Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

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Leo15
Beiträge: 5
Registriert: 26. Apr 2024, 09:26

Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Leo15 »

Hallo,

ich lese schon lange immer wieder im Forum mit und habe mich nun entschlossen, mich zu registrieren, um idealerweise einen Einblick von anderen Betroffenen zu erhalten und mich nicht so einsam mit der Erkrankung zu fühlen.

Ich bin 19 Jahre alt und befinde mich in einer schweren, zwischenzeitlich mittelgradigen, depressiven Episode seit etwa 3 Jahren; meine erste, damals etwa zweieinhalb jährige schwere depressive Episode hatte ich mit 10 Jahren.
Meine erste Depression hat sich nach außen vor allem mit großer Aggression gezeigt. Ich hatte damals starke Ängste und war mit der Situation extrem überfordert. Der Beginn der zweiten Episode war geprägt von schweren Schuldgefühlen, Antriebslosigkeit, einem Gefühl, das sich so schwer für mich in Worte fallen lässt (eine Art bleierne Decke am Körper mit zugleich bestehender starker Hoffnungslosigkeit), Früherwachen und teilweise Appetitlosigkeit und Agitiertheit. Ich habe plötzlich starke soziale Ängste entwickelt, insbesondere kann ich Menschen seit Beginn dieser depressiven Episode nicht mehr in die Augen sehen, warum genau, ist mir bisher nicht klar. Wenn ich versehentlich Blickkontakt mit jemandem aufnehme, beginne ich am ganzen Körper zu zittern, atme sehr schnell und mein Körper beginnt sich zu verkrampfen. Ich scheine es nicht zu ertragen, dass andere Menschen meine Existenz wahrnehmen.
Die Depression geht bei mir auch mit nahezu durchgängigen Suizidgedanken und immer wieder Suizidimpulse einher. Es gibt zum Glück auch immer wieder einige Tage, an denen es mir etwas besser geht und der Zustand auch besser aushaltbar ist, aber an den meisten ist es nur schwer erträglich.
Therapeutisch habe ich ambulant vor allem an meinen Ängsten mit Expositionen gearbeitet; in der Klinik ging es in den meisten Fällen vordergründig um Stabilisierung. Bei meinem letzten Klinikaufenthalt bis letzte Woche Freitag war ich auf Anraten des Arztes der vorherigen Akutstation auf einer auf affektive Störungen spezialisierten. Meine Medikamente wurden dort umgestellt (von Sertralin und Lithium auf Lithium, Venlafaxin und Risperidon) und ich habe an therapeutischen Gruppen teilgenommen. Ich habe das Gefühl, dass die Umstellung auf Risperidon dazu geführt hat, dass ich strukturierter Denken kann und ich nicht mehr so stark „körperlich“ auf Angstsituationen reagiere, aber eine Antriebsbesserung oder Stimmungsaufhellung durch das Venlafaxin habe ich nicht wahrgenommen. Ich habe schon seit langem das Gefühl, „austherapiert“ zu sein, was meine Hoffnungslosigkeit nur weiter verstärkt.
Geringfügig Hoffnung gibt mir, dass ich auch damals aus der depressiven Episode gekommen bin, aber das muss nicht bedeuten, dass es dieses Mal auch so ist.
Ich hatte die Hoffnung, auf der Station für affektive Störungen, auf der ich zuletzt war, Patienten kennenzulernen, denen es ähnlich geht wie mir, aber ich habe, vielleicht aufgrund des Altersunterschieds oder meiner sozialen Angststörung, in den Wochen nur extrem begrenzt Kontakt zu den anderen aufgenommen. Ich hatte vorher und nun verstärkt immer wieder das Gefühl, dass ich „nicht dazu passe“ und dass selbst diejenigen mit der gleichen Diagnose trotzdem nicht wirklich verstehen, wie es mir geht, was ich aber, wenn ich ehrlich bin, auf kaum etwas stützen kann, da ich ja kaum Kontakt zu anderen Patienten hatte, und daher nur meinen Eindruck aus spezifischen Gruppenangeboten, in denen über Symptome gesprochen wurde, gewinnen konnte.
Ich habe mich manchmal dabei ertappt, in solchen Gruppenangeboten das Verhalten anderer Patienten bewertet zu haben, so dass ich irgendwie den Gedanken entwickelt habe, es könne ihnen nicht so schlecht gehen, wenn sie mit einer nicht-monotonen Stimme und viel Körpersprache und Blickkontakt sprechen würden. Ich schäme mich sehr für diese Gedanken, weil ich weiß, dass ich eine Depression immer unterschiedlich äußert, aber es fällt mir schwer, das anders zu bewerten und solche Gedanken zu „unterdrücken“.
Ich bin mittlerweile irgendwie „therapiemüde“. Verhaltenstherapie, etwa bewusste Aktivierung, scheint mir so sinnlos, wenn ich ohnehin kaum etwas schaffe. Manchmal kommt mir Therapie nahezu wie Hohn vor, auch wenn ich mir dafür schäme, auf diese Weise darüber zu denken.
Ich musste krankheitsbedingt vom Abitur zurücktreten und stehe jetzt ohne Schulabschluss da, im Prinzip habe ich überhaupt keine Perspektive.
Ich habe irgendwie die Hoffnung, jemanden zu finden, dem es ähnlich geht wie mir. Ich möchte so dringend verstehen, was so furchtbar falsch mit mir ist.
Über jegliche Nachrichten und Erfahrungsberichte wäre ich sehr dankbar.
Zuletzt geändert von Leo15 am 1. Mai 2024, 21:15, insgesamt 1-mal geändert.
Mayana
Beiträge: 285
Registriert: 11. Jun 2023, 01:16

