechen.
Aber es waren eben nur ganz wenige kleine Zeitfenster.

Ich habe mir jetzt ein Zeitlimit bist zum Ende des Sommers gesetzt.
So lange versuche ich durchzuhalten und hoffe dass sich bei ihr doch noch etwas ändert.
Spätestens dann muss ich wirklich handeln, damit ich nicht selber dabei drauf gehe.

Dass die Erkrankung deines eigenen Kindes eine extreme Belastung ist, ist völlig klar.
Je enger die Bindung umso schlimmer wird es für den Angehörigen das alles mit ansehen zu müssen und nicht helfen zu können.
Und die Mutter-Kind-Bindung ist wahrscheinlich die stärkste die es gibt.

Das ist auch einer der Gründe warum ich noch nicht durchgezogen habe.
Das kann ich meiner Mutter einfach nicht antun, damit würde ich sie ins Unglück stürzen und sie kann nun wirklich nichts dafür.
Also bleibt mir nichts anderes übrig als auf mich acht zu geben.
Ich versuche es, versprochen.

Liebe Grüße
Scotch
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