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Mayana »

Hallo Leo,

Erstmal schön, dass du hier bist! Ich kann gerade nicht auf alle deine Punkte eingehen, weil mir die Konzentration fehlt- möchte aber zuerst mal sagen, dass du bestimmt noch nicht „austherapiert“ bist, auch wenn es sich für dich gerade so anfühlen mag. Es gibt zig verschiedene Therapiewege, die man gehen kann, medikamentös sowie auch psychotherapeutisch, da könnte gut noch die eine oder andere Erfahrung gemacht werden.
Darf ich fragen, wofür du das Risperidon nimmst? Ich hatte es auch schon, gegen Psychosen bei mir, deswegen frageich, ob da noch etwas bei dir mit reinspielt.
Und „falsch“ bist du schon mal gar nicht. Es gibt sicherlich Dinge, die nicht rund laufen, aber das bedeutet nicht, dass du selbst nicht richtig bist.

Eine Frage habe ich noch, du sagst du hast dein Abitur nicht gemacht und deswegen jetzt keinen Schulabschluss- aber man erreicht doch auch vor der Oberstufe schon den Haupt- und Realschulabschluss, oder hat sich da was geändert?

Ach ja, und zu den Gemeinsamkeiten in Gruppen: ich habe auch nie jemanden gefunden, wo die Symptome ähnlich meinen waren, da kann man nur zuhören und versuchen, zu verstehen. Manche Menschen tun z.B. extra überschwänglich in Mimik und Gestik, um Probleme zu überspielen.
Katerle
Beiträge: 11261
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Katerle »

Hallo Leo,

gib die Hoffnung bitte nicht auf, du bist keinesfalls allein mit deiner Erkrankung. Und falsch ist mit dir auch nichts. Mache deine ambulante Therapie weiter, wenn möglich. Deinen Schulabschluss kannst du sicher noch nachholen. Sprich mit deiner Therapeutin/Therapeuten darüber und ihr werdet eine Lösung finden.

Wünsche dir weiterhin Mut, Kraft und auch Durchhaltevermögen,

Liebe Grüße
Katerle
Leo15
Beiträge: 5
Registriert: 26. Apr 2024, 09:26

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Leo15 »

Vielen Dank euch beiden für eure Nachrichten, ich habe mich sehr darüber gefreut.
Von deinen Erfahrungen in Gruppen zu lesen, Mayana, war für mich sehr erleichternd, danke!

Das Risperidon nehme ich gegen mein starkes Grübeln in Zusammenhang mit Zwangsgedanken.
Dass man auf einem staatlichen Gymnasium ohne Zusatzprüfung beim Eintritt in die Oberstufe die Mittlere Reife erlangt, ist richtig. Das Problem ist, dass ich auf einem privaten Gymnasium war und wir dort nicht automatisch einen Abschluss erhalten konnten, deshalb hätte ich einen extern ablegen müssen.
GuntherBandel
Beiträge: 28
Registriert: 29. Dez 2020, 13:07

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von GuntherBandel »

Hallo Leo,

bin inzwischen 46. Zum ersten Mal sind psychische Probleme bei mir mit 17 aufgetreten kurz vorm Abitur, hatte damals eine Freundin und es bestanden keine Zweifel, dass ich das Abitur nicht schaffen könnte. Konnte mich nicht mehr konzentrieren und habe einen Berg mit Lernstoff aufgebaut.
Bin dann stationär in eine Klinik gekommen, (erste Diagnose Schiziophrenie, wurde später auf allgemeine psychische Störung geändert)
Habe dann nach 1,5 Jahren das Abitur nachgeholt und bis zur Coronakrise ein "normales" Leben geführt. Bin inzwischen verheiratet, habe 3 Kinder und arbeite Vollzeit. In der Coronazeit kamen die psychischen Probleme wieder und ich habe wieder mit Antidepressiva angefangen.
Die Ehe wurde zunehmend problematischer und ich war letztes Jahr wieder 16 Wochen in einer Klinik. Seitdem bin ich in psychoterapeutischer Behandlung (tiefenpsychologischer Ansatz). Nehme 225 mg Venlafaxin momentan, fühle mich allerdings bei Weitem nicht fit.
Was ich dir nur sagen will: Kämpfe weiter.

Viele Grüße

G.
Leo15
Beiträge: 5
Registriert: 26. Apr 2024, 09:26

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Leo15 »

Hallo GuntherBandel,

danke für deinen Erfahrungsbericht, ich wünsche dir viel Kraft und Durchhaltevermögen.
Ich hoffe sehr, dass du ein anderes Medikament findest, das dir weiterhilft.
Muli07
Beiträge: 36
Registriert: 3. Apr 2023, 12:12

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Muli07 »

Hallo Leo,

zunächst einmal danke, dass du einen Teil deiner Geschichte mit uns teilst. Du bist damit definitiv nicht allein!
Ich kenn es selbst von mir auch, dass aber auch der Gedanke damit nicht alleine zu sein, nicht immer hilft.
Auch das „therapiemüde“ fühle ich im Moment sehr. Nach 2 Klinikaufenthalten und ca. 2 Jahre Verhaltenstherapie und nun tiefenpsychologisch (hoffentlich wenn mein Antrag genehmigt wird). Trotzdem habe ich vermehrt das Gefühl, dass es mir nicht hilft, obwohl ich mir den „Arsch aufreiße“ (entschuldigt den Ausdruck).
Es ist einfach frustrierend, wenn man keinen Fortschritt bemerkt. Aber leider ist es so, dass gerade wenn es sich um chronische Erkrankungen handelt, Fortschritte meist so klein sind, dass man bzw. ich sie erst total spät wahrnehme.

Das wichtigste ist, finde ich, sich selbst keine Vorwürfe zu machen und sich nicht mit dem Umfeld zu vergleichen. Das ist aber echt schwer. Ich erwische mich immer wieder dabei, dass ich mich mit meinem Umfeld vergleiche. Alle um mich herum schaffen es zu arbeiten, ihren Hobbies nachzugehen etc. Ich schaffe es an guten Tagen mich zu überwinden einkaufen zu gehen, weil es mir sonst zu viel Panik macht mit den ganzen Menschen um mich herum.

Ich kann dich und deine Gedanken und Bedenken total verstehen. Ich hoffe das du dich vielleicht damit etwas weniger allein fühlst.

Liebe Grüße
Muli
Leo15
Beiträge: 5
Registriert: 26. Apr 2024, 09:26

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Leo15 »

Hallo Muli,

es ist eine riesige Erleichterung, von jemandem zu hören, dem es ähnlich geht, vielen Dank für deine Nachricht!
Ich wünsche dir viel Kraft und Durchhaltevermögen trotz der Therapiemüdigkeit.
Manchmal Optimist
Beiträge: 1
Registriert: 17. Apr 2024, 00:06

Re: Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit

Beitrag von Manchmal Optimist »

Hallo,

Ich bin schon über 30, aber als ich etwa in deinem Alter war, hätte ich mir auch solche Gedanken gemacht. Ich kann dir aber sagen, dass es so viele Möglichkeiten im Leben gibt! Du könntest zum Beispiel probieren, erst einmal etwas zu arbeiten, vielleicht auch nur 20 Stunden pro Woche. Vielleicht kriegst du dadurch eine positive Bestätigung. Und vielleicht kannst du ja dein Abitur nachholen, ich habe einen Freund, der hat das mit 29 oder 30 gemacht. Also, Kopf hoch!
Ich habe dir auch etwas privat geschrieben.
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